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GastroGuide-User: Hanseat1957
Hanseat1957 hat Afrin in 28717 Bremen bewertet.
vor 4 Jahren
"Syrien im hintersten Bremen-Lesum – Eine Entdeckung und positive Überraschung"

Geschrieben am 10.11.2019 | Aktualisiert am 12.11.2019
Besucht am 09.11.2019 Besuchszeit: Abendessen 2 Personen Rechnungsbetrag: 75 EUR
Allgemein:

Mitte Dezember 2018 hatten wir das syrisches Rotana in Bremen-Nord besucht und waren sehr angetan (seit dem Frühjahr ist es aber geschlossen wegen Umbauarbeiten, zumindest Stand Mitte Oktober. Aktualisierung 12.11.2019: Rotana ist geschlossen, wird "Bodrum - Ocakbasi"). Ich hatte „Syrien mit Wucht in Bremen Norden angekommen“ getitelt. Das stimmte nicht ganz, weil es seit wenigen Jahren, zumindest deutlich vor dem Rotana, ein kleines syrisches Restaurant im tiefen Lesum, fernab vom Ortskern, gibt, das Afrin. In der Lokalität hatten sich mehrere Restaurants versucht. Wir waren dort einmal bei einem Griechen eingekehrt und es war so ziemlich das Trostloseste, was wir je erlebt haben. Wohl deswegen war die Lokalität für uns  „verbrannt“.
Das Afrin hat sich vor Kurzem vergrößert und ist seit dem 03.09.2019 in den Räumen des früheren „Neu Lesumer Landhauses“ beheimatet, noch weiter ab vom Schuss. Ich erfuhr davon beim regelmäßigen Restaurantaustausch im Fitnessstudio. Zuletzt wurde dort gar berichtet, dass man an einem Samstagabend vom Afrin nur noch 17 oder 20 Uhr angeboten bekam, was auf Zuspruch schließen lässt.

Meine Neugierde stieg und als nächstes schaute ich mal tagsüber auf den Kartenaushang und sah sogar eine Homepage angeführt (https://www.afrin-lesum.de/), die die Karte und etliche Fotos zeigt.

Zusammengenommen ein „richtiges“ Restaurant und da kommt das Motto auf, dass das Gute manchmal so nah liegt. Gespannt, ob dem so sei, sind wir also mit rechtzeitiger Reservierung am Samstag um 18 Uhr im Afrin eingekehrt.

Es war ausreserviert, auch wenn – anders als bei unseren griechischen oder italienischen Stammrestaurants in Bremen-Nord – um 18 Uhr noch nicht viel Betrieb war und etliche Reservierungen auf 19 Uhr lauteten. Das erwartbare Paarpublikum, ergänzt um Familien und kleine Gruppen. Bekannte Gesichter deuten darauf hin, dass das Afrin Publikum aus der sehr soliden Einfamilienhausgegend des nördlichen Lesums und angrenzenden Platjenwerbes anzieht. Irgendeine Werbung für die Neueröffnung hatte ich erstaunlicherweise nicht wahrgenommen.
Das Afrin ist ein familiengeführtes Restaurant unter der Verantwortung von Ahmad Masto. Die Familie hat viel investiert und bereichert die Restaurantszene in Burg-Lesum. Es bleibt der Wirtsfamilie zu wünschen, dass es nicht nur am Samstagabend brummt und sich nachhaltiger Erfolg in dem schmucken Restaurant einstellt.
Man kann also bedenkenlos das Afrin aufsuchen, auch wenn nicht alles Lob verdient.

Das Preis-Leistungsverhältnis sehe ich bei vier Sternen.

Mittlerweile haben wir fünf Syrer in Bremen besucht. Mein Ranking (Essen zweifach, PLV einfach bewertet) zeigt folgendes Bild:
Nayla (Findorf): 4
Rotana (Hammersbeck): 4 leider geschlossen
Afrin (Lesum): 3,83
Al Dar (Überseestadt): 3,67
Albeek (Hulsberg): 3,5

Service:

Die Getränkeversorgung und das Servieren der Speisen liegen in den jungen Händen einer Frau und eines Mannes. Erkennbar am schwarzen Sweatshirt mit Afrinlogo. Im Raucherraum langweilte sich ein weiterer junger Mann für den Dienst am Gast, ein Sohn des Hauses.

Selten trägt auch Wirt Ahmad Masto ein Gericht aus.

Der Service wirkte auf mich noch etwas ungeübt. So bekamen wir die Karten der jungen Dame gereicht, ohne dass ein Getränkewunsch abgefragt wurde. An anderen Tischen wurde anders verfahren. Auch serviert man keine Biergläser ohne Tablett, indem man sie voll umfasst. Die georderten Biere kamen schnell, der mitgeorderte Arak auf Eis wurde nachgeliefert.

