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GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Mutti Kreuzberg in 10961 Berlin bewertet.
vor 9 Jahren
"Blitzsaubere Hausmannskost, in der Tat. Aber ist das schon Kult?"
Verifiziert

Geschrieben am 21.05.2015
Besucht am 29.04.2015
An der Gneisenaustraße kurz vor dem Kreuzberger Südstern befindet sich nicht nur das von Hanseat gelobte Thalasso - das aufgrund einer sich für den nächsten Morgen verbietenden Knobi-Fahne ausschied - sondern nur einige Häuser weiter auch dieses eigenwillige kleine Restaurant. Bis vor einem Jahr befand sich das Lokal seit 2009 in der Großbeetenstraße, wie eine Art Grabstein im Lokal ahnen lässt. Bei TA wird von Kult gejubelt, aber das ist in Berlin ja jeder zweite Laden, scheint's. Das Ambiente ist schon mal indifferent. Soll es Wohnzimmer sein (Fotografien in S-W, großer Tulpenstrauß auf der Theke, ab und zu ein Geschirrteil einsam im Raum) oder Bistro (schwarze Holzstühle ohne Polsterung, Wandlampen in Milchglas/Schmiedeeisen) oder Hipster-Location (natürlich ein Geweih! keine Speisekarten, irritierende Musik aus der Küche - additiv zu der im Lokal...). Die hohen weißen Altbau-Wände, die Vollkunststofftische in dunkler Holzoptik vom Restaurantausstatter und die vielen Geschirreinzelstücke mit opulenter Blümchen- und sonstiger Bemalung passen noch nicht zusammen und lassen zusammen mit der etwas unglücklichen Beleuchtung keine stimmige Atmosphäre aufkommen. Die Tische ohne Tischwäsche sind eindeckt mit Gläsern, mittlerem bis einfachen Besteck, kleiner brauner Vliesservietten und einer Blumenvase. Die im hinteren Bereich des Restaurants aus der Decke baumelnden Elektrokabel und die völlig verblühten Tulpen (Memento mori?) verstärkten zusammen mit der 99-Cent-Stumpenkerze auf einer Untertasse den Eindruck, dass das Konzept noch nicht wirklich umgesetzt ist.

Diesen Vorwurf kann man der puristischen Homepage sicher nicht machen: Schwarz - weiß - wenig rot. Angaben zu Lage, Kontakt und Öffnungszeiten. Zwei Sätze zur Philosophie (gutbürgerlich, regional, selbstgemacht - kann ich alles bestätigen). Drei beispielhafte Gerichte (Käsespätzle, Maultaschen, Rindergulasch). That's it. Keine Galerie, keine Events, kein Gesülze. (Man vergleiche die HP von Nobelhart&Schmutzig - was für ein selbst beweihräucherndes Gelaber...). Aber auch keine Speisekarte. Wobei - die drei genannte Gerichte sind ja schon 60% der Karte. An der Wand im Laden kommen nur noch Blattsalate und Crème Brûlée dazu.

