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Wie schön, dass unsere beiden Bremer Genusskomplizen an jenem Abend Zeit hatten, um dem kulturellen Input der deutschen Ein- und Auswanderungsgeschichte einen kulinarischen Gegenpart folgen zu lassen. Warum nicht einmal zusammen im altehrwürdigen Fischereihafen-Restaurant der Familie Natusch speisen? Auch Borgi war nach reiflicher Überlegung von dieser Idee halbwegs begeistert und reservierte einen Tisch für vier in diesem Nostalgieschuppen für Fisch-, Schalen- und Krustentierverehrer.
„Das Natusch“, wie die fischbegeisterten Gäste diesen traditionsreichen Familienbetrieb auch nennen, wird seit August 2017 von Kenneth Natusch-van Kesteren und seiner Frau Tanja in dritter Generation geführt. Mitten im Fischereihafen gelegen und gerade mal 200 Meter von den Fischauktionshallen entfernt befindet sich der stattliche Klinkerbau, der uns hübsch angestrahlt und zurückhaltend weihnachtlich dekoriert empfing. Dass man sich hier in erster Linie auf die Zubereitung von Meeresbewohnern konzentriert, duftete einem schon an der Eingangstür entgegen.
Hier ließen wir die urig eingerichtete Fischerstube, deren rustikales Holzinterieur eher an eine hyggelige Hafenkneipe erinnerte, links liegen, um gleich nach rechts in den deutlich edler wirkenden Gastraum, der den maritimen Charme einer Schiffskajüte ausstrahlte, abzubiegen. Unsere Bremer Freunde hatten es sich bereits im hinteren Bereich der stilvoll mit Holz ausgestatteten Stube gemütlich gemacht. Ihr Tisch befand sich in Ecklage, unmittelbar neben dem Eingang zu einem weiteren, etwas kleineren Raum, dem sogenannten Kapitänszimmer „Errol Flynn“. Der Name ist kein Zufall, stammen doch große Teile der originellen Einrichtung aus der Yacht des früheren Schauspielers und Frauenschwarms, der in den 30er bzw. 40er Jahren seine größten Erfolge feierte.
Schon beim Eintritt in das Innere des Restaurants wurde uns regelrecht warm ums Herz, denn der sehr geschmackvoll in Szene gesetzte Raum strahlte genau jene Form kultivierter Gastlichkeit aus, die leckeren Essensduft mit der gedämpften Akustik angeregter Tischgespräche vermischte, um dem eintretenden Gast das Ankommen zu erleichtern. Frei nach dem Motto: „Lass uns mal vor Anker gehen im kulinarischen Heimathafen!“. Zweifelsohne der passende Rahmen, um dem vorweihnachtlichen Trubel für ein paar Stunden zu entfliehen. Und das mit drei hervorragenden Gesprächspartnern am Tisch – was will man eigentlich mehr? Gut, vielleicht noch etwas Leckeres zu essen…
Für eine angenehme Beleuchtung sorgten die dezent in die holzbeplankte Decke eingelassenen Strahler. Warmes Kerzenlicht steuerte zusätzlich auf den cremeweiß eingedeckten Tischen ein wenig romantisches Flackern bei. Mit Weihnachtsdekoration hielt man sich lobenswerter Weise etwas zurück. Man setzte eher auf klassische Eleganz, die sich in Form gefalteter Stoffservietten, silbern glänzender Untersetzer und auf Hochglanz polierter Wein- und Wassergläser auf unserem Tisch widerspiegelte. Pfeffer- und Salzmühle, Brottellerchen und Einfachbesteck komplettierten die damit auch ziemlich vollgepackte Tischfläche.
Der Weinkühler war bereits auf einem schmalen Beistelltisch platziert. Scheinbar ging man davon aus, dass es sich bei den hier Anwesenden um veritable Schluckspechte handelte, beherrschte doch zumindest einer von ihnen den Dialekt der südlichen Weinvölker nahezu fließend. Der andere Bacchus-Verehrer betete sogleich sein übliches „Mosel unser – im Himmel“, was uns zur Strafe eine durchschnittliche Flasche Riesling (2017er Blauschiefer, 27 Euro) von Markus Molitor einbrachte. Aber wer den Gott des Weines eben erzürnt, muss die vinophilen Konsequenzen tragen. Da gab sich dann auch der Pfalzweinenthusiast geschlagen und machte gute Miene zu „bösem“ Säurespiel.
