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GastroGuide-User: Shaneymac
Shaneymac hat Coeur D‘Artichaut - Restaurant in 48143 Münster bewertet.
vor 4 Jahren
"Junge bretonische Sterneküche: produktnah und dennoch überraschend, kreativ und selbstbewusst interpretiert - nur La Réunion habe ich vermisst..."
Verifiziert

Geschrieben am 14.10.2020 | Aktualisiert am 17.10.2020
Besucht am 03.10.2020 Besuchszeit: Abendessen 1 Personen Rechnungsbetrag: 250 EUR
Heute dem Anlass angemessenes, episches GastroGuide Vorgeplänkel (zur eigentlichen Kritik bitte diesmal etwas weiter nach unten scrollen als üblich…)
 
Nach der kleinen Spätsommerfrische in Garmisch sollte dieser Tage ein weiteres, sehnsüchtig erwartetes Highlight anstehen: ein von Carsten1972 mit viel Hingabe organisiertes Treffen einiger altgedienter Community-Veteranen in einem der vielversprechendsten Restaurants, das Münster momentan zu bieten hat.
 
Auf die erstmaligen persönlichen Begegnungen mit dem CEO von tischnotizen.de, Carsten und El Borgonator freute ich mich besonders, auch wenn ich mit letzterem im Rahmen unserer kleinen, stets amüsanten WhatsApp-Läster-Gruppe schon einmal ein kurzes, unfreiwilliges Gruppen-Video-Telefonat führen konnte, weil eine gewisse Pfälzer Free Climbing Legende sich dachte einfach mal spontan alle ihr nicht bekannten Buttons der App auszuprobieren.
 
Die Tatsache, dass wir alle im gleichen Hotel untergekommen waren, versprach zudem einen unkomplizierten Ablauf hinsichtlich eines gemeinsamen An- und Abmarsches sowie genügend Gelegenheit zur entspannten Kennenlern-Plauderei vor dem Essen.
 
Und so machte ich mich am 30. Jahrestag der deutschen Einheit mit vorfreudiger Spannung auf den Weg nach Münster, verabschiedete Madame und unsere beiden Stubentiger mit einem fälligen Bussi und erlebte auf der A43 eine Anfahrt, wie sie dank des Feiertages nicht entspannter hätte sein können.
 
Zunächst große Erleichterung bei der Ankunft in der Stadt, im Mekka der Fahrradfahrer hatte ich grimmig hüpfende Phalanxen erboster Fridays for future-Aktivisten befürchtet, die mich wegen meines „anachronistischen“ Diesel-Panzers bis zur Ankunft am Hotel mit Steinen bewerfen, würde ich überhaupt bis dorthin kommen? Aber eines der ersten Fahrzeuge das mir nach dem Passieren der Stadtgrenze auffiel, war ein latent Tempolimits ächtender Bentley Bentayga mit Münsteraner Kennzeichen, ich schöpfte Hoffnung und sollte unbeschadet mein Ziel erreichen.

Vorderansicht Mauritzhof
 
Das zentral gelegene Hotel Mauritzhof  macht bei gutem Wetter sicher noch mal einen freundlicheren Eindruck, dennoch vermittelten  die Vorder- und Rückansicht - und dabei erhaschte Einblicke in den Foyer- und Barbereich - sehr deutlich die Atmosphäre gehobener Hotellerie.

Rückansicht Mauritzhof
 
Das sich als Boutique- bzw. Design-Hotel verstehende Haus sollte nach dem Eintreten in der Tat nicht enttäuschen, klar und edel ist die Handschrift der Innenarchitektur, die dunklen Vertäfelungen der Bar, das Leder vieler Sitzmöbel und ein ansprechendes Lichtkonzept sorgen bei aller Moderne für eine überaus behagliche Grundstimmung.


 
Jene sollte sich auch in den Zimmern fortsetzen, ich hatte mich aufgrund einer etwas verwirrenden Vielfalt an Kategorien leicht „verbucht“ und kurzfristig noch um ein Upgrade gebeten, was eine  charmante junge Dame an der Rezeption nur allzu gerne arrangierte.


 
Die relativ geräumigen Zimmer der „Prestige“-Kategorie liegen auf der ruhigen, rückwärtigen Seite, bieten getrenntes Bad und WC mit hochklassiger Ausstattung sowie einen Balkon, der dank meiner Unterbringung im obersten Stockwerk einen Hauch von „über den Dächern von Münster“ in den Ausblick zauberte; in einiger Entfernung grüßten der Dom und die St. Lamberti Kirche nebst hässlichem Baukran.

Ausblick gen Restaurant
 
Ein sehr vielversprechender Start, da man zum Be- und Entladen direkt vor dem Hotel parken kann, brachte ich nach Check-In und kurzer Zimmerbegutachtung meinen Wagen noch kurz auf den streng bewachten Parkplatz der benachbarten Landesbank, mit welcher der Mauritzhof eine entsprechende Kooperation unterhält, die es Gästen ermöglicht, dort kostenlos zu parken.
 
Zurück am Hotel erblickte ich durch die Glasfront an der Rezeption zwei Gesichter, die ich aus einem gewissen „Tisch-affinen“ Blog kannte, und eins davon natürlich auch anhand seines hiesigen Avatars: Thomas und Willi, das fidele Sternejäger-Duo aus Hannover labte sich an einem kleinen Pils, nur zu gerne setzte ich mich dazu. Erst-Begegnungen dieser Art sind immer spannend, man liest sich gegenseitig, ist im Austausch, nimmt Teil an den Erlebnissen des / der anderen und im Fall von Thomas hegte ich von Anfang an eine mitunter leicht neidische Bewunderung für die Passion, mit der er seine hochklassigen kulinarischen Sterne-Reisen angeht und durchzieht.
 
