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GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Zwockelsbrück in 67434 Neustadt an der Weinstraße bewertet.
vor 8 Jahren
"Feine Küche und bester Service in angenehmster Atmosphäre."
Verifiziert

Geschrieben am 22.11.2015 | Aktualisiert am 22.11.2015
Es existiert eine neue Bewertung von diesem User zu Zwockelsbrück
Besucht am 12.11.2015
Pfälzer Küche de luxe

Durch suboptimale Umstände schrumpfte die geplante Übernachtung in Neustadt auf zwei Stunden in der Mittagszeit. Dafür sind knapp 12 Stunden in der Bahn doch ein Klacks.
S
Immerhin bekam ich dadurch die erfreuliche Gelegenheit, eine kulinarische Bekanntschaft aufzufrischen. Sven Niederbremer war einst im Bremer Outer Roads und im eigenen MORO eine Bereicherung der kargen Bremer Hochküche, ehe er mit seiner südafrikanischen Frau doch nach Deutsch-Südwest ging. Also erst ins Schlössl Oberottbach in der Südpfalz, dann in Scharffs Schlossweinstube in Heidelberg, wo auch unter seiner Führung weiterhin ein Stern strahlte und seit Sommer jetzt wieder als Chef im eigenen Lokal an der Weinstraße. Vom Heidelberger Schloss begleitete ihn mit Pierre Hartung ein engagierter Gastgeber und kundiger Sommelier, wie man der Karte und seinen Empfehlungen anmerkte. Nach der freundlichen Begrüßung wird die Garderobe abgenommen und auch am Tisch ist der Service so, wie man ihn sich wünscht. Die Karten werden geöffnet überreicht, genügend Zeit zur Wahl gelassen, die Getränke nicht nur ein-, sondern auch regelmäßig nachgeschenkt. Nach der Zufriedenheit wird sich rechtzeitig, aber nicht penetrant erkundigt, Dessert und Kaffee werden angeboten. Nach Erledigung der Rechnung verabschiedeten uns die Herren persönlich.

Eine Pfälzer Weinstube gab es in dem ansehnlichen Altbau, der recht markant oberhalb des Bahnhofs liegt, wohl schon seit längerem. Jetzt ist die Bezeichnung nicht nur wegen der ambitionierten Küche eine Untertreibung. Nachdem die nicht barrierefreie Treppe erklommen wurde, empfängt der Innenraum mit behaglichem Landhauscharakter. Weiß gestrichene Türen und schöne hohe Rundbogen-Fenster, die den Blick über Bahnanlagen und die nicht sonderlich pittoreske Fußgängerzone auf die hinter der Stadt liegende Weinberge freigeben. Glatte dunkle Vorhänge setzen einen Kontrast zu den hellgelb gestrichenen Wänden, an denen viele unterschiedliche Bilder hängen. Der schöne Holzfußboden glänzt, die Sitzflächen der recht schlichten Holzstühle sind mit einem weichen taubenblauen Stoff bezogen und die hölzernen Tische haben an jeder Ecke ein gedrechseltes Bein. Warum das erwähnenswert ist? Weil man seine Füße so bequem unter den Tisch bekommt, ohne diverse Verrenkungen vorbei an modern gestylten Tischbeinen machen zu müssen. Auf den Tischen ein Mittelläufer, darauf nur eine Stumpenkerze in einem Glaszylinder, gefüllt mit etwas Kastanienähnlichem. Ansonsten ist mit Wein-und Wasserglas eingedeckt, Brotteller nebst Buttermesser, einmal Besteck und einer nur leicht gestärkten Stoffserviette. Unter dem großen Tisch, gleich hinter dem Windfang mit hübscher Bleiverglasung, liegt ein "Perserteppich". Wie eine gute (Gast)Stube, die auf eine fröhliche Gesellschaft wartet. Wohltuend.

Auch die Toiletten dem Niveau angepasst, absolut frisch und mit Stoffhandtüchern. Nur die letzte Renovierung liegt etwas zurück. Im Gastraum sowieso alles paletti.

Die handgeschriebene Speisekarte wechselt saisonal und enthält derzeit sechs Haupt- und fünf Vorspeisen sowie drei Desserts. Mittags wird zusätzlich ein Menü für sehr freundliche 16€ angeboten. Es sind aber auch alle Gerichte aus der Karte möglich. Schwerpunkt ist deutsche und regionale Küche, modernisiert und erleichtert. Davon hatten wir uns schon Ende Oktober im Norden überzeugen können, als das Duo Niederbremer/Hartung aus freundschaftlicher Verbundenheit in einem Landgasthof südlich Bremens ein 8-Gänge-Menü mit passender Weinbegleitung kredenzte.
Überrascht war ich aber, dass neben den Gerichten der neuen Heimat, auch solche der alten im Angebot waren: Lachs und Kabeljau, Miesmuscheln und Büsumer Krabben hätte ich am Rand des Pfälzer Waldes nicht erwartet. Alles übrigens vom Bremer Fischhändler des Vertrauens geliefert.
Ich entschied mich für die Kombinationen Muscheln/Chicorée, Perlhuhn/Walnuss und Herbstfrüchte/Butterkekseis. Angenehmer Weise wird der Gast mit diesen Überschriften nicht im Dunkeln gelassen, sondern es gibt vernünftige Beschreibungen der zu erwartenden Speisen. Meine Gäste entschieden sich für Garnele/Tagliatelle, Kalb/Schwarzwurzel und Hirsch/Apfel. Saisonal ist hier nicht nur Schlagwort.

