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GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Restaurant Bandol sur mer in 10115 Berlin bewertet.
vor 4 Jahren
"Ganz starke Leistung"
Verifiziert

Geschrieben am 20.04.2020 | Aktualisiert am 20.04.2020
Besucht am 27.01.2020 Besuchszeit: Abendessen 2 Personen Rechnungsbetrag: 716 EUR
Bereits dreimal hatte ich versucht, spontan einen Platz in dem seit 2016 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnetem Lokal zu bekommen, immer erfolglos. Was an der einfallsreichen, französisch geprägten Küche von Patron Andreas Saul und der extrem entspannten Location gelegen haben dürfte, und wohl auch daran, dass im ehemaligen Döner-Grill auf der angesagten Torstraße bei üblicher Bestuhlung gerade 18 Plätze zur Verfügung stehen.
Ok, manchmal lernt selbst ein alter Borgfelder noch neue Tricks bzw. den Umgang mit dem Reservierungssystem.

Beim Eintreten (eine niedrige Stufe) durch den schweren, windabhaltenden Vorhang ist die vergangene Nutzung  noch deutlich zu erkennen. Die linke Seite des Raums beherbergt in zwei Zeilen die offene Küche, und wo jetzt Chef Saul mit einem Kollegen seine Sterneküche anrichtet

wurden sicher früher die Teigfladen „mit allem“ gefüllt. Im Gastraum mittig eine kleine Reihe von Zweier-Tischen mit harter Bistromöblierung, rechts davon auf einer Mini-Empore eine gepolsterte Wandbank, die in kleinen Ecken mündet. Auf der großen Tafel darüber werden die bis zu acht Gänge  des Abends für die internationalen Gästeschar auch in englisch mitgeteilt.

Gut für das etwas exaltierte Pärchen in der Ecke, das sich nicht nur intensiv über die Speisen austauschte, sondern auch fotografierte und sogar Notizen machte. Sachen gibt’s...

Von unserem Tisch hatten wir einen guten Blick durch den ganzen Raum und konnten so die ungewöhnliche Ausstattung entdecken und bewundern, die aus dem abgerissenen Palast der untergegangenen Republik stammt und auch ganz ohne Ostalgie für Technik- wie Designfreaks einige Schmankerl bereit hält. Dazu spielte unerwartet melancholischer Rhythm’n’Blues. Das ebenso ausgefallene wie stimmige (weil eben gar nicht aufgesetzt „konzeptlastige“) Gesamtpaket hat mich trotz oder auch wegen einer gewissen Geschäftigkeit in den engen Gängen völlig überzeugt, ja begeistert. Beim nächstenmal würde ich allerdings lieber auf der hoffentlich weicheren Bank sitzen.

(Derzeit kein echtes Außer-Haus-Geschäft. Allerdings wird ein „Weinpakt“ angeboten:
5 ausgesuchte Wein-Entdeckungen zzgl. einem Liter Garnelenfrikassée oder Wildschweinragout aus der Sterneküche für 200€ deutschlandweit frei Haus)

Der Blick in die noch nicht allzu lange von Gastgeber Alexander Seiser verantwortete Weinkarte lässt für meine Vorlieben wenig Wünsche offen, Frankreich und Riesling satt, da vergeht schon mal ein Viertelstündchen mit der Auswahl. Wie gut, dass man digital vorab ja nicht nur Unverträglichkeiten mitteilen kann, sondern auch Vorlieben. Und so atmete kurz nach der Begrüßung ein feiner Chardonnay auf

und ich den (erwartbaren) Preis-Schock weg... Was übertrieben ist, denn die Weinkalkulation scheint mir angesichts der durchweg hohen Qualität sehr fair zu sein, allemal bei den Flaschen.

Erfreulicherweise leistete mir ein Kollege kurzfristig Gesellschaft, der auf die Frage nach dem Wein meist „Rot, Cuvée“ antwortet. Da bot sich ein Chateauneuf-du-Pape an. Champagne und Elsass (Vin de Voile!) besuchten wir bei unserer flüssigen Frankreich-Reise glasweise, nur Madeira fiel aus dem geografischen Rahmen.

