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GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Hotel Erbprinz · Die Prinzenstube in 19288 Ludwigslust bewertet.
vor 7 Jahren
"Überraschend gute Hotel-Küche mit Pfiff!"
Verifiziert

Geschrieben am 21.12.2017 | Aktualisiert am 16.04.2018
Besucht am 12.11.2017 Besuchszeit: Abendessen 1 Personen Rechnungsbetrag: 72 EUR
Sonntagabend in der mecklenburgischen Provinz.

Einsam die Gassen vom Bahnhof zum Schlosse. Vom Glockenturm her schlägt die Stunde, nebelverhangen der triste Kanal. Auch das Hotel de Weimar im Dunkeln.
Schlüssel? Den spuckt ein Tresor gegen Code aus - Glastüre öffnet sich folgsam dem Gaste. Einzelner Handschuh liegt mir im Wege. (Was macht gerade Nicholsons Jack wohl?) Verwaisten Eingang im Zwielicht durchmessen, hallenden Schrittes durchs leere Foyer, schließlich das schützende Zimmer erreicht.

November-Blues.

Was nun? Ich brauch Musik und Wein und einen, der gut kocht. Finde ich aber Sonntags im hauseigenen Restaurant Ambiente nicht, in dem ich letztes Jahr gut, aber sehr teuer gegessen hatte.
Als sehr solide empfohlen wurde mir die Prinzenstube im Hotel zum Erbprinz auf halber Strecke zurück zum Bahnhof. Schon beim Eintreten endlich Leben: Aus der Bar grüßt lautstark eine Firmenveranstaltung, mehrere junge Damen wuseln geschäftig umher und im Weißen Salon sitzen zwei ältere Paare und eine kleine Familiengesellschaft inklusive übermüdetem und/oder verzogenem Kleinkind. Die aufkommende Gereiztheit atme ich gewohnt tibetisch weg (Wer jetzt keinen Tisch hat, findet keinen mehr!), helfe mir aufgrund der anderweitig beschäftigten Bedienungen selbst mit der Garderobe, bewundere das mechanische Klavier

dem seit einigen Jahren die passende klingende(!) Münze fehlt 


und lasse mich - endlich - auf den Polsterstuhl im barocken Stil sinken. Puh, hoffentlich wird das jetzt hier ein netter Abend! Es wurde.

Mobiliar und helle Tapete nehmen das Barockthema auf. Die klassisch eingedeckten Tische 

stehen auf einem hellen Teppichboden, wodurch bei mir immer die Assoziation eines Wohnzimmers entsteht. Allerdings streckt sich der Raum und neben den roten Sitzpolstern schafft viel Weiß eine heiter-festliche Atmosphäre


Viel hängt in einem solchen Familienfeier-Ambiente vom Service ab. Steif oder persönlich? Frau Rehländer im dunklen Hosenanzug ist vom Fach und ein Glücksfall. Mit einer weiteren jungen Dame agierte sie nicht nur professionell, sondern auch freundlich und sehr interessiert an den Wünschen des Gastes und der Rückmeldung. Prima.

Der durchmischte Campari Orange 

mit 5,2€ freundlich kalkuliert. Zusätzliches Leitungswasser war unproblematisch und wurde hier nicht berechnet (Eine Unsitte, jedenfalls, wenn auch andere Getränke bestellt werden.) Vielmehr bot Frau R. Zitrone dazu an.
Die welligen Klarsichthüllen in der Karte passen gar nicht zum Stil des Hauses. Das Weinangebot ist (zu) übersichtlich; ich wählte zunächst einen kräftigen (13%) Grauburgunder von Lukas Kesselring aus der Pfalz, muss also gut sein... 5,2€ für 0,2l.

Ein Menü wurde nicht angeboten, auch Tagesempfehlungen gab es keine. Im Angebot auf der ständigen Karte 3 Vorspeisen, je zweimal Fisch und Vegetarisches, dagegen fünf Fleischgerichte, schließlich zwei Desserts und immerhin eine Käseauswahl.

Ich war neugierig auf
- Zweierlei von der Petersilienwurzel mit einem confierte Forellenfilet im Kräutermantel
- Tagliatelle in Sesamöl-Citrussud mit geschmolzenem Gorgonzola, confierte Tomaten
- Gebratenes Saiblingsfilet auf Gewürzspinat, Weißweinsauce, Kartoffel-Baumkuchen
- Hirschrücken im Pumpernickel-Mantel, Preiselbeerkraut, Jus, Serviettenknödel
- Käseauswahl der Region mit Nüssen, Weintrauben sowie Feigensenf.
Ich bat um etwas kleinere Portionen, wo möglich. Das hat die Küche mustergültig umgesetzt. Der daraus folgende "Menü-Preis" für 44,5€ gewohnt günstig hier in Nord-Ost .

Zur Überbrückung der Wartezeit wurde mit kräftigem, noch leicht knusprigem Mischbrot eine schön schmackige Kräutercreme gereicht, die beste seit langem


Die eigentliche Speisenfolge startete mit einer sehr heißen Cremesuppe, die den eigentümlichen, leicht parfümierten Geschmack der Petersilienwurzel nicht verleugnete. Zweite Komponente der Knolle waren dünne krosse Chips. Auch gut, wenn ihnen auch ein Hauch von Frittiertem anzuhängen schien.
Das Forellenfilet war offenbar zunächst geräuchert, dann confiert worden. Zusammen mit der Kräuterauflage nach Art einer Salsa verde war das eine wunderbare Liaison mit der Suppe. 

Überraschender, geglückter Auftakt.

