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GastroGuide-User: marcO74
marcO74 hat Winzerstube Mußbach in 67435 Neustadt an der Weinstraße bewertet.
vor 4 Jahren
"Gewogen und für zu schwer befunden!"

Geschrieben am 25.01.2020 | Aktualisiert am 03.03.2021
Besucht am 12.12.2019 Besuchszeit: Abendessen 4 Personen Rechnungsbetrag: 179 EUR
Zusammen mit meinen drei Wörther Schlemmerboys war ich Mitte Dezember im Weinörtchen Mussbach bei Neustadt in kulinarischer Mission unterwegs. Und tatsächlich verschlug es uns nicht in die legendäre Eselsburg, die ja mittlerweile zum gastronomischen Kulturerbe der Pfalz gezählt wird und sich nicht nur regional einer großen Beliebtheit erfreut.  
 
Unser Ziel war die Ende Juni 2018 neu eröffnete Winzerstube, die vorher über 40 Jahre lang von der Familie Bäder gutbürgerlich geführt wurde und nun seit gut eineinhalb Jahren mit Küchenchef Stefan Schaich einen Verantwortlichen am Herd stehen hat, der für eine bodenständige Pfalzküche mit modernen Tendenzen steht.
 
Einer unserer kollegialen Spachteltruppe hatte im Freizeitmagazin LEO (wöchentliche Beilage der Zeitung „Die Rheinpfalz“, Anm.) unter der Rubrik „Lokaltermin“ einen Artikel von Markus Giffhorn über diesen „nicht alltäglichen“ Gastronomiebetrieb gelesen und da er an diesem Abend unser Gaumenziel bestimmen durfte, landeten wir in dem zur Winzergenossenschaft Weinbiet gehörenden Anwesen.
 
Stefan Schaich ist im Raum Neustadt kein Unbekannter, kochte er doch schon früher im Restaurant Zwockelsbrück. Im Sommer 2014 hat er dann ganz in der Nähe als Koch im Hotel Palatina angeheuert. Als dort die Herren Wiedemann und Hundt ihr neues Steakrestaurant Tables eröffneten, wurde Stefan Schaich dort Küchenchef. Das war im Juli 2016. Ziemlich genau zwei Jahre später wurde der gebürtige Frankenthaler in der ebenfalls zur Hotel PalatinA GmbH gehörenden Winzerstube Geschäftsführer.
 
Seine Vorstellung einer saisonal geprägten Regionalküche scheint – wenn man den lobenden Worten auf diversen Gästeportalen Glauben schenken darf – gut anzukommen. Da war von einem „annehmbaren Preis-Leistungs-Verhältnis“ und einer „geschmackvollen Zusammenstellung vorwiegend heimischer Produkte“ die Rede. Bei so viel positiver Resonanz vorab, waren wir gespannt auf das, was uns der 32-jährige Küchenchef und sein Team an diesem Donnertagabend so alles auftischen würden.
 
Als wir das schmucke, direkt an der Eselshaut (so der ungewöhnliche, nach einer Weinlage benannte Straßenname) gelegene Fachwerkhaus betraten,
Außenansicht
war außer uns nur eine größere Tischgruppe in der geschmackvoll eingerichteten Stube zugegen. Später füllte sich der Gastraum noch ein wenig. Der heimeligen Atmosphäre in den von hellem (Fischgrätparkettboden, Tischplatten) und dunklem Holz (halbhohe Wandverkleidung, Stühle, Thekenbereich) dominierten Räumlichkeiten tat das keinen Abbruch. Blickfänger war natürlich der weißgekachelte Nostalgie-Ofen gleich neben dem Ausschanktresen. Ein Mordsteil, das da für kuschelig-warme Verhältnisse sorgte.
Innenansicht 1
Ansonsten beherrschte gepflegte Sachlichkeit das Mobiliar. Auf der schlicht eingedeckten Tischfläche nahm ich ein paar bauchige Wassergläser, einen Hauch von Weihnachtsdeko und das obligatorische Kerzenflackern aus dem Windlichtglas wahr. In Tischmitte zog ein cremefarbener Stoffläufer seine Bahn und verdeckte einen Teil der rustikalen Naturholzplatte unter sich. Messer und Gabel steckten in einer weißen Zellstoff-Serviette, die zusammen mit Brotmesser bzw. Brotteller das Einstiegsgedeck bildeten.
Innenansicht 2
Gleich auf der ersten Seite der Speisenkarte wurde darauf hingewiesen, dass sämtliche Weine von der ortsansässigen Winzergenossenschaft „Weinbiet Manufaktur“ stammten. Das wunderte uns nicht, da ja schon draußen auf dem alten Wirtshausschild das Genossenschaftswappen deutlich sichtbar an der Fassade prangte. Bei den Eigentümern des Anwesens hat sich in den letzten Jahren viel getan. Über eine Million Euro hat die Genossenschaft in den Ausbau und die Modernisierung ihrer Räumlichkeiten (Holzfasskeller und Abfüllhalle) gesteckt. Klar, dass man dann die eigenen Weine auch unters vinophile Volk bringen möchte. Und wo eignet sich das besser als in der eigenen Winzerstube?
 
