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GastroGuide-User: marcO74
marcO74 hat Restaurant Topaz in 28203 Bremen bewertet.
vor 10 Monaten
"Für solche Absacker-Austern stapft man gerne durch den „schlammigen Schnee“…"
Verifiziert

Geschrieben am 25.06.2023 | Aktualisiert am 25.06.2023
Besucht am 28.12.2022 Besuchszeit: Abendessen 2 Personen Rechnungsbetrag: 54 EUR
Otto Waalkes würde an dieser Stelle wohl sagen: „Einen hab‘ ich noch, einen hab‘ ich noch!“ Und tatsächlich ist dies nun wirklich („Schwör!“) meine letzte Einkehr des Jahres 2022 gewesen, von der ich hier „kurz“ berichten möchte.
 
Kurz deshalb, weil es: a) „nur“ ein süßer Absacker werden sollte…und b) mein letzter Bericht über das „Topaz“ noch gar nicht lange her ist. Aber meistens kommt es dann doch anders als man schreibt…    
 
Es ereignete sich an jenem Abend, kurz nachdem ich zusammen mit Herrn Borgfelder, meinem Gaumen-Gschpusi von der Weser, das Restaurant Argana im Schnoorviertel verlassen hatte und noch Lust auf was „Schmutziges“ in meinem Bremer Lieblingsbistro verspürte.
 
Das Topaz hatte ich von unserem Gelage im Februar vergangenen Jahres noch in bester Erinnerung. Die Bilder des Bremer Urgesteins der Gastrokritik, die seinen vorweihnachtlichen „Sehr-Kurz-Report“, in dem es nicht nur „Dark’n’Stormy“, sondern auch überraschend süß zuging, begleiteten, hatten bei mir die Lust auf ein ganz spezielles Dessert entfacht.
 
Nun ist der „Pate vom Ostertor“ in seinem „Viertel“ nicht gerade als ausgewiesener Nachtischler verschrien. Als Mann des harten Käseregiments darf man sich in diesem Haifischbecken genannt „Weser“ sowieso keine überzuckerte Blöße geben und sich mit Crème Brulée, Mousse au Chocolat oder gar Coupe Dänemark in Flagranti erwischen lassen.
 
Wenn einer wie der besagte „NoSweetForMe“ eine solche Lobeshymne über „DAS Winter-Dessert der Saison“ (Zitat Borgi) verfasst, dann darf man auch mal für einen „Sugar-Nightcap“ in die Horner Straße pilgern.
 
Dass die „süße Sache“ noch ein irisches Felsenaustern-Vorspiel haben würde, nahmen wir dabei genussvoll in Kauf. Aber der Reihe nach.
 
Von Schankprinz Ibo I. mit einem freundschaftlichen „Moin!“ begrüßt, durften wir uns gleich neben dem Eingang an unserem „Stammtisch“ platzieren. Von hier aus hat man den besten Blick auf die von Wärmelampen beschienene Anrichtetheke aus Zinn, hinter der Küchenchef Fynn Fabian die letzten Gerichte des Tages in seiner offenen Küche finishte.
Men at work
Der Getränkefachmann des Hauses empfahl mir einen trockenen Riesling von der Mosel aus dem bekannten Weingut Carl Loewen, das bereits in den 90er Jahren mit eleganten Moselrieslingen auf sich aufmerksam gemacht hat.
 
Seitdem Sohn Christopher in den elterlichen Betrieb eingestiegen ist, gibt es einen weiteren Qualitätssprung, wenn man den Worten vom britischen Weinlyriker und Riesling-Routinier Stuart Pigott Glauben schenken darf.
 
Der 2021 „Quant“, dessen Namen im moselfränkischen ein ganz besonderes Lebensgefühl, nämlich eine zusammen mit Freunden in geselliger Runder erlebte Hochstimmung ausdrückt, eignete sich mit seiner knackig-frischen Säure und seinem nach reifem Pfirsich (oder war es Aprikose…;-)) duftenden Bouquet ganz hervorragend als „letzte Pfütze“ des langen Gastro-Jahres.
Kein Quäntchen flüssigen Glücks, sondern ein Quant!
Das mit 9,10 Euro in Rechnung gestellte Glas (ein gutes Achtel…) war zwar nicht gerade ein Schnäppchen, aber unter dem Gesichtspunkt der Mischkalkulation auch nicht unverhältnismäßig hoch bepreist. Unsere aufwändig zubereiteten Late-Night-Snacks waren dagegen regelrecht preiswert.
 
Der hanseatische Heimrechtler versuchte die vorher genossenen, marokkanischen Preziosen mit einem dunkel-stürmigen Cocktail – der „Dark’n’Stormy gehört hier anscheinend zu seinen (fast) täglichen bzw. nächtlichen Standards – in verdauliche Bahnen zu lenken.
 
Keine Ahnung, wer von uns beiden auf die glorreiche Idee kam, einen kurzen kulinarischen Abstecher nach Japan zu wagen, aber bald darauf erfragten wir bei „Flaming-Fynn“ ein geflämmtes Austern-Nigiri, das als „Gero Spezial“ für läppische 5,50 Euro das Stück in der Karte stand. Wohl eine Hommage an einen berühmten Bremer Komponisten, Kabarettisten oder Gastrokritiker, dessen Nachnamen mir leider entfallen ist.
 
