Zurück zu Esszimmer
GastroGuide-User: Shaneymac
Shaneymac hat Esszimmer in 42697 Solingen bewertet.
vor 3 Jahren
"Zeitgeistige, „aufgeweckte“ Frischeküche am Ohligser Markt– heute mit „Post-Lockdown“-Anlaufschwierigkeiten"
Verifiziert

Geschrieben am 11.07.2021 | Aktualisiert am 31.12.2023
Besucht am 09.07.2021 Besuchszeit: Abendessen 2 Personen Rechnungsbetrag: 92 EUR
Mit Blick auf meine Heimatstadt galt für mich schon immer die Devise „Wenn die Welt ein Dorf ist, ist Solingen darin die Lindenstraße.“ – will heißen: Über eine oder zwei Ecken kennt jeder jeden und stets bewahrheitet sich, dass man sich auf dieser Straße selten nur einmal im Leben begegnet.
 
Wir erinnern uns an mein kürzlich verfasstes Cordon Bleu Epos, in dem ich in der Einleitung verlässlich übertreibend augenzwinkernd vom mitteilungsfreudigen Koch berichtete, den ich 2018 anlässlich meines Sabbatical-Minijobs in einem alteingesessenen Ohligser Wein- und Feinkosthaus flüchtig kennengelernt hatte.
 
Auch das in Solingen mitnichten unbeschriebene Blatt Gerd König, der Koch und Gastronom hinter dem heute thematisierten Restaurant Esszimmer am Ohligser Markt, war dort regelmäßiger Kunde und deckte sich mit Nachschub für das Angebot offener Weine auf seiner Karte bzw. sein Catering ein.
 
Im Gegensatz zu den dort seinerzeit verkehrenden, gesteigert kommunikativen Vertretern ihrer Art wie bspw. Radio Tückmantel & Droß :-)) blieb der sympathische Mittvierziger mir eher als stiller, introvertierter Zeitgenosse in Erinnerung, der nie dampfplaudernd sondern ruhig und bedacht von seinen Plänen berichtete, als es für ihn damals daran ging, nach dem Ende seiner Zeit im Al B'Andy neue solche zu schmieden.
 
Nach 18 Monaten des reinen Catering-Geschäftes schien sich seine Berufung für die Gastronomie dann doch wieder ihre Bahn zu brechen, am Ohligser Markt, trotz absoluter Bestlage entschied sich das dort langjährig ansässige Balkan-Restaurant „Croatia“ im letzten Jahr dazu, nicht mehr weiter zu machen und Gerd König nutzte prompt die Gunst der Stunde.
 
Eigentlich hatte ich – und damit bin ich wieder beim ersten Absatz…. – an diesem Freitag endlich einmal im erwähnten Al B'Andy essen wollen, bekam aber kurzfristig keinen Tisch mehr und freute mich kurz darauf über den „königlichen“ Geistesblitz, denn ins „Esszimmer“ wollte ich schon seit Monaten mindestens genauso gerne, wenn nicht sogar noch etwas mehr, dank mehrerer persönlicher Empfehlungen.
 
Und nicht zuletzt auch wegen einer lobenswert kleinen, häufig wechselnden Karte, die ich stets im Blick hatte, auch wenn mir das auf der Website stolz verkündete, in der Gastronomie denkbar omnipräsente, sprachlich ausgetretene Credo „saisonal & regional“ in Verbindung mit dem dortigen Hipster-Flair ein wenig ein innerliches genervtes Augenrollen abverlangte.
 