Nicht nur als Sommelier machte Herr Seiser eine gute Figur. Stets aufmerksam, flott, zugänglich und bereit für einige informative Worten wuppte er den Service unter nur gelegentlicher Hilfe der Küche sehr souverän und schuf eine schöne, gastfreundliche Atmosphäre. Meine Vermutung, dass kleinere Sternerestaurants die Reservierung von Einzelessern aus wirtschaftlichen Gründen beschränken müssten, wollte er nicht bestätigen. Erst recht nicht den auch schon gehörten Vorwurf, dass einzelne Gäste für müde Stimmung sorgten. Im Gegenteil hätten im Bandol durch geschickte Platzierung schon spontane Gruppen zusammen gefunden. Kann ich mir gut vorstellen. Am Service gab es nullkommanichts auszusetzen, daher auch mal von mir die seltenen 5 Sterne.

Die bestellten sechs Gänge waren mit 109€ angesichts von Produkten und Mengen durchschnittlich kalkuliert. Die Karte versprach einige Abwechslung:

Vorweg
- Pilz, Estragon, Kaviar & Schwarzwurzel, XO, Liebstöckel
- Rote Bete, Pflaume, Knochenmark

- Makrele, Kapuzinerwurzel, grüne Erdbeeren
- Ziege, Teltower Rübchen, Grünkohl
- Fermentierter Rotkohl, Rote Bete, Austernvelouté
- Havelzander, Roggen, Waldpilztee
- Taube, Lauch, Rettich
- (eingelegte Kirschen, Topinambur, schwarzer Knoblauch - ohne Bestellung)
- Cassis, Stilton, Rosmarin

Hier nimmt jemand Region und Saison ernst, ohne daraus eine anstrengende Weltanschauung zu machen.

Als Tagesangebot Gänseleber, Umami-Sauce & Holzkohleapfel für zusätzliche 24€.

Auch die notgedrungen spontane Bitte meines Begleiters nach möglichst glutenfreien Speisen wurde ohne Gemaule von der Küche gut umgesetzt. Man scheint darauf vorbereitet zu sein, Respekt.

Mit einer cremigen karamellisierten Butter (Suchtgefahr!) gab es ein Kartoffel(misch)brot mit toller Kruste.

Der Teig war deutlich kartoffelig, aber recht schwer und für mich etwas zu salzarm. Als glutenfreie Variante wurden Chips von Garnele, Sellerie und Kartoffel gereicht.

Den Aufschlag machte ein Champignon-Chip mit frischen Blättern und sehr präsentem Estragonstaub, etwas Kaviar steuerte eine Spur Salz bei.

Mutige Kräuter und Crunch, schon knuspere ich dahin...
Deutlich anders angelegt ein vermutlich sehr lange im Ofen bis zu einer weingummiartigen Konsistenz gegarter Streifen Schwarzwurzel mit einer Crème aus XO-Sauce, dazu getrockneter Ingwer und Liebstöckel.

Irgendwo kam Säure her. Mutig, sehr eindeutig, der Chef hat mehrere Jahre im Rutz bei Marco Müller gekocht.

Die zweite Runde war erneut ein Fingerhappen, aber deutlich komplexer:

Tartelette von Sonnenblumenkernen, darauf eine Schicht Rote Bete, darüber ein Marshmallow eindeutig mit dem Geschmack von Rindermark. Bestrichen mit einem Hauch von Bierbalsam, der an alten Essig erinnerte. Schließlich Tupfen von Pflaume, die würzige Süße mitbrachten. Sehr, sehr süffig. Alter Falter, da weiß jemand, was er tut.

Zum Start ins Menü die inzwischen häufig erlebte gebeizte Makrele, deren Fett den Hintergrund bildete für so kräftige Geschmäcker wie salziges Seegras, saure grüne Erdbeeren, eine kräuterig-scharfen Mayo mit Kapuzinerwurzel und einen nachträglich angegossenen Dashi von Hühnerknochen, Muschel und Shitakepilzen.


Herausfordernd, genau mein Ding.

