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GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Borwin Hafenrestaurant in 18055 Rostock bewertet.
vor 7 Jahren
"Unerwartet ambitionierte Fischgerichte. Empfehlenswert!"
Verifiziert

Geschrieben am 30.11.2017 | Aktualisiert am 30.11.2017
Besucht am 17.09.2017 Besuchszeit: Abendessen 1 Personen Rechnungsbetrag: 108 EUR
Da es mir trotz der gut gemeinten Ratschläge aus der Community nicht gelungen war, meinen nächsten Rostock-Termin auf einen Öffnungstag des Albert&Emile oder wenigstens ;-)) des Butt zu legen, mussten Alternativen her.
Der Guide Michelin hält das Fischrestaurant Borwin - nicht nach dem Inhaber, sondern dem Ahnherr des hier einstmals regierenden Hauses benannt - direkt am Yachthafen für zumindest erwähnenswert. Die Adresse Am Strande bezeichnet zum einen die Warnow-Promenade, an der Lokal an Lokal auf Gäste wartet. Zum anderen allerdings auch die hinter den Gebäuden gelegene Ausfallstraße, die vierspurig die Altstadt mit tödlicher Sicherheit vom Hafen trennt. Wobei das fast wörtlich wurde, denn in der hereinbrechenden Dunkelheit hatte ich übersehen, dass auf der Hafenseite eine kleine Mauer die Straße abtrennt. Hei, da konnte der Borgfelder springen, als sich die schmale Lücke im fast steten Strom des Feierabendverkehrs bedrohlich schnell schloss. Im Ernst: Man suche sich einen sicheren Übergang, auch wenn das vom Neuen Markt her kommend einen kleinen Umweg verlangt.
Ich ließ bei ein paar Schritten im Abendlicht 

den Adrenalinspiegel wieder sinken und trat dann über den barrierefreien Zugang durch einen heimelig beleuchteten hölzernen Wintergarten ein.

Die Hütte brannte!
Trotzdem wurde ich schnell bemerkt und von einer gestandenen weiblichen Bedienung freundlich-resolut begrüßt. So war Frau Köhler, die mich den ganzen Abend über betreute, schon bei der telefonischen Begrüßung gewesen. Da ich (deutlich) zu früh erschien, war der für mich vorgesehene Tisch mit Aussicht auf den Hafen noch besetzt. Später wurde mir noch ein Wechsel angeboten, sehr löblich. Aber inzwischen hatte ich es mir in der „guten Stube“ mit Omas Sofa, rosa Tapete, Stichen aus alten Zeiten und dem mächtigen Heizkörper schon bequem gemacht
 
Das Mobiliar ist auch hier hinten allerdings eher einfach. Überwiegend dunkles Holz, keine Decke verbirgt die mächtig abgeschabte Tischplatte und nur ein dünnes Kissen mildert die Härte der einfachen Stühle auf den hellen Dielen. Erst bekam ich ein Kissen, später zog ich auf´s Sofa um. Auf dem Tisch neben dem soliden Besteck eine Stumpenkerze und ein kleines Blumengesteck, Pfeffer- und Salzmühlen, aber auch Bio-Olivenöl und Balsamessig. Beides italienischer Provenienz, wie übrigens auch der Inhaber des Borwin!
Insgesamt ist das Ambiente für mich mit „gediegener Gasthof“ ganz gut beschrieben

Aber auch das "etwas plüschig" von Kollege Stekis würde ich unterschreiben. Der auch von ihm beschriebene Lärm aus dem vorderen Teil des Gebäudes war hier hinten nur noch gedämpft zu vernehmen, später leerte es sich sowieso schnell.

In meinem selbst gesuchten Refugium saß ich allein, aber keineswegs einsam. Im Gegenteil wurde ich von Frau Köhler herzlich und mit Freude und Enthusiasmus betreut. Immer stand mein angenehmer Aufenthalt im Vordergrund. Egal, ob es um die Platzierung des Kissens ging oder um den Wechsel der Beilagen. Mit Lebenserfahrung ausgestattet und nicht auf den Mund gefallen, sorgte sie für einen kurzweiligen Abend. Dabei auch fachlich versiert, vor der Wende noch als Küchenmeisterin ausgebildet, schlossen sich nach Erlangung der Reisefreiheit über den Balaton hinaus Stationen in Irland und Italien an. Eine wahre Perle - Bravo!