Was wohl aber sicher auch damit zusammenhängt, dass ich dank meines Hobbys u.v.a. sehr viele Webseiten von Restaurants besuche und die gängigen „Trending Topics“ schnell ins Auge fallen, noch bevor sie extremen viralen Charakter besitzen wie „regional & saisonal“, der normale Gast freut sich hier abseits der Gastro-Nerd B-Note über eine konsequent reduzierte Karte, die davon kündet, dass dieses Motto hier mehr ist als eine ausgelatschte Worthülse:
 
https://www.esszimmer-solingen.de/gaumenfreuden
 
Meine telefonische Reservierung am Donnerstagabend hinterließ einen guten Eindruck, eine fröhliche junge Dame begrüßte mich und ich dachte eigentlich nicht im Traum daran, in dem kleinen Lokal so kurzfristig noch einen Tisch zu bekommen und stieg direkt mit dieser Annahme pessimistisch in das Gespräch ein, hörte aber zu meiner größten Freude „Nein morgen sieht es noch gut aus, 18 Uhr für zwei Personen, ist notiert, wir freuen uns, bis morgen dann!“ und blickte fortan vorfreudig auf den nächsten Abend.
 
An jenem entschied ich mich für das Taxi, die Wetterlage war mir zu unsicher für meinen offenen Veteranen-Jeep, auch wenn dieser sicher gut zum Vintage-Flair des Restaurants gepasst hätte, auf meinen Alltags-Wagen hatte ich keine Lust und schließlich wollte ich ehrlicherweise einen schönen Abend verbringen, ohne an den Führerschein denken zu müssen.
 
Ich war schon einige Zeit nicht mehr in der Ohligser Fußgängerzone und ließ uns am Bahnhof absetzen, um bei dem – noch… - schönen Wetter diese in Richtung Esszimmer entlang zu schlendern und uns vor dem Essen noch ein wenig die Beine zu vertreten.
 
Im Gegensatz zur weitgehend toten Fußgängerzone in der Innenstadt, deren traurige Leerstände den alten Solingern regelrecht das Herz brechen (wann immer in der rührigen, nostalgischen FB-Gruppe „Us Solig“ alte Fotos oder Postkarten aus den 70ern gepostet werden, die eine bunte, belebte Innenstadt zeigen, rollen in den Kommentaren verständliche Tränen des Wehmuts) ist in Ohligs die dortige Welt noch halbwegs in Ordnung.
 
Inhabergeführte Geschäfte erfreuen sich hier treuer Kunden, die Außengastronomien diverser Cafés waren an diesem lauen Abend gut besucht, lebendiges, gut gelauntes Treiben im beschaulich-urbanen Umfeld.
 
Am Markt dann entsprechendes Flair, das „Bayerische Wirtshaus“ hatte draußen gut zu  tun, die Italiener nebenan im „Any Paradise Café“ schienen Dank König Fußball in Bestlaune zu sein und auch ums Eck auf der Lennestraße, in der „Trattoria Mediterranea“, konnte man sich dem Anschein nach nicht gerade wegen zu wenig Zuspruch beklagen.
 
Das „Esszimmer“ liegt hier, wie erwähnt, direkt am Markt und gibt sich im Außenauftritt angenehm dezent:


 
Aufgrund der Witterung überlegten wir kurz, ob wir auch draußen Platz nehmen sollten, entschieden uns aber wegen des winzigen Bistro-Gestühls dagegen, was sich kurze Zeit später als die beste Entscheidung des Abends herausstellen sollte.
 
Wir traten ein und ich war überrascht, obwohl ich schon Fotos gesehen hatte: die dunkle Cevapcici-Höhle wurde kernsaniert, altbackener Gelsenkirchener-Ajvar-Barock wich –  zugegeben leicht stereotyp-„Hipster-esque“ wie auch die Gestaltung der Website – modernem, hellen Vintage-Chic, wenn man die Räume vorher kannte staunt man über das, was sich getan hat.

Bar, vorderer Bereich
 
Drei adrette junge Damen wuselten herum, wir wurden freundlich begrüßt, Duzen ist hier anscheinend Teil des Konzeptes, was ich allerdings nicht schlimm finde, sofern es kein „Plastik-Duzen“ Düsseldorfer Gastronomie-Prägung ist, was hier nicht im Ansatz so rüberkommt, auch wenn Ohligs in mancher Beziehung sicher ein Hauch von den dortigen Klischees innewohnt.
 
