Manchmal hat man einfach zu viele Optionen. So ging es mir letztens, als ich abends am Berliner Hauptbahnhof ankam. Soll ich in Richtung Westen, um einen der vielen guten Tipps hier umzusetzen? Hm, wird aber schon recht spät, bis ich dann im Hotel bin. Also doch schon in Richtung Ostbahnhof? Aber da ist in fußläufiger Nähe nichts, was sich für ein ausgedehntes Nachtmahl aufdrängt. Grübel, grübel... Und wenn man sich nicht entscheiden kann, bleibt man schließlich an Ort und Stelle. Im Steigenberger am Kanzleramt hatte mich das damalige Inmitten nicht vollständig überzeugen können, siehe meine vorige Kritik hier. Jetzt firmiert es bei unveränderter Leitung von Mehdi Kazemi unter No.5, ein Grund mehr für eine Überprüfung.
Beim Eintreten nehme ich erfreut zur Kenntnis, dass der Relaunch jedenfalls nicht das elegant gestylte Interieur erfasst hat. Nur die Kuckucksuhr über der Garderobe hatte ich im März noch nicht wahrgenommen. Solch gewollt selbstironischen Prenzlauer-Berg-Sch... haben im No.5 weder Küche noch Service nötig. Eine junge Dame hinter der Theke bemerkte mich und warf mir ein freundliches "Ich komme gleich zu Ihnen!" herüber. Gut, konnte ich in Ruhe selbst ablegen, beim Gehen wurde mir ein Garderobenservice angeboten, den ich dankend ablehne. Als die ausgebildete Kraft zu mir kam, schnupperte ich erwartungsvoll, ob sie denn tatsächlich den klassischen Duft von Chanel trägt. Um recht ernüchtert zu erfahren, dass für den neuen Namen die Hausnummer des Hotels Pate stand. Einfallsloser geht's nimmer...
Was man vom überzeugenden Service nun gar nicht sagen kann, der immer kompetent und aufmerksam agierte.
Ich konnte unter den freien Tischen wählen und entschied mich für eine Bank mit Kissen für den Rücken und Blick in die Hotel-Lobby. Das Kommen und Gehen dort wurde von vielen uniformierten Herren dominiert. Stattliche Erscheinungen, jedoch zumeist um die Körpermitte. Muss die allseits beklagte Materialermüdung bei der Truppe sein, kombinierte ich. Allerdings waren mir die Uniformen eher unbekannt. Doch eher der Weihnachtsempfang des THW? Die junge Dame riss mich aus meinen Überlegungen. Sie und ihr männlicher Kollege hatten die recht gefüllten, unterschiedlichen Bereiche von Bar und Restaurant immer im Blick. Man weiß hier um die Produkte, konnte vollständig ansagen und war für meine Wünsche offen. Eingedeckt wurde mit Handschuhen, was eher überraschte. Die Nachfragen kamen regelmäßig und rechtzeitig, sie schienen von Interesse getragen zu sein.
Beim Aperitif war noch die selbstbewusste, aber doch zugewandte Dame für mich zuständig. Mein Ansinnen (eine Laune?) war ungewöhnlich, wollte ich doch alkoholfrei bleiben. Die Wahl fiel auf die Szene-Brause Wostok in Geschmacksrichtung Tannenwald (eindeutig eine Laune!). Warum nicht mal was Neues ausprobieren? Vielleicht, weil man Glück haben kann, aber nicht muss? Die bronzefarbene Flüssigkeit besteht der Eigenwerbung nach u.a. aus
"Taigawurzel, Fichtennadelöl, Eukalyptus und ein Hauch Kardamom ... ganz ohne Farb- und Konservierungsstoffe."
Nun, der Duft muss in der Tat keinen Vergleich mit einem Fichtennadelschaumbad scheuen. Beim Geschmack fehlen mir zwar die Erfahrungen mit dem Vergleichsprodukt, meiner war es jedenfalls nicht. Ich hatte etwas Würziges, Kräuteriges erwartet, vielleicht in Richtung Pimm's No.1. Es war aber vor allem süß. Allerdings hatte ich auch den Rat, das Getränk auf Eis zu genießen, zunächst ignoriert. Aber, wenn man schon die Geschmacksnerven betäuben muss, ist das Experiment wohl daneben gegangen - für den Preis von absurden 5€ für die 0,33l-Flasche, übrigens.