An diesem Abend wurden wir primär von der gleichen Servicedame umsorgt. Nur das Filetieren des Karpfens wurde vom Restaurantleiter persönlich am Tisch erledigt. Unsere hübsche, junge Bedienung machte ihre Sache grundsätzlich gut. Frau Schalinski agierte umsichtig und gab auf Nachfragen bereitwillig Auskunft. Kleinere Schwächen machte sie durch ihr sympathisches Wesen locker wett. Ihren Lapsus mit dem Champagnergläschen (ok, immerhin stolze 9,50 Euro wert), bei dem die Schampusdrossel am Tisch sofort das Fehlen jeglichen Blubbers diagnostizierte, klärte der „Möttfelder“ direkt am Ausschanktresen. Dass er innerlich vor Wut „schäumte“, ist jedoch nur ein Kalauer, den ich mir im Nachhinein zu dieser Situation zusammengereimt habe. Zumindest nach außen hin ließ sich der abgezockte Schaumweinhasardeur wenig anmerken. Ein Profi eben – durch und durch!
Man reichte uns die großformatigen Speisenkarten zum Aufklappen. Das übersichtliche Angebot erstreckte sich auf zwei Seiten und fiel erwartungsgemäß fischlastig aus. Gleich zu Beginn grüßte die Pfälzer Heimat mit drei Weinempfehlungen. Ein Grauburgunder, ein Rosé und ein Merlot gab es als „Natusch-Edition“ von Markus Pfaffmann aus Walsheim, meinem alten Schulkameraden vom Landauer Otto-Hahn-Gymnasium, für faire 24,50 Euro die Flasche.
Bei den Vor- und Hauptspeisen zeichneten sich in erster Linie die Nordsee bzw. der Atlantik für die Herkunft der Zutaten verantwortlich. Keine Frage, mit Oosterschelder Premium Austern, Nordsee-Krabben direkt vom Kutter, Suppe vom bretonischen Hummer oder Kammmuscheln vom Grill hatte man es als Krusten- bzw. Schalentiersympathisant gar nicht so einfach, die richtige Entscheidung bei der Wahl des Entrees zu treffen.
Die Liste an Hauptgerichten beinhaltete siebenmal Fisch, zweimal Fleisch und einmal Vegetarisches. Nordsee-Seezunge, Yellowfin-Thunfisch, Limandesfilet, weißer Heilbutt (Wildfang), Winter-Dorsch und Aischgründer Weihnachtskarpfen sieht man nicht so häufig auf einem Speisezettel stehen. Mit der Keule von der Hafermastgans und dem argentinischen Entrecôte standen immerhin zwei Alternativen für flossenverachtende Karnivoren bereit.
Etwas dürftig war dagegen das fleisch- bzw. fischlose Angebot, das Winter-Blattspinat mit glasierten Möhrchen, Haferwurzeln, Burrata und Grillkartoffeln für stolze 20,50 Euro listete. Gut, für Vegetarier ist das Natusch nicht die erste Adresse, aber ein bisschen mehr Auswahl dürfte es bei dem – auch preislich – etwas gehobeneren Anspruch des Hauses schon sein.
Für 43,50 Euro wurde noch zusätzlich ein Weihnachtsfest-Menü offeriert. Irland-Lachs, Loup de mer und Bratapfeleis klangen in der Summe zwar spannend, überzeugten jedoch an unserem Tisch niemanden so richtig, weshalb wir fröhlich à la Carte wählten.
Das Amuse passte auf einen geschwungenen Häppchenlöffel. Der Küchenkapitän grüßte uns mit einem eher langweilig angemachten Garnelensalat auf Mayo-Basis. Tja, die Eröffnung hätten wir uns wahrlich etwas raffinierter vorgestellt. Schnödes Weiß- und deutlich besseres Mehrkornbrot wurden zusammen mit einem Schälchen Butter gereicht. Die Flasche Mineralwasser kam auf sportliche 5,90 Euro in der Dreiviertelliterflasche. Aber in Bremerhavens erstem Fischlokal am Platz zu speisen hat nun mal seinen Preis, das war uns schon nach der Durchsicht des Speiseangebots klar geworden. Die Frage war nur, ob das Gebotene diesen auch wert sein würde.