Den zunächst angebotenen Hochtisch neben der Bar lehnte ich höflich ab, ich mag Hochtische und –stühle nicht, wenn ich für ein mehrgängiges Essen ein bequemes Plätzchen suche,  man nahm kurzerhand einen 8er Tisch auseinander und wir konnten uns an einem offenen Fenster niederlassen, ein sehr freundlicher und zuvorkommender Start in den Abend.

Gastraum
 
Die Karten wurden gereicht, lose, makellose Blätter von wertigem Papier auf einem hölzernen Clipboard, die nostalgische Serifen-Schriftart passte wunderbar zum Ambiente, das gefiel mir ausnehmend gut, zwei Tageangebote komplettierten auf einer Tafel an der Wand.

Karte (Hochformat)
 
Erste Getränkewünsche wurden erfragt, bei den Aperos ist man leider sehr mainstreamig, hier findet man Hugo, Aperol, Prosecco (finde ich immer doof, wenn wie hier zu Sekt und Co. keine näheren Angaben auf der Aperitif-Karte stehen, „Prosecco“ kann schließlich vom Premium-Spumante bis zum Schädelspalter-Frizzante auf Tankstellen-Niveau alles bedeuten….) und den auch nicht mehr wirklich taufrischen Lillet Wild Berry.

Lillet Wild Berry
 
Letzteren hatte ich schon zig Jahre nicht mehr getrunken, Madame liebt ihn und somit fanden bald zwei von diesen (je 5,50 €) und ein halber Liter Mineralwasser (4,00 €) in der Karaffe auf den Tisch, ungefragt mit Eis und Zitrone, gefiel mir gut!

Wasserkaraffe (Hochformat)
 
Parallel bestellte sich meine Begleitung noch ihre geliebte Rhabarberschorle (0,2l zu 3,00 €), diese sollte sich leider als weitgehend geschmacksneutral herausstellen, der Lillet war grundsätzlich prima, mir aber zu süß, was schon immer so war, ich aber wohl verdrängt hatte und somit freute sich Madame über meine Spende von zwei Dritteln meines Aperos an ihre Adresse.
 
Auch das Wasser blieb unbezeichnet, finde ich auch unglücklich wenn man bedenkt, dass es in Solingen italienische Restaurants wie das Russo gibt, die eine große Flasche Pellegrino für um die drei Euro an den Gast bringen. Das soll kein flammendes Plädoyer für Dumpingpreise oder das italienische Blubberwasser sein, aber die Relation zu einer Ware, die auch dem SodaStream entsprungen sein könnte finde ich mit Blick auf Deckungsbeiträge zumindest erwähnenswert.
 
Die Vorspeisen sollten nach nur wenigen Minuten serviert werden, die Küche hatte um kurz nach 18 Uhr noch nicht wirklich viel zu tun, was sich später deutlich ändern sollte.
 
 
| Vorspeisen |
 
Gambas in Hummerrahm - 9,50 €
Marinierte Oliven & Tomaten mit Brot & Pesto (vegan) – 5,00 €
 
2019 Signature (Cuvée Colombard, Gros Manseng, Ugni Blanc), Domaine Saint-Lannes, Lagraulet-du-Gers, Gascogne, Frankreich – 0,2l zu 6,00 €
 
Auf meine Garnelen hatte ich mich seit Donnerstag gefreut, als ich sie auf der Karte entdeckt hatte und ich möchte einfach mal alle bitten, kurz in sich zu gehen und sich vorzustellen, an was man denkt, wenn man “Gambas in Hummerrahm” liest.
 
Ich dachte an einen schönen Teller mit breiter Fahne, in der Mitte Garnelen in einem sämigen Rahm mit den Noten eines schönen Hummerfonds, dazu die in der Karte erwähnten Merkmale von Chili und frischem Koriander, klang gut.
 
Insofern war ich schon über das zeitgeistige Weckglas erstaunt, das es nicht einfacher machte, die im Schmetterlings-Schnitt aufgeschnittenen Garnelen in Kombination mit der üppigen Gemüseeinlage in dem tiefen Gefäß problemlos herauszufischen geschweige denn zerteilen zu können.

