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GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Das Kleine Lokal in 28203 Bremen bewertet.
vor 6 Jahren
"2. Heimspiel - Mein Streifzug durch die Bremer Top-Gastronomie"
Verifiziert

Geschrieben am 04.02.2018 | Aktualisiert am 04.02.2018
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Besucht am 15.11.2017 Besuchszeit: Abendessen 1 Personen Rechnungsbetrag: 176 EUR
Die Gastro-Führer sind sich weitgehend einig: In Deutschlands zehntgrößter Gemeinde hat man den Anschluss an die kulinarischen Entwicklungen verloren. Seit vier Jahren kein Michelin-Stern mehr in der Stadt. Ein einziger Bib-Gourmand nur im noch strukturschwächeren Bremerhaven. Der Gault Millau wertet aktuell gleich 4 von 6 gelisteten Restaurants ab. Die Reaktion darauf überraschend: „Die Tester haben halt einen schlechten Tag erwischt/Die stören sich doch nur an fehlenden Tischdecken und einfachem Besteck/Wir kochen für Gäste, nicht für Kritiker/Der Laden ist voll, also sind wir auf dem richtigen Weg“
Selbstkritik sieht anders aus. Aber vielleicht liegt es ja tatsächlich nur an den abgehobenen Ansprüchen.
Schaun mer mal, wie die üblichen Verdächtigen sich so schlagen...

II. Der Kreative

Fragt man in der heimischen Gastronomie herum, wer am ehesten für Sterneweihen geeignet wäre, fällt sofort der Name Stefan Ladenberger, der mit seinem - nomen est omen - kleinen Lokal im Souterrain einer großbürgerlichen Wohnstraße erneut 15 Punkte im G&M erkocht hat. Nach der Abwertung von Grashoffs Bistro ist das der gemeinsame Spitzenwert in der Stadt, der ja immerhin für einen hohen Grad an Kochkunst steht. Dementsprechend bescheinigt die Kollegenschaft Kreativität und Akribie.
Bei meiner gleichtägigen telefonischen Reservierung beschied mir eine freundliche weibliche Stimme, dass man das hinbekommen werde. Tatsächlich füllte sich an diesem Dienstag (dem ersten Öffnungstag der Woche) der überschaubare Raum nach und nach, so dass schließlich die meisten Tische, aber höchstens die Hälfte der vielleicht 30 Plätzen belegt waren. Das Publikum bestand überwiegend aus Pärchen, Freundinnen, Kollegen. Man sitzt zwar nicht in drangvoller Enge, aber doch so, dass die Gespräche an den näheren Tischen nicht überhört werden können. Unschön natürlich, wenn ein ganz wichtiger Mansplainer nicht nur seiner Frau, sondern damit auch gleich dem ganzen Restaurant die Welt erklärt.

Die Plüschigkeit der früheren Jahre ist etwas gewichen, aber noch immer vermitteln die roten Samtbezüge der Stühle und Bänke eine gewisse Wohnzimmer-Atmosphäre. Davon sind die kleinen dunklen Holztische auf dem dunklen Laminatfußboden entfernt, auf deren lackierten Oberflächen schnöde Papiersets mit Logo liegen. Mir ist das zu Bistro. Aber über Geschmack lässt sich nicht streiten. Eher schon darüber, dass die Dinger bei der kleinsten Berührung auf dem Tisch herum rutschen. Da geht die Einsparung für zu waschende Tischdecken oder wenigstens reelle Unterlagen zu Lasten des praktischen Nutzens. Ansonsten findet sich auf dem Tisch noch ein Teelicht-Halter in Konservendosen-Design und schon ein Karte mit den zwei Menüs, aus deren Gängen zugleich das à-la-Carte-Angebot besteht.

Leider muss ein kritisches Wort zur Sauberkeit fallen. Im Gastraum alles picobello, aber die Toiletten tendierten zu Kellerniveau. Spinnweben sogar im Türausschnitt und eine leichte Staubschicht auf den Spiegel zeigten, dass jedenfalls eine gründliche Reinigung schon länger nicht mehr stattgefunden hatte. So offenkundige Hinweise sollten doch auch den Betreibern auffallen und sind - allemal in dieser Klasse - ein no-go.

