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GastroGuide-User: Ehemalige User
Ehemalige User hat Altes Jagdhaus in 30519 Hannover bewertet.
vor 10 Jahren
"Ein First-Class-Abend , ganz exklusiv, nur mit dem Sternekoch a.d. und Freunden allein"
Verifiziert

Geschrieben am 11.10.2015
Es existiert eine neue Bewertung von diesem User zu Altes Jagdhaus
Besucht am 04.10.2015
Am vergangenen Sonntag hatte ryanair Hochzeitstag. Da sollte es mal etwas Ordentliches sein. Wenn er allein ist, macht er ja die gewagtesten Experimente (ali Baba etc.). Die wollte er aber seiner Frau nicht zumuten.

Schon beim letzten gemeinsamen Essen im Beef and Reef verabredeten wir uns, das alte Jagdhaus am Walde in der Nähe des größten Hannoverschen Stadtfriedhofs wieder einmal aufzusuchen.
Herr Stern steht übrigens nicht in Verdacht, an der Auslastung des Friedhofes nennenswert beteiligt zu sein. Er wählt seine Pilze mit großer Vorsicht und serviert keine Kugelfische. Nicht einmal am Selbstmord mit Messer und Gabel macht er sich mitschuldig. Vom Ergänzen meiner nach seiner Ansicht gut sättigenden Bestellung um einen gewaltigen Bärenkrebsschwanz riet er mir eindringlich ab. Das ist eine Selbstlosigkeit, die man selten findet.

Wie immer war die Begrüßung extrem herzlich, natürlich in der ihm eigenen Art. Wäre er Italiener, wäre es sehr laut geworden.

Zum Ambiente ist wohl schon genug geschrieben worden. Das ganze Sammelsurium aus langer Gastrotradition von Vater und Sohn wirkt hier stimmig, nicht ohne einen Hauch von Albernheit und perfekt zum alten Laveshaus passend. Frische Blumen in jedem Fenster (über Nacht im Kühlschrank, somit recht langlebig), silberne filigrane Skulpturen von Krebsen und anderen vielbeinigen Tieren,  ein Straußenei, eine Tischlampe mit historischem Feinporzellanschirm, zwei große Plüschgorillas und eine lebendige Katze (außerhalb des Gastraums) u.v.a.m. Insgesamt gibt es deutlich weniger Edelstahl als Silber in diesem Haus. Das Putzen ist bestimmt sehr zeitraubend.

Bei unserem letzten Besuch war es rappelvoll. Diesmal hatten wir 2/3 des Abends Herrn Stern und sein Haus ganz für uns allein. Er war somit stets gesprächsbereit, was wir weidlich ausnutzten und wirkte in keiner Weise betrübt. Er sagte, die Verschnaufpause tue einmal ganz gut.

Im Folgenden wird viel davon glatt gebügelt, dass ich Herrn Stern für den nettesten und sympathischsten Gastro-Profi halte, den ich kenne.
 
Wir eröffneten wieder mit Winzersekt brut in beschlagenen Flöten.

Das Standard Amuse gueule aus zweifarbigen rohen Möhrenstiften, Butter und Brot war heute wegen des Sonntags geprägt von frisch aufgebackenem Brot und besonders glücklich eingekauften extrem süßen Möhren.

Ich wählte das Entenleberparfait und danach die große Roulade.
 
Das Parfait war einfach nur perfekt, seine Cumberlandsoße ein Traum.  Die knackigen Blattsalate hatten eine Beigabe, die aussah wie aus der Molekularküche. Es waren Tomaten in einem Größenverhältnis wie Kabeljauzunge zu Rinderzunge. Die sollen sehr arbeitsintensiv sein.

Die folgende Roulade hatte - wie angekündigt - recht gewaltige Ausmaße und war perfekt nach Großmutters Art gefüllt, also mit Gewürzgurke, Zwiebel, Möhre und Senf. Die ist und bleibt m.E. einfach die beste Zubereitung.  Die Soße (mit Reserve im Deckelsilberkännchen) war ebenfalls ganz oben auf der Qualitätsskala. Etwas weniger angetan war ich von den Gemüsebeilagen. Offanbar kann Herr Stern sich nicht ganz der Mode verschleißen, Gemüse nur blanchiert und damit extrem geschmacksarm auf die Teller zu bringen.  Da nützt es auch nichts, wenn das Wasserbad als dry aged Wagyu-Brühe anfertigt. Einziger Lichtblick war eine Scheibe einer Violetta-Kartoffel (einer durchaus schmackhaften Sorte). Wer Violetta kaufen kann, müsste eigentlich auch Bamberger Krumniere, Pnk Fir Apple oder La Ratte bekommen, deren Einsatz ich in der Spitzengastronomie schmerzlich vermisse. Der Löffel-Kartoffel-Erbspüree war da ein sehr schwacher Ersatz. Vor vierzig Jahren gab es von Iglo einmal ein Produkt, dass man mit Genuss roh essen konnte, die Perlerbsen. Sie waren ca.50% teuerer als die so genannten jungen Erbsen und wurden somit zu wenig gekauft. Infolgedessen gab es sie nur ungefähr zwei Jahre. Mehlige Erbsen brauchen eine sahnige Soße, um gut zu schmecken. Ein einziges gut zubereitetes Gemüse ist mir viel lieber als die volle Breitseite Vollwertgemüse. Das klappt aber wohl inzwischen nur noch in der Spargelsaison.

Mein Dessert, ein Schokoladenküchlein mit Fruchtmark war wiederum untadelig.

Bei den Weinen blieben wir diesmal bescheidener. Zu Beginn wählten wir den Stern-Hauswein, einen Rivaner 2014 aus Baden von Johner. Leider bin ich ein wenig überempfindlich bei den Sulfiten. Die waren bei sonst guter Qualität des Weines für mich übermäßig präsent. Beim folgenden Rotwein (Hand in Hand von Meyer-Näkel & Klumpp, ein interessantes Spätburgunder-Cuvee aus Ahr und Baden) war davon nichts zu spüren. Er schmeckte einfach gut.

Ausnahmsweise besuchte ich diesmal die Toilette. Dort tut eine wahre Höllenmaschine in Form eines Design-Handtrockners von Dyson ihren Dienst, ein extrem teures Produkt und sehr beeindruckender Orkan ohne sichtbaren Luftaustritt. An der Sauberkeit gab es selbstverständlich nichts zu bemängeln.

Insgesamt war es wohl der bisher schönste Abend im alten Jagdhaus. Die angenehme Unterhaltung mit ryanair und seiner Frau, das Alleinsein-Privileg mit extremer Zuwendung durch den Küchen-Design-Service-Buchhaltungs-Einkaufs-Chef ließ die Zeit unmerklich vergehen, und das war eine ganze Menge, weil ryanair sich einen Zwischengang nicht verkneifen konnte

Bezahlt haben wir 345 Euro für uns vier. Glas Sekt/0,75 Mineralwasser je 6.-, Suppen und Desserts je 10.-,  große Vorspeisen je 16.-, Hirschkalbsrücken je 36.-, große Roulade 28.-, Wein 27.- bzw. 34.-

Nach Küchenreise natürlich unbedingt die 5 = auf jeden Fall wieder
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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