Gambas in Hummerrahm
 
Die Einlage war vielfältig, u.a. Paprika, Zuckerschoten, hauchdünne Zucchini, dünner grüner Spargel, Karotte und sogar Pfifferling war hier zu finden, die Verarbeitung reichte von rustikal….


 
…hin zu cartoonhaft anmutenden Gemüseformaten, die Bugs Bunny sicher Glücksmomente verschafft hätten….

Bugs Bunny would approve...
 
Von Hummerrahm dabei keine Spur, das war eher ein recht öliger Sud, der geschmacklich trotz allem grundsätzlich in Ordnung ging, wenn es auch eher in Richtung einer hausfraulichen Minestrone als in die auf der Karte beschriebene Angelegenheit ging, von Koriander und Chili dabei auch kaum etwas zu vernehmen.

Sud Detail
 
Schade, sicher kein Totalausfall sondern einfach ein Problem hinsichtlich dessen, was man in der Karte formuliert und dann auf den Tisch bringt, „Gambas in mediterranem Sud“ wäre passender gewesen und hätte auch keine Fragen aufgeworfen.
 
Die parallel servierte Dip-Auswahl war da schon stimmiger, man sieht ein klassisches Pesto, ein Rote Bete Hummus und einen Feta-Dip sowie je zwei Scheiben dreier Brotsorten.

Marinierte Oliven & Tomaten mit Brot & Pesto (vegan)
 
Das beste Brot war mit Abstand dieser farbenfrohe Vertreter mit eingebackenem Gemüse, herrlich knusprig-locker und bestens geeignet als Dip-Werkzeug:


 
Die anderen beiden Körner-Brote eher kompakt in der Krume und recht dick geschnitten, sofern man keine belegten Stullen schmieren wollte etwas schwierig zu handhaben, man musste kleine Bröckchen abreißen und mit kleinen Buttermessern mit den Dips bestreichen, an ein „Dippen“ war nicht zu denken.
 
Das grüne Pesto überzeugte mit Frische, blieb aber als vegane Variante auf der „grasigen“ Seite des Geschmacks und das ist kein plumper Veganer-Witz sondern der frische Rucola brachte tatsächlich Noten von frisch gemähtem Rasen mit sich.
 
Da hier der Parmesan fehlte und auch die Pinienkerne nicht so üppig verwendet wurden fehlte mir Bindung und der typische runde Geschmack eines guten Pesto Genovese.
 
Das Rote Bete Hummus war leider äußerst flach, „Hummus“ habe ich geschmacklich gar nicht vernommen und auch die Rote Beete spielte sich weitestgehend nur optisch ab.
 
Am besten gefiel mir der dankenswert knoblauchlastige Feta-Dip, mir fehlten aber die salzigen Noten von echtem, guten, Feta, aber ja, seufz, es ist schließlich eine vegane Vorspeise.
 
Dazu noch ein kleines Glas mit entkernten schwarzen Oliven und sehr schmackhaften, eingelegten halbgetrockneten Tomaten.
 
Finde ich zu dem Preis völlig ok als kleiner Appetithappen, in gehobenen Häusern sicher in der Form auch ein nettes veganes Amuse, geschmacklich hätte es mir in gut gemacht als nicht vegane Variante aber wesentlich besser gefallen.
 
Der gut gekühlte Wein passte gut und ist mir nicht unbekannt, ein unkomplizierter Sommerwein aus der Gascogne, wer den Wein googelt und alleine den Einzelhandelspreis sieht wird mir aber zustimmen, dass Wein hier nicht unbedingt zurückhaltend kalkuliert wird.
 
