Zurück zu Restaurant Fine Dining &Restaurant Mulberry by Phillip Probst
GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Restaurant Fine Dining &Restaurant Mulberry by Phillip Probst in 27568 Bremerhaven bewertet.
vor 6 Stunden
"Feine Küche am Alten Hafen"

Geschrieben am 28.06.2025 | Aktualisiert am 28.06.2025
Besucht am 23.04.2025 Besuchszeit: Abendessen 2 Personen
Zum Geburtstag bekommt man hierzulande Geschenke. Und die liebsten Gäste werden eingeladen. Eine sehr schöne Tradition. Zu einem besonderen Ehrentag hatte mich meine Frau also in ein sehr schönes Zimmer in einem sehr schönen Hotel am sehr schönen Alten Hafen in Bremerhaven eingeladen. Und sie ließ noch ein Abendessen im Fine Dining Restaurant des Hauses springen. Sehr schön. Und sehr spannend, denn bei unseren Erstbesuchen vor einigen Jahren hatte Küchenchef Phillip Probst, der einst in Daun mit nur 32 Jahren einen Michelinstern erkochte, einen klaren Fokus auf die Region gesetzt. Mich erinnerten besonders die Produkte von den Salzwiesen stark an Johannes King und Jan-Philipp Berner aus dem Söl‘ring Hof. Das versprach Entwicklungspotential und so war ich nicht verwundert, dass Probst auch gar nicht mit seinen Ambitionen auf ähnliche Weihen für Bremerhaven hinter dem Berg hält.

An diesem Mittwochabend waren wir lange Zeit die einzigen Gäste im Fine-Dining-Bereich, der ähnlich dem legeren Frühstück- und Abendrestaurant gestaltet, von diesem aber durch eine große Glaswand abgetrennt ist. Die hohe Decke, viel Glas nach außen und innen, der aufwändig gestaltete Fliesenboden und auch leiser Cool Jazz vermittelten (mir) dann auch eine eher kühle Atmosphäre, erst recht, wenn nur ganz wenige Tische besetzt sind. 


Im Gegenteil dazu war der Service engagiert und freundlich, wobei eine Kraft vermutlich erst sehr kurz im Hause schien, was die gelegentliche Unsicherheit erklären könnte. Dafür war ihr Kollege umso offener und freute sich über unsere Rückmeldungen und Fragen.

Es wird ein bis zu 8-gängiges Menü (vegetarisch oder omnivor) angeboten; man kann jedoch ab vier Tellern starten. Die Preise dafür reichen von 110 bis 175 Euro; Ich verzichtete nur auf das Dessert, was leicht fiel, da erfreulicherweise ein Käsewagen mit Ware von Affineur Waltmann vorgehalten wird. Dafür war ich mit 161€ Euro dabei, was sich angesichts von Produkten, Qualität und Handwerk als angemessen erwies. Die Getränkebegleitung unterscheidet preislich nicht zwischen Weinliebhabern und Autofahrer und lag für meine sieben Gänge bei 89€, auch noch okay. Da mir das Weinangebot noch deutlich ausbaufähig erschien, wählte ich neugierig die alkoholfreie Variante. Immerhin drohte am nächsten Morgen ein geschäftlicher Termin, der aus Zeitgründen im Hotel stattfinden musste.

Freundlicherweise machte uns der Küchenchef seine Aufwartung und auch Hoteldirektor Christian von Rumohr gratulierte meiner Frau zum Geburtstag. Das war nett, denn im Vorfeld hatte es um meinen Folgetermin zunächst Probleme gegeben, die dann aber schnell in meinem Sinne aufgelöst wurden. Nach meiner Erfahrung typisch für das Liberty; Gastorientierung nicht nur als Schlagwort im Hochglanzprospekt.

Beim Smalltalk war natürlich die bevorstehende Sterne-Verleihung des Guide Michelin ein Thema; warten die Gourmets im kleinsten Bundesland doch sehnsüchtig auf einen Fixpunkt in der Heimat. Ob sich, wenn er denn verliehen wird, auch genügend von ihnen finden, die entsprechenden Menüpreise zu bezahlen, steht auf einem anderen Blatt. Wir waren jedenfalls  gespannt auf die Leistungen des edlen „Hafenrestaurants“.