Schön, wenn sich immer wieder herausstellt, das – gut, die einen sagen so, die anderen so - "feingeistige" Kulinarik-Liebhaber doch meist sehr kompatibel untereinander sind, die Zeit verging wie im Fluge, bald sollte auch Herr Borgfeld auftauchen und selbst das tat der launigen Plauderei keinen Abbruch.
 
Herr und Frau Carsten1972 hatten einen Zug früher erwischt als geplant und überraschten uns kurz darauf mit ihrem Auftauchen im Hotel-Foyer, eigentlich hatten wir geplant, uns im Restaurant zu treffen. Aber umso besser, so bestand auch hier die Möglichkeit sich auf dem Weg zum Ziel noch ein wenig zu beschnuppern, Carsten pflegte an diesem Abend die gleiche Hutmode wie der Schreiber dieser Zeilen, ein sehr stilsicherer Mensch mit Geschmack, der Carsten, das muss hier einfach mal gesagt werden! :-))
 
Wir gingen durch die pittoreske Altstadt, die Kneipen bereiteten sich auf den Abend vor, kurz vor der Ankunft im anvisierten kleinen Innenhof in der Nähe des Doms lief uns noch die Kinderwagen-schiebende Elisabeth Morel, die sympathische Gattin des Inhabers und Küchenchefs Frédéric Morel in die Arme, die an jenem Samstag einen freien Abend hatte.
 
Es folgte ein kurzer Plausch mit Carsten und Gattin, die das Haus aus vergangenen Besuchen gut kennen und die liebenswürdige, ungekünstelte Art, mit der Frau Morel uns allen einen wunderschönen Abend wünschte, setzte einen ersten kleinen Akzent, was den Stil des Restaurants im Umgang mit dem Gast angeht.
 
Endlich war er da, der schöne Moment, zusammen ging es hinein in das etwas versteckt liegende Lokal und es sollte ein Abend werden, an den ich mich noch sehr lange mit Freude erinnern werde…
 
 
 
Kritik
 
Zufällig dürfte wohl kaum ein Gast im Cœur D'Artichaut landen, die Lage in einem unscheinbaren Innenhof in der Nähe des Doms ist an Diskretion wohl kaum zu überbieten, zielsicher geführt von unserem engagierten Gastgeber fand sich unsere kleine Gesellschaft dennoch pünktlich vor Ort ein.

Außenansicht im Innenhof
 
Schon von außen betrachtet fiel das stilvolle Interieur äußerst positiv auf, zusammen mit der offenen Küche steht es im Gesamtbild für das Konzept des „Casual Fine Dining“ das Morel als Rahmen setzt: Genuss auf höchstem Niveau in ungezwungener Wohnzimmer-Wohlfühl-Atmosphäre mit direktem Herdanschluss.
 
Ich war gespannt auf die Küche, der Bretone Frédéric Morel hat schon in seiner Heimat u.a.  im Restaurant L'auberge des Glazicks(**)  eine prägende Zeit in der Sternegastronomie verbracht.
 
Es folgten u.a. Stationen im Hotel Louis C. Jacob (**), Vendome im Schloss Bensberg und als Küchenchef im Hamburger Se7en oceans (*), dessen Stern er seit 2014 halten konnte, bevor er sich entschied, gemeinsam in die Heimat seiner Frau zu gehen, wo er im Oktober 2019 das Cœur D'Artichaut eröffnete, das innerhalb kürzester Zeit mit einem Stern ausgezeichnet wurde.
 
Er steht mit seiner Küche laut eigener Worte für einen modernen bretonischen Stil der ihm quasi in die Wiege gelegt wurde,  für saisonale, beste Zutaten aus der Region und nicht zuletzt für spürbare Einflüsse aus der Heimat seines Vaters, der Insel La Réunion, einem französischen Übersee-Département im Indischen Ozean, das kreolische Einflüsse in die Töpfe des Meisters zaubere.
 
Ein spannender Philosophie-Dreiklang wie ich fand, vor allen die Fusion der Bretagne mit La Réunion ließ mich aufhorchen, denn was in der kreolischen Küche, die ich in New Orleans in ihrer dortigen Ausprägung kennenlernen durfte, insbesondere mit Fisch und Meeresfrüchten passiert, empfinde ich als überaus köstliche Angelegenheit.
 
Das kleine Foyer des Restaurants empfängt die Gäste mit stilvollem Mobiliar, ein Hauch von Art déco liegt in der Luft, ein junger Mann – der später Service und Sommelier an unserem Tisch leistete - empfängt uns, höflich wird man von seiner Garderobe befreit, die Coronaformalitäten werden dank vorheriger Erfragung der Daten mit nur einer Unterschrift erledigt; vorbildlich.

Foyer
 
Wir sollten die ersten Gäste an diesem Abend sein, die Einblicke durch die Fenster versprachen nicht zu viel, von unserem etwas separierten, großen Tisch in der Nähe der imposanten französischen Zinnbar hatten wir einen guten Überblick über das stilsicher und behaglich gebettete Geschehen und waren dennoch als Tischgesellschaft immer „unter uns“.

Bar, Gastraum
 
Das Restaurant bietet ein monatlich wechselndes Menü, das man sich in vier, sechs oder acht Gängen gönnen kann; eine Qual der Wahl Situation sollte sich daher bei niemand wirklich einstellen.
 
Alle am Tisch entschieden sich für die Acht-Gang-Variante, wenn auch einmal in pescetarischer Ausführung, was bereits im Vorfeld erfragt und von Carsten abgeklärt wurde.


 
Ich hatte mich schon vorab für die sehr ansprechend klingende Weinbegleitung entschieden, das Pescetarier-Menü sollte alkoholfrei begleitet werden und aus der Weinkarte sollten wir uns auch umfänglich bedienen.
 