Bei den Nudeln als Zwischengang hatte ich mich aus dem vegetarischen Angebot bedient.
Die nach meinem Gusto etwas weichen Tagliatelle kamen schon mit dem verführerischen Duft geröstetem Sesams an den Tisch. 

Der italienische Blauschimmel-Käse umhüllte die Teigwaren mollig, aber nicht schwer. Auch geschmacklich wurden durch die Zitrusfrüchte schöne Akzente gesetzt. Besonders zu loben ist die Verwendung von gezupften Orangen- und roten Grapefruit-Filets. Keine spitze Säure, sondern wunderbar fruchtig-frische Noten. Dagegen wieder einmal Kirschtomaten als einfallsloser Farbtupfer in der Salatbeilage. Eine unnötige, weil eben auch eher säuerliche Komponente. Immerhin, die Hälften sind ja groß genug, sie liegen zu lassen. Ansonsten fein gemacht, nur ein Hauch Schärfe wäre noch eine Verbesserung gewesen.

Der folgende Fischgang konnte dieses Niveau nicht ganz halten.
Das auf der Haut gebratene Filet vom regionalen Gehlsbach-Saibling sah köstlich aus 

und war geschmacklich fein. Leider für meinen Geschmack etwas zu lange gegart, ohne jetzt komplett trocken gewesen zu sein. Ganz pfiffig der Kartoffelbaumkuchen

Dünne Schichten von Pürree wurden gegrillt (scheinbar im Waffeleisen o.ä.), dann kam die nächste Lage drauf usw. Das sah in der Tat wie die bekannte Konditoren-Spezialität aus. Leider schmeckte die Masse nur noch wenig nach Kartoffel, war aber umso salziger. 
Enttäuschend waren auch die Gemüse. Beim Würzspinat war der Namensgeber nicht erkennbar, es dominierten zu viele salzige Kapern. Auch die Karotten hatten keinen Eigengeschmack, waren aber von penetranter Süße. Fehlende Produktqualität durch Aromen auszugleichen, geht meist schief. Auch die übliche Verdächtige war natürlich anwesend...

Zum Wildgang hoffte ich wieder auf Steigerung und wechselte auf die bekannte Black-Print-Cuvée von Markus Schneider (7,5€/0,2l).

Zuvor gab es auf gesonderte Bestellung hin noch ein mild-cremiges Pflaumensorbet (4,5€), das durch durch Passionsfrucht-Kerne erfrischend aufgepeppt wurde

Gut gemacht.
Die als Deko fungierende, zu dieser Jahreszeit harte und geschmacklose Überseepflaume war mehr als flüssig.

Bis hierhin überwogen die positiven Eindrücke. Aber ein paar Schwächen gab’s ja auch.
Der Fleischgang sollte wohl die Entscheidung zwischen Zufriedenheit oder Enttäuschung bringen.
Das Hirschmedaillon wurde etwas soldatisch präsentiert. Gestiefelt mit einem runden Bett aus Blaukraut mittig der Befehlshaber des Tellers, drüber ein ordentliches Barrett aus Brotcrumble. Als Adjutanten standen an den Seiten in Hab-Acht-Stellung angebratene Knödelscheiben, an denen die Johannisbeeren wie Epauletten herunterhingen. Präsentiert die Brotchips!

Da hatte sich jemand viel Mühe gegeben (und die jungen Wilden aus Berlin-Mitte und deren Publikum sind gaaaaanz weit weg). Und das ist ohne Wenn und Aber anzuerkennen!
Aber entscheidend ist auf´m Teller...

Mit dem Anschnitt war die Schlacht entschieden: Sieg auf der ganzen Linie!
Das aromatische Fleisch aus lokaler Jagd mürbe, aber überaus saftig


Auf den leisesten Druck der Gabel quoll der Fleischsaft aus den Poren. Yes!
Der Rotkohl nicht verkocht, nicht zu hart. Deutliche Zimtnoten und Preiselbeeren auch eingearbeitet. Toll ebenfalls der lockere Knödel mit gutem Röstton und kräftigem Kümmel, kannte ich so nicht.
Pumpernickel geschmacklich zu Wild eine Bank, aber mit den klebrigen, festen Körnern in den Backenzähnen werde ich mich in diesem Leben nicht mehr anfreunden.
Rundum gelungener Hauptgang mit überragender Produktqualität, handwerklich sehr sauber und mit guten Ideen. Bravo!

Dementsprechend geizte ich nicht mit Lob, als der junge Chef Daniel Wendt den abschließenden Käse servierte und aufmerksam die Anregungen aufnahm. Aber auch seine Ideen sachlich verteidigte. So soll es sein. Und in der Tat kann der Spagat zwischen den Erwartungen einer konservativ-bürgerlichen Gästeschaft und den eigenen kreativen Ideen nur vorsichtig gewagt werden. Daran gemessen, hat Herr Wendt hier schon viel richtig gemacht.

Was auch für den letzten Gang galt, bei dem entgegen der Karte nicht Regionales serviert wurde (Oder gar das Käse-Einerlei des morgendlichen Hotel-Buffets - auch schon erlebt, so eine Unverfrorenheit!), sondern österreichischer Weinkäse aus Heumilch. Dazu Feigensenf und verschiedene Nusskerne, die geröstet und noch warm aus der Pfanne kamen


Fein. Beim nächsten Mal noch mit Puderzucker karamellisieren und eine weitere Stufe wäre erreicht.

Aber auch so habe ich mich in der Prinzenstube sehr wohl gefühlt und spreche gern eine Empfehlung aus.

Schnell durch den Nebel zurück in meinen Little inn of horrors, zu dessen - sehr gutem - Frühstück sich am nächsten Tag auch nur drei Gäste mehr oder weniger lebendig einfanden.
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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