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1. Das Essen ist gut. 2. Da geh ich so schnell nicht wieder hin.
Entgegen der landläufigen, gemeinhin in Fußballstadien geäußerten Annahme, ist der Bremer kein Fischkopp. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Frischfisch liegt sogar unter dem Bundesdurchschnitt. Vielleicht deshalb sind reine Fischlokale eher selten. Abgesehen von (durchaus seriösen!) besseren Fischbratküchen (Knurrhahn) und Ausflugslokalen (Lankenauer Höft, Spille) sind mir eigentlich nur zwei spezialisierte Restaurants in der Stadt geläufig: Zum einen in Bremen-Nord am Vegesacker Utkiek Nielebock's Fisch und Mee(h)r. Wer die konsequente Art des Chefs verträgt, wird mit maritimer Spitzenküche erfreut, die jeden Weg (nach Reservierung!) lohnt.
Und seit einiger Zeit das Grätenfish (ja, ja, Fish, so sophisticated ist man schon noch...), das vom Lesumdeich ins gut situierte Schwachhausen gewechselt ist, nachdem Gianni Buccini das Amarcord geschlossen hatte. Eine Entscheidung, die sich anscheinend gelohnt hat, denn am nationalen Freudentag waren fast alle Tische reserviert. So konnte uns tatsächlich nur der Zweier halb im Raum und vor der Eingangstür (davor immerhin ein schwerer Vorhang) angeboten werden. Wir entschlossen uns zu bleiben. Da die meisten anderen Gäste erst etwa eine Stunde nach uns kamen, ging es auch. Überwiegend familiäre Gruppen. Der Raum hat nach der Renovierung gewonnen und ist nicht mehr so düster. Ein neuer, moderner Thekenbereich ragt in den vormals quadratischen Gastraum der alten Kneipe hinein. Große rote Fliesen und Eichenbalken auf dem Boden passen nicht mehr so recht. Die Wände sind mit einigen Feldern heller Holzlatten gestaltet. Mehrere Palmenkübel schaffen Lebendigkeit und vermitteln südliches Flair. Was auch bitter notwendig ist, denn nach wie vor ist das Lokal mit dem großen Wintergarten offenbar nicht warm zu bekommen. Dazu passt, dass über den Lehnen der unbequemen schwarzen Holzstühle kuschelige Decken hängen. Die meisten Gäste, auch ich, nutzen diese allerdings als Polsterersatz auf Sitzfläche oder Rückenlehne. Sollte das dem Gastronom nicht zu denken geben?
Auf den schwarzen Holztischen mit Metalleinfassung liegt nur ein breiter rötlicher Läufer, darauf normales Besteck, ungestärkte weiße Stoffservietten und Weißweingläser. Als Schmuck Teelichter im Glas und gelbe Rosen.
Zum Gastraum führt eine Stufe, zu den Toiletten im Keller führt eine steile Treppe. Weniger barrierefrei geht nicht. Dafür kann der Wirt aber nichts. Einschränkungen in der Sauberkeit fielen uns nicht auf. Positiv ist zu vermerken, dass das Restaurant aktiv auf die Aktion "Restlos genießen" hinweist, also das Angebot, Reste gut verpackt mitzunehmen. Auf der zugehörigen Internetseite gibt es Tipps zur Lagerung und Weiterverwendung. Auch im Übrigen ist das Restaurant bei Regionalität und Nachhaltigkeit engagiert. Besonderheit ist das in der Karte komplett fehlende Mineralwasser. Stattdessen wird Leitungswasser ohne Berechnung serviert. Nett, nur wird für meinen Geschmack darum zuviel Brimborium gemacht, einschließlich regionaler Medienberichterstattung und eines längeren Textes auf der Karte.
Der Service wird von zwei weiblichen Kräften erledigt. Die jüngere ist etwas zurückhaltend, aber freundlich. Aufmerksam schloss sie einmal die Tür, die hinter einer Gruppe etwas offen stehen geblieben war. Ihre Kollegin war dagegen... Ja, was? Kühl? Herrisch? Distanziert? Es ist wohl so, dass manche Menschen einfach keinen Zugang zu Anderen haben, keine Beziehung zum Gast aufbauen können. Vermutlich meinen sie es nicht böse, nur sollten sie halt nicht im Service arbeiten...
Im Großen und Ganzen wurde aber professionell agiert. Die Teelichter angezündet, nach der Zufriedenheit gefragt, das Tagesangebot erklärt. Wobei... "Atlantikfische auf der Haut gebraten" ginge vielleicht doch etwas konkreter hinsichtlich der Produkte. Auf Nachfrage allerdings vollständige Auskunft. Pfeffer- und Salzmühlen aus Plastik wurden unaufgefordert gebracht, eingesetzt so, wie es gerade passte. Angesagt nur partiell, was noch zur Überraschung des Abends führen sollte.