Der Service machte seine Sache derweil mehr als gut, man fragte aufmerksam und interessiert nach der Zufriedenheit, war immer zur Stelle, auch als es voll wurde war immer ein ehrliches Lächeln für die Gäste da. Die offensichtliche Service-Leiterin, die ich aufgrund ihrer jugendlichen Ausstrahlung zunächst viel jünger und unerfahrener eingeschätzt und auch nicht direkt als Chefin vom Dienst erkannt hatte - mea culpa - machte ihren Job hinter der Theke und am Gast mehr als gut, eine fachlich souveräne und dabei immer umgänglich-liebenswürdige Vorstellung, den ganzen Abend über, die zudem von langjähriger Gastro-Erfahrung zeugte.
 
Zeit etwas frische Luft zu schnappen, ein Hauch von Savoir-vivre hing über dem Ohligser Markt und sogar die Persil-Uhrensäule passte zum Vintage-Erleben im Gastraum:

ein schöner Moment (Hochformat, bitte anklicken) 
 
 
| Hauptspeisen |
 
Kräuter-Lammrücken mit Kartoffeln, Gemüse & Jus – 19,90 €
Gefüllte Pasta – 12,50€
 
2017 Lopez de Haro, Cuvée (Garciano, Garnacha, Tempranillo), Bodega Classica, San Vicente de la Sonsierra, Rioja, Spanien – 0,2l zu 6,50 €
 
Mein Lammrücken konnte optisch punkten, ein schönes Tellerbild, thronend auf bunter Gemüseauswahl, Kartöffelchen in Schale und ansehnlich arrangierter Lamm-Jus.

Kräuter-Lammrücken mit Kartoffeln, Gemüse & Jus
 
Das Gemüse fand ich sehr gelungen, bissfester grüner Spargel, wilder Brokkoli, Lauchzwiebel, Karotte, auch die großzügig vorhandenen Kartoffeln waren auf den Punkt gegart.
 
Für mich ist die Seele eines solchen Gerichtes aber die Jus in Kombination mit dem Fleisch. Handwerklich war die ehrliche Sauce gut gemacht aber ihr fehlte fast jede geschmackliche Tiefe, das waren diffuse Noten des Fleisches aber leider sehr eindimensional.
 
Das Fleisch sieht auf dem Teller sicher sehr gelungen aus, es war aber leider doch übergart und recht trocken, es neigt sicher sehr zum Nachziehen, ich habe aber zwei Stücke wenige Minuten nach dem Servieren fotografiert, das Foto ist in der Galerie, ich wollte es nicht in den Text einbauen aber es illustriert sicher gut was ich meine.
 
Die eher dezente Kräuterkruste mochte ich sehr, alles in allem ein Gericht mit viel Potential, das heute aber trotz Detailkritik grundsätzlich schmecken sollte, ein paar Stellschrauben noch und hier stünde Hochgenuss auf dem Tisch.
 
Hochgenuss hatte ich von dem begleitenden Rioja, ein guter Bekannter aus dem angesprochenen Ohligser Weinhandel, nicht in den höchsten Tönen erwartet, wenn er auch ein solider, samtiger Vertreter seiner Art ist und mit 18 Monaten im Holz sicher eine gute Wahl zum Gericht darstellte.
 
Wenn man diese recht schweren Weine bei so einer Witterung aber nicht leicht kühlt, sind sie für mich fast untrinkbar, bei 23 Grad plus im Glas wirken selbst die für viele spanische Verhältnisse „leichten“ 13,5% beim ersten Schluck wie Kopfschmerzgarantie vom Feinsten, geschmacklich tendieren sie dann ins leicht „Fuselige“, was ich in Ultra-Kurzform auch den Service wissen ließ; man bedauerte und wollte es gerne weiter geben. Zum Preis verweise ich grundsätzlich auf meine Aussage zum Weißwein.
 
Die Gefüllte Pasta von Gegenüber war eines der beiden Tagesangebote, gefüllt wurden die recht großen Teigtaschen mit Wildschwein-Ragout.

Mit Wildschwein Ragout gefüllte Pasta
 
Das Tellerbild leider nicht so hübsch wie bei mir, aber form follows function sage ich ja immer, die angeschmelzten Kirschtomaten brachten zumindest Farbe ins Spiel.
 
