Zurück zu Weinhaus Mehling
GastroGuide-User: carpe.diem
carpe.diem hat Weinhaus Mehling in 97816 Lohr am Main bewertet.
vor 10 Jahren
"Weinhaus mit Seltenheitswert in Deutschland"

Geschrieben am 04.02.2015
Besucht am 02.08.2014
Fazit (für schnelle Querleser vorab)
Wer jemals in Lohr am Main war und das Weinhaus Mehling nicht kennt, der kennt Lohr nicht. Die Traditionsweinstube - seit 1887 im Familienbesitz - ist ein ganz besonderes Schmankerl. Brot und Wein, seit knapp 130 Jahren das Aushängeschild des Betriebes. Kein Gourmettempel. Das Essen ist eher als Begleitung zum Wein anzusehen. Regional, einfach, deftig, aber frisch zubereitet. Ein idealer Platz für Frühschoppen und gesellige Abende.

Lage
Das Mehling - ich nenne es so, weil ich das schon seit über 50 Jahren tue - liegt in Lohr am Main, zentral neben dem Historischen Rathaus. Lohr, das malerische Städtchen am Main am Beginn des Spessarts, zwischen Aschaffenburg und Würzburg gelegen, hat verschiedenen Attribute. Das bekannteste ist wohl "Lohr das Spessarttor". Seit 1985 ist es auch noch "Schneewittchenstadt" wie bereits große, braune Schilder an der A 3,  25 km vor der Stadt verkünden (siehe: www.br.de/radio/bayern2/sendungen/notizbuch/maerchen-schneewittchen-lohr-100.html) .

Geschichtliches
Bereits 1887 hat der Urahn Richard der Familie Mehling das damals bereits bestehende Gasthaus übernommen und den Grundstein für den heutigen Betrieb gelegt - Bäckerei und Weinstube in einem. Eine vorteilhafte Verbindung für die Gäste, wann der Betreiber allerdings zur Ruhe kam steht in den Sternen. Die folgenden Generationen haben alle ihre Handschrift hinterlassen.
Um das Mehling rankt sich so manche Anekdote. Seiner Lage neben dem Rathaus verdankt es wohl den Ruf das wahre Sitzungszimmer vieler Ratsherren gewesen zu sein. Gar mancher weise politische Beschluss dürfte hier gefallen sein. Auch war es vermutlich im Herbst 1985 die Geburtsstätte der "Schneewittchenlegende", das Ergebnis einer feuchtfröhlichen Zecherrunde der drei Lohrer Fabulologen, dem Schuhmachermeister Helmuth Walch, dem Apotheker Dr. Karlheinz Bartels und dem damaligen Leiter des Spessartmuseums, Werner Loibl. Fabulologie bedeutet "Märchenwissenschaft" und ist eine Wortschöpfung von Dr. Bartels, die es sonst nirgendwo gibt. Kann nicht sagen warum, aber irgendwie erinnert mich die Geschichte an die Feuerzangenbowle. Wer mehr darüber wissen möchte siehe HP unter Fabulologie.
Auch wir, die 9 Reste des Abschlussjahrganges 1964 der damaligen Oberrealschule, einem Ableger des "K&K Gymnasiums" haben dort des Öfteren getagt und die Sorgen des schulischen Alltags weggespült. Der Lateiner würde sagen: "Post maxima nubila Phoebus" (nach mächtigen Wolken kommt die Sonne). Gar mancher Streich, den wir unseren Lehrern spielten wurde dort ausgeheckt. So war es nur eine logische Folge, dass wir hier die Feier unseres Goldenen Abiturs starteten.

Neuzeit und Angebot
Der derzeitige Seniorchef - Josef Mehling - steht mit seinen 88 Jahren noch immer in der Backstube und überwacht als ehemaliger Absolvent der Weinbauschule Veitshöchheim den Ausbau seiner Lieblingsweine (wie z.B. den "Lohrer Fabulologenwein", ein Stettener Stein, Silvaner, Spätlese im Bocksbeutel, der 2011 eine Goldmedaille erhielt - den Schoppen 0,25 ltr. für 5,70 €). Er war es auch, der nach der Übernahme im Jahr 1960 den Schwerpunkt des Betriebes von der Bäckerei auf die Weinstube verlegte.
Seine Weinkarte ist ein Phänomen und weit über die Grenzen von Lohr hinaus bekannt. Bereits das Lesen der schalkhaft illustrierten Karte ist ein Hochgenuss. Unter der Überschrift "Mehlings Frankenschoppen" - offener Ausschank - findet man über 20 regionale, überwiegend unterfränkische Produkte mit bekannten Namen. Bei jedem Wein findet man Angaben über Alkoholgehalt, Gesamtsäuregehalt, vergärbarem Restzucker und Weingut von dem der Wein stammt.
Die zum Wein servierten Backwaren stammen zum Teil noch aus der eigenen Bäckerei, wie das köstliche Natursauerteigbrot aus Roggen (Josef beherrscht noch die traditionelle Sauerteigführung). Von der Bäckerei Scherg - bekannt durch das Wallfahrtsbrot des Bistums Würzburg - wird heute dazugekauft, ebenso vom SOS Kinderdorf Hohenroth. Alle Backwaren kann man auch zum Mitnehmen erwerben.
Das Highlight seiner Backkunst ist Josef's Brezel (4,00 €), ein riesiges Hefeblätterteiggebäck, das warm serviert herrlich zum Wein passt. Das dürfte in Deutschland wohl einmalig sein.
Die kleine Speisekarte mit deftigen regionalen Gerichten und Vespern wirkt gegen die Weinkarte etwas mickrig. Das Angebot ist offensichtlich nur zum Verdünnen des genossenen Weines bestimmt. Aber wenn man mal sitzt, dann sitzt man halt.