Somit bestellt wurden von mir das Menü in acht Gängen zu 130 Euro, sowie die recht verheißungsvolle Weinbegleitung zu 90 Euro.
 
Nach der Bestell-Pflicht sollte die Apero-Kür folgen, wir entschieden uns alle für ein Glas Champagner in Persona eines Philipponnat Royale Réserve Brut, das aus der am Tisch geöffneten, wohl gekühlten Flasche befüllte Glas zu je 16 Euro.
 
Ein schöner flüssiger Auftakt, auch wenn ich mir eine etwas kräftigere Hefe gewünscht hätte, dennoch brachte er mit seiner feinen Mineralität und eleganten Frucht viel von dem mit, was ich von einem Champagner dieser moderaten Preisklasse (die Flasche im Handel ab ca. 32 Euro) erwarte, wenn ich auch grundsätzlich Genuss niemals proportional zum Preis eines Produktes sehe, siehe meine Anmerkungen zum Margaux weiter unten.

Champagner-Stimmung
 
Maître Morel kam kurz zum Tisch und begrüßte uns in seinem unnachahmlich sympathischen Akzent, wir stießen an und ich blickte in freundliche, lachende Gesichter, alle freuten sich sichtlich auf einen genussreichen Abend in angenehmer Atmosphäre.
 
Das kann man auch zu meinem Gegenüber aus Bremen sagen, der sich zunächst sehr bei meinem Humorzentrum beliebt machte – später unfreiwillig noch einmal deutlich nachhaltiger – indem er den Service  mit dem lautstark vorgetragenen Satz „Sie müssen wissen: wir sind sehr unangenehme Gäste, bis auf mich natürlich!“ zunächst kurz irritierte, bevor man den Un-Ernst der Lage erkannte.
 
Mit Blick auf den Tisch könnten die Wassergefäße mit den großen Korken auffallen, die wunschweise mit stillem oder sprudelndem Mineralwasser gefüllt wurden und ständig wieder diskret aufgefüllt wurden wenn nötig – was man im Übrigen auch zu unseren Wassergläsern sagen konnte, der Service sollte sich als unfassbar aufmerksam in dieser Hinsicht zeigen.
 
Kurz nach dem Servieren des Champagners startete das Menü mit dem unvermeidlichen
 
 
 
| Prolog |
 
Auf hauchfeinen kleinen Tartelettes präsentierte sich zunächst ein Tatar vom Zander, begleitet von Apfel, Sellerie und einer leichten Dill-Mayonnaise. Auch wenn ich Zander als Süßwasserfisch eher in das Elsass als die Bretagne verorte: Präsentes Salz, der Dill im Nachhall, wie eine kühle Brise an der bretonischen Atlantikküste mutete der erste kleine Gruß trotzdem an und der Gaumen wurde thematisch im Wortsinne eingenordet. 

Zander-Tartelettes
 
Warm sollte man weiter grüßen, die Rindfleisch-Pralinen die mit Artischocken-Creme und fermentierter Artischocke den Namen des Restaurants aufgriffen hatten neben einer schönen Säure und stimmiger Estragon Note großes Umami Potential zu bieten, köstlich, ich hätte ein Dutzend davon problemlos verschlingen können.

Rindfleisch-Pralinés
 
Dagegen fielen die Sellerie-Financiers, die nicht in der typischen länglichen Form, sondern als kleine runde Häppchen interpretiert  wurden, etwas ab, ich hätte diese definitiv vor der vergleichsweise kräftigen Praline essen sollen. Trotzdem war diese mit Haselnuss  und einem milden Blauschimmelkäse komplettierte Amuse Variante für sich genommen eine genussreiche Angelegenheit: der Champagner verstand sich mit allen drei Grüßen übrigens hervorragend.

Sellerie-Financiers
 
Zeitgleich mit den Financiers sollten Butter und Brot serviert werden und auch hier zeigte man eindrucksvoll, was man kann.

Brot & Butter
 
Zu einer beglückend mutig gesalzenen Butter, sowie einer aufgeschlagenen Variante mit Algen kamen neben einem frischen Roggenbrot und mit halbgetrockneten Tomaten in der Krume versehenen kleinen Brötchen auch noch bemerkenswerte kleine Brioche-Preziosen.
 
Diese wurden dezent mit Rauchöl parfümiert und im Teig wurde mit geriebenem Bergkäse gearbeitet, besonders mit der herausragenden Salzbutter ein kleines Geschmackserlebnis.
 
Auch die Algenbutter, die wohl mit Nori hergestellt wurde, stand ihrer salzigen Kollegin in Sachen geschmacklicher Intensität in Nichts nach, ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl in punkto Morel‘sches Selbstbewusstsein.
 
Das ließ auf viel Vergnügen in der Folge hoffen, nur kurze Zeit später stand schon der sympathische, bodenständig-schlagfertige junge Mann vom Empfang neben mir, der auch den Sommelier gab und annoncierte mir Flaschen-bewehrt meinen Wein zum sich ankündigenden

 
| 1. Gang |
 
Bretonischer Hummer | Bunte Tomaten | Kräuter
 
2017 Picaro del Aguila Clarete Rosado, Dominio del Aguila, Ribera del Duero, Spanien
 
Bretonischer Hummer | Bunte Tomaten | Kräuter

Ein erster Akt in Sachen “Überraschung”! Reduzierte Menükarten bieten ja immer viel Raum für Vorstellungen und so hatte sicher jeder am Tisch eine solche, wie denn der Hummer auf das Porzellan gebracht werden würde. Morel entschied sich für ein in einem Seeigel-Fonds gegartes Rillette unter dezent marinierten Tomatenfilets und einem Dill- Granité, zunächst solitär serviert wurde prompt ein aromatischer - ebenfalls Zimmertemperatur -  Kräuter-Sud auf Basis einer Tomatenessenz angegossen.

