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Die Reaktion darauf überraschend: „Die Tester haben halt einen schlechten Tag erwischt./Die stören sich doch nur an fehlenden Tischdecken und einfachem Besteck./Wir kochen für Gäste, nicht für Kritiker./Der Laden ist voll, also sind wir auf dem richtigen Weg.“
Selbstkritik sieht anders aus. Aber vielleicht liegt es ja tatsächlich nur an den abgehobenen Ansprüchen.
Schaun mer mal, wie die üblichen Verdächtigen sich so schlagen...
VII. Die Überraschung
Das ****S-Landhotel Munte liegt am Stadtrand in unmittelbarer Nähe zu mehreren Naherholungsgebieten sowie der Universität und den Forschungseinrichtungen; es ist ebenso gut von der Autobahn wie aus der Innenstadt erreichbar. Dies und die unmittelbar anschließende private Augenklinik sorgen eigentlich immer für einen gut gefüllten Parkplatz. Die kulinarischen Wünsche der gehobenen Kundschaft erfüllt ein italienisches Restaurant der Mittelklasse und eben das vornehmlich auf Wild und Fisch spezialisierte Wels.
Die Namensgeber werden im Süßwasser-Aquarium vor Ort gehalten. Vor Jahren hatte ich hier einen davon auf dem Teller, ohne dass mich das Erlebnis zu einem schnellen Wiedersehen gedrängt hätte. Die Michelin-Empfehlung nahm ich daher etwas überrascht zur Kenntnis und machte mich in süßer Anhängerschaft mit Bahn und Bus auf den Weg ins Grüne.
Das Ambiente ist typisch Landhaus-Stil (Ausnahmen bestätigen die Regel): Helle, auf Vintage getrimmte Hölzer, Rattansessel, Blick in den Garten bzw. hier ins Kleingartengebiet. Kronleuchter und Teppichboden vermitteln immer ein wenig Gute-Stube-Gefühl. Nicht ganz auf der Höhe die braunen Natursteinauflagen des Buffets und die quietschgelben Leuchtelemente.
Wir saßen direkt unter einem und dessen verheerende Wirkung auf die Fotos bemerkte ich leider erst am heimischen Computer. Ich hab versucht, in der Nachbearbeitung das Beste heraus zu holen.
Eine Reservierung hatten wir am frühen Samstagabend nicht, trotzdem erhielten wir problemlos noch einen eingedeckten Tisch im Wintergarten. Zur Not hätte es im anschließenden Frühstücksbereich noch genügend annehmbare Plätze gegeben. Das Publikum wie wir Paare im besten Alter sowie eine kleinere Gruppe. Geschäftsleute am Wochenende Fehlanzeige.
Der Oberkellner Herr Plenge pflegt einen legeren, manchmal etwas ins kumpelhafte abgleitenden Stil. Dunkles Sakko mit Einstecktuch, aber offenes weißes Hemd wirken etwas bemüht locker. Genug der Modekritik, die Serviceleistungen, auch der jüngeren Kräfte war sehr ordentlich. Immer aufmerksam, mit individuellen Empfehlungen und Nachfragen. Dass die Karten geschlossen überreicht wurden, ist nicht so wichtig, wie die Cloches, die ein Auskühlen der Speisen auf dem recht weiten Weg aus der Küche effektiv verhindert haben. Alle Wünsche wurden erfüllt, wir waren zufrieden.
Als Aperitif entschied sich Madame für einen alkoholfreien fruchtigen Cocktail für freundliche 5,3€. Mir stand der Sinn nach einem Gin Fizz, der mit 8,1€ berechnet wurde.
Die Vorliebe für „krumme“ Preise setzte sich in der Karte fort (Ist das irgend ein Marketing-„Trick“?).
Im dreigängigen HeimatGenuss-Menü für 33,8€ schmeckten meiner Frau die Tafelspitz-Brühe mit Meerrettich-Pfannkuchenstreifen, gebratener Zander in Limonensalz mit Kartoffel-Korianderpüree und abschließend Cappuccino-Mousse auf Bremer Kaffeebrot mit rotem Johannisbeer-Schwarzkirschragout. Ich war von der kreativen Ausführung dieser bürgerlichen Gerichte positiv überrascht, für die mit Christina Bolt eine der ganz wenigen Küchenchefinnen der Region verantwortlich zeichnet.
