Zurück zu Speisemeisterei · Gourmetrestaurant
GastroGuide-User: Minitar
Minitar hat Speisemeisterei · Gourmetrestaurant in 70599 Stuttgart bewertet.
vor 9 Jahren
"Asyl in der profanen Provinz"
Verifiziert

Geschrieben am 11.02.2016
Besucht am 10.02.2016
Wer nicht den Weg ins hochherrschaftliche Schloss Hohenheim schafft (oder vielleicht Muffen vor der feinen Umgebung hat), kann die Speisemeisterei für einige Wochen im eher bodenständigen Böblingen auf Abwegen besuchen. Pop-up-Restaurant heisst das Stichwort! Der Grund ist die längst fällige Renovierung der speisemeisterlichen Küche. Was geschickt in die eher schwach frequentierte Zeit Januar/Februar verlegt wurde, wenn Schmuddelwetter nicht so zum Ausgehen einlädt und der Karneval eher im Fokus steht. Umgesetzt im Jahre 2016.  Und eine gute Chance für alle Gäste, die längst einmal mit der Oehlerschen Küche liebäugelten, aber vielleicht mit Blick in ihren Geldbeutel eher Abstand nahmen.
Aufgepoppt ist die Speisemeisterei bis zum 14.01.2016 im traditionsreichen, in der Vergangenheit bereits mit mehreren Pächtern gesegneten Platzhirsch am Postplatz. Alten Böblingern ist dieser Ort gut bekannt; hier wurden unzählige Familienfeiern begangen, hier kehrte man zum Sonntagessen ein, hier war gut sein. Auch der jungen Generation ist die Ecke durch die hochrangige Lokalbrauerei allseits bekannt. Der letzte Pächter Beer räumte offenbar „aus familiären Gründen“ das Feld. Da die Speisemeisterei durch die Renovierung ihrer Hohenheimer Küche für einige Wochen quasi heimatlos war, hat sie durch geschickte Vermittlung (war´s ein Lieferant? War´s die Event-Agentur?) in BB Asyl gefunden. Egal wie: ich habe die Chance ergriffen, die Sternegastronomie in mal ganz neuem Ambiente zu erleben. Downshifting ist angesagt.
Apropos Ambiente: das grundsolide, holzlastige Interieur des Gastraumes bleibt bestehen. Man sitzt hier wie bereits in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Robustes Mobiliar, Holzvertäfelung an den Wänden, mattes Fensterglas, Holztische ohne Tischdecken und ohne Stoffservietten. Alles sehr rustikal. Nur der Nebenraum ist durch das von der Event-Agentur ausgeliehene Mobiliar sehr modern ausstaffiert: hohe Thekentische und Barhocker, helle Ausleuchtung, weisse Wände mit kulinarischen Projektionen, Merchandising-Produkte wie z.B. lustige T-Shirts.
Der Service erscheint mir leider sogleich irgendwie unpassend. Die jugendlichen Damen wirken  latent nervös und unkonzentriert. Beim Abräumen viel Lärm und zusammenrutschendes Geschirr. Ungeschicktes Hantieren. Vielleicht liegt´s am ungewohnten Ort, vielleicht ist das Personal einfach auch schlecht gewählt. Man bemüht sich zwar um ein zurückhaltendes Gebaren, leistet sich jedoch immer wieder einen Fauxpas. Obwohl ich nach vegetarischem Essen gefragt habe, wird mir später eine glutenfreie Alternative angedichtet. Sorry, das irritiert. Ebenso missfiel mir die Aussage, dass das von einem Begleiter gewählte Bier nicht passe. Entschuldigung: Geschmäcker sind mal verschieden. Und wenn ein Mann ein leicht süssliches belgisches Bier wählt, ist das nicht ein Fehltritt, sondern sein ganz persönlicher Geschmack.
