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GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Augustin Restaurant Cologne in 50668 Köln bewertet.
vor 1 Jahr
"Brauhausküche meets Sternekoch"
Verifiziert

Geschrieben am 30.01.2023 | Aktualisiert am 30.01.2023
Besucht am 04.11.2022 Besuchszeit: Abendessen 1 Personen Rechnungsbetrag: 130 EUR
Nachdem ich am ersten Kölner Abend schon Julia Komps Kochkünste abseits der Gourmetküche  probiert hatte, traf es sich für den Folgetag doch prächtig, dass ein weiterer Sternekoch wenige Tage zuvor ein Zweitrestaurant eröffnet hatte. In Eric Werners Augustin soll es Brauhausküche 2.0 geben - Kölsche Klassiker veredelt. Eine telefonische Reservierung war erfolgreich.
Ins Restaurant gelangt man durch einen unscheinbaren Eingang, dem sich ein längerer gefliester Hausflur anschließt. Hier atmet alles Kaiserreich. Der Speisesaal des ehemaligen Kolpinghauses für wandernde Handwerksgesellen ist mit seinem hohen Tonnengewölbe für den Brauhaus-Ansatz eine durchaus beeindruckende Bühne. Dunkle Parkettoptik und Holzmobiliar stehen für Rustikalität, in edlem dunkelgrün gestrichenen Wände für Eleganz. Die halbhohe Wandverkleidung aus türkisfarbenen(!), holzeingefassten Fliesen lässt mich etwas wehmütig an den verblichenen Berliner Pauly Saal denken. In der Mitte stehen größere Tische ganz in Brauhausmanier, an den Seiten Bänke, davor und auf einer kleinen Empore zur linken Hand Tische für Pärchen und alleinspeisende Gäste. Die Sitzgelegenheiten sind mit schwarzem Kunstleder bezogen und dick gepolstert. Dafür wird die Rückenlehne mit der Zeit recht hart. Vielleicht hätte ich den Tipp annehmen sollen, meine Garderobe (noch?) mangels anderer Möglichkeiten über den Stuhl zu hängen. Hatte ich offenbar vorschnell abgelehnt, weil ich mit meinem langen Mantel nicht den Boden wischen wollte…
Für gedämpftes Licht im Saale sorgen einerseits in den Säulen eingefügte Leuchtbänder. Hingucker sind aber natürlich die im Netz schon vielfach beschriebenen, ganz unterschiedlichen Kronleuchter; 14 Varianten habe ich ausgemacht. Meine Begeisterung wurde etwas gedämpft, als ich sehe, dass sich das im wesentlich gleiche Ensemble nur etwas anders aufgehängt wiederholt. Vielleicht ein Statement zur Unmöglichkeit von Individualität in unserer Zeit? Egal. Wichtiger ist, dass die vielen Lampen kaum den Lärmpegel dämpfen können, der sich trotz recht manierlich erscheinendem Publikum immer weiter erhöht. (Man kennt das: Weil es laut ist, spricht man selbst lauter und das verstärkt sich immer weiter gegenseitig…) Auch, wenn man zum lauschigen Tète-à-Tète sicherlich nicht das Brauhaus ansteuert: Vor dem letzten Gang bat ich um eine Pause und flüchtete regelrecht in das ruhige Foyer des angrenzenden, Design-Hotels, zu dem keine geschäftliche Verbindung besteht. Eine Wohltat! Im abschließenden Plausch mit der Serviceleitung hieß es dann auch, dass man über Geräuschdämpfung unter der Decke nachdenke. Bitte, unbedingt!
Nicht nur beim Gespräch machte der komplett in schwarz gewandete Service wenige Tage nach der Eröffnung eine gute Figur: Der junge Mann, der mich überwiegend bediente, war zwar anfangs etwas nervös, aber mit zunehmender Zeit freundlich, flott und gewissenhaft. Und er gab, wie sich später herausstellte, meine Reaktionen an die Küche weiter.
Nachdem ich mich - netterweise ungestört - ausführlich umgeschaut hatte, bestellte ich für die prickelnde Abendbegleitung einen rotfruchtigen Rosé Brut vom renommierten Würzburger Juliusspital. 

In der gut sortierten Weinkarte finden sich viele große Namen, aber auch viele Entdeckungen, die teilweise sehr fair kalkuliert sind. Galt leider ausgerechnet nicht für den Frankensekt, der im Netz mit 15€ angeboten wird, hier aber 55€ kostet.
Amuse wurde konzeptgerecht nicht gereicht, auch kein Brot etc. Die Karte wird den Ankündigungen gerecht: Für mich sollte et kölsche Verjnöje aus Fisch-Röllchen, Kalbs-Terrine, Himmel un Äd sowie Halve Hahn bestehen.

Natürlich wurde zum Auftakt kein ordinärer Hering gerollt, sondern Seezunge, die ab dem ersten Bissen mit klarer Aromatik punktete (günstige 19€). Das gefiel und konnte sich neben der Füllung aus Cornichons, eingelegtem, mildem Apfel und einer feine Fischfarce gut behaupten. Die Beilagen passten wunderbar dazu: Gepickelte Radieschen, Rotweinschalotten, Senfsaat mit ein paar Blättchen diverser Salate und gesondert ein angenehm zurückhaltender  Kartoffel-Dill-Gurken-Salat mit nicht verkochten Erdäpfeln.