Es scheint als wurde die Pasta zwecks gemeinsamen Servieren zu früh aus dem Wasser gefischt, der recht dicke Teig war an den Rändern noch nicht genügend gegart und dort auch recht hart, das war nicht wirklich gelungen, zumal ihm auch jeglicher schöne Schmelz fehlte, der gute Ravioli und Co. so köstlich macht.
 
ABER, zur Ehrenrettung sei gesagt, dass wir fast das gesamte Gericht einpacken ließen – man gab uns ein Weckglas, prima, bringen wir zurück - und Frau Shaneymac diese am nächsten Tage für sich behutsam in der Pfanne mit gutem Olivenöl erwärmte und siehe da, der Teig war auf den Punkt und wesentlich gelungener, auch wenn der Schmelz nach wie vor fehlte, am Vortag war er schlicht untergart.
 
Ich hätte den Teller sicher zurückgehen lassen aber Madame ist da sehr zögerlich und ich probierte auch viel zu spät, um ihr dazu raten zu können, aber Schwamm drüber, kann passieren.
 
Lobend erwähnen kann man das Ragù di cinghiale, das Wildschwein-Ragout in der Füllung, das ich mir am nächsten Abend genau anschaute, weil ich einen Raviolo abstaubte.
 
Das war keine Hackfleisch-Sauce sondern das Fleisch wurde geschmort und dann fein zerkleinert. Faserig gerupft bzw. gepulled wie in der Bolognese Variante von Tim Mälzer war es nicht, es ging aber in diese Richtung, fein abgeschmeckt war es aber leider passte das Verhältnis von recht spärlicher Füllung und Teig ob der Dicke des Letzteren nicht wirklich, trotzdem großes Lob für dieses Ragout.
 
Derweil wunderte ich mich vor Ort über Leute, die teilweise mit Tellern in der Hand das Lokal stürmten und siehe da, draußen ein veritabler Wolkenbruch vom Allerfeinsten, Sturzbäche auf Straßen und Wegen, flüchtende Gäste und rennende Passanten; aufgepasst, so sehen 10% Regenwahrscheinlichkeit im Bergischen aus:


 
Mit entsprechend gesteigerter Lautstärke im Gastraum sollte sich der Abend fortsetzen, das Publikum dabei eine bunte Mischung mit leichtem Hang zur lokalen Hautevolee, da wird stolz das ein oder andere modische Accessoire der Warengruppe „Schlechter Geschmack muss nicht billig sein!“ präsentiert, sicher gibt es hier eine große Schnittmenge mit den Hitze-Frei-Kunden, der Behelfs-Sansibar des Stadtteils. 
 
 
| Dessert |
 
Gefrorener Griechischer Joghurt mit Rhabarberkompott, Kokos & Thymian – 7,00 €
Mango-Minz-Salat mit Himbeerschnitte & Pistazie – 8,00 €
 
Bei meinem gefrorenen griechischen Joghurt hatte ich das vegan überlesen und kann daher gerne zugeben, dass mich das Ersatzprodukt geschmacklich überrascht hat, es wäre schwierig gewesen dies in einer Blindverkostung herauszuschmecken. Er schmeckte cremig mit leichter Süße von Honig der wiederum mit dem Thymian hervorragend funktionierte, köstliche Kombi.

Gefrorener Griechischer Joghurt mit Rhabarberkompott, Kokos & Thymian
 
Weniger köstlich jedoch mein Rhabarberkompott (Detailbild siehe Galerie). Ich finde es gut, wenn ein Kompott neu interpretiert wird und es nicht tauglich für die Schnabeltasse ist. Wenn jedoch die Hälfte der Stücke, nämlich die größeren, noch fast roh ist sollte man das Rezept in der Ausführung noch einmal überdenken, dessen Grundanlage fand ich jedenfalls gelungen.
 
Der natürlich ebenfalls komplett vegane „Mango-Minz-Salat“ von Gegenüber warf Fragen auf. Zwei Stücke von der Frucht, die aussahen als kämen sie aus der Dose (war aber laut Aussage vom Chef und Service frische Ware), wo war da Salat, wo die Minze?