Beschwingt von soviel Freude an der eigenen Aufgabe genehmigte ich mir etwas Prickelndes und war positiv überrascht, dass Moët angeboten wurde. Zwar als Piccolo (26€), aber beim unterstellt eher geringen Umsatz an Champagner ist da für mich das Glas halb voll gewesen (wenn auch nicht sehr lange...); zudem war es mustergültig eisgekühlt.

Die leider mit welligen Plastiktaschen versehene Karte hielt kein Menü, aber neben den üblichen Verdächtigen einige Nettigkeiten bereit, so dass ich mit drei gratinierten Austern (9€) starten konnte.
Die Weichtiere waren geschmacklich zurückhaltend, dafür hatte es die Küche mit Spinat, würzigem Käse und einer überraschend leichten Hollandaise zu gut gemeint

Indes war dieser solide Auftakt deutlicher Beweis, dass die Empfehlung des Michelin durchaus berechtigt war.

Zuvor gab es reichlich Bagutte in drei Ausführungen. Leidlich ok, wenn auch schon etwas trocken. Dafür gefiel mir das mutig gewürzte Kräuterpesto gut


Der tolle Südtiroler Sauvignon Winkl von Terlan kam in den Kühler und begleitete mich fruchtig durch den weiteren Abend. Günstige 36,8€.

Der zweite Gang gefiel mir sehr gut. Die dicken Tranchen Lachsfilet hatten einen deutlichen Eigengeschmack und zusätzlich durch eine eigene Gin-Beize Würzigkeit, ohne weichlich im Biss zu sein

Der Bauchlappen war nicht abgeschnitten worden; wie erfreulich für Freunde der gesunden Omega-3 und -6-Fettsäuren. Kräftige frische Kräuter, Meerettichsahne und Brotchips rundeten diesen skandinavischen Teller (10,8€) erfreulich ab. Alles lt. Karte im Borwin selbst gemacht, woran ich keinen Zweifel habe.

Die folgende Fischsuppe 

hatte zwar mit ihrer Granat-Einlage einen gewissen nordischen Touch, aber durch die Tomatisierung des kräftigen Fonds und eine schönen Anisette-Note war Südfrankreich nicht weit. Tadellos die reichlichen Fischstücke à point. Nur Rouille fehlte mir, aber es war ja auch „Die Borwin Bouillabaisse“ angekündigt, nicht eine à la Marseille oder Sète.

Als nächsten Gang hatte ich nach längerer Zeit mal wieder in einem Restaurant Labskaus gewählt

Das Ergebnis sagte mir ebenfalls zu. Einerseits sehr klassisch mit gepökelter Rinderbrust hergestellt und somit kräftig fleischig. Andererseits wurde Bärlauch mit verarbeitet, was ich bisher nicht kannte. Es passte aber vorzüglich zu der reichlich verwandten Roten Bete, die für einen erdig-süßen Ausgleich und eine starke Färbung sorgte. Angerichtet wurde im Ring, für mich hätte es etwas fester sein können. Das Setzei war ok. Den üblichen Begleiter Bismarckhering hatte ich gleich abgewählt. Aber die wunderbare Frau Köhler bot solange Alternativen an, bis ich bei 
Spickaal meinen Widerstand aufgab. Nicht unbedingt die gewohnte Beilage, aber ein (sehr) fettes Vergnügen.
Einziger kleiner „Mangel“: Der Koch wollte etwas für‘s Auge bieten und garnierte dieses durch und durch norddeutsche Gericht mit Basilikum. Es war gut gemeint.

Das gebratene Dorschfilet als Hauptgang zerfiel wunderbar zart und saftig, hatte eine überwiegend knusprige Haut und wurde mit einem gut gemachten, nicht zu salzigen Schinkensegel serviert

Als Beilage bekam ich auf Wunsch kleine, feine Pfifferlinge mit Tomate und Lauch aus einem anderem Gericht. Der Wechsel war kein Problem. Zu meinem Bedauern war die Portionsgröße nicht meinem 5-Gang-Menü angepasst, so dass trotz der verweigerten Sättigungsbeilage mehr als die Hälfte zurück gehen musste. Was nicht nur wegen der Verschwendung eine Schande ist, sondern auch ob der besten (Dijon-)Senfsauce seit „Menschengedenken“. Natürlich selbstgemacht, wie so vieles in diesem durch und durch überzeugenden Fischrestaurant an der Warnow.
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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