Beide Bediener waren engagiert, positiv gestimmt und höflich.

Gezapft wird das lokale Haake-Beck des „grünen“ Großkonzerns für 2,90 € für 0,3 l. Eine Flasche stilles Wasser 0,7 l ist mit moderaten 3,90 € bepreist. Die nicht weiter klassifizierten trockenen offenen portugiesischen Weine (rot, rosé, weiß) liegen bei überzogenen 6,80 € für das Viertel! Die halbtrockenen Spanier sind zwei € günstiger, aber auch da bleibt offen, was eingeschenkt wird.

Ich versuchte den roten Portugiesischen, der körperreich und sehr beachtlich war. Leider verschüttete ich einen Teil des Weins und sehr großzügig wurde der Wein trotz meines Verschuldens nicht berechnet.

Ob in dem Glas beim Servieren 0,25 l eingeschenkt worden waren, konnte ich nicht kontrollieren und ich wiederhole gerne meine kleine Belehrung für alle Wirte: Eine Kennzeichnung (CE-Eiche) mit einem Eichstrich muss nach deutschem Mess- und Eichrecht zwingend auf jedem Glas (rechtlich = Messgerät für ein Ausschankmaß) vorhanden sein!

Mit hohem Einsatz und ohne Murren wurde übrigens die Rotweinpfütze von unserer Bedienerin in fußkreisenden Bewegungen schnell aufgewischt. Dafür bekommt Sie ein halbes Extrasternchen und es ergeben sich 3,5 für den Service. 

Ausgegeben wird im Afrin nichts.

Essen:

Die Karte bietet Vergleichbares wie bei den anderen Syrern. Wir orderten die Vorspeisenplatte für zwei Personen für vermeintlich günstige 9,90 €. Da ich bei dem Preis von überschaubaren Mengen ausging, bestellte ich mir noch die rote Linsensuppe Schorba Addas (4,90 €).

Die Vorspeisen wurden auf fünf Schälchen verteilt serviert. Dazu ein Korb mit acht Abschnitten eines dünnen Rundfladens. Im Rotana gab es auch selbst gebackenes Fladenbrot mit Sesam und Schwarzkümmel, das ganz hervorragend zu den pastösen Vorspeisen passt. Das hier servierte Fladenbrot war geschmack- und funktionslos, denn es war nur dünn und kross, also ungeeignet, Flüssigkeiten aufzusaugen.

Die fünf Vorspeisen setzten sich zusammen aus den fünf ersten Positionen auf der Karte: Falafel, Auberginenpüree, Humus, Oliven und Muhammara (Walnuss, Olivenöl, Semmelbrösel, Paprika und Sesam-Mus). Gemeinsamer Favorit war das Auberginenpüree. Die Falafel erfreulich saftig, die Oliven gut, das Humus etwas flau und dem Muhammara konnte ich nichts abgewinnen. Wie auch schon bei anderen Syrern erlebt, scheinen Granatapfelkerne unvermeidbar zu sein. Beim nächsten Mal würde ich Einzelvorspeisen ordern. Die fünf Schälchen zusammengenommen sind für zwei normale Esser locker mit dem ersten Hunger aufzunehmen.

Meine Linsensuppe war erst einmal optisch blass wie eine Kartoffelsuppe. Die auch in türkischen Restaurants gerne gereichte rote Linsensuppe kenne ich als sämige rote Suppe mit Linsengeschmack. Leider wurde mir dieses Geschmackserlebnis nicht vergönnt. Stattdessen waren Petersilie und Möhrenstückchen herauszuschmecken. Ich habe die heiße und reichliche Suppe zwar gerne gegessen (freilich mit ordentlich Habaneropulver aus dem eigenen Döschen), aber vom Erwarteten ausgehend, war ich enttäuscht.

Meine ständige Begleiterin wählte dann konservativ die Lammhackfleischspieße Kabab (15,90 €) und ich den entbeinten Hühnerschenkel Farrudj Mussahab (12,90 €).

Die Beilagen bestanden aus lockerem Basmatireis mit Nussstückchen, kräftig gewürztem Grillgemüse, einer Salatgarnitur, Tzatziki und einem Esslöffel weißem Aioli.

Das Grillgemüse gefiel aufgrund der Würzung, zwar nicht eindeutig orientalisch, aber kräftig. Nicht alle Gemüsestücke hatten noch Biss, aber selbst der von mir sonst eher aussortierte Blumenkohl wusste mit seiner Würzung zu gefallen. Auch der Reis ohne Fehl und Tadel. Das Tzatziki mit ungleichmäßigen Gurkenstückchen zumindest handgemacht. Ein Ahaerlebnis das leicht warme Aioli. Ich vermute stark, dass es mit Milch statt Eiern zubereitet war. Die Knoblauchnote hervorragend.