... und mit dem am Tisch angegossenen Sud...
 
Ein kleiner, feiner Tusch zum Auftakt, eine gewisse Gefälligkeit, die ich beim ersten Probieren von Hummer und Sud verspürte wich mehr und mehr einer spannenden geschmacklichen Tiefe, die gefrorene Granita steuerte ein wenig Spiel mit Temperatur und Textur bei. Aber diese Tiefe war eher eine feine Kaskade von klassischen französischen, europäischen Aromen, zum ersten Mal fragte ich mich, wo die kreolischen Einflüsse waren, die man sich so auf die Fahnen geschrieben hat. Das gilt im Übrigen auch für ausnahmslos alle folgenden Gerichte, ich möchte das aber vorab nur einmal erwähnen um mich nicht wiederholen zu müssen.
 
Der in vieler Hinsicht hochspannende begleitende Wein, der dank der Art seiner Herstellung (weiße und rote Trauben aus rein biologischem Anbau werden hier zusammen vergoren und ausgebaut, bis zu 1,5 Jahre im Barrique) druckvoll und filigran zugleich wirkt. Alles andere als ein klassischer Rosado und am ehesten vergleichbar mit dem Rosé von Tondonia, der ähnlich produziert wird.
 
Eine mutige Entscheidung, doch trotz seiner 14% und des mitunter imposanten Auftritts auf dem Gaumen erschlug er das Gericht nicht, vor allem seine  Noten von Grapefruit und Blutorange harmonierten gut.
 
 
 
| 2. Gang |
 
Kalbskopfterrine | Frisée | Vinaigrette
 
2018 Aligoté le grand, David Moret, Cote d'Or, Frankreich
 
Kalbskopfterrine | Frisée | Vinaigrette

Die Terrine kann man sich in Sachen Textur und Mundgefühl am ehesten vorstellen wie ein grob geschnittenes Tatar.

Die großzügig bemessene Radieschen-Vinaigrette wurde unter Verwendung des beim Garen des Fleisches entstandenen Suds hergestellt, was ihr einen vollen, samtigen Geschmack verlieh der durch das fein geriebene dehydrierte Eigelb, das man obenauf gab, noch weiter unterstrichen wurde.
 
Die kleine Frisée-Garnitur steuerte ein wenig willkommene Frische bei und die süßlich marinierten roten Zwiebeln komplettierten den Gesamteindruck eines überaus gelungenen „Gourmet-Vesper-Schmankerls“.
 
Der Aligoté, im Burgund immer noch eine verbreitete Rebe, mäanderte zwischen Chardonnay und Riesling, zeigte sich fein mineralisch mit ebensolcher Säure und präsenten Noten von grünem Apfel, keine Sensation aber dennoch ein stimmiges Pairing.
 
 
 
| 3. Gang |
 
Miesmuscheln | Zitrone | Petersilie
 
2013 Chenin Blanc Authentique, Domaine Delesvaux, Loire, Frankreich
 
Miesmuscheln | Zitrone | Petersilie

Schon rein optisch machte dieser Gang auf seinem extravaganten Teller mit XXL Muschel-Fahne eine gute Figur. Ebenso wie Meister Morel beim Annoncieren: dies sei seine Interpretation von  Moules et Frites ließ er verlauten, na, das klang durchaus vielversprechend.
 
Die in einem Schalotten-Weißwein-Sud gegarten Muscheln wurden auf einer verführerisch duftenden Beurre Blanc serviert, obenauf gab man feine Scheiben glasierter Petersilienwurzel, nur das annoncierte Petersilienöl habe ich weder erspäht noch erschmeckt. Aber das sollte der Sache keinen Abbruch tun, zunächst einmal kann ich mit Sicherheit sagen, dass dies die qualitativ – rein die Ware betreffend - besten Miesmuscheln waren, die ich bislang kosten durfte – vielleicht auch weil ich sie so selten esse.
 
Die cremige Beurre Blanc sollte nicht nur in der Nase eine gute Figur machen, eine unfassbar sündige, reichhaltige Angelegenheit, jeder Löffel schrie einen förmlich an „Ha, nimm dies, hier kommen die nächsten 200 Kalorien!“
 
Alles harmonierte in sündig-buttriger Eintracht, die aber den Muscheln und der Petersilie dennoch genügend Raum zur geschmacklichen Entfaltung ließ. Den Moules Frites Vergleich habe ich zwar nur bedingt verstanden, den großen Beglückungsfaktor, den das belgische Nationalgericht bei seinen Liebhabern ausspielt, kann ich auch diesem Gericht hier ohne Weiteres zuschreiben; nur zu gerne hätte ich noch einen Teller davon verspeist.
 
In Zeiten von Orange-und Naturweinen kommt man an dem Thema momentan ja kaum noch vorbei und auch der begleitende Chenin Blanc versteht sich als „biodynamischer“ Naturwein. Eine deutliche Steigerung zum Aligoté, mit seiner robusten Mineralik und leichten Anklängen von tropischen Früchten passte er ausgezeichnet und schnitt mit Leichtigkeit willkommene Erfrischungs-Schneisen in den buttrigen Sündenpfuhl auf dem Gaumen.

 
| 4. Gang |
 
Bretonischer Steinbutt | Celtuce | Krabben
 
2015 Riesling Clos Liebenberg Monopole, Valentin Zusslin, Elsass, Frankreich
 
Bretonischer Steinbutt | Celtuce | Krabben

Mit einem überzeugt geschmettertem „Bretagne at its best!!!“ schloss Morel sein passioniertes Annoncieren dieses Ganges ab und auch dieser sollte nicht enttäuschen.
 
Der in Nussbutter sautierte Fisch machte schon visuell einen überaus mundwässernden Eindruck auf seinem kleinen Spiegel einer Krabben-Buttersauce, daneben zwei kleine Stücke Celtuce, Brunnenkresse, eine homöopathische  Menge Salicornes sowie ein paar Krabben als kleine optische Reminiszenz an die Sauce.
 
