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GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Kleine Burg in 26122 Oldenburg bewertet.
vor 4 Jahren
"Drama in drei Gängen"
Verifiziert

Geschrieben am 28.03.2020 | Aktualisiert am 29.03.2020
Besucht am 30.11.2019 Besuchszeit: Abendessen 2 Personen Rechnungsbetrag: 171 EUR
Anders als das vergleichbare Osnabrück ist Oldenburg kulinarisches Niemandsland. Zumindest Guide Michelin und Gault Millau halten keine Gastronomie in Niedersachsens drittgrößter Stadt für erwähnenswert. In den vergangenen Jahren wurde einerseits Schmidt‘s Brasserie empfohlen, deren Küche ihrem Namen gerecht wird und eine erfreuliche Weinauswahl bereit hält. Und andererseits eben die Kleine Burg des Geschwisterpaares Bassam Faour und Lina Willms, die nach überwiegend gemeinsam verbrachten Wanderjahren in der norddeutschen Gastronomie 2012 hier ihr eigenes Restaurant eröffnet haben.

Die Karte im Netz sah ganz ambitioniert aus, so dass ich als Auftakt für einen „Zug durch die Gemeinde“ mit einer Schulfreundin in Oldenburg reservierte. Dabei gab es schon den ersten Dämpfer, denn am Wochenende werden die Tische „à la Mallorca“ vergeben. Entweder Tisch um 17.30 Uhr oder 20.00 Uhr. Das scheint in Mode zu kommen, Freitag und Sonnabend sind eben die Tage mit der größten Nachfrage. Mir gefällt das zwar nicht, weil ich gerne lange tafele (und dabei nach Kräften Umsatz mache), aber das ist die freie Entscheidung des Gastronomen. Wenn ich es vorher weiß, kann ich ja überlegen, ob ich woanders hingehe. Die Wahl fiel auf den frühen Termin, denn ich „hungere“ über den Tag, um dann richtig zuschlagen zu können.

Also in knapp zweieinhalb Stunden durchs Menü. Wo doch schon das vorfreudige Stöbern in der Weinkarte einiges der begrenzten Schlemmerzeit verbrauchen würde. Das Internet war da keine Hilfe, also flugs angerufen, auf die Reservierung am Abend hingewiesen und um Übersendung des Angebots gebeten. Ja, kein Problem versicherte die freundliche junge Stimme am anderen Ende der Leitung, wenn ich meine E-Mail-Adresse mitteile, werde das nach dem Mittagsgeschäft erledigt. Wurde es aber leider nicht. Als ich später die Chefin darauf ansprach, kassierte ich nur eine schnippische Antwort: Sie habe ja nicht wissen können, dass ich die Karte heute brauchte. Naja, es hatte keinen wirklichen Zeitverlust zur Folge, denn die Blätter auf dem Klemmbrett offerierten eine übersichtliche Flaschen-Auswahl, alle unter 30€ und einem EK-Faktor von vermutlich 3,5 bis 4. Der zunächst bestellte einfache Weißburgunder von Prinz Salm schwächelte auf ganzer Linie, das gleiche Gewächs als Gutswein von Nik Weis gefiel uns beiden deutlich besser. War dann aber die letzte Flasche. Der mangels Alternative bestellte südfranzösische Chardonnay wieder eine Enttäuschung. Lief nicht so richtig für mich...

Das Ambiente hat skandinavische Anklänge. Viel helles Holz neben grau und weiß. Immerhin ist in beiden Gasträumen je eine Wand in einer warmen Farbe gestrichen. Im vorderen Bereich zur Fußgängerzone, in der im Sommer einige Tische locken, sorgt der offene Dachstuhl zusammen mit den bodentiefen Fenstern für Großzügigkeit. Im trüben November fröstelte mich dadurch ein wenig, zumal wir einen Tisch „mittenmang“, aber in Nähe der Eingangstür bekommen sollten. Gewohnt charmant gelang es uns dann aber doch, ein Plätzchen in der Ecke an der Heizung zu erbetteln. Die nette junge Bedienung reagierte dabei genauso sympathisch wie am Telefon. Die nackten Holztische sind klein bemessen, die Stühle hart. (Aber man darf ja eh nicht so lange bleiben. Yin und Yang...). Die Toilette war frisch und auch bei den Herren mit reichlich Deo etc. ausgestattet.
Ein Aperitif war schnell bestellt und alkoholfrei, da ich die Version Rosenzauber von Jörg Geiger (5€) noch nicht kannte. Das erste, müde Glas vom Vortag ging zurück, das frische perlte schön, hatte aber neben einem angenehmen Rosenduft für mich trotz Apfel zu viel Süße. Wird nicht meine Lieblingssorte. Das Völslauer Wasser bescherte den Wirtsleuten mit 6,9€ einen ordentlichen Deckungsbeitrag.