Mein Proteinträger konnte mithalten: Vergleichbar dem Gemüse hatten die zarten Hühnerschenkelteile eine kräftige Würzung erfahren und waren gegrillt. Die Portionsgröße in Ordnung und insgesamt ein gutes Viersterneessen.
Die drei Kebabspieße gegenüber hatten zwar einen eindeutigen Lammgeschmack, ließen aber ansonsten jeden Würzpfiff vermissen. Gerade Hackfleisch ist ein dankbarer Kandidat für vielfältige und sehr individuelle Geschmacksbeigaben. Mal ist es Kreuzkümmel, dann Pul Biber, Paprikamark, Petersilie, Knoblauch usw. Hier leider Fehlanzeige. Da sollte der Kabab-Verantwortliche mal in die Gewürzkiste greifen.

Zu einer klaren Viersternebewertung mag ich mich nicht durchdringen. Fladenbrot, Suppe und die Spieße fallen dafür doch zu deutlich zurück hinter den Referenzen im anatolischen Shelale oder Rotana. Aber mit 3,75 Sternen im internen Ranking liegt die Gesamtleistung im deutlich positiven Bereich.

Auf den Tischen leider nur ein simpler Salzstreuer.

Ambiente:

Das Afrin befindet sich in einer Wohnstraße in einem Haupthaus mit niedrigem Anbau. Im etwas zurückliegenden Haupthaus befindet sich die Theke und das eigentliche Restaurant. Vorne im Anbau auch eine Theke mit Barhockern und ein Fernseher. Dieser Raum dient als Raucherraum und Refugium für die früheren Kneipengäste aus der Nachbarschaft, die nur auf ein Bier vorbeischauen wollen. Als Speiseraum ist dieser schmale Bereich nicht gedacht.

Der quadratische Hauptraum ist offen gestaltet. Die Tische an den Wandseiten sind durch parallele oder rechtwinklig zur Wand angeordnete Ledersitzbänke aufgewertet. Ansonsten sitzt man auf den ebenfalls ledergepolsterten bequemen Stühlen an den fei stehenden Tischen. Zwischen den Tischen kann man sich gut bewegen. Die Tische selbst quadratisch und mit einem Mittelfuß sehr standfest. Mit einem Kantenmaß von wohl 80 cm geht es beim „Arbeiten“ nicht großzügig zu. 

Das Restaurant einschließlich Toiletten und Raucherraum wurden komplett renoviert. Der Boden in der heute so beliebten Dielenoptik. Die Stühle und Bänke weisen zwei Lederfarben auf: Beige und Rotbraun. Bis Brusthöhe wurde ein Sichtmauerwerk aus unegalen Steinbruch-Riemchen angebracht. Darüber einschließlich Decke ist es hell gestrichen. Die Deko bilden die filigranen Deckenleuchten, die ausreichend Licht spenden und gerahmten Bilder oder Fotos an den Wänden mit vermutlich Heimatmotiven.

Links von dem Tresen geht es türlos in die Küche, in die ich einen guten Blick hatte. Sie ist großzügig dimensioniert und ich meine mindestens fünf Männer und Frauen bei der Arbeit beobachtet zu haben. Was auffällt ist die Bekleidung: Alle in Freizeitklamotten. Meine Begleiterin berichtete dann noch, dass links von der Öffnung eine gut behängte Garderobe zu sehen war, wo auch das Nudelholz abgelegt wurde. Man kann das familiär sympathisch finden, aber mich sprechen Kochjacken und -mützen in der Küche eher an. Provisorisch wirkt auch der „Küchenpass“. Wir wunderten uns über die belegten Vorspeisenplatten auf dem zur Küchenöffnung nächst gelegenen Gästetisch. Es wurde dann im Laufe des Abends klar, dass dieser Tisch die Schnittstelle zwischen Küche und Service darstellte. Das bekannte „Ping“ als Signal aus der Küche konnte unterbleiben.

Aus den Lautsprechern hört man Musi, die eher ans Griechische, denn ans Orientalische denken lässt.
Das Restaurant verfügt über drei Parkplätze vor dem Haupthaus. Ansonsten kann man an der Straße parken. Wer von weiter weg und ohne Auto zum Afrin kommen möchte, muss bis zur nächsten Bushaltestelle oder zum Bahnhof Lesum schon einen ordentlichen Spaziergang einplanen.

Sauberkeit:

Sehr gepflegt. Die Toiletten nigelnagelneu und großzügig. Frisch und sauber obendrein.   
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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