Die freundliche Stimme am Telefon gehört zur Auszubildenden, die an diesem Abend den ausgebildeten Kollegen im Service unterstützte. Alle Mitglieder des kleinen Teams werden übrigens auf der Homepage vorgestellt, sympathisch. Die Gastgeberin Frau Ladenberger war nicht im Haus, was aber vermutlich gut getan hätte. Die beiden jungen Leute bemühten sich nach Kräften, waren freundlich bis hin zu einer etwas irritierenden Beflissenheit, aber in einigen Situationen schlicht überfordert. Souveränität hätte sicherlich zu einer entspannteren Atmosphäre beigetragen. Vom Chef kam leider auch keine Unterstützung. Als Herr Ladenberger für die Besprechung einer Firmenfeier aus der Küche kam, wurden nur zwei offenbar bekannte Gäste begrüßt, von allen anderen keine Notiz genommen. Tut ein freundliches Guten Abend! eigentlich weh?

Bei einem Gin Tonic folgte ich weitgehend dem Menüvorschlag:

- Filet von Dorade Royal mit geschmortem Römersalat und Haselnusspolenta
- Wachtelbrust und gebratene Foie gras mit Sanddorn und schwarzen Trompetenpilzen
- Ochsenschwanz und Pulpo, Avocado, Tomate (zusätzlich gewählt)
- Seeteufel und angemachte Blutwurst mit Kürbis
- Bäckchen vom Ibericoschwein, Fregola sarda, Pancetta, Salzzitrone
- Reh im Baumkuchenmantel mit Pistazien, kurzgebratene Keule, Steinpilze, Rosenkohl
- Käseauswahl
Das waren für den Gast klare Ansagen ohne sprachliche oder gar grammatikalische Clownerien. Gut so!

Vor der Auswahl hatte die Küche schon einen Appetithappen in Form einer Quiche mit Blumenkohl und Frühlingszwiebel geschickt, gekrönt von einem Wachtelei. Dazu ein leicht pikantes Kürbis-Püree. Ein schön komponierter herbstlicher Gruß, der nicht weh tat. Wollte aber niemand von mir wissen.

So gestärkt nahm ich es mit der Weinkarte auf, die auch eine Reihe von besonderen Flaschen durch deren eingeklebte Etiketten anpreist. Nette Idee, wenn auch inzwischen in die Jahre gekommen. Immer noch bzw. besonders auf der Höhe der Zeit die Auswahl halber Flaschen, sowohl rot als auch weiße, darunter Ansprechendes von der Loire und aus dem Burgund. Das freut den Einzelgast. Aufgrund der durchweg ansprechenden Qualitäten fiel die Auswahl nicht leicht, aber passend bis vor das Reh schien mir der 2013er Chassagne-Montrachet zu sein. Erst ein paar Minuten nach der Bestellung erhielt ich die traurige Nachricht, dass die letzte Bouteille schon ausgetrunken sei. Könnte man ja auch in der Karte vermerken... Etwas enttäuscht und vorschnell stieg ich auf einen jungen frischen Pouilly Fumé um, der gegen die recht kräftigen Aromen auf den Tellern arg zu kämpfen hatte.

Drei Brotsorten mit gesalzener französischer Butter waren durchweg gut. Mir schmeckte besonders die süße Variante mit Honig und Senfsaat.

Auch das zweite Amuse war erfreulich: Eine Scheibe nicht zu fette geräucherte Gänsebrust wurde von einem schmackigen Senfkartoffelpüree begleitet. Geschmacksspitzen setzten Salat und Gelee von Sauerkraut. Das hatte nicht die Raffinesse z. B. eines Sauerkraut-Macarons mit Forelle und Meerrettich von Benjamin Peifer, war aber erneut gut überlegt. Etwas überholt die Tupfen-Optik. Indes: Ich war guter Dinge.

Der Menü-Einstieg geriet dann auch geradlinig. Die gebratene Dorade war auf der Haut zwar nur einen Hauch knusprig, aber saftig. Auch die Polenta war locker geraten und schmeckte nach der verwendeten Haselnuss. Heimlicher Star des Tellers war der auf den Punkt geschmorte Römersalat, der zudem mit Röstaromen punkten konnte. Hier zeigte sich Stefan Ladenbergers Handschrift, sehr harmonische Kombinationen zu finden. Gut, gut. Ich meinte jedoch am Fisch einen Hauch Muffigkeit zu bemerken und bat über den Service bei der Küche um Überprüfung. Die Antwort kam erst auf nochmalige Nachfrage und lautete „Das KANN gar nicht sein!“ Ach so. Culina locuta, causa finita.