Celtuce ist übrigens eine Mischung aus Spargel und Salat, kommt ursprünglich aus China und ist dort unter „wosun“ bekannt, mal wieder eine neue Modezutat, die ich vorher noch nie probiert hatte.
 
Wie erwartet war der Steinbutt in Perfektion gegart worden und es handelte es sich um absolute Spitzenware, ich bin kein großer Freund von Fischhauptgängen aber im Rahmen eines Tasting Menüs empfand ich das Gericht als willkommene Bereicherung.
 
Dazu trug auch abermals die Sauce bei, die man unter normalen Umständen sicher auch als Figur schädigend einordnen würde, gegen die Beurre Blanc allerdings wirkte sie rein kalorisch betrachtet fast schon wie Diätküche. Das tat aber dem Geschmack keinen Abbruch, ganz entfernt  an eine Bisque erinnernd mit einem Hauch von Anis und Safran war sie eine einzige Wonne zum Fisch und ich freute mich abermals über die so selbstverständlich mit jedem Gang vorgelegten Gourmetlöffel.
 
Auch das chinesische Trendgemüse wusste zu gefallen, leicht herbe Bitterkeit die hervorragend zur buttrigen Krabbensauce passte, von den Salicornes und eher dekorativ anmutenden Krabben hätte ich gerne noch etwas mehr gehabt.
 
Dazu wieder hochklassige „Biodynamik“ im Glas, ein diffiziler wie jugendlicher trockener Riesling aus dem Elsass, körperreich mit intensiven Lakritz- und Kräuternoten und einem langen, mineralischen Abgang.
 
Die Weinbegleitung machte bisher viel Freude und auch die anderen Herrschaften waren trotz einiger amüsanter Kontroversen bei der jeweiligen Auswahl (zwischenzeitlich musste ein Security Mitarbeiter körperliche Auseinandersetzungen der Herren Borgfeld und Tischnotizen unterbinden) durchweg zufrieden mit ihren Flaschen-Weinen. Wir probierten auch gerne wechselseitig, da Borgi sich eigentlich auch lieber die Weinbegleitung bestellt hätte, war er sehr interessiert am Vergleich und siehe da, die Vorschläge des Sommeliers gefielen ihm in so manchen Fällen sogar besser. Mein Favorit bei den Flaschenweinen war ein Von Winning Sauvignon Blanc aus dem 500er Fass, ein wirklich beeindruckender Wein den ich mit Freude probiert habe, die Weinkarte konnte überzeugen, soviel stand nach dem Essen fest:



An dieser Stelle sei auch die alkoholfreie Menübegleitung von Ms. Borgfeld lobend erwähnt, das war weitaus mehr als eine hochklassige Saftparade sondern eine bunte Reihe mitunter durchaus aufwändiger, durchdachter Cocktails und damit aus meiner Sicht jeden Cent wert, die Dame aus dem Norden zeigte sich sehr zufrieden.
 
 
 
| 5. Gang |
 
Iberico Schwein | Zwiebel | Apfel

2014 Margaux, Chateau Margaux, Bordeaux, Frankreich
 
Iberico Schwein | Zwiebel | Apfel

Eine verheißungsvolle, rauchige Steinpilzwolke hing über dem Teller, das Fleisch glänzte saftig und roséfarben und dank der Rockstar-Weinbegleitung wohnte diesem Gang ohnehin ein gewisser opulenter Zauber inne.
 
Die Stücke aus der Rückenpartie wurden in einer Senfbeize mariniert, Sous Vide gegart und danach auf Holzkohle finalisiert. Ich habe die intensive Rauchnote des Fleisches geliebt, andere waren da etwas skeptischer wenn ich mich recht erinnere.
 
Dazu gesellten sich noch etwas geschmorte Backe, ein kleines Stückchen gebratener Blutwurst, ein Perlgraupen-Zwiebelsalat, eine süßliche Zwiebelcreme und eine kleine Garnitur aus Äpfeln und frischem Majoran – das Ganze auf bzw. neben einem Spiegel einer intensiven Steinpilz-Jus.
 
Ein stimmiges Gericht, die Äpfel habe ich etwas vermisst, glaube aber sie wurden auch mit in der angesprochenen Zwiebelcreme verarbeitet, sehr geliebt habe ich die aromatische Blutwurst.
 
Unter dem Strich sicher der tradierteste, konservativste Teller, wenn auch mit viel Liebe zum Detail, die tänzerisch-verspielte kulinarische Intelligenz jedoch, die sich in anderen Gängen so mutig ihren Weg bahnte, war hier im direkten Vergleich etwas verhalten zu spüren.
 
Vielleicht wollte er sich ja auch stilistisch seiner hochadligen Weinbegleitung annähern um diese nicht zu verschrecken, denn es sollte mit dem 2014er Margaux Bordeaux-Kult pur im Glas geben.
 
Mit 90% Cabernet Sauvignon, 5% Merlot, 3% Cabernet Franc und 2% Petit Verdot fast schon reinsortig zu nennen zeigte sich auf dem Gaumen und in der Nase alles, was das Bordeaux-Klischee hergibt bzw. verlangt: ja, er ist samtig-seidig, ja, er hat viele schöne rote Früchte, ja, die Tannine sind fein und elegant bei mittlerem Körper, alles prima, ein wirklich guter Wein, keine Frage und zum Gericht passte er auch sehr gut.
 
Nur finde ich es aus der „Genuss pro Euro“-Perspektive schwierig, dass ein  2014er Margaux 1er Cru Classé im Handel gerne über 600 Euro pro Flasche kostet, ich finde hier abseits des Bordeaux für einen Bruchteil dieser Summe Weine, die mich ungleich glücklicher machen; zudem findet Margaux daher in der Gastronomie abseits von „Was kostet die Welt?“ Sphären nicht statt.
 