Schon die Vorspeisen dämpften ein wenig unsere wahrscheinlich viel zu hohen Erwartungen und hinterließen eher gemischte Gefühle am Tisch. Die Nordsee-Bouillabaisse, die mit einer recht leisen Sauce Rouille und einer ordentlichen Fischeinlage (11,50 Euro) daherkam, konnte noch am meisten überzeugen. Meine etwas profan in einer Tasse servierte Krabbenfischersuppe mit Nockerln vom Winterdorsch (9 Euro) hatte zwar ein zupackendes Krustentieraroma, schmeckte mir aber eine Spur zu streng nach Cognac. Da stimmte das Feintuning beim Abschmecken nicht so ganz.
Die Portion Irland-Lachs aus der Orangen-Meersalzbeize (18,50 Euro) meines Gegenübers fiel derart homöopathisch aus, dass man sie auch locker hätte als Dekoelement auf dem Tellerrand platzieren können. Weniger sparsam war man dagegen bei der Salatbeilage (Baby Leaf, Zuckerhut, Rapunzel). Der eigentliche Protagonist, der qualitativ bemerkenswerte Lachs, wurde dadurch zum Nebendarsteller degradiert. Diese fehlproportionierte Vorspeise war ihren ambitionierten Preis definitiv nicht wert, so die einhellige Meinung am Tisch.
Ob nun die Nordsee-Krabben wirklich direkt vom Kutter kamen, hätte wohl nicht einmal Errol Flynn herausgeschmeckt. Die Dame, die mir schräg gegenübersaß, genoss sie zusammen mit einer Cocktail-Crème und einer Vinaigrette-Sauce. Für ein taugliches Krabben-Foto saß sie leider zu weit entfernt, aber das, was sich da für knapp 20 Euro auf ihrem Teller befand, war weder besonders ansprechend angerichtet, noch finessenreich zubereitet. Auch bei dieser Vorspeise stimmten Anspruch und Wirklichkeit genauso wenig wie Preis und Leistung.
Vielleicht würden es ja die Zwischengänge richten. Den Kammmuscheln vom Grill konnten weder Borgi noch ich widerstehen. Drei perfekt glasig gebratene Exemplare verteilten sich auf dem hübsch arrangierten Teller. Für farbliche Grundierung sorgte eine leider viel zu säurearme Rote-Bete-Beurre blanc. Der in Zylinderform gebrachte Winter-Blattspinat hatte zudem jeglichen Biss verloren. Die ebenfalls recht mürbe gedämpfte Kerbelwurzel und das ins Massige tendierende Pastinakenpüree hinterließen in der Summe einen durchwachsenen Gesamteindruck. Sicherlich hatte man sich bei der Zusammenstellung der Komponenten des Muschelgerichts seine Gedanken gemacht. Auch war der Großteil der Zutaten handwerklich solide zubereitet. Aber es fehlte die zündende Geschmacksidee, die den gustatorischen Funken auf unsere Gaumen hätte überspringen lassen.
Danach gab es erst einmal was zu schauen. Der blaue Weihnachtskarpfen (22,50 Euro) hatte seinen Aufenthalt im Riesling-Dampfbad sichtlich gut überstanden und lag von ein wenig Wurzelgemüse-Chiffonade bedeckt auf einem großen Metallblech, auf dem er sogleich vom Restaurantleiter fachgerecht filetiert wurde. Nach der Lektion in Sachen Fischzerlegung lagen zwei supersaftige, kompetent zubereitete Karpfenfilets auf dem Teller. Aufgrund seines manchmal leicht modrig-muffig schmeckenden Fischfleisches hat der Karpfen mittlerweile ein echtes Image-Problem, was ihn von vielen Speisenkarten verbannt hat. Hier gelang er jedoch ausgezeichnet und fiel vom Geschmack her leicht nussig-erdig aus. Passend dazu wurden Sahne-Meerrettich, geschmolzene Butter und Salzkartoffeln als klassische Beigaben gereicht. Die junge Dame neben mir schien mit ihrem Hauptgang vollends zufrieden zu sein.