Empfang
Als alte Stammkunden (Josef hat trotz seines hohen Alters noch ein gutes Gedächtnis) wurden wir sehr freundlich empfangen und an den reservierten Tisch in einer Nische des Rathauses geleitet. Das alte Homefeeling stellte sich sofort wieder ein

Service
Wir trafen uns um 11:00 Uhr. Eine viertel Stunde später war der gesamte Außenbereich komplett besetzt. Trotzdem bewahrten die beiden Bedienungen die Ruhe und Freundlichkeit. Wir erhielten zügig die Wein- und Speisekarte (Reihenfolge bewusst verdreht). Verständlich bei dem Riesenangebot kam nicht sogleich die Frage nach dem Getränkewunsch. Man liess uns ca. 15 Minuten Zeit die Karte zu verinnerlichen. Bestellung und Service wurden dann umso schneller abgewickelt.
Dass bei einem solchen Ansturm (es fanden auch noch die Spessart Festwochen statt) wenig Zeit für Beratung blieb (war in unserem Falle auch nicht nötig) sei den Mädels verziehen. Ich glaube nicht dass sie es nicht können. Immerhin nahm sich Josef, der Seniorchef, die Zeit durch die Reihen zu gehen und nach dem Rechten zu sehen.
Das bestellte Essen wurde ebenfalls nach erstaunlich angenehmer Wartezeit serviert. Das Abkassieren ging dann im Hau-Ruck-Verfahren. Die Bedienung lieferte dabei den Beweis, dass sie die Grundrechenarten beherrscht. Da ich meine Zeche schon im Voraus kalkuliert hatte, konnte ich ihre blitzschnelle Kopfrechnung problemlos nachvollziehen.

Was wurde gegessen?
So gegen 13:00 Uhr tat der zwischenzeitlich genossene Homburger Kallmuth des Weingutes Martin (0,25 ltr 4,00 €) seine Wirkung und mein Magen meldete gewisse Ansprüche an. Ich entschied mich für das Kartoffel-Broccoli-Gratin, das mit gutem Käse überbacken war (7,20 €), weil ich einfach einen Säureausgleich brauchte.
Was serviert wurde war ordentliche Hausmannskost aus reellen Produkten, aber das war’s dann auch. Ich wurde angenehm satt, was schert dann die Präsentation. Aber wie schon oben erwähnt, beim Mehling isst man nicht zur Freude, sondern weil man Hunger hat und sich einfach nicht von seinem Schoppen trennen will. Mein Entschluss für das Gratin stellte sich als gelungene Eingebung heraus. Die übrigen verzehrten Gerichte "Coburger Rostbratwürste" oder "Schinken im Brotteig" konnten mich nicht überzeugen.

Das Ambiente
Der Außenbereich,
ein gepflasterter Platz vor dem Rathaus wurde mit ordentlichen Teakholz - Klappstühlen und -tischen ausgestattet. Man sitzt dort sehr angenehm im verkehrsberuhigter Umgebung der Fußgängerzone. Ein Ort zum Verweilen, Klönen und idealer Treffpunkt.

Der Innenbereich,
die Weinstube ist heute noch so wie sie 1933 vom Vater des Seniorchefs geschaffen wurde. Deckenhoch holzvertäferte Wände mit echter rotbrauner Patina und dunkler Holzdecke. Die bleiverglasten Fenster tragen wesentlich zur Atmosphäre bei. Möbliert mit robusten Holztischen und Stühlen. Tischdecken gibt’s beim Mehling nicht und hat es auch nie gegeben. Wäre auch völlig unnötig. Blickfang ist ein antikes gusseisernes Öfchen.
Das Nebenzimmer ist wesentlich heller gestaltet. Die Holzvertäferung der Wände hört etwa 40 cm vor der weiß getünchten Stuckdecke auf.
Wesentlich jünger ist das neue Zimmer. Alt sind hier nur die freigelegten Deckenbalken aus dem 17. Jahrhundert.
Die Diele im 1. OG und Josefs Keller - das wiederbelebte urige Sandsteingewölbe im UG -  sind erst nach der Übernahme durch den Seniorchef entstanden. Im Winterhalbjahr finden im Keller kulturelle Events statt.
Was hier geschaffen bzw. perfekt erhalten wurde ist ein wahres, lebendiges Kulturdenkmal ohne musealen Charakter. Ein Ort der Freude, zum Genießen (Wein), Relaxen und Wohlfühlen. Hier ist man Mensch und darf es sein.

Besucher
aller Altersklassen und vor allen Dingen viele Einheimische kann man hier antreffen. Ein Zeichen dass das Mehling angenommen ist und geschätzt wird. Für mich ein absolutes Muss bei jedem Aufenthalt.

Sauberkeit
Trotz uraltem Gemäuer sämtliche Räume und Toiletten pieksauber. Ich konnte auch nirgendwo den typischen Geruch alter Häuser bzw. Keller wahrnehmen.
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


kgsbus und 11 andere finden diese Bewertung hilfreich.

uteester und 12 andere finden diese Bewertung gut geschrieben.