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Nachdem Jan Janning mit dem Nordbremer Ensemble Kränholm auch organisatorisch in eine andere Liga aufgestiegen war, schien mir das deutlich kleinere "Stammhaus" im Garten und Souterrain der großbürgerlichen Villa Ichon gleich hinter dem Theater am Goetheplatz etwas vernachlässigt. Anfang September hat nun Emil Karnacewicz als Betreiber übernommen. Der sympathische, erst 26 Jahre alte Koch hat sein Handwerk im vormals sternebewerteten Pades Restaurant in Verden gelernt, war damals schon bei Nachwuchswettbewerben erfolgreich und hat jetzt mit ehemaligen Kollegen und Kolleginnen sein eigenes Team gebildet. Und das gibt Gas.
Als wir zu einem Mittagessen einkehren, war zwar der etwas verwunschene Garten mit Plastiken von Marcks und Grzimek vorbereitet, aber das kühle und vor allem unbeständige Wetter ließ uns doch den Innenbereich vorziehen.
Der edlere Hauptraum mit Kreuzgewölbe ist mittags nicht geöffnet, war aber schön eingedeckt. Hier passt auch eine größere Gruppe hinein. So kamen wir dann in den Kellerteil der 1843 errichtete Kaufmannsvilla, in dem sich drei Küchenräume befinden. Die Fliesen sind noch original nach über 150 Jahren, auf dem Boden Schachbrett, an den Wänden klassisch cremeweiß mit blau. Bis Hüfthöhe Eichenholz. Die niedrige Decke ist in Schwünge gelegt. Im vorderen Raum mit Theke und Eingang zur Küche ist es am hellsten. Die Gäste an den drei 2er-Tische müssen aber "Durchgangsverkehr" hinnehmen und natürlich auch Küchengeräusche. Gerüche konnten wir nicht wahrnehmen. Trotzdem zogen wir weiter. Der hinterste Raum ist der Windfang des ehemaligen Lieferanteneinganges und sehr beengt. Im Durchgang dazwischen der mit 10 Plätzen „größte“ Raum, in dem wir den kleinen Zweiertisch am Fenster nahmen. Meine Frau hatte den direkten Blick auf die Rückseite einer realistischen männlichen Skulptur im Garten und murmelte mehrfach etwas mit "Knack..." Das weibliche Pendant war von meinem Platz aus nicht zu sehen, grummel...
Alles ist recht eng und eben (sehr) alt. Unzählige Bohrlöcher, abgesprungene Ecken usw. Auf Putz verlegte Elektroleitungen. Dazu in allen Fugen und Ecken Gilb und Ablagerungen von Jahrzehnten. Das ist authentisch, aber auch nicht jedermanns Geschmack. Allerdings ist mit der Übernahme gründlich geputzt worden. Nur noch wenige Bilder an den Wänden. Mit einem großen Spiegel und vor allem warmem Licht aus mehreren goldfarbenen Lampen wurde eine behagliche Atmosphäre geschaffen. Für Einsiedler oder intime Gespräche trotzdem nicht geeignet. Wir haben uns aber wohlgefühlt.
Die Tische waren weiß eingedeckt mit aufgerollten Stoffservietten, qualitativ gutem Besteck und Geschirr und vom Vorgänger übernommene Weingläsern mit eingefrästem (geätztem?) Namenszug. Alles mit Stil.
So, wie der Service.
Auf dem Weg ins Lokal kam uns der Inhaber entgegen, begrüßte uns freundlich und nahm uns die Garderobe ab. Auch später merkte man die erstklassige Ausbildung. Es wurde freundlich und höflich angeboten, aufgenommen, eingesetzt und ausgehoben, natürlich auch nachgefragt. Die Speisen wurden angesagt und bei Nachfrage erläutert. Eine Weinkarte ist im Internet einsehbar, für das Lokal aber noch in Arbeit. Da kein offener Grauburgunder verfügbar ist, wurden mir drei Alternativen - Weißburgunder, Chardonnay und Grand Toque (eine Cuvée aus Vermentino und Grenache blanc von der Rhone) in perfekter Haltung zum Probieren angeboten. Alles sehr gute Weine. Gegen meine übliche Wahl entschied ich mich für den Chardonnay von Pfannebecker. Später durfte ich auch noch den Riesling von Wegeler kosten, den meine Frau gewählt hatte und der auf der Rechnung vergessen (?) wurde. Da wir uns nicht an jungen Existenzgründern bereichern, machten wir darauf aufmerksam, was aber nicht zu einer Korrektur führte. Alle offen ausgeschenkten Weine sind als 0,1l verfügbar oder in der doppelten Menge. Viertel gibt es nicht. Später wurde Herr Karnacewicz von einer freundlichen jungen Dame unterstützt, die ich für seine Partnerin halte und die uns gern bestätigte, dass sie früher auch bei Wolfgang Pade ausgeholfen hatte.