Das sieht das Weingut mittlerweile wohl ähnlich, weshalb man eine rein der Gastronomie vorbehaltene Linie produziert, die nicht durch u.a. reiche Chinesen und Amerikaner überhitzte Marktpreise ausgesetzt ist. Trotzdem ließ man uns wissen, dass mein 0,1l Glas bei normaler Kalkulation trotzdem an die 40 Euro kosten müsse, schaut man sich die Liga der anderen Weine aus der Weinbegleitung an – und das was noch kommen sollte - empfinde die 90 Euro für selbige daher als sehr fair und gastfreundlich.

kleiner Einblick in das Küchentreiben

Maître@plating

 
 
| 6. Gang |
 
Tomme de Savoie | Feige | Walnuss
 
Noix de la Saint Jean, Distilleries et Domaines de Provence, Frankreich
 
Tomme de Savoie | Feige | Walnuss

Der halbfeste Rohmilchklassiker, ursprünglich aus den Savoyer Bergen stammend, wurde begleitet von geschmorter, süß-säuerlich vorschmeckender gelber Bete, Feigen bester Qualität sowie eines recht leisen Feigen-Granité. Die Walnuss sollte ich im Glas finden, auf dem Teller fand ich sie nicht, wenn auch der milde Tomme als solcher einen nussigen Nachgeschmack besaß.
 
Leider empfand ich den Käse als Fehlgriff, denn er war mehr als deutlich zu mild, die Feigen und das Granité fanden nichts, dem sie kontrastierend entgegenwirken oder das sie im Zusammenspiel gar geschmacklich heben konnten. Wobei man fairerweise sagen muss, dass diese Käsebegleiter natürlich eleganter waren als bspw. ein intensiver Fruchtsenf, ein vollreifer Époisses der in der Nase schon fast an Ammoniak erinnert hätte hier natürlich auch nicht wirklich harmoniert.
 
Wir argwöhnten am Tisch noch, ob er vielleicht einfach noch hätte reifen müssen, die annoncierten zehn Wochen Reifezeit sind jedoch für einen Tomme ideal, es war schlicht der falsche Käse am falschen Ort.
 
Interessant hierzu der Vin de Noix, der traditionelle, weinbasierte Aperitif aus der Provence wird aus einem voluminösen Rotwein, frischen Walnüssen sowie getrockneten grünen Walnussschalen hergestellt. Aber auch er schrie förmlich nach einem etwas ausdruckstärkeren, reiferen Käse, in diesem Fall  gerne auch mit Blauschimmel.
 
 
 
| 7. Gang |
 
Gurke | Dill | Holunder
 
Cocktail „Dill No Dill“
 
Gurke | Dill | Holunder

Ein Pre-Dessert der besonderen Art, Gurke und ich, das ist eine lange Geschichte voller Missverständnisse, umso gespannter war ich, ob man es schaffen würde, mir etwas für meine Begriffe schmackhaftes vorzusetzten - gottlob wurde die Gurke mit feiner Handschrift zwar präsent, aber nicht dominant eingearbeitet.
 
Eine relativ neutral-süß in Erinnerung gebliebene Quarkmousse wurde begleitet von Dill-Holunder-Sirup, abermals von einem Granité, diesmal von der Gurke, süßlich-herb marinierter Gurke in homöopathischer Dosis, einem schon optisch beglückenden Holunder-Eis sowie getrockneten Holunderbeeren.
 
Nach den holzigen Nussnoten des Käsegangs eine willkommene Erfrischung und passende Überleitung zu den noch folgenden süß-herzhaften Überraschungen.
 
Wieder einmal zeigte sich ein fein ziseliertes Spiel der Aromen, Temperaturen und Texturen, über mangelnde Tiefe in den Gerichten selber konnte man sich wahrlich nicht beklagen, besonders die Holunderbeeren setzten Akzente, die in Erinnerung blieben aber auch das leicht herbe Gurken-Granité harmonierte überraschend gut mit Eis und Mousse.
 
Der begleitende Cocktail auf Eis sollte bei mir zunächst für große Erheiterung sorgen, denn er wurde in zwei Etappen serviert in dem zunächst die Gläser mit Inhalt auf den Tisch fanden und unser mittlerweile auf humorig-lockere Betriebstemperatur gekommener kellnernde Sommelier (über „Sie sehen ja auch aus wie ein alter Barkeeper!“ musste ich noch am nächsten Tag auf der Rückfahrt lachen, entschuldige bitte Thomas…) hernach noch etwas Siegfried Wonderleaf obenauf goss, was zum Konzept des Drinks gehörte.

Cocktail „Dill No Dill“
 
Das wiederum hatte mein Gegenüber von der Weser, das sich mittlerweile in bester weinseliger Plauderlaune befand, gründlich missverstanden und schaltete ohne den jungen Mann eines Blickes zu würdigen oder gar sein Gespräch zu unterbrechen nach dem Angießen des alkoholfreien Gins in den „Human-Pacojet-Mode“ und rührte das Getränk unter infernalischem Getöse mit irgendeinem herumliegenden Besteckteil inbrünstig um.
 
Der darauffolgende resignierte Blick des Sommeliers auf den menschgewordenen Thermomix, als er hinter ihm zum nächsten Platz ging und der einhergehende Satz „Das war schon Absicht von mir…“ konnte man mit Geld nicht bezahlen, ich lache selten Tränen aber diesmal war ich dankbar für meine noch unbefleckte Serviette vor mir…
 
Den Drink selbst empfand ich als etwas sperrig,  ein wenig wie Gurkenwasser-Deluxe mit Dillnoten (obwohl kein Dill enthalten war, sondern nur Gurke und Holunder, daher aber der Name…) aber in Summe mit auf mich schon beinahe adstringierender Wirkung, am Tisch gab es jedoch Lob für das Ganze, mein persönlicher Gurken-Zwist mal wieder…
 
 
 
| 8. Gang |
 
Brombeere | Lavendel | Malz
 
Cocktail: „Bramble Spezial“
 
Brombeere | Lavendel | Malz

Etwas weniger mutig sollte es weitergehen aber manchmal ist weniger eben mehr, dieses Dessert hat mich jedenfalls sehr abgeholt.
 
