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GastroGuide-User: orcagna
orcagna hat Hotel Traube Tonbach · Schwarzwaldstube · Gourmetrestaurant in 72270 Baiersbronn bewertet.
vor 9 Jahren
"Sternwarte"

Geschrieben am 01.02.2015
Besucht am 11.07.2014
Allgemein
Mehr Geld für Bildung auszugeben, ist ein fast überall mehrheitsfähiges Ansinnen. Und bilden wollte ich mich auch, fragte ich mich doch schon seit Jahren, ob ich überhaupt in der Lage wäre, zwischen einem und drei Michelin-Sternen einen Unterschied zu erkennen. Und wenn schon, denn schon – dann auch bitte bei einem passenden Bildungsinstitut, also in der Schwarzwaldstube.
 
Ebendiese befindet sich im ursprünglichen Teil der Traube-Tonbach und teilt sich diesen unter anderem mit den anderen Restaurants Köhlerstube und Bauernstube. Der gemeinsame Eingangsbereich ist beruhigender Hinweis darauf, daß hier trotz aller Gediegenheit nicht geprotzt wird. Und wir werden überaus freundlich in Empfang genommen und in die Schwarzwaldstube geleitet, wo wir an einem ansprechend gedeckten Tisch Platz nehmen dürfen. Um die Inszenierung eines ganz außergewöhnlichen Abends zu genießen.
 
Zwar ist die Einrichtung meine Sache nicht – es gibt eine wuchtige Deckenvertäfelung, einigen altdeutschen Holzschnitz und schmiedeeiserne Kristallleuchter - diese tritt aber vor dem Panorama bestehend aus der schönen Aussicht ins Tonbachtal, dem schlichten, aber edlen Tischgeschirr (KPM, Christofle, Zwiesel) und der Art, wie der Gast umsorgt wird, völlig in den Hintergrund. Die Stühle sind ungemein bequem, die Tische groß und gut gestellt. Und wäre der Service nicht so unaufgeregt freundlich und locker, man wäre an das Meisterstück eines Uhrmachers erinnert, so perfekt greift alles ineinander. Aber es wirkt eben nicht mechanisch.
 
Wir bekommen also die Karten und brauchen nicht lange, um uns für das fünfgängige Degustationsmenü zu entscheiden, mit kleinen Modifikationen, denn mein Mann verträgt keine Krustentiere und ich möchte kein Fleisch. Und obwohl wir gerne in der umfangreichen Weinkarte geschmökert haben, möchten wir lieber die beiden Sommeliers beanspruchen und wählen die glasweise Weinbegleitung. Und beginnen mit zweimal Champagner, für mich Billecart blanc de blanc 2004, für meinen Mann die Cuvée Crayères von Eric Rodez. Das Leben kann schon sehr schön sein!
 
Bald kommt der erste Gruß aus der Küche, drei  Löffel mit verschiedenen Gemüsegelees, Muskatkürbis, konfierte Tomate, Blumenkohl, eine sehr gelungene Einstimmung. Der zweite Gruß ist (fast) abgestellt auf individuelle Bedürfnisse, viererlei Fleisch für meinen Mann, doch leider tummelt sich auch etwas Krustentiergelee auf dem Teller – wird aber sofort ausgetauscht - für mich Möhreneis mit Kardamom und verschiedenen Gemüsevariationen und einem Buttermilchspiegel (?) - eine ungeheure Aromenvielfalt.
 