Nun genießen Genossenschaftsweine bei Kennern im Allgemeinen keinen sonderlich guten Ruf, aber auch in diesem früher eher auf Masse statt auf Klasse setzenden Segment der Weinerzeugung hat sich in den letzten Jahren qualitativ einiges getan. Die kehligen Sortimente bedauernswerter deutscher Nieder-Lagen gehören weitgehend der Vergangenheit an. Vielleicht würden wir ja doch die ein oder andere Entdeckung im Weinbiet-Portfolio der Winzerstube ausfindig machen können.
    
Was uns sofort begeisterte, waren die äußerst gästefreundlich kalkulierten Getränkepreise. Ein flaschengegärter Riesling-Sekt aus der Lage Mussbacher Eselshaut war schon für knapp unter 20 Euro die Flasche zu haben. Auch beim Mineralwasser übertrieb man es nicht. Bei einem Flaschenpreis von 3,50 Euro für das wirklich hervorragende Teinacher Gourmetwässerchen ließ es sich gut Durst löschen.
 
Die genossenschaftliche Rebsaftpalette erstreckte sich über Guts-, Rebsorten- und Lagenweine. Unter letzteren war beispielsweise ein trockener 2017er Sankt Laurent von der regional bekannten Weinlage Gimmeldinger Meerspinne für gerade einmal 14 Euro (!!!) die Flasche gelistet. Die teuersten Tropfen des recht umfangreichen Angebots schlugen mit 20 Euro zu Buche. Es waren Weine aus der Premium-Linie, die den Namen eines Gründungsmitglieds der Genossenschaft („Philipp Bassler“) trugen.
 
Um gleich auf Betriebstemperatur zu kommen, gönnte ich mir zum Aperitif einen Ricard (5cl für 4 Euro), der mir - wie gewünscht - mit Wasser verdünnt serviert wurde. Meine Kollegen waren in vorweihnachtlicher Secco-Laune, die uns zwei perlende „Sommertänzer“ (weiß und rosé) zu jeweils 2,30 Euro auf die (Tisch-)Platte brachte.
 
Zum Wein des Abends deklarierten wir einen trocken ausgebauten 2016er Chardonnay von der Edition Philipp Bassler (20 Euro), der mit vielversprechenden Attributen aufwarten sollte.
Der Wein des Abends
„Cremig-weich, vollmundig und nachhaltig“ stand da als Subtext auf dem DIN-A4-formatigen Beipackzettel. Da knickte selbst der bekennende Rotwein-Vernichter neben mir ein und gab zur Flaschenwahl seinen weinheiligen Segen. Gut, jener spülte den eleganten Weißen mit zwei Gläsern Spätburgunder hinunter. Wer hat, der hat – wer kann, der kann!
 
Doch bevor uns die Gaumenschrauben angelegt wurden, war ein intensives Studium des Schaich’schen Köchelverzeichnisses unabdingbar. Als Saisonempfehlungen waren ein feines Maronencrèmesüppchen, Gänsekeule mit Kartoffelknödel, Rotkohl und glasierten Maronen sowie ein Apfel-Zimt-Strudel mit Rosinen und Vanille-Eis gelistet. Eine Seite weiter lockte eine dreigängige Küchenreise mit Kürbiscrèmesuppe, Maispoulardenbrust und einem warmen Schokoladenbrownie für schlappe 27,90 Euro. Da machte man mir quasi ein Angebot, das ich kaum ablehnen konnte.
 