Die Brombeere war der Star in dieser hübsch drapierten Konstruktion und das gleich in dreierlei Variation: als bemerkenswert aromatische wie frische Frucht, als Gel und als Sirup. Begleitet wurde sie im unteren Stockwerk von einer überragend guten Lavendel-Ganache und Textur-spendendem gerösteten Malz, obenauf thronte ein nicht minder gelungenes Whiskey-Eis.
 
Schaffte ich es Teile aller Komponenten auf einen Löffel zu bugsieren und gemeinsam zu genießen ergab sich selbst für mich als nicht unbedingt größten Dessert-Fan des Planeten ein hoch beglückendes Geschmackserlebnis - gut, Brombeeren liebe ich, das muss ich dazu sagen. Aber schon der „crunchige“ Malz mit dem Whiskey-Eis alleine war bereits eine sehr schöne Angelegenheit und Whiskey sollte auch im begleitenden Cocktail eine gewisse Rolle spielen.
 
Danke des Gin-Hypes der letzten Jahre fand der eigentlich bereits 1984 erdachte Bramble von England ausgehend seit einiger Zeit seinen Weg in die Bars der Welt und der namensgebende Brombeerlikör in ihm war hier die Brücke zum Dessert.

Cocktail: „Bramble Spezial“
 
Diese Brücke schien dem Restaurant aber nicht breit genug, kurzerhand ersetzte man den Gin durch einen dankenswerter Weise nicht zu torfigen Single Malt, der wiederum Eis und Malz aus der Süßspeise ideal begleitete.
 
Cocktail und Dessert für sich genommen schon eine große Freude, zusammen geriet es zum endgültig zum kleinen Hochgenuss.
 
 
 
| Epilog |
 
Der Epilog sollte noch ein  deutliches, selbstbewusstes Ausrufezeichen hinter ein bisweilen aromatisch leicht zwischen mutig und brav changierendes Menü setzen.
 
Die zunächst servierten noch ofenwarmen Madeleines würde ich jedoch unter köstlicher Bravheit verbuchen, davon bitte ein halbes Blech an einer winterlichen Kaffeetafel und ich wäre sehr glücklich.

Madeleines
 
Parallel dazu gab es leicht pikante, mit einer hocharomatischen Curry-Ganache gefüllte Macarons, die für meine Begriffe erstmalig einen Hauch von Exotik auf den Gaumen zaubern sollten.

mit Curry-Ganache gefüllte Macarons
 
Zunächst etwas argwöhnisch von mir beäugt schlugen sie dann doch die Brücke zum letzten Akt, der in einzelnen Komponenten auch dezent herzhafte Töne anschlagen sollte.
 
Denn es folgte eine mutige Kombination eines Eukaylyptus Schaumes mit einem Himbeer-Paprika Sorbet, Himbeer Crunch und einem Algen-Baiser.

Eukaylyptus Schaum | Himbeer-Paprika Sorbet | Himbeer Crunch | Algen-Baiser
 
Auch wenn die spürbare Eukalyptus Note etwas an meinem persönlichen Genuss-Epizentrum vorbeiging war dieser Schlusspunkt eine bereichernde kulinarische Erfahrung  dessen Umsetzung abermals ein überzeugendes Zeugnis für das präzise Kreativ-Handwerk der Küche darstellte.
 
Geschafft, kollektives Durchatmen, Herr Tischnotizen referierte in elegischen Vorträgen über die Herstellung der weltbesten Curry-Croutons, Zeit für ein fälliges
 
 
 
| Digestif |
 
Whisky Eddu Diamant, Distillerie des Menhirs, Plomelin, Bretagne, Frankreich – 2cl zu 40€
 
der Maître in seinem Element

Frédéric Morel persönlich stellte uns passioniert die Offerten des hübschen Digestif-Servierwagens vor, neben einigen selbst angesetzten Likören und diversen Bränden pries er unter anderem auch einen bretonischen Buchweizen Whisky an, der dank seiner Beschreibung mit warmen Noten von Rosine und Toast für Frau Carsten und mich wie eine gelungene Wahl klang.
 
Das sollte sich auch im Glas zeigen, Whisky mit aus Buchweizen gewonnenem Malz war eine spannende neue Erfahrung und durch 20 Jahre im Fass ähnelte er mit seiner fülligen Aromatik in Teilen beinahe schon einem guten Rum.

Eddu Diamant, bretonischer Buchweizen-Whisky, 20 Jahre im Fass
 
Später sollte sich herausstellen, dass dieser im Gegensatz zu den anderen Optionen (z.B. Zibärtelbrand oder Poire Sauvage) dieses Wagens, die auf der Rechnung mit erwartbaren Preisen zwischen 8 und 14 Euro zu finden waren, stramme 40 Euro pro Glas kosten sollte. Ich hatte mich mit diesem Schicksal schon abgefunden, aber die einhellige Meinung anderer Anwesender war klar: ein no-go, auf derartige preisliche Abweichler müsse man hinweisen.Und ja, sicher, wenn ein einzelnes Getränk fast die Hälfte der Weinbegleitung des vorherigen 8-Gang-Menüs kosten soll ist sicher ein Hinweis angebracht, zumal wenn es in einem Atemzug mit wesentlich günstigeren Optionen angepriesen wird.
 