Auf einen Aperitif hatten wir verzichtet, so dass wir schnell mit drei hausgebackenen Brotrollen erfreut wurden. Meiner Frau hat die würzige Sardellenrolle am besten geschmeckt, mir die Version mit Walnüssen. Aber auch die Variante Tomate/Olivenöl stand kaum nach. Dazu Butter und Fleur de sel aus einem Weckglas, das erst aus der Küche kam. Beim Vorgänger stand es noch unabgedeckt im Gastraum, was ich nicht ideal fand. Derart lecker eingestimmt erwarteten wir den Salat, als unser Gastgeber als weiteren Gruß ebenfalls im kleinen Weckglas ein geeistes Fenchelrahmsüppchen servierte. Auf dem Deckel setzten ein Stück Garnele und geröstete rote und gelbe Paprika hübsche farbige und später geschmackliche Akzente. Optisch schön mal beeindruckend. Auch ein Kräutlein war dabei. Aber da ich bei diesem Besuch charmanteste Begleitung hatte, war meine Aufmerksamkeit abgelenkt, so dass ich nur noch sehr kursorisch berichten kann... Eventuell kann die Community anhand des Fotos botanische Hilfestellung geben. Das Süppchen war übrigens sehr sahnig, was mich etwas mit dem Fenchel versöhnte, der eigentlich zu meinen kulinarischen Nein-Danke gehört. Die Paprika schmackig, die Garnele hat nicht gestört.
Also, mittags hätte ich das so nicht erwartet, Respekt.
Die identisch als Vorspeise gewählten Blattsalate kamen mit diversen Kräutern, genügend gehobeltem Parmesan und einem natürlich gleichfalls frischen süß-säuerlichen Dressing. Ein frischer vegetarischer Gang fern vom einfallslosen Einerlei gemischter Blattsalate. 4 Sterne.
Nach perfekter Wartezeit kamen die Hauptgerichte.
Meine liebe Frau bekam ein kräftig grünes Risotto vom Staudensellerie, das einer kritischen Schlotzigkeitsprüfung ohne Weiteres standhielt. Kleiner Kritikpunkt vielleicht die Garnitur, die die doch stark an den gerade genossenen Salat erinnerte. Passte geschmacklich aber sehr gut.
Mein Interesse wurde durch ein geräuchertes, dann geschmortes Sauerkraut geweckt, das zudem von Blutwurstravioli begleitet wurde. Den gebratenen Zander hatte ich als schon zu oft gegessen innerlich bereits abgehakt. Was sich als Irrtum herausstellte. Die beiden Filetstücke waren sehr saftig, nach dem Braten ihrer Haut entledigt worden mit etwas Paprika pikantisiert und haben auch geschmacklich bewiesen, warum dieser Fisch als Allrounder derzeit so beliebt ist. In der Tat rauchig, nur leicht säuerlich (gut so!) das Kraut, vor allem auch weich und insbesondere sahnig. Großartig auch die zwei weichen Nudeltaschen mit reichlicher sehr dunkler Blutwurstfüllung. Letztere kräftig genug gewürzt, um dem Kraut ein rustikaler Partner zu sein. Einzig etwas "störend" ein angegossener Krustentierfonds, geschmacklich nicht bemerkbar und auch nicht recht zur Komposition passend. Da ging es vielleicht um die Farbe auf dem ansonsten ja recht blassen Teller (Nudel, Kraut, Weißfisch ohne Haut). Mir hätte dazu allerdings die üppige Kräutergarnitur genügt, die Erbsenkresse ringelte sich so schön. 4,5 Sterne.
Auch den Kaffee schlugen wir aus und baten um die Rechnung. Zunächst wurden wir jedoch noch von einem Abschiedsgruß der Küche überrascht. Eine halbe Kugel überzeugendes Kokoseis mit Kakaokrümeln wurde von ganz wenig, aber dafür um so intensiverer Sesamsauce begleitet und war ein krönender kulinarischer Abschluss. Wirklich fein.
Wenn ich nur nach diesem Besuch den Stil von Emil Karnacewicz beschreiben müsste, würde ich ihn vielleicht etwas zu "barock" nennen. Mir kommt meine Vorstellung von polnischer Küche, reichhaltig, üppig und vor reichlich Sahne nicht zurück schreckend in den Sinn. Ein wenig Weniger, wäre ein wenig Mehr. Hinsichtlich der eingesetzten Produkte, der kulinarischen Ideen und der handwerklichen Umsetzung muss sich der junge Chef jedenfalls nicht verstecken. Hier scheint sich eine echte Bereicherung der Bremer Gastro-Szene anzukündigen. Die wenigen Schritte von der Innenstadt an der Kunsthalle vorbei ins Ostertorviertel sollten unbedingt unternommen werden.
Diese Qualität in mehrfacher Hinsicht hat indes ihren Preis.
Der kleine Salat mit Kräutern kostete 9€, das Risotto wurde mit 16€ berechnet und für den Zander waren sogar 21,8€ fällig. Für den Mittag stolze Preise. Allerdings wurden die Hauptspeisen auch in reduzierten Portionen angeboten. Es wird ein Mittags-Menue für 26€/3 Gänge bzw. 32€/4 Gänge angeboten. Die offenen Weine zwischen 6,2€ und 7,5€, das kleine Gläschen von 3,2€ bis 3,9€. Für 0,33 Rhabarberschorle wurden 3,2€ aufgerufen, auch kein Schnäppchen. Mit der (preislichen) Gesamtsituation war ich allerdings nicht unzufrieden. Auch Amuses und Dessert "auf's Haus" wollen erwirtschaftet werden.
Die (Aus)Wahl beim Wunsch nach gehobener Küche ist in Bremen wieder etwas schwieriger geworden. Und das ist auch gut so!