Statt des Menüs hatte ich mir à la carte folgendes ausgesucht:
Königsberger Klopse vom Kaninchen
Wildschwein-Knipp
Sauerbraten, ebenfalls vom Wildschwein.
Dazu passte als Apéro ein Canapé mit Wildschweinsalami
natürlich vorzüglich. Außerdem gab es Ciabatta und eine mediterran gekräuterte Butter.
Aus den sechs offenen Weißen wählten wir ein Glas Riesling von Bassermann-Jordan und eine Burgundercuvée von Markus Pfaffmann. Beide von 2017, beide für 5,6€ das Gläschen.
Die Mettklopse vom Kaninchen zum Start konnten auf ganzer Linie überzeugen.
Saftig
und der mild-süßliche, von manchen hier als seifig geschmähte Geschmack wurde von den Kapern in der Soße nicht überdeckt.
Richtig klasse die Kartoffeln, die auch wie welche schmeckten; mit dem würzigen, nur leicht säuerlichen Sößchen ein Gedicht. Die Küche hatte zwar vergessen, sie in Butter zu schwenken, aber das hab ich keine Sekunde bedauert.
Auch der daneben gereichte Salat von Roter Bete passte gut mit erdig-süßen Noten und vor allem nicht zu viel Säure.
Das war mal ein Auftakt nach Maß.
Auch der/die/das Knipp (Wiki weiß mehr!) vom Wildschwein als Zwischengang ganz stark.
Kräftig gewürzt und leicht pikant, so dass das Ausgangsprodukt nicht wirklich vom Hausschwein zu unterscheiden war. Aber beherzt angebraten, so dass sich eine dunkle, knusprige Hülle gebildet hatte. Leeeeeecker! Nicht in Fett schwimmend, aber auch nicht so trocken, wie manches quasi-industrielle Produkt aus Groß-Schlachtereien. Dazu wieder die schönen Salzkartoffeln. Eigentlich „gehören“ Bratkartoffeln dazu, aber das schien mir gerade für ein Zwischengericht doch etwas zu mächtig.
Den klassischen norddeutschen Dreiklang komplettierte ein süß-säuerliches, nicht zu weich gekochtes Apfelkompott, bei dem Zimt und Lorbeer heraus zu schmecken waren. Herr Plenge empfahl zudem Senf.
Ein alkoholfreies „hanseatisches Konzernpils“ zur Begleitung schlug mit 3,3€ zu Buche.
Der Sauerbraten, auch vom Schwarzkittel, hielt nicht ganz dieses Niveau, insbesondere erwartete ich etwas mehr Säure in der Sauce. Trotzdem ein gelungenes, schmackhaftes und reichlich portioniertes Gericht.
Das Fleisch schmeckte hier kräftiger durch. Es war nicht zu fest, lediglich an wenigen, kleinen Stellen etwas trocken. Der Rotkohl war wiederum perfekt gegart, noch mit Biss, aber nicht etwa halb roh. Hier überraschte mich nur die sehr zurückhaltende Würzung, das war recht naturbelassen. Angesichts der anderen Gänge unerwartet. Ich hielt mich lieber an die lockeren Semmelknödel mit Brotfüllung, die natürlich perfekt zum Aufnehmen der auch zusätzlich gereichten dunklen Sauce waren.
Während meine Liebste ihr Dessert genoss, ließ ich den Käse aus und konnte schon resümieren:
Im Herzen traditionelle Regionalküche, aber modern, ohne dabei nach Moden zu schielen. Hier kommt kein Cross-over auf den Teller. Es wird nicht dehydriert oder stabilisiert, sondern heimische Produkte mit gekonntem Handwerk zeitgemäß weiter entwickelt.
Positive Überraschung und für Fans norddeutscher Küche eine klare Empfehlung.