Weiter ging’s mit Geflügel.
Zum einen gebratene Wachtelbrust als Suprême erneut mit nur wenig knuspriger Haut, zum anderen als Roulade gefüllt mit einer intensiv grünen Kräuterfarce. Beide auf einem Sanddornbrot drapiert. Die Gargrade differierten: Bruststück noch von Okay bis Naja, das Backwerk schon trocken, der Rollbraten trotz Füllung Marke „Extra dry“. Da konnte das Sanddorn-Gel in nun schon bekannter Tupfergarnitur wenig helfen. Sehr schade, denn die Kombi überzeugte mich wieder, wie auch die angeröstete, leichte Foie gras. Die Pilze sahen mir sehr bekannt aus, sind das nicht Shitake? Doch, doch, beschied mich der junge Mann, von den angekündigten Trompetenpilzen habe man keine gute Qualität bekommen. Das ist kein Beinbruch, eher löblich. Aber dem Gast verraten sollte man das doch spätestens bei der Bestellung, wenn schon nicht mit den Karten. So umfangreich ist das Angebot hier ja nicht. Kann doch sein, dass man einen Gang gerade wegen einer bestimmten Zutat wählt oder den Ersatz partout nicht mag. Nun gut, man war zerknirscht oder gab sich so. Natürlich musste der Teller nicht getauscht werden. Möge es halt beim nächsten Mal rechtzeitiger angekündigt werden, bat ich. Ach so, murmelte der junge Mann daraufhin, die Steinpilze zum Reh werde es auch nicht geben. Da verwende die Küche ersatzweise Kräuterseitlinge. Habe er auch vergessen mitzuteilen... Puh! Das war ein enttäuschender Teller, in mehr als nur einer Hinsicht.

Die nächste Kombi klang wieder spannend.
Ochsenschwanz und Pulpo(arm) als Surf ˋnˋ turf, vielleicht auch wegen der entfernten Ähnlichkeit der ursprünglichen Form?
Der Tintenfisch kam angenehm heiß an den Tisch, war kräftig gebräunt und sehr zart. Tadelloses Handwerk, für meinen Geschmack nur etwas zu salzig. Das Rhindterteil feingezupft, zu einer großen quadratischen Praline geformt und gebacken. Das war geschmacklich eine überzeugende Darbietung. Nur die oberste Schicht war im Ofen ausgetrocknet und daher etwas hart geworden, was ja auch wenig überrascht. Vergessen abzudecken? Oder steckte ein Sinn dahinter? Für eine knusprige Kruste reichte es jedenfalls bei Weitem nicht.
Das blieb allerdings der einzige Kritikpunkt. Die verschiedenen Texturen von Tomate konnten rundum überzeugen. Die scheinbar rohe Datterino im Zentrum war in Wirklichkeit süß-sauer eingelegt und dann erhitzt worden. Dazu Schaum von weißer Essenz, verschiedene Trocknungen und eingedicktes Mark, alles vorzüglich. Auch Avocado als Mus und (ganz en vogue) als Schnitzerei passte gut.

Auch der folgende, zusätzlich georderte Gang versprach eine eine mare-e-monti-Variante:
Seeteufel-Medaillons ganz klassisch und eine Crême von Blutwurst. Dazu als Verbinder Kürbis à la texture. Also in beiden Menüs ganz ähnlich aufgebaut. Die Ausführung erinnerte dann leider etwas an den Geflügel-Gang. War dort die Wachtel trocken, traf es hier den Fisch. Geschmacklich gutes Mittelfeld, war er (leicht) übergart.

Ist das der Stil des Hauses? Mögen die Gäste nur well-done? Keine Ahnung, denn auf die mehrfache und (hoffentlich) sachliche Rückmeldung zu mehreren Tellern kam nie eine Reaktion aus der Küche. Auch auf Frage, ob am Ende des Abends ein kurzes Gespräch möglich wäre, kam nicht einmal eine Antwort. Was auch immer der Grund gewesen sein mag, einen professionellen Eindruck machte das jedenfalls nicht. Man könnte ja auch höflich ablehnen.

Zurück zum Teller: Die verschiedenen Kürbis-Ausführungen - eingelegt, angebraten mit Schalotten, Mus mit Speck - gefielen mir wieder rundum gut.
Auch die Blutwurst war interessant im positiven Sinne, sowohl die cremige Konsistenz, als auch die kräftige Kräuterbeimengung, namentlich Liebstöckel. Wieder recht salzig, was erneut nur im Bereich des persönlichen Geschmacks blieb.

Nach diesem weiteren Zwischengericht sollte es nun gänzlich in die rustikale Abteilung gehen. Eine Erfrischung war nicht vorgesehen, auch nicht auf Nachfrage möglich. Mir schien inzwischen, dass auch die Küche nicht vollständig besetzt war (auf der Homepage wird eine Patissiere erwähnt).
Ich entschied mich daher für ein Gläschen Haus-Champagner. Ein Blanc de Blancs, wie nach einigem Hin und Her ein Blick aufˋs Etikett ergab, also durchaus belebend.