Jetzt aber der Reihe nach. Den Tisch für 4 Personen habe ich telefonisch reserviert, was einwandfrei und reibungslos geklappt hat, obwohl ich an einem Schließungstag angerufen habe. Wir saßen mittig  im Raum, fühlten uns aber – umgeben von all dem Holz – sehr wohl und geborgen. Die Bedienung war rasch zur Stelle und hat professionell unsere Bestellung aufgenommen: drei einzelne Gerichte und ein Sonderarrangement, das aus Teilen des Menüs zusammengestellt und noch einmal leicht abgewandelt wurde (das Gesamtmenü für 69 Euro ist übrigens ein wahrliches Schnäppchen, aber uns fehlte einfach die Zeit dafür  - ich schätze, man sollte einfach einen ganzen Tag dafür veranschlagen).  Die Getränke wurden in absehbarer Zeit ausgeschenkt und somit saßen wir zumindest nicht mehr auf dem Trockenen. Mir persönlich war die Cola light (supergünstige 2,90 Euro für die 0,33-Liter-Flasche) zwar zu eiseskalt, aber im Laufe der Zeit erwärmte sie sich sehr angenehm. Das Lindemans Kriek Kirschbier (4,50 Euro) entpuppte sich als interessante Erfahrung: wahnsinnig prickelnd und schäumend, Geruch nach kandierten Kirschen, serviert in einem weitbauchigen Spezialglas.
Bis zu unseren Hauptgängen verging eine Dreiviertelstunde. Das mag zum Teil durch frisch zubereitete Speisen erklärbar sein, aber ganz nachvollziehbar war mir dies auch nicht. Hinterm Herd steht nach offizieller Aussage Markus Eberdardinger, durchs Fenster gesehen haben ich aber ein ganzes Küchenteam. Die Vorspeise meines Begleiters war dem Menü entlehnt und versprach vollmundigen Geschmack: Forellentartar mit Rote Beete und Senfeis. Für 12,00 Euro entsprach diese Winzigkeit kaum einem Amuse Gueule. Die Rote Beete war schön durchgegart und spektakulär gewürzt, die Forelle butterzart, doch das Senfeis verödete alle Geschmacksnerven. Schade drum. Immerhin wurden die Hauptgerichte zeitgleich serviert. Die Maultaschen waren in hauchdünnem Nudelteig gehüllt, der dazu gereichte Kartoffelsalat gebärdete sich rustikal und nicht allzu schwäbisch. Eine kleine Portion, die aber fein schmeckte (13,50 Euro), wenngleich nicht unbedingt satt machte. Das Schnitzel mit Bratkartoffeln (18,50 Euro) wurde als „Schnitzelchen“ beim Servieren deklariert und entpuppte sich auch als solches. Geschmacklich eher Mittelmaß. Die Bratkartoffeln dafür solid angebraten, mit überzeugenden Röstaromen. Die Original Allgäuer Kässpätzle (13,50 Euro) imponierten durch einen gehaltvollen, deftigen Mix aus Limburger und Bergkäse – enttäuschten jedoch durch jegliche Abwesenheit eines dekorativen Elementes. Ziemlich schmucklos das Ganze, nicht mal ein Tomatenachtel wie oftmals andernorts. Sehr günstig war der abschließende Kaffee (2,60 Euro), allerdings auch reichlich bitter. Gut gefallen hat mir hier allerdings, dass dazu eine winzige Karaffe aufgeschäumter und erwärmter Milch gereicht wurde.
Bezahlen konnten wir problemlos mit Karte. Fragen zur Speisenzusammensetzung mussten nachträglich mit der Küche geklärt werden, die Servicedamen waren dazu zu wenig informiert. Wir kommen dennoch gerne wieder, einfach um diesen zweifelhaften Eindruck des Erstbesuches eventuell noch einmal zu revidieren. Mir ist schon klar, dass diese Pop-up-Existenz mitnichten das übliche Speisemeister-Niveau abbilden kann, etwas enttäuscht bin ich jedoch schon. Etwas mehr Niveau und Originalität hätte ich mir schon gewünscht.
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


Lavandula und 3 andere finden diese Bewertung hilfreich.

Carsten1972 und 3 andere finden diese Bewertung gut geschrieben.