Aber auch das Standardprogramm klang recht verheißungsvoll. Lauwarme Forelle, Feldsalat mit Kartoffeldressing und Carpaccio vom Weiderind seien als durchaus appetitanregende Vorwegmahlzeiten genannt. Pfälzer Rumpsteak, Cordon Bleu und Schweinefilet in Pilzrahmsoße versprachen hausmannsköstliche Deutschküche für fleischaffine Redundanzesser. Spinatknödel mit gerösteten Walnüssen auf Tomatenragout sowie Tagliolini mit Kürbis, Tomaten und Parmesan bedienten dagegen eher die vegetarische Verzehrzunft.
 
Zusätzlich hatte man ein paar klassische Weinstubenhappen, wie etwa den Pfälzer Vesperteller mit Blut- bzw. Leberwurst, Schwartenmagen samt deftigem Zubehör oder einen Winzertoast mit Poularde, Speck und Ei, im Angebot. Zu Wein und Bier waren das durchaus die passenden Grundlagen.
 
Als kleine Aufmerksamkeit begrüßte uns die Küche mit einem frischen Kräuterquark und herzhaftem Bauernbrot. „Something to dip“, wie ein sprachgewaltiger GG-Kollege aus dem Bergischen sagen würde, aber eben nicht wirklich ein „Amuse“-ment. Zum ersten Glas Wein verfehlte die nett gemeinte Kleinigkeit dennoch nicht ihr Ziel. Mit was im Bauch trinkt sich halt besser!
"Something to dip" 
Der etwas konfus wirkende Oberkellner, den ich allein schon wegen seines Akzentes eher in einem Etablissement mit griechischer oder italienischer Küche vermutet hätte, brachte nach angenehmer Wartezeit die beiden bestellten Vorspeisensuppen an den Tisch.
 
Sowohl die delikat abgeschmeckte Maronensuppe (6,50 Euro) meines Kollegen als auch meine Kürbiscrème von der Küchenreise, die mit gerösteten Kürbiskernen und einem leicht nussig schmeckenden Kernöl verfeinert wurde, präsentierten sich als handwerklich sauber zubereitete Terrinen, deren dezente Sämigkeit keine erschlagenden Argumente lieferte. Hier wurde auf kräftiger Fondbasis operiert, der Stabmixer mit Sinn und Verstand eingesetzt sowie beim Veredeln nicht die Schlagsahne als Überdosis verabreicht. 
Maronencrèmesüppchen
Kürbiscrèmesuppe
Da wurde das recht geschmacksneutrale Dressing des ebenfalls als Vorspeise servierten, kleinen Feldsalats (5,80 Euro) schon kritischer gesehen. Vom kleinen Beilagensalätchen (4,70 Euro), der unsere Vorspeisenpalette komplettierte, ganz zu schweigen.
Feldsalat mit Speck und Croutons
Der Kollege gegenüber hatte sich für den Zander (19,50 Euro) entschieden. Dieser wurde mit recht fadem Rahmwirsing und feinen Bandnudeln serviert.
Zander mit Rahmwirsing und feinen Nudeln
Beim Wirsing war der Sahneanteil klar zu hoch. Außerdem fehlte es dem Wintergemüse an geschmacklicher Tiefe. Hier wäre mehr handwerkliches Können bei der Zubereitung und vor allem mehr Feingefühl beim Abschmecken erforderlich gewesen.
 
Laut Speisenkarteninfo sollte der zur Barschfamilie zählende Süßwasserfisch bzw. dessen grätenfreies Filet „auf der Haut gebraten“ – in Küchenkreisen eine immer wieder gerne beschmunzelte Plattitüde – aus der Pfanne kommen. Auf meinen Kollegen wirkte das nicht besonders saftig geratene Auftau-Fischfilet wenig appetitanregend. Da half auch die ihn kläglich ummantelnde Kaschierpanade wenig. Für knapp unter 20 Euro kann man da schon mehr erwarten.  
 
Der Schnitzelversteher neben ihm zeigte sich zufriedener mit seinem Cordon Bleu vom Schwein (17,10 Euro), das mit einem säuerlich frischen Kartoffel-Gurkensalat (inklusive Schnittlauchschnipsel und Senfkörnern) gereicht wurde.
Cordon Bleu vom Schwein mit Gurken-Kartoffelsalat
Für seine handfeste Deftspeise galten zwar keine größeren Verfeinerungsansprüche, aber er erwähnte mehrfach die Qualität seiner süffigen Erdapfelbegleitung. Dieser stahl dem mit Käse und Kochschinken gefüllten Schweizer Pfannenklassiker fast die Schau.
 
