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GastroGuide-User: Minitar
Minitar hat Wirtshaus Lautenschlager in 70173 Stuttgart bewertet.
vor 2 Jahren
"Hätte es Karl Lautenschlager gemundet?"
Verifiziert

Geschrieben am 20.02.2023
Besucht am 19.02.2023 1 Personen Rechnungsbetrag: 17 EUR
Ein befreundetes Paar legt auf dem Weg in den Winterurlaub einen Stop-over in Stuttgart ein und verabredet sich zu einem Mittagessen mit mir. Jetzt ist Orts- und Lokalkenntnis gefragt, denn natürlich will ich originär schwäbische Küche anpreisen – nicht so einfach zwischen all den Currywurst-, Sushi- und Pizza-Destinationen. Zudem sollte das Lokal in Bahnhofsnähe liegen. Vielleicht endlich mal eine Gelegenheit, das erst 2021 eröffnete Wirtshaus Lautenschlager anzutesten, das an prominenter Stelle in gleichnamiger Straße liegt, gefühlt vielleicht 500 Meter Luftlinie vom Bahnhof entfernt (aufgrund der unsäglichen S21-Bauarbeiten ist jedoch tatsächlich ein längeren Fussmarsch zu beschreiten)

Das imposante Gebäude aus den 1930er Jahren beherbergte irgendwann noch einen Computerladen und ein Geschäft für Künstlerbedarf (wenn ich mich recht erinnere) und wurde nun aufs Allerfeinste herausgeputzt. Der Innenarchitekt hat beste Arbeit geleistet: es dominieren helle Holztöne, Grau-, Blau- und Türkisschattierungen, dazu Gelb- und Goldakzente, das alles verteilt auf mehrere Ebenen, die dennoch weitghehend barrierefrei mit Aufzügen erreicht werden können. Dass in diesen Riesenhallen plus Aussenbereich bis zu 500 Menschen Platz finden sollen, erstaunt dann aber schon.

Am Eingang werden wir sofort freundlich begrüsst und gefragt, wo wir gerne sitzen möchten. Wir entscheiden uns für einen Vierertisch am Fenster, eine halbe Etage tiefer, mit direktem Blick auf die Lautenschlagerstraße. Diese Ebene ist gut besucht, fast alle Tische sind belegt und der Geräuschpegel ist so hoch, dass wir leider auch alle Gespräche von den Nebentischen en detail mitbekommen. Bei den Speisen breche ich eine Lanze für Käsespätzle (10,90 Euro), was sich als fataler Faux Pas erweist. Die Spätzle entpuppen sich als Massenware aus dem Gastro-Großmarkt, die Röstzwiebeln sind zäh und schmecken wie totfrittiertes Heu. Einziger Trost: auf jeder Anrichte stehen ganze Kolonien von hübsch türkisfarbenen Pfeffermühlen – und wir lassen uns gleich eine zur Geschmacksverfeinerung kommen. Der Freund ordert entgegen meiner Empfehlung eine Schweinshaxe in Schwarzbiersauce (19,90 Euro), auch wenn dies eher der bayrischen Küche entstammen mag und der daneben thronende Kartoffelkloß sehr thüringerisch aussieht. Scheint aber zu schmecken. Um uns herum werden auffallend viel Burger und Fritten bestellt. Nunja, dass Portionspackungen von Ketchup und Mayo schon auf dem Tisch stehen, spricht eine eigene Sprache.

Trotz der unterschwelligen kulinarischen Enttäuschungen muss man den prompten, zuverlässigen, zugleich auch noch herzlichen Service loben. Und hier muss ziemlich was weggeschleppt werden, was man an der Bandage unseres zierlichen Servicemädels ablesen kann, die bestimmt nicht nur eine Sehnenscheidenentzündung hat. Sogar die kleine Portion Kässpätzle wird auf einer Vorlegeplatte serviert; der Haxenteller beeindruckt durch ausladende Üppigkeit. Von meinem Platz aus kann ich zufällig in die riesige Küche sehen, die multikulti besetzt und hightech ausstaffiert ist. Hier wird gefühlt im Minutentakt was rausgehauen. Bleibt nur zu hoffen, dass der Service das Essen nicht mühsam über die Treppen ins Obergeschoss balancieren muss. Einen Aufzug gibt es zwar, doch der scheint Menschen mit Handicap und Kinderwagen vorbehalten zu sein. Neugierig benutze ich ihn trotzdem, um zu den Toiletten im Untergeschoss zu gelangen. Sie sind superproper wie aus einer Putzmittelwerbung, dazu feinstens auf das Farbkonzept des ganzen Lokals abgestimmt. Und: die Papierhandtuchspender funktionieren unfallfrei und tadellos (was andernorts selten einmal vorkommt).

Zuhause recherchiere ich etwas über das Lokal und entdecke, dass es zur „Enchilada Gruppe“ gehört (naja, klingt eher nach Tacos als nach Spätzle) und eine „ausgewogenen Balance zwischen Bierstube und Restaurant“ bieten möchte. Natürlich steckt auch die hiesige Dinkelacker Brauerei mit drin. Ein ansprechendes Angebot an Weinen (hauptsächlich vom örtlichen Weingut Zaiss) und Cocktails gibt es trotzdem (letztere zur Happy Hour, die allerdings erst um 22 Uhr beginnt, vergünstigt). Lobenswert zu erwähnen ist noch die durchgehend warme Küche ab 11 Uhr am Vormittag, dazu noch an sieben Tagen in der Woche. Dieser Ausblick tröstet etwas über die heutige Enttäuschung hinweg. Aber vermutlich wäre hier auch Karl Lautenschlager (ehemaliger Stadtschultheiss und Ehrenbürger Stuttgarts) nicht ganz glücklich geworden.
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung
keine Wertung


AndiHa und 8 andere finden diese Bewertung hilfreich.

Carsten1972 und 7 andere finden diese Bewertung gut geschrieben.