Auch an den in der Pfanne gebratenen Filets von der echten Limande bzw. Rotzunge (27,50 Euro) gab es wenig auszusetzen. Mit Tomatenwürfeln und Lauchzwiebeln verfeinerte Nordsee-Krabben verliehen dem Plattfisch eine frische Note. Die à part gereichte Sauce Béarnaise stellte sich dabei genauso in den Dienst der Sättigung wie die noch leicht bissfesten Salzkartoffeln.
Das kapitale Filet vom weißen Heilbutt (29,50 Euro), welches sich der nette ältere Herr gegenüber von mir gönnte, kam leider in der gleichen, geschmacklich unspektakulären Serienausstattung auf den Teller wie die als Zwischengang servierten Kammmuscheln. Vielleicht hätte da die Küche eine alternative, leicht abgewandelte Garnitur anbieten können. Sie tat es nicht und was für meinen Genusskumpan noch viel schwerer wog, war die Tatsache, dass sein Fischfilet wohl einen Tick zu lange unter dem Salamander weilte und deshalb etwas zu trocken ausfiel.
Mein im Tataki-Stil, auf beiden Seiten nur leicht angebratenes Yellowfin-Thunfischsteak (26,50 Euro) lag vor geronnenem Protein (Albumin) strotzend auf einem Häuflein Wokgemüse. So weit, so unprätentiös angerichtet. Das laut Speisenkarte in Sashimi-Qualität dargebotene Thunfischfilet sah deshalb auch nicht besonders schön aus. Die weiße Schmotze hätte man ja mit ein wenig Küchenpapier nachträglich noch entfernen können. Oder man hätte den Fisch – wie das die Profis tun – kurz vor dem Anbraten in ein Salzbad gelegt. Das trennt bekanntlich die Muskelfasern an der Oberfläche und das Albumin wird nicht abgesondert. Doch das war nicht der einzige Kritikpunkt bei meinem Hauptgang. Zwei stattliche Nocken Sellerie-Haselnuss-Püree hätten von ihrer Süße her jedem Nachtisch zur Ehre gereicht. Auf dem leicht asiatisch angehauchten Fischteller erschienen sie mir jedoch mehr als deplatziert. Der klebrigen Masse nicht genug, befand sich auch noch ein Schälchen Quittenchutney inmitten des Ensembles. Dagegen konnte sich dann auch die fein abgeschmeckte Curry-Ingwersauce geschmacklich kaum durchsetzen. Schade, denn von der Idee her war das ein durchaus nachvollziehbares Gericht, das hier als Opfer der Zuckerdose klebrig gegen die Wand gefahren wurde.
Das nahm mir dann auch die Lust auf einen süßen Abschluss. Der Rest des Tisches durchstreifte munter per Dessertvariation (10,50 Euro) die Natusch-Patisserie und erfreute sich an aromatischem Christstollen-Eisparfait, saftig-süßen Glühweinkirschen, marinierten Datteln, cremigem Rahmeis von der Bourbon-Vanille sowie fluffiger Spekulatiusmousse an Clementinenkompott. Das kalorienreiche Weihnachtsdessert begeisterte besonders den „Süßen Fan“ am Tisch. Borgis aus Mango, Blaubeere und Mandarine bestehende Sorbet-Trilogie (7,50) wollte dagegen nicht so recht zünden.
Das Fazit habe ich ja eigentlich schon in die Überschrift gepackt. Im Natusch gibt man sich traditionell und klassisch gutbürgerlich. Mit internationalen Akzenten geht man hier zwar sparsam um, verschließt sich aber modernen Einflüssen nicht. Das mag vielleicht für manche Gäste etwas zu gewollt wirken. Die hohe Produktqualität beim Fisch und bei den Schalentieren ist jedoch nicht zu leugnen. Aber die haben mittlerweile auch andere Restaurants zu bieten. Wer auf eine romantische Atmosphäre und umsichtig agierenden Service steht, ist hier gut aufgehoben. Das Verhältnis von Preis und Genuss hatte bei unserem Besuch noch Luft nach oben. Dennoch haben wir diesen Abend sehr genossen und freuen uns jetzt schon auf eine Wiederholung dieser vorweihnachtlichen Tradition, die uns schon einige bemerkenswerte kulinarische Erlebnisse mit unseren Freunden aus der Hansestadt bescherte.