Die Karte wird in einem festen wertigen Pappdeckel präsentiert und ist sehr klein. Das schafft Vertrauen in die Frische, schränkt aber doch recht ein. Zwei Vorspeisen, dazu eine Suppe. Vegetarisch wird aus den Beilagen zusammen gestellt. Drei Hauptspeisen einschließlich des "Tagesfangs". Dessen Unterschied zu den "Drei besonderen Empfehlungen" bleibt unklar, es sind auch drei gebratene Filets für 24€. Allerdings werden sie nacheinander serviert. Das gilt auch für die Muschelvarianten und für das Viergangmenü zu 39,8€ sowieso, das statt Dessert Espresso und Obstbrand vorsieht. Der Service macht immerhin auf die Problematik aufmerksam. Wir kombinieren schließlich die drei Empfehlungen mit einer Folge Vorspeise-Hauptgang-Kekse. Nicht Dessert, denn diese Kategorie wird nicht wirklich angeboten. Auf der Speisekarte finden sich folgerichtig unter der Überschrift "Süße Kleinigkeiten" Baisers, süße Tartufi und andere Eispralinen, die stückweise berechnet werden. Einzig eine Mousse au chocolat könnte etwas aufwändiger sein. Wir wissen es indes nicht; es scheint uns sogar unwahrscheinlich.
Die Weinkarte ist ebenfalls übersichtlich, überraschend viele Rote. Soweit ich das beurteilen kann, Durchschnitt. Immerhin ein (auch offener) Champagner für 8,9€, den ich bei diesem Überraschungsbesuch in Räuberzivil verschmähte. Stattdessen reichte eine Riesling/Kerner-Cuvée, ein einfacher Prosecco, sprich hier Perlwein aus der Pfalz, rund und eher süffig für preiswerte 4,9€ das 0,2l-Glas. Später orderte ich noch ein 0,1l-Gläschen Grauburgunder auch aus der Pfalz für 3,6€, der mir nichts gab.
Wir waren aber ja auch wegen anderer Genüsse gekommen und gespannt, ob es wohl ein Amuse gäbe. Tat es, es wurde eine gar nicht so kleine Probierportion der Fischsuppe gebracht. An einem anderen Tisch wird später Lachstartar serviert. Das hatte meine Begleiterin als Eröffnung gewählt. Die Küche wählt also konträr aus den Vorspeisen. Das ist gerade für eine kleine Küche effektiv, nimmt sich allerdings die Möglichkeit, den Gast mit einem kleinen Kunstwerk zu überraschen. Die Suppe war nach finnischer Art mit Sahne und viel Dill verfeinert. Fisch enthielt sie wenig, einen Würfel konnte ich bemerken, ansonsten viel Gemüse, das einen perfekten Garzustand hatte. Neben der kleinen Terrine fand sich ein rotes Pesto, das aber nicht vorgestellt wurde. Wir warteten daher auf etwas Brot, das aber nicht kam. In unsere Diskussion hinein rief eine Bedienung "Das können Sie in die Suppe tun!" Warum nicht gleich ein Hinweis? Es war nicht scharf, sondern kräftig tomatig, ungewohnt in der sahnigen Suppe, aber nicht schlecht.
Die Wartezeiten waren kurz, aber überhaupt nicht drängelnd. Wir hatten ja auch nicht um Pause gebeten. Meine Frau hatte ein Tartar vom schottischen label-rouge-Lachs mit vielen Zwiebelwürfelchen und kleinen Kapern sowie Kräutern, Preis 12,5€. Serviert auf einem (Bananen?)Blatt mit Tupfen von heller und grüner Mayonaise. Meine Begleitung vermutete hinter letzterer Wasabi, was auch gut zum Lachs gepasst hätte. Geschmacklich war es aber eher Basilikumpesto. Der Probierhappen war für meinen Geschmack etwas fade, insbesondere überdeckten die massenhaften mild-säuerlichen Zwiebeln und die Kapern den Fisch. Meine Frau lobte dagegen gerade die säuerlichen Aromen. Gut, dass die Geschmäcker unterschiedlich sind. Statt des angekündigten Toasts vom Grill gab es zwei etwas lieblos servierten kleinen Scheiben eines Mischbrots mit Haselnüssen. Aus meiner Sicht Industrieware.
Mein erster Gang war ein Stück Zander auf einem Stampf von Bamberger Hörnchen an zweierlei Saucen und als Topping Spinat à la Grätenfish. Der Teller war gelungen. Das dicke Filetstück noch leicht glasig und, wie auch die folgenden Gänge, kräftig angebraten. Nachgepfeffert habe ich nur sparsam, zusätzliches Salz brauchte ich gar nicht. Der Stampf trug seinen Namen zurecht und schmeckte kartoffelig, nicht buttrig. Die kleinen Spinatblätter hatten in der Pfanne (oder Ofen, knusprig waren sie aber nicht) gute Röstaromen bekommen und kamen mit fleur de sel. Eine leichte Senfsauce harmonisierte gut, das tomatisierte Pendant brachte mir nichts.