Und dabei beginnt erst jetzt das eigentliche Menü: Zunächst  Scheiben von marinierter Gelbschwanzmakrele und Thunfischbauch auf  eingelegten Gurkenwürfeln und jungen Algenspitzen mit Austernblatt (dazu ein Pouilly-Fumé), dann für mich bretonischer Hummer in Krustentierbutter sanft gegart auf Corailrisotto mit Pulpostückchen, grünen Spargelspitzen und Krustentierjus (begleitet von einem Grauburgunder von Johner), für meinen Mann Feines vom Pyrenäenlamm mit milder Currywürze, Pfifferlinge und Karotten mit orientalischen Gewürzen an Kardamomsauce (ergänzt von einem Chateau Batailley). Es geht weiter mit der kleinen Wachtel vom Holzkohlegrill mit Barbecue-Lack, Tomatenkompott und geschwenkten Steinpilzen, Barolosauce (komplementiert von einem Aurel rouge 2008 Aurelles) und für mich statt dessen die Rotbarben mit krossen Knoblauchschuppen, glasiert mit Bouillabaisse-Emulsion auf provenzalischem Gemüsefächer (einer mediterranen Gemüserosette aus hauchdünnen Zucchini und Auberginen), Weißweinbutter mit Basilikum (eine weitere wunderbare Premiere für mich: der Puligny Montrachet von Clavoillon 2007 – und ja, er schmeckte so gut, wie ich mir gewünscht hatte).
 
Bei allen Gängen wurde die Sauce immer erst am Tisch aufgelöffelt, der Service fragt nach, ob mehr gewünscht wird. Ich hatte vorab befürchtet, daß möglicherweise steif und feierlich die Cloches geschwenkt würden (meine Ersterfahrung in einem Sterne-Restaurant hatte mich seinerzeit auf Jahre verschreckt), aber auch hier setzt das Team der Schwarzwaldstube offenbar auf „angstfrei genießen“. Das Publikum wirkt wie zu erwarten nicht gerade arm, aber auch nicht übertrieben, auch wenn einiges an Schmuck teuer aussah.
 
Wir nähern uns dem Finale, es gibt eine schwindelerregende Käseauswahl vom Wagen. Und als Dessert Variationen von der Sauerkirsche mit Holunderweineiscreme und Sauerkirschgranitée, dazu ein junger Port.
 
So einfach ist man aber hier nicht fertig, es gibt noch Auswahl an „Feingebäck“ (auch hier wieder grandioses Understatement, bei dem, was einem zur Auswahl präsentiert wird), dazu Espresso und als Digestif ein Quetsch und ein Marc de Champagne, beides von Mette.
 
Gegen Ende des Abends begrüßt Harald Wohlfahrt die Gäste, auch hier ein unprätentiöser und ungemein freundlicher Auftritt eines großen Meisters.
 
Und das Fazit: phantastisch. Zu sagen,  hier beherrsche jemand sein Handwerk wäre in etwa als würde man sagen, Michelangelo könnte man gefahrlos die Garage streichen lassen. Es waren durchweg perfekte Einzelteile elegant kombiniert, verschmolzen zu einem einzigartigem Geschmackserlebnis. Das ist Essen als Kunst. Mit passenden Weinen. Und mehr als fünf Gänge hätten mich aufgrund ihrer Komplexität überfordert.
 
Habe ich einen Unterschied feststellen können? O doch. Hier war alles perfekt, und nicht nur nahe des höchsten Niveaus. Auch alle Zusammenstellungen, Pausen, Portionen. Und auf sämtlichen Ebenen, vom Einkauf über Küche, Keller und den Service - inklusive der ungeheuer angenehmen Atmosphäre. Wobei beim Thema „Zahlen“ zumindest angenehm auffällt, daß 0,75 l Schwarzwaldsprudel nur € 6,20 kosten.
 
Das letzte Wort in Anspielung auf den eleganten und ausgewogenen Ablauf hatte wie so oft mein Mann: „Es war keine Minute langweilig.“
 
Man sollte einfach mehr in Bildung investieren...
 

Bedienung


Es fällt schwer, aus einer so herausragenden Gesamtleistung Einzelnes hervorzuheben - aber am meisten Spaß hatten wir mit den Sommeliers, und nicht nur, weil deren Empfehlungen so exzellent waren.



Das Essen


Besser geht's nicht.



Das Ambiente


Mir persönlich war die Inneneinrichtung etwas zuviel "Schwarzwald", aber das trat hinter den schönen Ausstattungdetails und der Atmosphäre zurück. Das lag sicher auch an erfrischenden Akzenten wie den Besteck-Skulpturen auf den Tischen, die dem Ganzen die Erdenschwere nahmen.



Sauberkeit

Selbst das Tonbachtal sah aus wie frisch manikürt.
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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