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Kann es für den Gourmet (also für uns alle!) ein schöneres Kompliment geben? Wohl kaum. Ist danach überhaupt eine objektive Bewertung, gar Kritik möglich? Schwer. Aber machbar, wenn es nötig gewesen wäre. War es aber nicht.
Selten (nie?) habe ich mich als Einzelgast herzlicher aufgenommen, zugewandter umsorgt, auf Augenhöhe ernst genommener gefühlt, als an diesem Abend im e.t.a. Was natürlich zuvörderst an Heike Seebaum, der ebenso charmanten wie kompetenten Gastgeberin und Partnerin des badischen Inhabers Thomas Kurt lag, die mir das oben zitierte nette Kompliment machte . Zweitens an dessen sauberer, zugänglicher Küche. Und schließlich am zauberhaften Ambiente dieses Westberliner Treffpunkts irgendwo zwischen quirligem Pariser Restaurant und wohnzimmerartigem englischem Club für ermattete Reisende.
Den einzelnen Erstbesucher so rundum wohlgelaunt (und -genährt) in das nächtliche Kreuzberg zu entlassen, war eine großartige Leistung. Auch das Angebot eines Taxis ganz reizend, aber trotz Cremant, Pastis, vier Gläsern Wein und einem Port gelang es mir SELBSTVERSTÄNDLICH, den Heimweg zum Hotel würdevoll zu gestalten!
Wieder eine neue Woche, wieder ein Abend in Berlin.
Nach unbekannten Innereien und unterirdischen Irritationen sollte es nun in ruhigere Gefilde gehen. Auf der Yorckstraße gleich neben Kino und der imposanten Fassade der Bonifatiuskirche wartet das e.t.a. hoffmann im Vorderhaus von Riehmers Hofgarten auf Gäste. Im Erdgeschoss gelegen, sind doch einige Stufen zu überwinden. Auf dieser Ebene liegen auch die Bar und die Toiletten. Dagegen die Küche und der davor liegenden Teil der Gasträume wieder auf Straßenniveau. So kommt es zu einem kleinen Treppauf-Treppab-Gefühl, jedenfalls, wenn man im hinteren Teil Platz nimmt.
Schon von der Straße aus konnte ich am Montagabend ein gut besuchtes Lokal ausmachen, mit fröhlichen Runden und Paaren im nicht mehr ganz jugendlichen Alter, in ein angeregtes Gespräch vertieft oder sich zuprostend. Schon sehr einladend, also sprach ich Freund und trat ein. Zunächst begrüßten mich lebendiges, aber nicht ohrenbetäubendes Stimmengewirr, Gläserklingen und sonstige Geräusche eines frequentierten Restaurants. Sodann aber auch schnell eine der ganz in schwarz gewandeten Servicekräfte, die im Stile Pariser Bistrokellner durch den Raum flitzten. Mit einem strahlenden Lächeln und sehr offen wurde ich begrüßt, die Reservierung gecheckt und mir mein Tisch gezeigt. Und dann wäre der Abend auch schon fast wieder beendet gewesen, denn einen schlechteren Platz habe ich lange nicht mehr angeboten bekommen. In einer Nische gleich am Eingang, eingequetscht zwischen der Wand und einer wohl aus mehreren Tischen zusammen gestellten langen Tafel, an der schon eine missmutig dreinblickende Familiengesellschaft Platz genommen hatte. Abseits von der Aufmerksamkeit des Service im Rücken einer großen Gruppe hätte ich die Wand anschauen oder darauf hoffen können, dass mal jemand um die Ecke schaut. Höflich bat ich um einen anderen Tisch und wäre bei abschlägiger Antwort auch wieder gegangen. Aber glücklicher Weise fand sich, nach einigen Überlegungen ein Tisch kurz vor der Küche und nahe von Servicestation und Laufweg. Das schreckt mich nicht, gibt es so doch immer was zum Schauen und die Aufmerksamkeit ist bei Notwendigkeit schnell errungen. Der warnende Hinweis auf die auch hier in unmittelbarer Nähe versammelte Familienfeier war gut, aber überflüssig. Hier saß ich dabei, nicht dahinter und von der Wand trennte mich zwar kein Chef's Table, aber doch einer, an denen offensichtlich Stammgäste und zu späterer Stunde auch Herr Kurt selbst Platz nahmen.