Auch der Hauptgang wurde auf beiden Seiten des Tisches goutiert. Meine Frau war mit ebenfalls pfannengebratenem schwarzem Heilbutt, Bamberger Hörnchen, karamellisierter Birne und grünen Bohnen restlos zufrieden.
Mein zweiter Teller bestand aus einem Stück Steinbeißer, erneut eine reelle Tranche, die die typische federnde Struktur des Fisches hatte. Ich mag das sehr gerne. Weiter gebraten, aber sehr saftig. Der Fisch lag auf einem sehr gelungenem, etwas zitronigem Couscous, das nach Ansage mit Spinat sein sollte. Daran glaube ich eher nicht. Wenn, nur in homöopathischen Dosen. Vielmehr Würfel von grüner und gelber Zucchini und, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, Kaiserschote. An den Seiten pittoreske Zickzackstreifen in braun und rot. Vor dem roten, selbst gemachten warnte mich der Service als "sehr scharf", so dass ich vorsichtig dosieren konnte. Halt! Stop! Falsche Richtung! So HÄTTE es laufen sollen, ja müssen. Stattdessen wurde gar nichts gesagt, so dass ich frohen Mutes meine Gabel durch den Sauce ziehen und neugierig probieren konnte. Und nur wenige Minuten später ließ das Brennen und die folgende Taubheit auch schon nach... Schade nur, dass in der Zwischenzeit die wirklich ansprechenden Aromen des Couscous gar nicht mehr und der Fisch auch nur noch schwach zu schmecken war. Meine Verärgerung teilte ich auch dem Service mit, erntete aber nur einige Blicke, die Unverständnis zeigten. Beim Abräumen fragte die ältere Bedienung, ob es denn bis auf das kleine Missgeschick geschmeckt hätte. Solange ich noch etwas schmecken konnte ja, war meine Antwort und, ob sie das Problem des scharfen Dips ohne Vorankündigung sehe? Wer viel fragt, bekommt auch Antwort... Ach, was soll die falsche Höflichkeit, hier wird frank und frei gesprochen: Jaaa, nee, also eigentlich würde sie selbst erst immer vorsichtig probieren, wenn sie was nicht kenne. Genau, dachte ich mir, wozu auf den Service hoffen? Eigentlich kann ich mir das Essen ja auch selbst holen, wenn ich nicht warten will. Und noch eigentlicher kann ich ja auch selbst kochen, wenn ich keine Überraschungen erleben will. Na, nach den verdächtig vielen guten Erfahrungen der letzten Zeit war das ja wohl mal wieder fällig...
Das letzte Drittel der Empfehlungen erwies sich als etwas dünnere Lachsschnitte wiederum auf der Haut gebraten, was ich etwas eintönig fand. Keineswegs trocken, aber leider auch nicht glasig. Da ist Luft nach oben. Dazu ein asiatisches Gemüse in einer sojabasierten Sauce. Bissfest, nicht zu hart, keine Überraschungen. Solide, aber nicht mehr.
Meine Frau wollte nicht zuschauen und ist bekanntlich ein süßer Fan. Nach der Lektüre der Karte hatte die Vorfreude schon einen Dämpfer bekommen. Sie erhielt zwei recht flache kleinere Baisers mit Haselnuss, Mandel und Vanille. Nicht irgendwie angerichtet, z. B. von etwas Sauce, Schoko oder Früchten begleitet etc. Sondern, wie für den Außer-Haus-Verkauf in einem kleinen Zellophantütchen mit Schleife aus Geschenkband und einem Anstecker mit Logo des Lokals. Nett anzuschauen, aber der Inhalt blieb eben eher eine Zugabe zum Kaffee, als ein veritabler Abschluss für Naschkatzen.
Trotzdem gab es keinen Ausfall, sondern eher Ausreißer nach oben, so dass ich zu glatten 4 Sternen komme.
Das PLV sehe ich ebenfalls als überdurchschnittlich an. Die Portionen fielen reichlich aus.
Fazit:
Gute Küche, jedenfalls, wenn man nicht die vollmundige Eigenpropaganda anlegt. Qualitativ überzeugende Produkte, in der Herstellung etwas eindimensional, vielleicht wurden die Kochtöpfe komplett für die Miesmuscheln benötigt. Übersichtliches, evtl. der beengten Küche und kleinen Mannschaft geschuldetes Angebot, wobei die Varietät der Beilagen überraschte.
Alles in allem solide, kann man machen, wenn der Appetit auf Fisch kommt. Aber vorsichtig probieren, was man nicht kennt...