Kaum leiser der folgende Gang, der sich leider als vegetarisch herausstellte. Leider, denn auf Ziegenfleisch war ich sehr gespannt gewesen. So war es dann „nur“ Quark, der die mexikanisch scharf eingelegte Gurke, schön herausgearbeiteten Grünkohl in verschiedenen Texturen und Teltower Rübchen verband, die zu malzig schmeckenden Chips verarbeitet waren. Das hatte zwar viel Biss, aber auch viel Säure, die hier zwar unterschiedlich, aber letztlich ohne interessanten Konterpart inszeniert wurde. Ein Foto ist nicht auffindbar, so sad...

Auch der nächste Teller kam ohne Fleisch aus. (Ich nehme an, dass Vegetarier aus dem Menü die fleischfreien Gänge wählen, die dann von der Portionsgröße angepasst werden.)

Die Küche richtete fermentierten Rotkohl und Rote Bete in verschiedenen Varianten (darunter intensiv dehydriert) zunächst „trocken“ mit Champignonsand und Saiblingskaviar an. Später wurde eine Austern-Velouté angegossen.

War wieder säuerlich, aber durch die weiteren Komponenten nicht mehr so extrem. Gut, aber vegetarisch begeistert mich eben selten.

Nach den jahreszeitlich bedingten Gemüsefermentationen freute ich mich auf ein schönes Stück Fisch. Für diesen Wunsch war der heimische Zander nicht umsonst gestorben.

Saftig, mit einer knusprigen Haut und etwas Roggensand bestreut war das schon solo 1a. Mit dem wiederum am Tisch beigefügten Waldpilztee ging’s aber nochmal eine Stufe höher, zumal ein Gel aus Pflaumensaft der umami-Bombe einen kleinen fruchtig-süßen Twist gab.

Elegant dazu ein kleiner Raviolo mit einer kühlen Roggencrème-Füllung. Schön, dass auch Temperatur eingesetzt wurde. Toller Teller.

Die folgende, kräftig angebratene Foie gras war vorzüglich und wurde durch eine Sauce aus Schweinefüßen noch vollmundiger.


Gut, dass ein knuspriger Kalbskopf-Chip der Cremigkeit ebenso Einhalt gebot, wie die geräucherten Apfel-Parisienne, die natürlich auch die notwendige Säure einbrachten. Ganz anders, aber nicht weniger süffig war ein mit Entenrilette gefüllter Dumpling, der mit heißem Bärlauch-Öl und Panko-Crumble aber überhaupt keine Wünsche offen ließ.

Genialer Begleiter das Gläschen vom Rebensaft aus deutschen Landen,

der auch nach über 40 Jahren mit einem Quäntchen Frische neben aller Süße erfreute. (Was würden Sie auf eine einsame—It’s SCHARZHOFBERGER, stupid!)

Taube polarisiert.

Ich mag den eigentümlichen, leicht metallischen Geschmack. Hier wären vermutlich viele Genießer ausgestiegen, denn es gab auch das Herz und in einer kleinen Galette

wurde die Leber mit Meerettich und Grünkohl gereicht. Die beiden Tranchen auf dem Teller waren sous-vide, aber noch mit Textur gegart und hatten dann das berühmte Röstaroma mitbekommen.

Zum Aufnehmen der vollmundigen Sauce auf der Basis von Schweinefüßen gab’s lockere Buchweizenbrötchen

extra! Mehr geht nicht - perfekter Fleischteller. Der Vollständigkeit halber seien eher geschmacksarmer Lauch und süß-saurer Rettich erwähnt.

Während sich mein Gegenüber die eingelegten Kirschen schmecken ließ, freute ich mich an verarbeitetem Stilton, der durchaus kräftiger hätte sein dürfen, da neben säuerlichem Cassis auch Rosmarin ätherisch hervor schmeckte.


Aber das war keine Unausgewogenheit, sondern betraf lediglich meine persönlichen Vorlieben.

Und die haben die Bandolisten aus der Torstraße wirklich fast perfekt getroffen. Küche, Service und Ambiente - hier hat mal wieder alles gestimmt und sich zu einem wundervollen Abend gefügt. Danke dafür!
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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Carsten1972 und 25 andere finden diese Bewertung gut geschrieben.