Und ab zur Fleischeslust: Am heißen, zarten Bäckchen gab es nichts zu meckern. Wie beim Ibericoschwein zu erwarten, mit vollem, leicht nussigen Geschmack. Die Gewürzmischung war passend und geheimnisvoll, keine Ahnung. Die Assoziation war Orient oder Maghreb, worauf auch die Salzzitrone hindeutete, die den korrekt gegarten Fregola sarda einen kleinen Kick gab. Das tat auch gut, denn mit dem gerupften Pancetta in der Teigware war das ein sehr vollmundiger Teller.
Rundum zum Lippenlecken.

Mit dem folgenden Reh aus Fischerhuder, d.h. regionaler Jagd kam auch ein (offener) Roter ins Glas. Spätburgunder von Pfaffmann, keine Experimente.
Die kurzgebratene Rehkeule war toll: Zart, saftig, rehig. Rosenkohl kurz pochiert und auch glasiert, die „angekündigten“ gebratenen Kräuterseitlinge ordentlich. Mächtig gespannt war ich indes auf das Reh im Baumkuchen-Mantel. Und von der Saftigkeit (sowie optisch) konnte das kleine Kunstwerk mit einer Füllung aus kleinen Fleischstücken, Trockenobst und Pistazien punkten. Nur sehr süß war es geraten, aber das ist ja zu Wild eher ein Klassiker. Sehr guter Teller. Kleiner Makel: Die kleinen extra Baumkuchen-Quader sahen hübsch aus, waren aber leider - Was wohl? - trocken.

Der abschließende Käse war wieder tadellos.
Ein Florette Ziegenkäse mit Edelschimmel, ein Schweizer Roter Teufel aus Kuhmilch und als Blauschimmel wie so häufig Fourme d´Ambert waren versammelt. Die Beilagen hausgemacht und sehr zu loben: Apfel-Rosmarin-Mus, Rote Zwiebel-Ingwer-Chutney und schließlich eine eingelegte Trester-Traube. Sehr passend; Idee und saubere Ausführung sorgten für einen Genuss, ebenso wie das hausgemachte, lockere Früchtebrot. Optisch blieb die Küche bis zuletzt den Tupfen treu, das Gesamtbild erinnerte etwas an den Geometrie-Unterricht.
Auch der Service konnte endlich punkten und bot ungefragt einen LBV 2012 der Quinta do Maria an, der harmonischer war, als das zuletzt im Werneckhof probierte Konkurrenzerzeugnis.

Als Rausschmeißer dann einen bekannten P.X. Lustau San Emilio.
Petit fours Fehlanzeige. Das hatte ich aber schon zuvor gehört, soll die Kalkulation nicht hergeben.

Womit wir beim Preis wären.
Aperitif und Sherry wurden zusammen mit 9€ berechnet. Seltsam, aber günstig. Der Port stand mit in diesem Ambiente normalen 7,5€, das kleine Gläschen Rotwein mit 4€ auf der Rechnung und der Champagner kostete 13,5€. Die halbe Flasche des schönen Loire-Sauvignon mit 42€ schon eine Ansage.
Die sieben Gänge schließlich schlugen glatt mit 100€ zu Buche.
Von Wertigkeit der Zutaten, Küchenleistung und Menge nur ein durchschnittliches PLV.

Fazit:
Ein durchwachsener Besuch. Die Küche von Herrn Ladenberger ist leicht zugänglich und erfreut mit saisonalen wie regionalen Zutaten und harmonischen Kombinationen.
Aber die in der Tat vorhandene Kreativität ist nicht alles. Erstklassige Produkte und tadelloses Handwerk sollte in dieser Klasse und erst recht bei den Preisen auch selbstverständlich sein. Gleich mehrere Nachlässigkeiten kannte ich von früheren Besuchen in der Besselstraße nicht. Bleibt die Frage, ob sich nach 15 Jahren und als eine der wenigen Küchen in der Stadt mit hohem Anspruch eine gewisse behäbige Routine eingestellt hat, die nicht mehr nach der bestmöglichen Leistung strebt. Oder, ob ich ganz einfach einen schlechteren, eventuell unterbesetzten Tag erwischt habe.

Hm. Schreit also nach einer Überprüfung - dann aber am Besten in der Begleitung eines unvoreingenommenen auswärtigen Feinschmeckers aus der Community.
Sollte es etwa gelingen, den berühmten Bentheimer Bruder nach Bremen zu locken, den Grafschafter Gourmet, der einen Gegenbesuch von der Ems an die Weser mit Gattin angekündigt hat? Es wird weiter berichtet.
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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