Der Hauptgang meiner Küchenreise las sich in der Karte durchaus ansprechend. Und auch der erste optische Eindruck meiner Maispoulardenbrust im Speckmantel auf Parmesanrisotto mit süß-sauer eingelegten Kürbisstücken ließ bei mir keinerlei Skepsis keimen.
Maispoulardenbrust im Speckmantel auf Parmesanrisotto und süß-saurem Kürbis (Vorderseite)
Der erste Bissen vom Risotto allerdings schon. Eigentlich hätte es jeder am Tisch verstanden, wenn ich nach dem ersten Löffel des mit Übermacht zubereiteten Gekörns die weiße Sättigungsfahne gehisst hätte. Keine Ahnung, wie viel Parmesankäse, Sahne und andere Massivingredienzien in dieser Wuchtbeilage schlummerten, aber das Ergebnis füllte wie eine zähe, amorphe Ballastbombe die Niederungen meines Porzellans. „Welcome to impact-island!“, schoss es mir beim Anblick dieser Knock-out-Speise durch die Birne.
Maispoulardenbrust im Speckmantel auf Parmesanrisotto und süß-saurem Kürbis (Rückseite)
Na gut, vielleicht würde es ja die mit Speck umwickelte Maispoularde richten. Denn so ein Fettmantel schützt ja bekanntlich vor dem Austrocknen und so ein saftiges Stückchen Federvieh würde über das Backstein-Risotto ein wenig hinweghelfen. Aber Pustekuchen - und was für ein knochentrockener! Wie man es bei der heutigen Küchentechnik schafft, ein Stück Fleisch derart übergart aus dem Ofen zu befördern, ist mir komplett schleierhaft. Letztlich verpuffte auch der vegetabile Akzent des Gerichts, da der rabiat gestückelte Kürbis schlichtweg zu süß im Geschmack und auch zu hart in der Textur ausfiel. Das war nicht unbedingt ein genussvolles Hauptgericht, eher ein zu voluminös ausgefallener „Arbeitsgang“ mit garantierter Dauersättigung.
 
Neben mir schwang der Kollege, der uns die Winzerstube eingebrockt hatte, eifrig die Gänsekeule. Schon die Optik des Tellers nötigte mir einen gewissen Respekt ab.
Gänsekeule mit Rotkraut, glasierten Maronen und Kartoffelknödel
Die stattliche Keule lag auf einem ansehnlichen Häufchen Rotkraut. Die glasierten Früchte von der Edelkastanie waren ebenfalls nicht schüchtern portioniert. Zu dieser an sich schon recht sättigenden Beilage gesellten sich noch zwei „Weichkartoffelgeschosse“ in Knödelform dazu.
 
Ich kenne den kollegialen Gaumenfreund schon lange und bei all unseren gemeinsamen Tafelrunden hat er noch nie etwas auf dem Teller zurückgelassen. Aber diesmal musste selbst er sich geschlagen geben. Die beiden üppigen, von ihrer Konsistenz in Richtung Stahlbeton gehenden Totschlagargumente aus zäher Kartoffelmasse hätte keiner am Tisch geschafft.
 
Den kurzzeitig von mir erwogenen Beilagentausch (Risotto Vs. Knödel) legte ich nach zaghafter Kloßprobe doch recht schnell ad acta. Keiner von uns beiden dachte zu dieser Zeit an das noch bevorstehende Kaloriengewitter, das auf uns in Form zweier Schokobrownies – meiner als Nachtisch der dreigängigen Küchenreise, der des Kollegen als aus freien Stücken bestelltes Dessert – noch hereinprasseln sollte.
 
Und als stünden uns noch nicht genug Verdauungsaufgaben in der folgenden Nacht bevor, badete der saftige Schokoquader auch noch in leicht salziger Karamellsauce.
Warmer Schokobrownie
Klar mussten da im Anschluss zwei Williams zu jeweils 3,50 Euro das Gläschen den Kollateralschaden von den Magenwänden spülen.
 
Das Fazit des Abends habe ich ja schon in den Titel gepackt. Als wir uns gen Auto aufmachten, waren wir vier uns schnell einig, dass wir schon genussreichere Abende innerhalb unseres Gourmetzirkels durchlebt haben. Das nächste Mal darf übrigens der Schreiber dieses Berichts den Ort des Tafelns bestimmen. Also, alles wird gut!
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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