Im Ergebnis ganz harmonisch, ohne jedoch langweilig zu sein. Ganz im Gegenteil: Die Erwartungen an das Geschmacksbild wurden voll erfüllt und dabei alle (Säure-, Salz-, Fisch-)Brutalismen vermieden. Und - selten genug - der als add-on angebotene Kaviar (39€/20g) hätte sogar einen kulinarischen Zusatznutzen für den Gast bedeutet und nicht nur für die Kalkulation des Wirtes. Konnte ich ja nicht ahnen. Toller, toller Auftakt!

Mehrere Vorspeisen zu bestellen, ist riskant - Wiederholungen drohen. 
Hier nicht, denn die Terrine vom Kalb (18€) zeigte sich erfreulich eigenständig: Alles einen Tick kräftiger, so dass quasi auf einem aromatisch erhöhten Level auch hier wieder eine Harmonie hergestellt wurde: Die geschichtete Terrine enthielt nach meiner Wahrnehmung gebeizte Zunge, geschmortes Bäckchen und gezupfte Maske. Umhüllt von einem knusprigen Teig kam die Scheibe heiß (statt lauwarm lt. Karte) an den Tisch. Das perfekte Unentschieden zwischen Fleischer und Bäcker. Die Blattsalate schufen hier eine willkommene „frische“ Ergänzung.


Als Hauptgericht „natürlich“ der (nicht nur rheinische) Klassiker Himmel un Äd für 24€. Häufig ist es ja so, dass die Hauptgerichte in Sachen Kreativität nicht ganz mit den Entrées mithalten können. Als ich die ordentliche Portion Kartoffelpüree im satten Soßensee erblickte, 

schoss mir der Gedanke „Recht konventionell“ in den Kopf - und wohl auch über die Lippen. Denn nach dem Abgang des Obers dauerte es gefühlt drei Sekunden, bis mir ein zorniger junger Mann aus der Küche als erstes entgegen schleuderte, ob ich wisse wer er sei? Nun, ich hatte zwar eine Ahnung, aber solche Fragen verneine ich prinzipiell. Das würzt die Stimmung immer so schön…
Na, jedenfalls „zählte“ der engagierte Küchenkünstler: Die Feinheiten der Küche auf und mich damit aus: Ob ich denn geschmeckt hätte, dass die Soße auf einem doppelten Ansatz beruhe und zudem mit Thymian und Basilikum verfeinert sei. Die Blutwurst sei baskische Ware, im Topping werden nicht nur Schmorzwiebeln, sondern auch ein selbst gemachtes Zwiebelchutney verwendet. Und Herbsttrompeten werde ich in einem „konventionellen“ Brauhaus schwerlich finden. Ich bedankte mich höflich für die Hinweise und entließ den selbstbewussten Herrn, um mich nun endlich nicht nur optisch meinem erkaltenden Gericht zu widmen. Die dichte Soße war in der Tat klasse; ich empfand sie persönlich aber als sehr salzig. Das wurde indes gut von der Fruchtsüße des Jona Gold gedämpft, der hier hier geschmort und als knackig-frische Julienne verarbeitet worden war. Nur die so gelobten Pilze gingen leider geschmacklich in der Soße unter. Bei der Zwiebel kamen nicht nur die verkündeten Varianten, sondern auch frisch Frittiertes. Die Blutwurst erfüllte ihre Aufgabe, dem süß-sauer-erdigen Gericht, einen Umami-Booster verpassen, wunderbar. Ob nun die baskischen Schlachter ihr Geschäft besser als die rheinischen verstehen, mögen berufenere Kritiker entscheiden…
Insgesamt natürlich eine sehr leckere Version, aber insgesamt doch recht schwer. Vielleicht etwas konv…. Ach, lassen wir das.

Gelegentlich gibt es Käse als Vorspeise. Der wird natürlich sofort zum Dessert umfunktioniert, auch dann, wenn Halver Hahn auf der Karte steht. 
Die augustinische Version von Gouda mit Senf und Gurke im Röggelchen kam als veritabler Domturm daher: Die Basis bestand aus einer dicken Scheibe sehr stark gerösteten Landbrotes, dessen scharfe Kante den Gaumen des gierigen Schlemmers malträtierten. Die nächste Schicht ein säuerlicher Käsesalat mit frischer Gurke und Paprikapulver, getoppt von einer Nocke Senfsorbet mit deutlicher Schärfe. Auch wenn das Spiel mit der Temperatur bei warmem Röstbrot und kühlem Salat vielleicht nicht unbedingt notwendig war, und ich mir eher noch die weiche, verbindende Textur eines Schaums oder einer Crème gewünscht hätte. Den oberen Abschluss, quasi den Brötchendeckel, bildete schließlich ein Roggenbrot-Chip. 



Moderne Ideen in die rustikale Küche übersetzt. Mit 14€ nicht zu teuer. 

Küche und Service haben bei meinem Besuch fast durchgehend überzeugt. Das Ambiente ist wie so oft Geschmacksache; in einer fröhlichen Gruppe würde ich das Augustin aber sehr gern erneut besuchen.
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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