Während ich noch an einem Negroni nippte, eröffnete die Küche den umfangreichen Reigen der Grüße nordisch-frisch. 
Auf der Basis eines mit Portulak aromatisierten Baisers ruhte ein Streifen geräucherte Lachsforelle mit ihrem Kaviar und Passionsfrucht-Gelee. 

Geschickt zwischen Süße und Salzigkeit changierte ein fruchtig lackiertes Krustentier-Bällchen auf  Papaya-Fenchel-Tartelette und einem Parmesan-Chip. Auch das Texturenspiel gefiel. 

Ein wenig massig fiel dagegen das mit Pilzragout gefüllte Kräuter-Tartelette aus, dessen Deckel aus Consommé-Gelee geformt war. Während sich die „Erdigkeit“ gut entwickelte, fehlte mir etwas Salz. Dafür optisch natürlich ein Schmuckstück! 

Perfekter Abschluss dann die pochierte Auster mit dunklen Brotbröseln, salzigen Salicornes und einer angenehm scharfen Senf-Beurre-Blanc! Etwas Blattgold sollte wohl das Edle des Produktes betonen. 

Hoch zufrieden mit dem Auftakt freuten wir uns am knusprigen Sauerteigbrot und waren gebührend beeindruckt, dass die Butter hier im Haus selbst aus Rahm geschlagen wird.

Bevor das Menü startete, kam das Team um Phillip Probst mit einem aufwändigen Amuse auf das Thema Waldpilz zurück: Kartoffel-Pilz-Schaum bildete die schmackige Basis für knusprige Fenchel-Quinoa-Erde und fein geschmorter Schwarzwurzel, die von mit Madeira-Sauce betupftem, italienischem Sommertrüffel bedeckt war. Ein sehr hübsch anzuschauendes Ensemble, das geschmacklich mit Süße und Erdigkeit überzeugen konnte. 

Vielleicht etwas aus der Jahreszeit gefallen und an diesem frühen Punkt des Abends schon recht gehaltvoll.
Wir befürchteten „Schlimmes“ für den kommenden Sättigungsgrad… 

Umso mehr genossen wir den sehr eleganten Auftakt des Menüs rund um Hummer:
Nur leicht gegartes, intensiv schmeckendes Fleisch in dünnen Scheiben wurde mit eingelegter Sharon kombiniert, die die Süße des Meeresritters mehr variierte als durch viel Säure einen Kontrast zu setzen. Dafür sorgte Gel von Kaki, Zitrusfrucht (Yuzu?) und Piment d‘Espelette, der auch der separaten gereichten fluffigen Sabayon eine angenehm pikante Note verlieh. Die angegossene Essenz schließlich unterstützte das typischen Krustentier-Aroma, während der gerollte Fenchel-Croissant nicht nur Abwechslung in die Textur brachte. Vorwitzige Sharon-Hummer auf der Tellerfahne brachten uns zum Schmunzeln.



Mit diesem eher süßen Geschmacksbild überraschte Probst uns auf das angenehmste; stehen doch sonst eher „frische“ Teller am Beginn der Menüs. Sehr stark und absolut auf Sterne-Kurs.

Mit dem folgenden Nordsee-Kabeljau blieb die Küche dem Meer treu, brachte aber einen echten Frühlingsteller an den Start, wofür neben Kohlrabi auch Bärlauch und Sauerampfer sorgten.
Der wunderbare Fisch wurde in drei Varianten präsentiert: Confiert auf einem Getreiderisotto, das für etwas Rustikalität sorgte, Stockfisch in der Brandade-Füllung der Kohlrabi-Dumblings und als besondere Delikatesse seine Zunge in Bierteig ausgebacken. Die Zungen kommen manchmal mit dem Skrei auf den Markt, aber meistens essen die Norweger den guten Stoff selber; schlaue Wikinger halt.
Ausgestochene fermentierte Kohlrabi-„Blüten“ konnten Knack und leichte Säure beitragen, während der Bärlauch mit echten Blüten und vermutlich zusammen mit Schnittlauch in einer am Tisch angegossenen Beurre Blanc verarbeitet war. Noch besser gefiel mir, dass die Grüne-Genuss-Fraktion prominent durch Texturen des Frühlingsboten Sauerampfer in Form von Blatt, Stängel und Geltupfern vertreten war. Passte sich mit seiner eigenen, aber sehr interessanten, würzigen Note in das Gesamtbild ein. 

