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Nach wochenlanger Verwaisung der Räumlichkeiten wurde zur Eröffnung noch mal alles bestmöglich herausgeputzt. Im Gebäude eines (aktuell etwas dahindarbenden) Frischemarkts mit Postfiliale befinden sich Bäckerei, Café und Terrasse. Die Einrichtung wurde größtenteils von den Vorgängern übernommen. Am Eröffnungstag ist mächtiges Gedränge. Sollte es daran liegen, dass heute die ersten 50 Gäste eine Tasche gratis erhalten oder dass die Betreiberinnen ihre gesamten Freunde und Fans zusammengetrommelt haben? Oder liegt es an den kostenlosen Probiererle?
Die sonst nur dürftig frequentierte Terrasse ist heute bis zum allerletzten Winkel besetzt und mit Luftballongirlanden bekrönt. Nur unter Mühen ergattere ich einen Sitzplatz im Innern. Ein halbes Dutzend Damen im Selo & Melo-Outfit wirbelt hinter der Theke herum und glänzt mit einer gross angelegten Charme-Offensive – wenn nicht gerade die Tücken der neuen Kasse alles lahmlegen. Wie der Laden vielleicht eines Tages nur mit den beiden Chefinnen (deren Vornamen Selma und Meltem offenbar zur kreativen Namensgebung verleitete) flutschen soll, ist noch nicht ganz klar. Die ellenlangen Öffnungszeiten sind durchaus ambitioniert: montags bis samstags von 7:00 bis 19:00 und sonntags von 8:00 bis 12:00.
Aber jetzt ist sowieso erst mal Ausnahmezustand. Es gibt keine Tabletts mehr und die Warteschlange vor der Theke gerät durcheinander. Meine erste Test-Bestellung ist noch relativ unspektakulär: zum großen Kaffee (2,65 Euro) esse ich zwei Börek-Stangen, pikant gefüllt, sehr kross und noch ofenwarm. Daneben liegen weitere Yufka-Kreationen aus, sichtlich individuell handgefertigt. Selbst die kostenlosen Versucherle werden probiert, obwohl sie nicht meinem Dosha entsprechen (so sind Schwaben halt…). Die kleinen, derzeit sehr angesagten Zimtschnecken sind sehr süss, sehr zuckrig und erfreuen sich bestimmt grosser Beliebtheit. Meine Mutter hätte sie gemocht. Kaufen würde ich sie tatsächlich nicht. Stattdessen lieber ein belegtes Brötchen (etwas über 3 Euro) als morgiges Rucksackvesper. Zwischen zwei voluminösen Weizenbröthenhälften befindet sich viel Habhaftes, aber auch etliche Tomatenscheiben und Salatblätter, die sich unterwegs kaum bändigen lassen. Meine anfängliche Verzehrrechnung wurde übrigens noch mal mit vielen Entschuldigungen und Kniefällen korrigiert und ich erhielt fast noch mal die Hälfte des bezahlten Betrags zurück. Die neue Kasse hat noch ihre Tücken. Ich nehme es, wie es kommt. Und suche noch die (sauberen) Toiletten auf, deren Nordseestrand-Feeling ebenfalls von den Vorgängern übernommen wurde.
Selo & Melo lebt vom Engagement und vom Eifer der Betreiberinnen, von ihrem sichtlichen Bemühen, etwas Eigenes herbeizuzaubern. Eigene Domain und Internetpräsenz stehen schon am Eröffnungstag, wenngleich noch im Lore-Ipsum-Stadium und vielleicht noch nicht ganz korrekten Inhalten. Ob der Betrieb Bestand haben wird, muss sich noch zeigen. Ein ähnliches Projekt im Nachbarviertel hat sich innerhalb von Wochen zu einem inoffiziellen Stadtteiltreff herausgeputzt, ganz ohne kommunale Förderung, nur aufgrund der persönlichen Atmosphäre und dem Engagement einer einzigen Person. Das Selo & Melo liegt in einem eng bebauten und bevölkerungsstarken Viertel. Gut zehn kostenlose Parkplätze befinden sich rund ums Haus herum, die Haltestellen von Buslinien und Regionalbahn sind fussläufig erreichbar. Und die Wartezeiten des Waschsalons auf der Strassenseite gegenüber spülen immer wieder verlässlich Kundschaft an.
Das Engagement könnte also aufgehen. Ich werde Selo & Melo auf jeden Fall im Auge behalten und erst mal all die Rabattaktionen der kommenden Tage antesten.