Die Weinkarte ist breit gefächert mit einem Schwerpunkt auf Pfälzer Gewächsen und einem anderen auf südafrikanischen Weinen, die lt. Karte dem Team "besonders am Herzen liegen". Hier wirken sicher nicht nur familiäre Beziehungen, sondern wohl auch die Jahre von Herrn Niederbremer in der Spitzengastronomie am Kap der Guten Hoffnung. Da ich wählen durfte, für alle einen Sauvignon blanc für 34€ aus dem südafrikanischen Swartlandgebiet, der mit kräftiger Frucht aufwartete. Der 3/4 Liter Teinacher medium wurde für 5€ offeriert. Es geht, geht, geht doch!

Los ging's zunächst mit aufgeschlagenem Kräuterfrischkäse, der recht säuerlich war. Dazu dunkles Brot und ein Knäcke mit vielen Körnern, auch dieses aus hansestädtischer Produktion (Konditorei Jacobs).
Mein Miesmuschelsalat hat auf der ganzen Linie überzeugt. Mittelgroße unversehrte Muscheln, schon aus der Schale gelöst mit typischen Geschmack und nicht zu weicher Textur. Die Vinaigrette mit etwas größeren Paprikastücken (rot und gelb, noch etwas Biss, so soll es sein) und viel Schnittlauch gab nur ein wenig Säure dazu. So konnte sich der Muschelgeschmack gut behaupten. Auch der zweite Hauptdarsteller war ebenbürtig. Eine dickes Blatt des von mir eigentlich meist argwöhnisch betrachteten Gemüses war angebraten und dann geschmort worden. So traten zum Zartbitteren auch Röstnoten und sogar eine leichte Süße hinzu, ähnlich wie bei Zwiebeln. Das Gemüse ließ sich gut schneiden, hatte aber noch etwas Biss.

Zum Hauptgang eine sagenhaft saftige gebratene Geflügelbrust. Immer, wenn mal gutes Fleisch auf den Teller kommt, mit intensivem arttypischen Geschmack, beglückwünsche ich mich, dass wir seit langem die Billigangebote aus der Intensivzucht links liegen lassen. Besonders gefreut hat mich die nicht entfernte Haut, die ansehnlich gebräunt und leicht knusprig war. Sehr schön. Auch hier fügten sich die Mitspieler sehr gut ein. Milder Wirsing und Walnüsse bildeten ein herbstliches Duo mit angenehmen Crunch im Mund. Verbunden wurde alles mit einem tollen, intensiven süß-würzigen Schalottenjus. Bravo, so geht Geflügel im Herbst.

Normalerweise tendiere ich ja eher zu Käse, als zu einem süßen Finale.
Aber Butterkekseis machte doch neugierig und lackierter Strudel auch. Meine "Risikobereitschaft" wurde belohnt! Die Strudeloberseite war wohl mit Zuckerwasser bestrichen worden und erhielt dadurch einen wunderschönen dunklen Bronzeton und ein leicht rauchiges Aroma. Am schönsten war aber natürlich, wie die Blätterteigoberfläche unter meinem zarten Biss in unzählige Teile zersplitterte. Als Füllung weiche, aber nicht matschige Herbstfrüchte, auf jeden Fall Quitte, Apfel und wohl auch Birne. Süße gepaart mit der Rauchnote des Strudels, yummie. Schon für sich sehr gut und auf einem Spiegel Vanillecreme ansehnlich angerichtet. Etwas unscheinbar daneben eine Nocke sandfarbenen Eises. Freunde! Was soll ich schreiben? Makellos cremig, ich hätte natürlich eher krümelig-sandige Konsistenz erwartet. Aber der Geschmack: 100% Keks, wie direkt aus Hannover importiert. Alle Wunder der Dessertwelt schaffen es nicht, die machtvolle Kindheitserinnerung zu verdrängen, die sich unweigerlich beim Geschmack eines Butterkeks' einstellt...

Vier Espressi kamen in tadellos vorgewärmten Tassen, nachdem die beiden Damen ihre schokoladige Süßspeis genossen hatten. Mein Wunsch nach einem Verlängerten wurde umgehend verstanden. Der Kaffee war nach meinem Geschmack, trotz etwas mehr Wasser noch hinreichend kräftig, nicht wässrig. 2,2€ waren auch dafür sehr kundenfreundlich kalkuliert.

Summa summarum 182€, im Durchschnitt also etwa 45€, was mir angesichts des Gebotenen sehr angemessen erscheint.

In bester Laune gingen wir auseinander. Bei diesem geschäftlichen Anlass, noch dazu mit mir teilweise unbekannten Gästen, habe ich auf das Fotografieren verzichtet.
Auch so hoffe ich, einen "farbigen" Bericht geliefert zu haben, der eines unterstreicht:
Absolute Empfehlung!
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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