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Auch ich durfte im Januar 2019 ein familiäres Treffen in Hamburg mit einem Abend hier krönen.
Das es sich dabei nicht um ein „übliches“ Abendessen handeln wird, dass sollte jedem schon beim Reservierungsprozess klar werden, bei dem man, ähnlich einer Veranstaltung, bereits im Voraus „Tickets“ erwirbt.
Doch genau dieses „Neue“ bzw. „Andere“ macht den Reiz gerade aus. Das System der vorbezahlten „Tickets“ und die Carte blanche schüren somit aber nicht nur die Hoffnung, sondern in großem Maße auch die Erwartung an ein kleinen „Events“ außerhalb eines „üblichen Dinners“. Soviel sei bereits vorweggenommen: Diese Erwartung hatte das Team des 100/200 für uns auch voll erfüllen können.
Neben dem Ausblick auf Elbe und Elbbrücken macht auch das, was sich innerhalb des Restaurant abspielt, einiges her. Hier kann man nicht nur wie in vielen anderen Restaurants durch eine Glaswand in eine abgeriegelte Küche lucken. Gekocht wird im "100/200" direkt im Zentrum des Speiseraumes. Das geht mit all den herrlichen Geräuschen und der (positiven und nicht hektischen) Wuselei einher, die eben zu dieser Koch-Leidenschaft dazugehören. Für mich eine tolle und interessante Atmosphäre, die auch einen kurzweiligen Zeitvertreib ermöglicht.
Nur eine einzige Sache würde ich noch als Verbesserungsvorschlag anbringen: auch wenn die Musikauswahl gut war, war die Lautstärke stellenweise doch etwas zu hoch eingestellt bzw. schwankend und störte die Gespräche ein wenig.
Mit dem kulinarischen Konzept des 100/200 kann ich persönlich mich sehr identifizieren: Regionalität und die Verarbeitung von Lebensmitteln zur Gänze sollten auch im Allgemeinen ein viel mehr geschätztes Gut sein. Gleichzeitig fördert und fordert solch ein Ansatz auch kulinarische Kreativität und Kombinationslust bei den Gerichten, die sich aus dem aktuell eben vorliegenden Zutaten zusammenstellen lassen.
Auch der Service darf natürlich nicht unerwähnt bleiben. Der Empfang wurde bereits erfrischend persönlich gestaltet. Es wurden das Konzept und die Location erklärt und gleich nach einem Aperitif gefragt. Auch im weiteren Verlauf wurde alle Gänge, natürlich teilweise auch durch die Köche persönlich, detailliert und informativ vorgestellt und nicht nur einfach stumm „serviert“.
Über den ganzen Abend hinweg strahlte das Serviceteam diese angenehme und persönliche Atmosphäre aus.
Lediglich bei Thomas Imbusch, Initiator und Küchenchef des "100/200", muss man wohl manchmal Glück haben, ob er einen guten oder weniger guten Tag erwischt hat. Als er uns einen Gang persönlich servierte, war er nämlich der Einzige, der tatsächlich nur etwas wortkarg dessen Name nannte.
In den Wintermonaten unseres Besuches stand die Küche unter dem Motto "Wasser und Salz", womit Produkte aus den Gewässern, sowie Eingemachtes und Fermentiertes im Vordergrund standen.
Eine feste Menükarte gibt es, wenig überraschend, nicht, denn die Gerichte richten sich eben immer danach, was das aktuelle Angebot der Erzeuger vor Ort in geeigneter Qualität bereithält.
So wurden an diesem Abend für uns Produkte wie Goldforelle, Stör, Dill, Sanddorn, Kohl, Parmesan oder Wasserbüffel in vielfältiger Art und Weise zu den Hauptakteuren.
Jedes Menü im "100/200" startet dabei immer direkt am Pass der Küche mit einem Aperos-Quintett, welches alle 5 Geschmacksrichtungen ansprechen und so bereits stimulieren soll.
Süß wird auf eine herzhaft anmutende Art und Weise durch einen Zwiebel-Honig-Macaron mit Roscoffzwiebeln in Szene gesetzt.
Sauer ergibt sich durch den Einsatz vom charakteristischen Sanddorn und auch Stechapfel auf einem Nori-Algen-Macaron.
Salzig versteht sich auf das Salz des Meeres, welche durch eine frische Auster verkörpert wurde, welcher mit Speck und Kimchi treffliche Begleiter an die Seite gestellt wurden.
Bittere Geschmacksknospen wurden mit einer von mir geliebten Olive mit Chicorée und etwas Albedo (das Weiße unter der Schale der Zitrone) stimuliert.
Zu guter Letzt kam natürlich auch der "Wohlgeschmack" in Form einer intensiven Parmesan-Brühe voll zum Zuge (toll, dass man diesen Glutamat-Kick ja auch ganz ohne Fleisch so erzeugen kann). Leider habe ich hiervon kein Bild mehr gefunden, aber es sah halt auch nur wie eine klare Brühe aus. ;-)
Am Platz wurde zunächst ein perfekt fluffiges, noch warmes und gleichzeitig rösches hausgemachtes Brot mit einer cremig aufgeschlagenen Butter gereicht, die das Qualitätsbewusstsein der Küchencrew noch einmal unterstreicht.