In der Kleinen Burg werden die Gäste mit etwas do-it-yourself begrüßt

Grobe Salzkristalle und Pfefferkörner können mittels Mörser nach Geschmack zerstoßen werden. Ich fand das recht vorteilhaft, aber etwas Kraftaufwand ist schon nötig und meine Frau hatte bei unserem Erstbesuch Zweifel wegen der Hygiene. Ich vermute, dass man auf Nachfrage wohl auch Mühlen bekommt.

Neben dem Gewürz-Bausatz wurde mit hausgebackenem Knäckebrot und Tahina-lastigem Hummus gegrüßt, der auch schon offen auf den Tischen stand, als wir kamen. Ich meinte, ein ungewohntes Prickeln zu spüren, aber eine Nachfrage in der Küche ergab, dass es „genauso“ sein soll. Immerhin: Meine Begleitung schmeckte nichts dergleichen und mutmaßte, dass ich wohl eine nervöse Zunge hätte. Also bleibt dieser Punkt außer Bewertung.

Jetzt aber flugs ans Bestellen, die Zeit ist knapp!
Die Karte entsprach absolut der Internet-Version, das war ein Pluspunkt. Vorspeisen zwischen 12 € und 15 €, Hauptgerichte von gut 20 € bis knapp unter 30€. Schon o.k. Mangels Menü bitte à la carte fünf Gänge einschließlich Suppe und gepimpten Salat. Die junge Frau schaute skeptisch, da müsse sie erstmal in der Küche fragen, eigentlich seien nur drei Gänge möglich, wenn man um 17.30 Uhr kommt. Hä? Wollt Ihr mich verar...? Nein, mehr schaffe die (übrigens mit 5! Köchen besetzte) Küche nicht, erklärte sehr kühl die Mit-Inhaberin, die ich an den Tisch gebeten hatte, da unsere Service-Dame ja nicht die Regeln macht. Auch mein Hinweis, dass Salat und Suppe wohl keinen immensen zusätzliche Aufwand bedeuten, fruchtete da nichts. Ok, dann nur noch eine kurze Frage: Warum wird das denn nicht auf der Homepage oder bei der Reservierung mitgeteilt? Na, weil die Gäste dann Bescheid wissen und alle um 20.00 Uhr möchten  oder gleich in ein anderes Lokal gehen, sagte sie (natürlich nicht). Stattdessen: Die meisten Gäste wollen sowieso maximal 3 Gänge. Ok, danke für gar nichts. Auch hier gilt: Ihr Restaurant, ihre Regeln. Aber diese Regeln erst bekannt zu geben, wenn der Gast schon am Tisch sitzt, ist alles andere als Fairplay!
Allein wäre ich jetzt natürlich gegangen. Meiner Schulfreundin wollte ich das nicht zumuten, also machte ich böse Miene zum bösen Spiel. Immerhin bemühte sich Frau Willms im Weiteren professionell um den erzürnten Gast, viele Nachfragen, endlich mal kein herablassender Tonfall und der gute Wein kam auch nicht auf die Rechnung. Zusammen mit der netten Angestellten und einer fachlich meist aufmerksamen Leistung ohne Mängel reicht das Dalai-lamaesk für drei Service-Sterne.

Meine Dreier-Wette setzte auf Schweinebauch, dann ein Steinpilz-Risotto und Kabeljau.

Bei der Vorspeise war unsere Service-Fee nicht auf der Höhe. Auf meine Frage, ob das Schweinefleisch warm oder kalt serviert wurde, entschied sie sich mit Überzeugung für warm. Kam natürlich in kalt und das sollte in der Tat so. Aber die Küche zeigte sich flexibel und wärmte mir die zwei Scheiben Schweinebauch schnell an. (Hätte man in der Zeit nicht auch eine Suppe? Ach, lass...) 