Hier bin ich Gast, hier darf ich's sein. Bei einem Bouvet Cremant rosé für freundliche 7,5€ und hernach einem Pastis für 4,5€ konnte ich zunächst mal ankommen und mich in Ruhe umschauen.
Alles tut dem Blick und dem Gemüt gut: Kleines mittelbraunes Stäbchenparkett, charmant abgelaufen, die Wände einen Meter hoch in einem satten Rot, darauf eine dünne goldfarbene Leiste, darüber cremefarben, große Gemälde - wild, grün, braun, abstrakt? Nein, das ist ja Spargel, Artischocke, so kraftvoll, so lebendig, zum Reinbeißen. Skulpturen, fast bacchantisch, üppige Blumenarrangements. Raumteiler schaffen Atmosphäre, hier, da und auch dort, Ledersessel, Sofas, viel Lesestoff, ein Flügel, eine wohlbestückte Bar, eine Urkunde für den Maitrê über ein Hole-in-one (aber zu bescheiden für Sterneansprüche, soso...). Dazwischen eilten die überwiegend jungen, aber bestens ausgebildeten, aufmerksamen Damen und Herrn vom Service vorbei, gleichzeitig konzentriert wie professionell-entspannt und der ebenfalls recht junge Sous-Sommelier doziert eifrig. In einem Icebowl warteten die geöffneten Flaschen ungeduldig darauf, nachgeschenkt zu werden und an der Servicestation wurde das Brot frisch aufgeschnitten, natürlich unter der Leinenserviette. Hier wird das Leben aus vollem Herzen genossen.
Aber genug - nicht, dass ich noch ins Schwärmen gerate!
Dagegen helfen prosaische Themen: Den Toiletten sieht man den Altbau leider an, Einfachverglasung, der vergilbte Lack, Porzellan und Fliesen, alles in die Jahre gekommen. Aber das fällt in die Verantwortung des Verpächters. Dagegen ist am Waschtisch wieder die Handschrift der Gastgeberin zu erkennen, hochwertige Materialien, Frotteehandtücher und ein Lilienbouquet. Die Sauberkeit sowieso tadellos.
Also, schnell wieder zurück an den dunklen Holztisch, der nur mit einem Läufer bedeckt und bereits reichlich ausgestattet war: Dreifach Besteck, drei Weingläser, dazu ein Wasserglas, ein "Totenlicht", Blumen in kleiner Chromvase, Pfeffermühle, Meersalz, Speisekarte und ein zusätzlicher Aufsteller mit einem weiteren Menü, feste Stoffserviette, die bei meiner Rückkehr wie von Zauberhand ausgetauscht war. Dazu die Weinkarte, da war es schon recht voll auf dem Tisch.
Während der Aperitife studiere ich die geöffnet gereichte, übersichtliche Karte. Renner scheint heute das zusätzliche "Morgenpost-Menü" zu sein, die gleichnamige Zeitung stellt ein Restaurant vor, das eine Zusammenstellung (vermutlich) etwas preiswerter "für die Leser" anbietet. Ich bin immer etwas skeptisch, irgend jemand muss die Sonderangebote ja bezahlen und ich habe immer das Gefühl, dass es nicht der Wirt ist...
Also weiche ich auf das Abend-Menü in der Karte aus. 5 Gänge werden für 65€ angeboten, die Weinbegleitung schlägt mit 35 Euro zu Buche.
Freudig erwarte ich
Kalbstafelspitz und Kalbskopfpraline
Jakobsmuschel auf Linsen
Kotelett vom Iberico
Käse
Crème Brûlée
Zunächst kam zweierlei Brot, frisch aufgeschnitten. Gute handwerkliche Bäckerqualität, das dunkle besser. Dazu kretisches Olivenöl mit Rosmarin, Chili und Knoblauch als Aromaten und in zwei Gläsern ein durchschnittlicher Kräuterquark und eine gute Oliventapenade. Ok, aber nicht herausragend.
Das zweite Amuse dagegen schon. Eine tolle crunchy Blutwurstpraline, die mich auch geschmacklich umhaut. Der MoPo entnehme ich später die Zubereitung: "Geschmolzen hat Kurt die Blutwurst, danach mit Zwiebeln, Senf, Apfel, Leberwurst, Ei und Brot vermengt, zuletzt in Croutons von Toast gewälzt." Serviert auf einer Selleriecreme. Großes Kino ganz ohne Sterne-Attitüde. Als Gegenstück zur Wurst ein Kräuterbisquit mit Räucherfischmousse. Begleitet von Apfelgelee. Eine Nachfrage des jungen Obers in der Küche bestätigte die Vermutung Granny Smith.
