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Das Restaurant Rotkehlchen in Münster heißt den Gast „herzlich Willkommen in unserem kleinen Wohnraum mit Küche und Bar“ (Zitat HP). Das Konzept begann sein Leben in der Nähe der beiden Kiepenkerle in einer Garagenhaften Kleinstimmobilie in der Bergstraße und schlug in Münsters Gastroszene ein wie eine Bombe. Dort einen Tisch zu ergattern war ähnlich schwierig wie in der Sansibar auf Sylt zu versuchen mit einem Jahr im Voraus im Juli einen Tisch am Abend zu reservieren. Ich persönlich habe es das erste Mal ins Rotkehlchen geschafft, als es sein neues Vogelhäuschen in der Wasserstraße bezogen hatte. Das war im Jahr 2014. Von diesem Besuch stammt noch eine „verlagerte“ Altkritik, und nun nehme ich mal den jetzigen Besuch zum Anlass, diese durch eine aktuelle Kritik zu ersetzen.
Nicklas und seine Lebensgefährtin Marie (es wird weiterhin konsequent sofort geduzt, auch bei der Recherche nach dem reservierten Tisch, was ein Problem sein kann, wenn zwei Carsten(Karsten) reserviert haben) haben in der Wasserstraße ihr Konzept konsequent weiter entwickelt. Mein letzter Bericht schildert einen Besuch, bei dem wir draußen an (auf) der Straße saßen, jetzt wandten meine Frau und ich uns dem Eingang zu und erblickten zum ersten Mal das Innere. Man betritt den Gastraum und erblickt zur Rechten eine offene Küche und beeindruckend bestückte Bar. Davor ein paar Sitzgelegenheiten und ein Tisch. Links durch eine zweiflüglige Tür der eigentliche Gastraum (wie früher bei meiner Oma, Küche und Esstisch und hinter der Glastür „de Woonkamer“), der feinere Raum für das Sonntagsessen. Die Einrichtung ist dann auch konsequent in Richtung „ironisch spießig“, wobei Marie feinfühlig vermeidet, dass es zu kitschig wird. Ein Gefühl von „früher“ stellt sich ein. Ambiente, Dekoration und Service liegen dabei auf einer Wellenlänge und wollen ein behagliches, persönliches Gefühl vermitteln. In dieses Gefühl von „früher“ wird aber eine anspruchsvolle Küche serviert und dem Gast über zwar duzende, aber sehr gut ausgebildete Servicekräfte überbracht.
Die Karte passt auf eine DIN A4 Seite und enthält 4 Vorspeisen, 6 Hauptgänge und 3 Desserts, wechselt wöchentlich und ist saisonal ausgelegt. Die gebotenen Gerichte lassen sich nicht wirklich einer speziellen Küche zuordnen, Nicklas kocht, was es gibt, so wie es ihm gerade einfällt. Dazu wird immer ein Menü für 48 EUR angeboten, bei dem man blind bestellt und es dann 6 Gänge gibt. Einer der spannenden Punkte ist dabei eine für 28 EUR angebotene Cocktail Begleitung. Marie war eine der Vorreiterinnen der Gin-Welle, die gerade über die Szene schwappt, von Anfang an gab es im Rotkehlchen eine reine Gin Begleitungen zum Menü.
Ich hatte vor einigen Wochen einen Termin für eine Reservierung mit dem Rotkehlchen abgestimmt und beim 30. April passte es für beide Seiten. Die Bestätigung für den Samstagabend versah das Rotkehlchen mit der Bemerkung „Hallo Carsten, Am 30. April haben wir eine "Bierexpedition" von der Potts Brauerei aus Oelde bei uns mit Menü für 65,50€ pro Person. Sagt euch das zu?“, worauf ich bestätigte mit der Bemerkung „wir lassen uns überraschen“.
Wir kamen also an unseren Tisch und fanden eine Tischdekoration zum Thema Bier und Brauen vor. Zwei Biergläser gefüllt mit gemälztem Korn und eines mit getrocknetem Hopfen. Dazu eine Menükarte und ansonsten tadellos eingedeckt mit Stoffserviette. Ein schönes Willkommen für uns. Wir nahmen Platz.
Zusammen mit dem Team war Rainer Diekmann unser Gastgeber an diesem Abend. Rainer (er konnte im Rotkehlchen nicht anders) ist Vertriebschef für die Gastronomie bei Potts in Oelde und ausgebildeter Biersommelier. Er leitete uns mit einer Geschichte des Brauens und einer Einführung in die Verschiedenen Bierarten über den Abend und durch unser Menü. Nicklas und Rainer hatten ein Menü zum Thema Bier abgestimmt und servierten dazu verschiedene Biere als Begleitung.
Als Aperitif wurde uns ein mit Campari im Weinglas aufgegossenes Landbier der Brauerei Potts angeboten.