Wir beobachteten aus nächster Nähe, wie Chefkoch Fynn Fabian eine noch jungfräuliche Holzkiste mit irischen Felsenaustern aus der Kühlung holte, davon zwei Exemplare fachmännisch mit dem Austernmesser öffnete
Die rohe Auster kurz nach dem Öffnen
und ihnen mit dem Flambierbrenner mächtig einheizte.
Die schwitzende Auster
Dann formte er mit vorbereitetem Shinode-Sushi-Reis das Fundament, das er kurz darauf mit pikanter Austernsauce aufpeppte, um die geflämmte Meeresfrucht zusammen mit ein paar säuerlich eingelegten Texturgebern (Rettich und Schalotte) darauf zu platzieren.
Hommage an einen großen Bremen Gaumenakrobaten
Etwas Schnittlauch und gerösteter Sesam waren auch im Spiel. Sojasauce und Orangenzeste komplettierten dieses komplexe Geschmackskunstwerk, das an unseren Gaumen mit jodig-würzigen und fruchtig-frischen Aromen für Furore sorgte.
Geflämmte Auster "Big in Japan"
„Kannst du uns bitte noch eine davon zaubern, lieber Fynn?“ traute ich mich erst nach dem Abflauen des „Papillentornados“ zu fragen. Und tatsächlich verrichtete dieser die bereits beschriebenen Arbeitsvorgänge von Neuem, um die beiden Auster-Aficionados zufrieden zu stellen. Nur nicht den „Stammkundenbonus“ meines Begleiters überreizen, so mein Gedanke, aber dieser scheint hier ja lukullischen „Lifetime-Credit“ zu genießen.
Nochmal zum Sattsehen!
Nach diesen zwei Austern Marke „Big in Japan“ war ich endlich bereit für den „Muddy Snow“, dem winterlichen Muss-Dessert des Hauses. Dies wurde mir zu vorgerückter Stunde vom Küchenchef serviert. Dieser ließ es sich dann auch nicht nehmen, mir die einzelnen Komponenten seines Schmuckstücks am Tisch zu erklären.
 
Unter den verschiedenen Landschaftselementen, die in ihrem Gesamtbild keineswegs „schlammig“ wirkten, war eine in zwei Hälften geteilte Kugel Bratapfelparfait, eine aufgebrochene Punschpraline, ein wunderbar nussiger Haselnussfinancier, mehrere Schokoladen-Äste aus dunkler Valrhona, weißes Schoko-Malto (= Schnee) und ein paar Apfel-Rum-Hippen zum Knuspern.
No muddy waters! Muddy Snow!
Das intensiv nach Bratapfel schmeckende Parfait, das im Wesentlichen aus Bratapfelpüree und weißer Kuvertüre bestand, war schon eine Klasse für sich. Die mit winterlich gewürztem Wein – ein kräftiger Bordeaux zusammen mit Portwein, Nelke, Zimt, Kardamom, Vanille, Orange und einem Schuss Rum einreduziert – gefüllte Punschpraline war ebenfalls hausgemacht und hüllte einen ganzen Glühweinstand in feinste dunkle Schokolade.
MEIN Lieblingsdessert 2022
Der hauptsächlich aus Butter und Zucker bestehende Haselnussfinancier kam dank der ultrafein gemahlenen Haselnüsse ganz ohne Mehl aus. Volles Nussaroma gedieh hier auf gut gebuttertem Nährboden. In der Summe ergab das ein sündhaft mürbes Gebäck, das wirklich jede Kalorie wert war.
 
Um die dunklen Schoko-Äste selbst herzustellen, spritzte der Chef de Patisserie die flüssige Kuvertüre vom Beutel in Eiswasser, wo sie zu dünnen, unregelmäßig gebogenen Schokozweigen erkalteten. Auch bei der „Schneeproduktion“ ging der Dessertkünstler vom Topaz äußerst clever zu Werke. Dazu mischte er geschmolzene weiße Kuvertüre mit Maltodextrin. Durch dessen Fettbindung erzielte er die bröckelige Struktur des „Schnees“.
 
Selbst Nebendarsteller wie die im Dehydrator getrockneten Apfel-Rum-Segel, deren Masse aus püriertem Topaz-Apfel (klar, was sonst?), Rum, Vanille sowie einem Mix aus Isomalt und Glukose durch ein feines Sieb gestrichen und danach ganz dünn auf Folie aufgetragen wurde, strotzten vor echtem Apfelaroma und vertrugen sich natürlich hervorragend mit dem Parfait.
 
Das Fehlen der Fruchtkomponente fiel bei diesem postweihnachtlichen Traum in süß, herb und nussig an keiner Stelle auf. Auch für mich war das ein texturell wie geschmacklich sensationeller Nachtisch über dessen Preis von 12,50 Euro ich heute noch verwundert den Kopf schüttele, wenn ich bedenke, wie viel Arbeit da drinsteckte.
 
Irgendwann war dann auch für Borgi und mich die Messe gelesen und wir verließen das sympathische Edel-Bistro mit dem Gefühl, dass nach der kulinarischen Pflicht im Argana, die Kür im Topaz unserer kleinen Genusstour zwischen den Jahren die Krone aufsetzte.
Blick auf die Bar des Topaz mit typischer Szenerie (=Oligarch sitzt mit teurer Blondine an der Theke)...;-)
Den Jungs und Mädels vom Topaz wünsche ich weiterhin viel Erfolg mit ihrer ambitioniert vorgetragenen Bistroküche. Möge sie auf aufgeschlossene Genießer treffen, die das auch zu würdigen wissen.
 
In diesem Sinne (und auch reichlich verspätet): Goodbye 2022, du warst wenigstens in gastronomischer Hinsicht ein gelungenes!
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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