Ein Teller, der nur auf den ersten Blick „einfacher“ schien, aber kompositorisch das Niveau halten konnte.

Überraschten zu Beginn Sharon und Fenchel und im Folgegang der Sauerampfer, übernahmen diesen Part nun „Sprossen vom japanischen Knöterich“, die ich zuvor (bewusst) noch nie, und sicherlich nie als Begleitung zu Kalbsbries gegessen hatte. 
Von der Konsistenz und dem Aussehen an grünen Spargel erinnernd, harmonierte der leicht säuerliche Geschmack gut mit der Süße frischer Erbsen, während eine Nussbutter-Hollandaise als Verbinder zum auf den Punkt gebratenen, keinen Deut matschigen Bries fungierte. Das Kartoffelnest knusperte natürlich, was mich immer abholt. Auch der Gedanke junger Kartoffeln war durchaus nachvollziehbar. Trotzdem empfand ich hier eine fehlende Kreativität, vielleicht weil die knackigen Sprossen die weitere, zudem nur sehr kurz knusprige Komponente nicht zwingend erscheinen ließen. Oder wegen der klaren optischen Zweiteilung auf dem Teller, die keine echte „Verbindung“ herstellte. 

Das zu kritisieren, zeigt aber schon, wie sehr uns Phillip Probst im Übrigen bis dahin überzeugt hatte. 

Der nächste Gang wurde mit einem kleinen Augenzwinkern als Blumenkohl „polnisch“ angekündigt und enthielt neben „dem einen und anderen“ auch die klassischen Zutaten Ei, Brösel und Buttersauce.
Aber war natürlich eine Luxusvariante zum Augenschließen und Lippenlecken.
Der exakt gedämpfte, mit etwas Butter überzogene Karfiol ruhte auf einem Bett von knusprigen Bröseln aus Kartoffelteig und gestocktem (DEMETER)-Eiweiß. Gekrönt war der heimliche Star der Gemüseküche mit einem Ring aus Sauerteig-Brioche, der seinerseits stark geröstete Kohlröschen, frittierte Zwiebeln und Kapernblüte, wachsweiches Eigelb, Forellenkaviar und Blüten trug. Aber noch war die Küche nicht am Ende bei diesem verschwenderischen Teller: Eine weitere Beurre Blanc mit Imperial Gold Kaviar wurde in den Ring gegossen und lief von dort aus über den Blumenkohl, so lecker, dass mir gerade beim Schreiben auch wieder der sprichwörtliche Zahn tropft. 

Mit dem folgenden Gang zog die Küche aromatisch die Zügel an: 
Gegrillter Räucheraal wurde mit ofengeschmorter Roter Bete und fruchtigen Blaubeeren in Texturen und Meerrettich mit „Wumms“ kombiniert. Das war umami, süß, bitter und scharf, zu 100% passend kombiniert und geschmacklich sehr stark. „Spielereien“ wie die Gräserlandschaft aus gepresster Asche der Beteblätter hätte ich gar nicht gebraucht. 

Aber Hübsches fürs Auge schadet ja nicht. 

Als Fleischgang gab es Rücken von ostfriesischem Osterlamm, vorbildlich angebraten und sousvide rosa gegart, ohne dass die Faserstruktur verloren gegangen wäre. Halt ein leckeres Stück Lammfleisch und großzügig portioniert. Tatsächlich sind es ja die Beilagen, die beim Hauptgang den Unterschied machen. Hier „feuerte“ die Küche wieder aus allen Rohren: Grüner Spargel, lila Magnolie, Romanasalat, Ziegenkäse, Johannisbeere wurden in verschiedenen Verarbeitungen präsentiert, teilweise in gesondertem Geschirr. Das war alles handwerklich top und ermöglichte natürlich eine Vielzahl von Kombinationen und wechselndes Mundgefühl. Schön z.B. die Tartelette mit Käse und Johannisbeere, deren Säure vom Umami der Jus abgelöst wurde bis sich die grüne Note des Spargels bemerkbar machte. Auch der Chip mit Spargelstaub überzeugte. Sehr gut der Salat, der recht puristisch auf Frische und die Ätherik der eingelegten Magnolienblüte setzte, um der Schwere des Fleischgerichts mehr als die übliche Fruchtsäure entgegen zu setzen. 