Das sah im Übrigen auch der Service so, unser Sommelier bekam unser Gespräch mit und entschuldigte sich in aller Form, normalerweise weise der Chef immer auf solche Ausreißer hin.
 
Ganz verstehen kann ich den Preis bis heute nicht, ich habe diesen Whiskey zu einem Preis von 230 Euro pro 700ml Flasche gesehen, warum dann 2cl gleich 40 Euro kosten müssen ist daher sicher etwas fraglich und führt zusammen mit dem ebenfalls nicht unbedingt altruistisch kalkulierten Champagner zu einer leichten Abwertung im PLV.
 
Aber es zeigte sich wahrer Teamgeist am Tisch, man bestand darauf, unsere beiden Whisky auf alle umzulegen und duldete keine Widerrede, eine Geste die sinnbildlich für die freundschaftliche Atmosphäre an diesem Abend stand.
 
 
Nach dem Essen plauderte ich noch kurz mit Frédéric Morel, dankte und lobte aber klagte ihm auch mein leises Leid hinsichtlich der vermissten kreolischen Einflüsse. Fast schon ein wenig traurig sagte er mir zunächst, dass dies mit den hiesigen Gästen schwierig sei, es klang ganz so, als ob diese nicht gut in der Westfälischen Genießerwelt ankamen. Dann jedoch ließ er mich noch wissen, dass bei ihm das ganze Menü immer eine gewisse Linie habe, und in der heutigen kam die Küche aus der Heimat seines Vaters eben nicht zum Zuge, seufz, nun denn.
 
Mit diesem harmonischen Eindruck verließen wir das Restaurant kurz nach Mitternacht, schlenderten durch die stimmungsvolle Altstadt zurück zum Hotel, und wäre Georg Wilsberg noch aufgetaucht, es hätte mich nicht gewundert…


 
 

Fazit
 
Mein Fazit zur Küche wurde mit dem Titel der Kritik eigentlich bereits vollumfänglich vorweggenommen. Wenn ich das Versprechen der kreolischen Einflüsse ausblende, bleibt für sich genommen eine solide, in vielen Teilen äußert beglückende und überraschende Küchenstilistik, die ihren Stern verdient hat und auch handwerklich mehr als überzeugen konnte. Man könnte sich jetzt auf einzelne Dinge stürzen, auf der La Réunion Vorfreude herumreiten etc. etc. aber das würde meiner subjektiven Zufriedenheit nicht gerecht werden und ich habe mich in der Vergangenheit bei diesen Treffen auch gerne im Nachgang als überkritisch gegeben, vereinzelte Kritiken waren mir im Nachgang nach einigen Jahren sogar regelrecht peinlich: alles Gute habe ich hingenommen und Kritikpunkte gnadenlos breitgewälzt. Daher unter Berücksichtigung meiner moderaten Kritik überzeugte 4,5 Sterne für die Küche.
 
Den Service empfand ich persönlich als perfekt, das dezente Vorlegen des Bestecks geschah in gekonnter Synchronisation mit den Servierzeitpunkten, um leere Wassergläser musste sich niemand jemals Gedanken machen, der Umgang höflich aber keineswegs steif, Fragen wurden allzu gerne beantwortet, auch von den teilweise mitservierenden Jungköchen. Vielleicht mögen die Wein-Nerds am Tisch bei unserem Serviceleiter noch leichte vinophile Wissenslücken ausfindig gemacht haben, mit diesen ging er aber unglaublich sympathisch um und erzählte von seiner momentan noch laufenden Ausbildung. Die Gespräche, die sich beim Annoncieren der Weine zu meinem Menü mit ihm ergaben habe ich in bester Erinnerung, ein sympathischer, aufgeschlossener, witziger Zeitgenosse, ohne jede schnöselige Sommelier-Attitüde: volle 5 Sterne für diesen Auftritt.
 
Das Ambiente mit seiner Bistro-Wohnzimmer-Atmosphäre und der offenen Küche empfand ich für den Anspruch von „casual fine dining“ als sehr gelungen, wir fühlten uns wohl in unserer separierten Ecke, zudem sehr behagliches Lichtkonzept. 4,5 Sterne hierfür.
 
Die makellose Sauberkeit und serviceorientiert umgesetzten Corona Maßnahmen verdienen nichts anderes als 5 Sterne.
 
Das Preisleistungs-Verhältnis sehe ich bei sicher fairen 4,5 Sternen, Menü und Weinbegleitung angemessen bepreist, die Weinbegleitung eher schon günstig zu nennen. Nur die à la carte Getränkepreise sollte man vielleicht mit leichter Vorsicht genießen und spätestens bei dem Stichwort „20 jähriger Buchweizen-Whisky“ etwas aufhorchen. ;-)
 
 
 
Ich werde gerne wiederkommen wenn es sich ergibt, würde aber vorher schauen, welche Leitlinie das Menü derzeit hat, denn ich will sie unbedingt noch erleben, die Fusion der Bretagne mit La Réunion!
 
 
 
Als kleines GG-Nachwort:
@Petra & Sigi: Ihr wurdet vermisst, das holen wir hoffentlich bald nach!
 
@die Herrschaften am Tisch: Es war ein in vieler Hinsicht wunderschöner Abend der mir sehr viel Spaß gemacht hat, es war eine Freude Euch endlich persönlich kennenlernen zu dürfen. Ich habe die Zeit mit Euch sehr genossen, den Humor, die Gespräche – und konnte kaum glauben, wie schnell 5,5 Stunden vergehen können. Ich hoffe sehr, dass wir uns in dieser oder anderen Konstellation in nicht allzu ferner Zukunft wiedersehen.
 
@Tischnotizen: Nochmals herzlichen Dank für die beiden Mitbringsel, ich habe mich sehr, sehr gefreut über die Geste.
 
 
 
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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