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GastroGuide-User: Minitar
Minitar hat Chateau d'Orsay in 47495 Rheinberg bewertet.
vor 8 Jahren
"Hoher Skurrilitätsfaktor"
Verifiziert

Geschrieben am 28.10.2015
Besucht am 24.10.2015
Nach dem Besuch dieses verwunschenen Schlosses wünschten wir uns spontan ein neues Bewertungskriterium bei GastroGuide, etwas im Stile von „Originalität“ oder „Skurrilitätsfaktor“.  Denn ich kann mich nicht erinnern, wann ich jemals in einer derart abgedrehten, bizarren und kuriosen Location gegessen habe.  Ein bisschen wars, wie in einem Film oder einem Märchen. Und nacherzählen lassen sich unsere Erlebnisse auch nur ganz vage. Deswegen empfehle ich dringend jedem Interessierten: hinfahren, eintreten und eintauchen in eine andere Welt. Das muss jeder selbst erleben!
 
Orsoy ist ein niedlicher, putziger, pittoresker kleiner Ort am Rhein, durch einen gepflegten Deich vom grossen Fluss getrennt und in Sichtweite des riesigen Walsumer Kraftwerkes. Offiziell gehört Orsoy zu Rheinberg. Bei gutem Wetter sind hier viele Spaziergänger und Radfahrer unterwegs, auch ein paar hübsche Übernachtungsmöglichkeiten gibt es. Niemals hätten wir aber das versteckte Chateau d Orsay in seinem mittelalterlichen Gemäuer entdeckt, wenn nicht ein kleines Hinweisschild von der Hauptstrasse aus uns hingelotst hätte. Zuerst sieht man nur umranktes Mauerwerk und einen herrliche mediterran anmutenden Innenhof mit Weinreben und Kunstgegenständen. Das Chateau öffnet erst um 18 Uhr und schliesst spätestens um Mitternacht. Wir kamen zu dritt gegen 18:30 an, da war das kalte Gemäuer noch nicht eingeheizt und wir fröstelten zunächst. Der Innenraum im Erdgeschoss ist winzig, beherbergt in dunkler Enge vier Tische und ist bis zur Decke angefüllt mit Kunst, Gemälden, einem Klavier, ein paar antiquierten Möbeln, diversen Früchten und Nüssen, Glas- und Keramikgegenständen, einem (lebenden) Labrador, vielen Wein- und Spirituosenflaschen, Kerzenhaltern, dem fülligen Patron, einem Konvolut von Regenschirmen und Gehstöcken etc. pp. Begrüsst wurden wir ausserdem von der (offensichtlichen) Lebensgefährtin des Patrons, einer Peruanerin.
 
Während der kleine Bollerofen neben uns langsam etwas Wärme abgab, studierten wir die mediterrane Karte mit spanischen Köstlichkeiten: Zarzuela, Garnelen, Serrano-Schinken, Paella, hausgemachte Aioli, Lachs und Dorade, Käseplatte, Oliven, diverse Desserts. Bei der Weinauswahl liessen wir uns beraten, allerdings kam statt des abgenickten Cabernet Sauvignon ein Tempranillo aus Navarra auf den Tisch, bereits geöffnet, ohne dass jemand von uns kosten konnte (mit fast 20 Euro berechnet). Das schicke Mineralwasser in blauer Flasche (5,90 Euro für 0,7 Liter) konnten wir aufgrund des diffusen Lichtes nicht recht identifizieren. Als Vorspeise nahmen wir das angepriesene Aioli, das meinem Begleiter allerdings etwas zu Ei-lastig schmeckte und schwarze Oliven, die rundum mundeten (herzhaft, fleischig), dazu wurde Brot gereicht. Die Tapas Marineras (19,50 Euro) wurden danach auf einer grossen Platte serviert und schmeckten durchweg würzig und fischig: Muscheln, Gambas auf einem schmalen Salatbett, eingelegter Tintenfisch. Ob die Ware frisch war oder nur schnell aufgetaut, konnten wir allerdings nicht in Erfahrung bringen. Satt waren wir danach längst noch nicht, so dass folgendes noch geordert wurde: eine kleine Serranoplatte (anständige Portion für 8,90 Euro), eine pikante Fischsuppe für denselben Preis, sowie ein Salatteller mit gebratenen Garnelen für ca. 15 Euro.
 
Während in der Küche gebrutzelt wurde, stand der Patron permanent sehr nah bei uns, so dass ein vertrauliches Gespräch nicht möglich war. Später kam noch ein Paar ins Lokal, das allerdings nur für ein paar Häppchen und zwei Karaffen Wein blieb und uns bald wieder verliess. Zwischendrin tauchte noch ein Koch auf, sowie ein Double der Peruanerin. Vielleicht waren wir aber auch schon betrunken. Zur Toilette musste man über den weinumrankten Patio gehen. Das Örtchen war genauso pittoresk eingerichtet wie das restliche Lokal, war bitterkalt und roch streng nach Chlor.
 
Zurück im Chateau, erwartete uns die nächste Überraschung. Der Patron zwängte sich an unseren Tischen vorbei ans Klavier und intonierte drei selbst komponierte Stücke, die wir wahlweise Chopin, Schumann oder Schubert zuschrieben. Sensationell! Allein für diese Darbietung lohnt sich ein Besuch. Inzwischen war es schon spät und wir probierten noch die Spirituosen, nämlich einen aufgesetzten heimischen Kirschlikör mit interessantem Bittermandelaroma und einen etwas abgeschwächten Grappa aus Südtirol. Ein Versucherle ging aufs Haus. Danke! Zwischendrin hatte einer meiner Begleiter noch die obere Etage besucht, wo man gut und gerne mal eine Familien- oder Firmenfeier ausrichten könnte. Aber das ist schon eine andere Geschichte… Denn am nächsten Tag waren wir uns schon gar nicht mehr sicher, ob nicht alles nur ein Traum war???
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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