Die "Wasser und Salz"-Reise begann anschließend mit Goldforelle in Form eines Tatars vom Bauch in einem Grapefruit-Sud.
A part wurde ein Knäckebrot-Chip mit Molken-Eis und Sardelle gereicht, welcher geschmacklich für mich sogar noch interessanter als der Hauptteller war, da hier Molken-Süße und Sardellen-Salzigkeit ebenso toll harmonierter wie das Spiel aus kühlem, cremigem Eis und Knäckebrot-Crunch.
Nach dem Tatar beglückte die Goldforelle nun mit einem Filet.
Die Haut war wunderbar kross gebraten, das Fleisch natürlich trotzdem noch saftig. Nach dem Ableben durfte die Goldforelle noch einmal etwas schwimmen, wobei es hier ein intensiver Sud mit Dill-Öl war. Etwas Sauerkraut fügte die zum Fisch passende Säure und ein Parmesan-Chip zusätzlichen Crunch und Herzhaftigkeit bei.
Aus dem Wasser ging es nun an Land: Wobei der Hauptprotagonist "Wasserbüffel" die Verbindung vom Namen her doch nicht vollends kappte.
Gereicht wurde sein Fleisch als Tatar.
Begleitet wurde das exzellente Fleisch von Sanddorn- und Haselnusscreme sowie etwas Haselnussraspeln. Diese Säure und Nussigkeit passten dabei hervorragend und setzten ganz neue Geschmacksakzente.
Ebenso sollte auch der dazu gereichte Kartoffel-Parmesan-Rösti mit Zwiebel nicht unerwähnt bleiben, der einfach nur eine Freude an warmer Herzhaftigkeit war.
Doch sogleich ging es vom Land wieder in die Gewässer, wobei nun der Stör seinen Auftritt hatte.
Im ersten Teil wurde er in einer Kartoffelbrandade verarbeitet.
Die geschmeidige Brandade wurde durch krosse Kartoffelwürfel trefflich textuell ergänzt. Auch geschmacklich waren erdige rote Bete, salziger Stör-Kaviar und Walnusscreme gut gewählte Begleiter. Einzig ging er Geschmack des Fisches in dieser geschmacksstarken Kombination dann doch sehr unter, was den Genuss aber nicht wirklich schmälerte.
Im Hauptgang zeigte der Stör dann ebenfalls sein Filet her.
Auch dieses war natürlich wieder wunderbar glasig gegart. In der Einfassung mit Champignonscheiben (in der Menükarte lustigerweise als „Champion de paris“ beschrieben ;-P) und -creme, sowie dem sehr süffigen Sud aus Kombucha-Pilzen erfuhr der Begriff Umami hier ebenfalls seinen Höhepunkt.
In den abschließenden süßen Teil leitete dann ein Nori-Algen-Macaron mit Quittenwürfel, Quitteneis, Karamell und Algenstreifen über. Das funktionierte auch richtig gut, denn die Balance aus noch herben und doch schon süßen Aromen war einfach richtig gut getroffen.
Von der abschließenden, schokoladigen "Ostfriesenschnitte" habe ich leider kein Bild mehr gefunden. Im Gegensatz zum Nori-Algen-Macaron konnte diese aber nicht wirklich überraschen und sich so auch nicht dauerhaft ins Gedächtnis brennen.
Die Küchencrew des "100/200" hat es an diesem Abend für mein Empfinden also tatsächlich geschafft, aus wenigen Grundprodukten sehr vielfältige und für sich einzigartige Gerichte zu kreieren. Diese waren mal einfach nur süffig und zum ablecken lecker, aber auf der anderen Seite auch innovativ mit dem Gewissen "oha"-Effekt.
Trotzdem ergab sich dabei immer einen ausgewogenen Wohlgeschmack der auch der exakten Zubereitung und hohen Produktqualität geschuldet war.
Für mich wirklich eine beeindruckende Leistung und Ausgereiftheit, die in der Restaurantszene viel mehr Beachtung und Verbreitung finden sollte.
In Sachen Getränken möchte ich auch die nicht-alkoholische Begleitung sehr lobend hervorhebend: von selbstgemachtem Dill-Kefir über weitere Kombinationen mit grünem Tee oder Kombucha trafen alle Varianten das Thema „Meer und Salz“ perfekt und rundeten die Gänge auch sehr gut ab.
So kann ich also nur zusammenfassen, dass dieser Abend tatsächlich die Krönung des Tages war. Dafür sorgte die optimale Kombination aus Geschmack, Qualität und einer ungezwungenen, angenehmen und vor allem herzlich-persönlichen Atmosphäre. Es war wirklich einfach etwas mal ganz Anderes, aber ebenso Besonderes. Diese Erfahrung kann ich jedem nur wärmstens empfehlen.