Die Tafel mit den Tagesangeboten bleibt dieser Konzentration treu: Als Vorspeise Spargelcremesuppe mit Korianderbrot und Schwarzwälder Schinken. Zwei Hauptgerichte: Beelitzer Spargel mit kleinen Kartoffeln und grüner Soße optional Lummerkalb oder Backhändl mit Kartoffel-Gurken-Salat. Dessert: Zimtparfait mit Kompott.
Getränke ähnlich: Eine feste Karte an der Wand über der Theke mit 10-12 Positionen, darunter leider kein Wein. Wurde auch nicht angeboten, als ich den Spargel aus der Sandbüchse Preußens als Suppe und Hauptgang - natürlich mit dem Kalbsfilet - orderte. Dann also ein helles Bier aus dem Oetker-Konzern (Tucher) unter "Aufsicht" des Klosters Scheyern gebraut. Süffig-süße Würze mit wenig Hopfen, kannte ich nicht, hat mir gut geschmeckt.
Vorab wird Korianderbrot gereicht ohne etwas dabei. Und einen Dip etc. braucht es auch nicht bei diesem außerordentlichem Produkt. Vier reelle Scheiben wunderbar duftend, warm, an den Seiten knusprig und mit einem herrlichen Duft. Auch der Geschmack weist deutlich auf die verwendeten Gewürzsamen. LANGE kein so tolles Brot gegessen. Chapeau!
Die Vorspeise war ebenfalls sehr gut. Für eine Cremesuppe von durchaus leichter Konsistenz, ohne wässrig zu sein. Keine Spargelstücke, aber gut wahrnehmbarer Geschmack. Darin etliche Streifen vom Schinken, die gerade die richtige Größe zum löffeln hatten und als Einlage in der proteinhaltigen Suppe weich und mild geworden waren, ohne ihren rauchigen Charakter zu verlieren. Das klassische Duo Spargel/Schinken hier in einer sehr gut gelungenen Kombi. Dazu zwei Schlieren Bärlauchpesto, das in dieser Dosierung einen gelegentlichen, angenehm kräftigeren Kontrast setzte. Auch hier großes Lob.
Zum Hauptgericht wurden Blattsalate in einer hausgemachten Cocktailsauce serviert, die leicht pikant war. Die Salatblätter - Eisberg war nicht dabei - waren untadelig frisch, hätten aber vielleicht einen Tick kleiner sein dürfen. Schwieriger noch, dass auf dem schon beachtlichen Turm frische Radieschenschnitze, Kresse und Petersilie drapiert waren. Konzentration war gefragt.
Erst recht beim Hauptgericht. Zunächst eine Überraschung: Statt der erwarteten Medaillons kam das Kalbfleisch nach Art eines Tafelspitz daher, vier Scheiben jeweils von der Dicke eines großzügigen Aufschnitts. Kühl, schön mürbe und trotzdem noch leicht saftig. Das passte sehr gut zu den vier sehr, sehr dicken Stangen (ich schätze, deutlich über 25mm - nach dem Schälen). Die Dicke ließ die Stangen etwas zu fest aus dem Kochwasser kommen und ging ein wenig zu Lasten des Geschmacks. Der war gut, aber auch nicht überragend. Es war aber auch nicht der erste Spargel,der Saison, die zudem ja noch jung ist. Die kleinen Kartoffeln waren gut gegart und geschmacklich ebenfalls o.k. Dazu noch eine ebenfalls selbst gemachte grüne Sauce, aus der der Kerbel etwas heraus schmeckte und so wäre es ein wunderbares Spargelgericht gewesen. Leider blieb der Koch seinem Hang zum Bombast treu (aus der Küche ertönte derweil etwas wie Rammstein in englisch). Über die grüne Sauce wurde nochmals Bärlauchpesto gegeben, das war eindeutig zu viel an kräftigem Geschmack für den Spargel. Ebenso, wie an Dekor. Lauchringe die Menge, grün und weiß, glatte Petersilie und drei Kirschtomaten. Letztere nicht reflexhaft, weil ja jedes Tellergericht in Deutschland entsprechend zu verzieren ist, sondern durchaus gewollt, da sie heiß und etwas geschmolzen waren. Die Säure passte nun überhaupt nicht zum Gericht.
Zuviel gewollt und damit ein gutes Gericht verschlimmbessert.
Es war der vorletzte Abend vor drei Tagen Schließzeit ab 1. Mai. Vielleicht hat das zu einem Alles-muss-raus-Effekt geführt. Dachte ich und bin die nächste Woche gleich nochmal hin. Immerhin statt der halbtoten Tulpen nun frische Kamille. In den Lautsprechern und auf dem Teller erneut Immer-feste-druff! Der Spargelsalat mit Entenbrust von einem Matterhorn der schon bekannten Blattsalate begleitet. Auf den Maultaschen geschmelzte Zwiebeln, Petersilie und reichlich Schnittlauch. Da ich nicht nochmals den vorgesehenen Blattsalat als Beilage wollte, fragte ich nach einer kleinen Portion Wurzelgemüse, der Beilage eines Tagesgerichts. Kein Problem, auch den Linsensalat, eine weitere Beilage könne ich probieren. Aber gern! Dass beides mit großer Kelle auf die armen Maultaschen gehäuft wurde, hatte ich nicht erwartet. Schön ist anders. Insgesamt fielen die Gerichte etwas gegenüber dem ersten Besuch ab. Der Spargelsalat aus dünnen, in einer leicht pikanten Vinaigrette marinierten Abschnitten. Gerade die rechte Bissfestigkeit. Die geräucherte Entenbrust zu dieser Art Spargel nicht zu kräftig, schön rosa und zart. Salat wie bekannt.
Die hausgemachten Maultaschen mit klassischer gekräuterter Kalbsbrät-Füllung waren sehr flau. Allerdings schön locker. Der Teig nur an einer Stelle etwas dick geraten. Auch die Zwiebeln blieben nicht nur farblich blass. Weich schon, aber weder Süße noch Röstaromen. Muss das in Schwaben so? Handwerklich aber gut gemacht. Die Wurzeln waren eher mein Fall. Bestehend aus Kohlrabi, Karotten und (leider) auch Sellerie waren sie jeweils auf den Punkt gegart und geschmacklich überzeugend.
Ein positiver Effekt war, dass ich auf Nachfrage doch die "Weinkarte" des Hauses erhielt, eine leere Flasche, die anstelle eines Etiketts eine Banderole mit den handgeschriebenen Angeboten. Muss du halt finden, Gast! Wer nicht fragt, bleibt dumm...
Was überhaupt für den Service als solchen gilt. Ein sehr freundlicher Mann, sicher einer der drei Gesellschafter. Nur halt seeeeehr zurückhaltend. Auf Nachfrage alles gerne, kein Problem, siehe z. B. die Beilagen. Auch ein noch nicht auf der "Karte" verzeichnete Wein wurde angeboten. Den eigentlich nur als Piccolo verfügbaren Sekt bekomme ich auch offen als 0,1l. Nach der Zufriedenheit wurde auch gefragt, aber ansonsten: Nur schnell weg vom Gast, bloß nicht stören. Vielleicht rührt die Unsicherheit, dass er nicht vom Fach ist? Irgendwann bat ich um Feuer, damit ich die Kerze selbst entzünden konnte... Hat er aber verstanden.

Sehr sauber war's. Die Toiletten können den Altbau nicht verleugnen, waren aber nicht nur sauber, sondern rein und auch noch am späteren Abend von frischem Duft. Sehr angenehm.

Das PLV ist gut. Die Maultaschen kommen regelmäßig auf 10,9€, der Spargel mit Kalbfleisch war preismäßig die Spitze mit 17,9€. Suppe zu 5,5€ und Salat mit Entenbrust für 6,9€ günstig. Der noch nicht auf der Karte verzeichnete Grauburgunder entpuppte sich als ein Ortswein von Gutzler aus Rheinhessen für 5,6€ das 0,2l Glas und war o.k., mehr aber nicht. Das kleine Glas Sekt kam auf 3,5€ und das 0,5l "Kloster"Bier auf 3,3€. Überhaupt nicht überzogen, das war angenehm.

Ich schwanke, ob ich eine Empfehlung aussprechen soll. In einer Gruppe mit guter Laune kann es bestimmt recht witzig sein. Ambitionierte Hobbyköche werden nicht überrascht. Andere erhalten gute Hausmannskost aus frischen Zutaten. Wie bei Mutti halt...
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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