Mango-Minz-Salat mit Himbeerschnitte & Pistazie
 
Auf einer trennenden Blätterteigschicht darauf dann eine recht kompakte, in Sachen Frucht denkbar wenig aromatische Himbeer-Mousse, die doch sehr unterzuckert daherkam und etwas grob gehackte Pistazie.


 
Ob das acht Euro wert ist möge jeder selber beurteilen, ich sage nein, auch wenn ich für ein schönes Dessert gerne auch das Dreifache ausgeben würde, wenn es mich denn begeistert; meine Begleitung war übrigens denkbar wenig begeistert obwohl sie im Gegensatz zu mir aus Sicht der Gastronomie meist ein sehr dankbarer Gast ist.
 
Bevor ich nach der Rechnung fragen konnte baute sich ein bekanntes Gesicht neben dem Tisch auf „Guten Abend, König mein Name, ich habe gehört es gab Grund zur Klage?“ hörte ich, der Chef kam aus der Küche um sich zu erkundigen.
 
Nun muss man dazu wissen, dass ich wie fast immer in solchen Fällen mit jugendlichen Servicekräften in einem solchen ungezwungenen Setting, den Service niemals mit Details zu meinen – sofern vorhandenen - Kritikpunkten volltexte, lediglich den Pastateig und den viel zu warmen Rotwein sprach ich beiläufig an und erntete wie üblich selbst dafür prompt giftige Blicke von Madame, trotzdem hatte ihn das erreicht.
 
So wie er das vortrug und dreinschaute, kam es mir fast vor, als habe man ihm gesagt, ich hätte alles furchtbar gefunden, was mir leid tat und sicher nicht dem entsprach, was ich angemerkt hatte.
 
Daher war ich etwas zögerlich und bemüht, ihm die Dinge, die ich auch in diesem Text angesprochen habe schonend beizubringen und zu betonen, dass es auch viel Gutes gab und es sich eher um Details handelte, die sich aufsummiert hatten.
 
Ich glaube, es ist auch bei ihm angekommen, dass ich nicht essen gehe, um mit der Lupe das Haar in der Suppe zu suchen sondern sofern ich Dinge überhaupt vor Ort anspreche, dann als ehrliches Feedback im Sinne des Restaurants.
 
Daher nahm er die Kritik für mein Verständnis auch an, bot ein freies Heißgetränk an, was ich nett fand aber dankend ablehnte, Koffein um diese Zeit meide ich und wir waren auch schon in Aufbruchstimmung.
 
Aber die Haltung dahinter, sich direkt beim Gast zu erkundigen und Rückmeldungen ernst zu nehmen verdient Applaus, leider erlebt man auch hier oft Gleichgültigkeit in solchen Situationen.
 
„Wir haben erst seit zwei Wochen wieder auf, ich hoffe doch sehr, dass sich in den nächsten beiden wieder alles eingespielt hat und solche Dinge nicht mehr passieren.“ ließ er mich wissen und schob ein sympathisch-humorvoll-augenzwinkerndes „So, ich geh dann mal in Küche, kurz ein wenig Rumschreien!“ nach bevor er sich verabschiedete und einen schönen Abend wünschte.
 
Dort blieb es aber natürlich ruhig, schließlich ist Gerd König zumindest dem Anschein nach kein Küchen-Choleriker sondern ein solider Koch, der sein Handwerk und seine Rolle als Gastgeber ernst nimmt.
 
Der Regen hatte endlich ein Ende und wir entschieden, anstatt ein Taxi zum Restaurant kommen zu lassen, wieder zurück zum Hauptbahnhof zu gehen, ein paar Schritte nach dem Essen machen Sinn, die Luft war klar und die Schwüle war merklich zurück gegangen und wenig später waren wir zurück in Höhscheid, wo uns zwei schimpfende Katzen erwarteten.
 