Das Lob für den Salat weist aber auf die einzige Problematik des Ganges hin: Er wollte zu viel und glitt damit in eine Leistungsschau der Küche ab. Das passte schon alles, aber in der Menge arbeitete ich mehr ab, als dass ich es im Einzelnen hätte genussvoll würdigen können. Das mag auch am Zeitpunkt oder der Größe der Portion gelegen haben, aber weniger Komponenten in gleicher Qualität und Kreativität wären wohl mehr gewesen.

Mit dem Pre-Dessert ging es auf die Zielgerade:
Am Boden ein Ragout von Vanille-Karotten mit Ingwer mit einem schönen Spiel aus Schärfe und Süße meiner Lieblingskombination, darauf Eis von schwarzem Sesam als sehr prägnantem Gegenspieler und getoppt von einem kräftig geflämmten Ingwerbaiser mit Streifen von Lila Karotte, vielleicht in Balsamico mariniert. Wie es sein soll, nicht zu viel Süße, spannende Temperatur-Kontraste und interessante Aromen. Hat mir sehr gut gefallen

Auf das Rhabarber-Waldmeister-Zitronenmelissen-Dessert verzichtete ich trotzdem zugunsten einer schön gereiften und temperierten Käseauswahl von Affineur Waldmann. Von den Begleitungen naschten wir aus „Kapazitätsgründen“ nur noch sehr eingeschränkt. 

Und die alkoholfreie Getränkebegleitung?
War teilweise schon interessant, hatte aber noch Luft noch oben.
Es gab zu
Hummer: Jörg Geiger Cuvée Nr. 8 mit deutlicher Stachelbeernote
Kabeljau: Virgin Mojito mit herbem Grüntee
Kalbsbries: Holunder-Bitter-Spritz, der gut mit der Beurre blanc harmonierte
Blumenkohl: Maracuja-Bitter. Die prononcierte Säure als Pairing habe ich nicht verstanden. 
Aal: Jörg Geiger „Bio-Rot“. Den zur Roten Bete dagegen schon.
(Kleiner Erfrischer vor dem Fleischgang: Verbene-Tee, Zitrone, Limette, Honig aus der Region. Hat funktioniert.)
Lammrücken: Holunderbeere, Kirsch, Vanille, Anis, Nelke. Passte natürlich zum Lamm, aber die herbstlich-schweren Aromen deckten die angenehm leichter Beilagen zu.
Eigentlich zum Rhabarber-Dessert kombiniert: Roibusch-Tee, Vanille, Orangenrinde, Maracuja, Honig. Das hätte vermutlich gut gematcht; zum Käse etwas zu leicht, was ja nicht die „Schuld“ des Hauses ist. Eher schon, dass keine ernst zu nehmende Süßweine als Begleitung zum Käse angeboten werden.

Nachtrag: Der Michelin-Stern ging auch in diesem Jahr an Bremen und Bremerhaven vorbei. Ich rate mal, dass die opulente, teilweise kleinteilige Küche derzeit nicht en vogue ist. Der Trend ging bei den Einsterner eher zu „lässigeren“ Konzepten. Und in der Tat, die klare Handschrift der Anfangszeit ist Phillip Probst etwas verloren gegangen. Nun gut, Direktor von Rumohr versicherte für diesen Fall schon mal: „Wir gehen unseren Weg weiter.“ Wir sind gern dabei. Und klarer Kurs lässt sich auch im Alten Hafen wieder anlegen. 
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


Pepperoni und 3 andere finden diese Bewertung hilfreich.

NoTeaForMe und 3 andere finden diese Bewertung gut geschrieben.