Auch der erste Gang konnte das Niveau sehr gut halten. (Im Gegensatz zum Fotografen. :-( ) Insbesondere die gebackene Praline vom Kalbskopf verströmte beim Anschneiden einen überwältigenden Duft nach gekochtem Fleisch, leichter Säure und Kräutern. Ganz zart, zusammen mit dem Bärlauchpesto ein harmonischer Genuss. Auch die Scheibe vom rosa gebratenen Kalbstafelspitz mit Goakresse, Feldsalat und einer Tomatenvinaigrette war eine schöne Komposition, keine zu spitze Säure, die ich erst befürchtet hatte.
Mit dem Fleisch wurde ein 2011er Saar-Riesling Maximus serviert, der Zweitwein des Weinguts von Othegraven. Dieser hatte leider einen zu kräftigen Petrolton, den auch Frau Seebaum bestätigte. Allerdings war sie davon überrascht "bei einem so jungen Wein". Meinem überraschten Blick und der Nachfrage "2011er?" folgte die konsternierte Antwort: "Oje, ich hab meine Brille verlegt und 2014 gelesen!" Das kam so spontan und sympathisch, dass von da an jedwedes Eis gebrochen war.
Als sehr typischer Ersatz kam ein 2014er Riesling "vom Schiefer" von Clemens Busch.
Als Zwischengang zwei kräftig gebratene Jakobsmuscheln bester Qualität, eine im Geschmack sehr gut, die andere formidabel nussig-süß-röstig. Die Unterlage aus Linsen, Mangold und Zucchini hat mir weniger gegeben.
Als Begleitung ein klarer 2014er Silvaner "Quarzit" von Riffel, Bingen.
Fleischgang Kotelett(s) vom Iberico, teilweise ausgelöst mit weit genug gegarten feinen Poweraden, schmackig gerührter Polenta und einer fein-fruchtigen Tomatenmarmelade. Ein Laguiole-Messer wurde gereicht. Alles konnte überzeugen, aber das Fleisch war der Buuurner. Etwas blässlich vielleicht für meinen Geschmack, aber von fast durch bis deutlich rosa am Knochen perfekt saftig, schöner Fettanteil, wunderbarer Geschmack. So muss Schweinefleisch. Nett die Präsentation der auch von der Menge ansehnlichen Portion mit dem hochgestelltem Rippenstück.
Gut gewählter harmonischer Begleiter war ein 2014er Grauburgunder aus dem Rheingau von Crass in Erbach, ein Winzer, den das Paar Kurt/Seebaum etwas pushen möchte.
Gemessen am vorherigen Teller war die kleine Käseauswahl doch sehr spartanisch auf einer schlichten ovalen Porzellaplatte angerichtet. Geschmacklich tat das natürlich dem Fourme d'Ambert, Allgäuer Rotschimmel und 12 Monate gereiftem Bergkäse ebensowenig Abbruch, wie dem saftigen Früchtebrot oder dem Aprikosenmus, einer schönen Abwechslung zum üblichen Feigensenf.
Einem 10jährigen Old Tawny Taylor's Port konnte ich nicht widerstehen.
Den Abschluss bildete eine Crème Brûlée mit Cassisblaubeeren und Lavendeleis. Das war lecker, klang aber doch etwas spektakulärer, als sich die Komponenten optisch und geschmacklich dann darstellten. Ein solider Abschluss, der ein wenig lange am Pass stand. In der Tat schon merkenswert die junge Riesling-Spätlese Erbacher Siegelsberg auch von Crass.
Trotzdem: Nach den Experimenten im einsunternull tat mir die "cuisine classic" von Thomas Kurt gut. Da muss nichts erfahren oder entdeckt werden. Im e.t.a. hoffmann darf (oder soll) der Gast genießen! Dafür fast die volle Punktzahl.
Die für das PLV ohnehin mehr als verdient ist. Jeden Cent wert und unbedingt zum Besuch empfohlen.
Ein wunderbarer Abend!