Zweieinhalb Stunden ohne Kraulen und Leckerlis, skandalös, da muss geschimpft und eine schlechte Bewertung auf Catbook erwogen werden, wo ich seit Jahren andauernd von den pelzigen Untermietern wegen kleinster Verfehlungen angeprangert werde….
 
 
 
Fazit
 
Nun bin ich kein Kater mit imaginärem Smartphone aber das Anprangern kleinster Verfehlungen ist mir trotzdem fremd. Angesichts eines Rechnungsbetrages von über 90 Euro gab es heute aber einfach in Summe zu viele mehr oder weniger kleinere Dinge, die hier sicher nicht immer passieren, davon bin ich überzeugt.
 
Aber solche Kritiken sind IMMER Momentaufnahmen, und als solche gebe ich heute 3 Sterne für das, was von der Küche geboten wurde zu eben diesem Preis. Das mag die treuen Stammgäste schockieren und so mancher Ortsfremder wird hingegen aus der Ferne urteilen: Das ist aber SEHR nett! Recht machen kann man es nie allen, wichtig ist mir, dass sich solch ein Urteil fair anfühlt, und das tut es für mich.
 
Den Service kann ich so wie erlebt gerne mit der vollen Punktzahl bewerten, auch wenn vielleicht kein gelerntes Fach, aber was man hier mit Freundlichkeit, Charme und Routine bietet kann sich mehr als sehen lassen und muss sich auch fachlich ganz sicher nicht hinter so manchen Häusern verstecken, die bei "gelerntem Fach" in erster Linie an steifen, unpersönlichen Plastiklächel-Service denken - hier kommt man sich willkommen vor und man behandelt die Gäste wie Freunde. Und das gilt ausdrücklich für die Service-Leitung, als auch für ihre nicht minder nette Kollegin Kathrin, die uns hauptsächlich am Tisch bedienen sollte, die Jüngste der drei bediente zumeist draußen und war daher nicht bei uns, machte jedoch ebenfalls einen sehr engagierten und sympathischen Eindruck.
 
Das durchaus gemütliche Ambiente sehe ich grundsätzlich bei vier Sternen, wobei sich das etwas relativiert wenn es in dem kleinen Gastraum voll und laut wird, aber das ist in jedem kleinen Lokal so.
 
Die Sauberkeit ohne Tadel, daher fünf Sterne in dieser Kategorie, auch in Sachen Corona hielt man sich, wie auch bei allen vorangegangenen Besuchen in den letzten Wochen in anderen Betrieben, vorbildlich an alle Auflagen. 
 
Bei Preis-Leistung bin ich bei 3,5 Sternen, einiges war angemessen und fair, anderes etwas fragwürdig, in Summe aber noch völlig im Rahmen.
 
Bei der Gesamtwertung schrammt das Esszimmer bei diesem Erstbesuch an vier Sternen knapp vorbei, ich habe lange überlegt aber der nette Service rettet heute keinen ganzen Stern sondern ich lande bei etwa 3,7 die somit in 3,5 Sternen münden, was im hiesigen Wertekanon immerhin noch als "alles ok" deklariert ist in der Bewertungsmaske. 
 
 
Ich werde hier definitiv am Ball bleiben und weiß, dass dies hier Tagesform war, man hier wesentlich verlässlicher abliefert und die Erklärung von Gerd König macht sicher auch Sinn.
 
Insofern ist es ohne weiteres möglich, dass ich hier im Herbst begeisterte fünf Sterne für die Küche vergebe, das Potential und das Handwerk ist da, aber ich bewerte Momente und keine Grundlagen.
 
Als Empfehlung möchte ich diesen Text dennoch definitiv verstanden wissen, nicht zuletzt für alle, die eine reduzierte Karte mit frisch gekochten Gerichten und vegane Optionen schätzen, ein Reinfall war der letzte Freitag unter dem Strich nämlich sicher nicht, selbst Ausprobieren lohnt hier jederzeit.
 
 
 
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


kgsbus und 20 andere finden diese Bewertung hilfreich.

DerBorgfelder und 20 andere finden diese Bewertung gut geschrieben.