Das Fleisch war unauffällig, die kräftige Rotfärbung könnte von einer Tandoori-Marinade stammen, geschmacklich war da aber nichts besonderes. Dattelstreifen und Granatapfelkerne verschoben das Geschmacksbild in die orientalische Richtung, Süße und fettes Schweinefleisch ist sowieso unschlagbar. Etwas Schärfe wäre vielleicht noch schön gewesen. Für ordentlichen Crunch sorgte nochmals das Knäckebrot. Das Ganze zwar in viel Jus ersäuft, aber da gibt es ja auch hier unterschiedliche Auffassungen. Was mich allerdings sehr irritierte, waren die halben Radieschen darin. Warum bloß? Wir wissen es nicht.

Das folgende Steinpilz-Risotto kam handwerklich gelungen, schön schlotzig, das Korn noch spürbar. Steinpilze waren eher sparsam eingesetzt, aber das Aroma sehr intensiv. Ob da mit Öl nachgeholfen wurde? Egal, geschmeckt hat es und zu penetrant war es auch nicht. Sehr schön der Mimolettekäse dazu und ebenso die süße Note von Kürbis. Wilder Brokkoli und Lauchzwiebel hab ich in der Komposition verstanden, Tomate eher nicht. Dazu ordentlich Salat auf den Teller geworfen. Aber das hat mir schon gut gefallen, weil der Hauptdarsteller im Vordergrund und auch die weiteren Komponenten erkennbar blieben. Leider ist das Foto der Totale verwackelt, so dass nur ein close-up bleibt. 

Entschuldigung bei allen, die die Nahaufnahme nicht so mögen.

Blieb noch der Hauptgang. Und da ging‘s dann mit Chef Bassam richtig durch. Kabeljau. Und Spinat. Und Jakobsmuschel. Und Miesmuschel. Und Fenchel in ein, zwei, drei oder waren es vier? Variationen. Und noch ˋne Crème, ich sag mal Süßkartoffel. Und ein frittierter Chip, der vielleicht an Backfisch erinnern sollte. Und geröstetes „Gelump“. Und geteilte Arrancini (italienische Reisbällchen? Hä? Ja komm, is doch egal, schmeiß rauf, da geht noch was!) und ein paar Kräuter. Ach guck, da ist ja noch Ratatouille, warum auch nicht? Puh.

Was gefiel: Der Fisch war durchgegart, aber saftig und hatte eine Spinatkruste. Nicht Haube, nein; es war eine wirklich krosse Kruste. Chapeau! Die kleinen St Jacques waren leicht angebraten und ordentlich. Alles andere schmeckte auch. Es war Crunch auf dem Teller (Es waren alle Texturen auf dem Teller. Aber z.B. Einsatz von Temperatur Fehlanzeige). Diesen Gang servierte wieder die Chefin. Ich konnte mir ein „Immer feste druff! Ordentlich was los auf dem Teller!“ nicht verkneifen. Brachte mir einen bösen Blick ein. Komisch.

Gegenüber gab’s ein Wiener Schnitzel und keine Klagen.

Fazit:
Die Küche von Bassam Faour ist Crossover, man könnte auch kreatives Chaos sagen. Fokussierung ist seine Sache ganz und gar nicht. Auf der letzten, noch im Netz einsehbaren Karte vor der Schließung, zählt man bei den Hauptgerichten jeweils sage und schreibe 9 angegebene Komponenten. Ein Konzept dahinter hab ich nicht verstanden. Außer vielleicht, mit möglichst viel auch möglichst viele anzusprechen. Handwerklich war das alles gut gemacht, die Crew versteht ihr Handwerk.
Mich holen solche Von-allem-etwas-Teller halt nicht ab. Andere schon, der Laden war ja voll.
Bei meinem nächsten Besuch in Oldenburg nach Beendigung des shut-downs geht’s jedenfalls in die Brasserie.

Nachsatz 1
Spät in der Nacht gab’s in einer Studi-Kneipe noch einen kolossalen Flammkuchen. Eine 3-Gang-Diät hat halt Konsequenzen.

Nachsatz 2
Darf man in diesen auch für die Gastronomie katastrophalen, existenzbedrohenden Zeiten einen „Verriss“ schreiben? Ich stell das Thema mal ins Forum.

Auf jeden Fall gilt: Ich wünsche den Geschwistern Faour, allen Gastronomen, überhaupt allen von der Situation wirtschaftlich Getroffenen, dass sie die Zeit nur mit Beulen überstehen und sich am Markt halten können. Der Wunsch wird sich nicht erfüllen, aber tun wir, was wir können. Bestellt, kauft Gutscheine und wenn Ihr Verpächter oder Lieferant seid (und es euch leisten könnt), denkt über Reduzierung oder Stundung nach!
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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