Das Menü wurde in folgender Reihenfolge serviert:
Gruß der Küche Meerrettich Dip mit Tollkötter Brot, serviert mit einem Bud Light.
Das nicht so schöne zuerst, so wurde uns zum Küchengruß ein zum Glück kleines Glas dieses Biers einer amerikanischen Großbrauerei serviert. Völlig aromenlos störte es den Verzehr des leckeren Brotes einer der besseren Münsteraner Bäckereien nicht weiter. Ich beließ bei einem Probeschluck und lies mir dann ein Pils servieren.
Geräucherte Entenbrust mit Gerstensalat und Frühlingskräuterdressing, serviert mit einem Hefeweißbier
Hier stimmte dann auch der Biergenuss. Das relative milde Weißbier passt gut zum Salat und der mild geräucherten Entenbrust mit sehr zurückhaltenden Raucharoma. Gut gefiel mir der Gerstensalat, der gut zum Thema Bier passte. Das Korn hatte eine „al dente“ Konsistenz, noch biss und gefiel mir als Salatzubereitung außerordentlich gut. Dazu ein paar Blätter Rauke und Babymangold mit aromatischer Vinaigrette, der Gang war gut!
Kresse-Zitronenschaumsüppchen mit Krabbenbällchen, serviert mit einem Augustiner Bräu Edelstoff Lagerbier.
Einige Bierfans in der Runde gerieten in Verzückung, ich muss gestehen, dieses Bier kannte ich nicht, bin ja der klassische norddeutsche Pilstrinker, wenn ich denn Bier trinke. Das Bier war sehr mild, weckte aber Erinnerungen an Zeiten, als auch in Westfalen die Dortmunder Lagerbiere noch populär waren. Lecker wieder der Gang von Nicklas. Eine frühlingshaft aromatische Suppe, mit genau so viel Säure aus der Zitrone, dass die Kräuter ihr Aroma voll entfalten konnten. Dazu eine Krokette mit grob gehackten Krabbenstücken. Lecker!
Mit Krustenbrot geschmorte Ochsenbäckchen mit Kartoffel-Staudensellerie-Risotto und Selleriecreme, dazu ein klassisches Pils
Das Pils war ein passender Begleiter zu diesem klassischen Schmorgericht. Tadellos die Bäckchen, die sich butterzart zerlegen ließen und fast zerschmolzen im Mund. Sehr gut dazu eine sehr dunkle Sauce aus dem Schmorfond, die durch Kirschen eine süße Note bekam. Im Verein mit der Creme extrem schmackhaft. Das Risotto war eine sehr frei Interpretation des italienischen Reisgerichts mit Stücken von Stangensellerie und Kartoffeln, durch eine Schwitze gebunden.
Ricotta mit Lavendelhonig und Nussbrot, dazu „Bierstackeln“ aus Österreich
Glühende Eisenstäbe werden in kaltes Bier getaucht und karamellisieren dort den Restzucker und sorgen zusammen mit dem entstehenden cremig weißen feinen Schaum für ein völlig neues Geschmackserlebnis, so beschrieb Rainer Diekmann dieses Ritual. Der Geschmack war verblüffend, aber nicht meiner. Ich probierte nur ein wenig. Angewärmtes Bier wird nicht meines. Lecker aber der frische Ricotta mit Honig und knusprigen Brot.
Pumpernickel Pudding mit Maracuja Mousse und Joghurt-Estragon-Eis, dazu ein extrem blumiges und fruchtiges rotes englisches Ale, dessen Namen ich nach all dem Bier leider vergessen habe.
Wie immer bei Desserts lasse ich das Bild sprechen. Die Kombination von Pumpernickel und Maracuja war gut. Das Eis lecker. Das Bier wurde wieder im Weinglas serviert, hatte ein extremes Bouquet und passte gut zum Dessert, ein Sauternes wäre mir aber lieber gewesen.
Kommen wir zum Fazit. Wir hatten einen wunderschönen, sehr unterhaltsamen Abend mit dem Team des Rotkehlchens und einem bestens aufgelegten Biersommelier, der uns unterhaltsam in die Welt des Bieres einführte. Aber ich ziehe zu einem anspruchsvollen Essen weiterhin eine gute Weinbegleitung vor, dass nehme ich aus diesem Abend mit. Trotzdem gilt, für 65,50 EUR inklusive aller Getränke und dem abschließenden Kaffee haben meine Frau und ich einen schönen und kulinarisch ansprechenden Abend verbracht. Klare Empfehlung für das Rotkehlchen, aber nächstes Mal wieder mit einem Wein zum Essen. Ein wenig irritiert bleibe ich immer beim duzen von Menschen die ich nicht näher kenne, ich komme da nicht aus meiner Erziehung heraus, aber da werde ich wohl durch müssen, denn essen gehen möchte ich sicher wieder im Rotkehlchen.