Ab der Bestellung des Essens übernahm der Kollege, der - nolens, volens - einen beeindruckenden, top-gepflegten Vollbart trug. Hauptstadt verpflichtet! Ein Mann vom Fach, der erkennbar eine Meinung zur Karte hatte, so dass sich zu den Gerichten jeweils eine kleine nette Unterhaltung entspann. Gut, vielleicht mochte mancher Provinzler meinen, eine gewisse Manieriertheit zu bemerken. Aber: Hey! Wir sind in Mitte...
Beeindruckt hat mich auch die Fingerfertigkeit, ein (Clausthaler) Alkoholfrei in Nullkommanichts mit zwei perfekten Schwüngen komplett in ein 0,3l-Glas zu einzuschütten. Einschließlich hoher Blume, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten oder gar überlaufen zu lassen. Chapeau! Offensichtlich reichlich Barerfahrung der Mann, wofür auch ein Ausgehtipp am Ostbahnhof spricht. Allerdings - Zweifelnder Blick hinunter zum dicken Mann (ich), gefolgt von einem winziges Einknicken der Hüfte? - der Laden sei schon recht hip. Nein? Doch! Oooooooh! Die Flasche Bier gab es, gemessen an der Limo, übrigens zum Schnäppchenpreis von 3,8€.
Zum Digestif habe ich dann doch geschwächelt und nach etwas Süßem in der Kehle verlangt. Leider waren weder Madeira noch Port im Angebot. Es ist dann ein medium Sherry von Sandeman für 7€ geworden. Nicht weiter erwähnenswert.
Ein Blick in die geöffnet gereichte Karte überraschte, denn hier hat der Relaunch am deutlichsten Spuren hinterlassen. Anstelle der zwei Karten, eine "pseudo-berlinerisch", die andere mit den die Küche bei meinem letzten Besuch etwas überfordernden Menue-Empfehlungen des Chefs, gibt es jetzt eine gut zu lesende Mittellösung, die weniger Aufwand verspricht, aber kreative Kompositionen ebenso bodenständiger wie ansprechender Produkte. Vielleicht ist diese Mischung auch ein Erfolgsrezept, denn die Gästeschar war doch sehr gemischt, von fröhlicher Männerrunde über mürrische Einheimische mit auswärtigem Familienbesuch, aufgebrezeltem russischen Paar bis hin zum einsamen Hobbyrestaurantkritiker aus der Provinz.
Nur die auf Teufel komm raus witzigen Titel der Gerichte müssen für mich nicht sein:
Tintenfisch mit Heilbutt wird so zum "Heiligen Pulpo". Ach, ach, ach... Trotzdem bestellt für 29€ und als Vorspeise Salsiccia mit Fenchel, in der Karte natürlich als "Finocchio" für 19€. Stolze Preise.
Die Küche grüßte mit drei selbst gebackenen, anständigen Brötchen mit getrockneten Tomaten, dazu italienisches Olivenöl und Balsamico. Sowie scheinbar mit einem weißen Drops, etwa drei Pfefferminz aus der Rolle hoch. Ich hatte eine Ahnung und tatsächlich wurde etwas warmes Wasser gebracht, das ich über die Pastille schütten durfte. Sie wuchs sogleich zu einem Röhrchen und entpuppte sich ausgerollt als Miniwaschlappen nach Art japanischer oshibori. Wer noch das Yps-Gimmick kennt, freut sich. Wer Gesicht und Hände erfrischen will, auch.
So innerlich und äußerlich gestärkt, harrte ich bei angenehmen, loungigen Klängen der Vorspeise.
Und war abermals erstaunt. Als weiteren Appetithappen schickte die Küche ein Stück Räucherfisch, den ich für Heilbutt hielt. Der freundliche Bartträger annoncierte schon diesen kleinen Teller indes vollständig als geräucherten Rotbarsch mit Mandarinen-Chicorée-Salat in mildem Zitrusdressing. Der Fisch für Räucherware sehr saftig. Seine salzig-rauchige Note wurde durch die fruchtig-bitteren Aromen des Salats sehr schön ergänzt. Ein guter Gruß, der mich gut gelaunt auf die Bratwurst mit Fenchel neugierig machte.
Und siehe da, ein weiteres Mal wurde ich verblüfft.
Das Fleischbrät mit dem kräftig zu erschmeckenden, namensgebenden Fenchel war aus der Pelle gedrückt und sanft angebraten, zusammen mit jungen, leicht karamellisierten Blättern von Römersalat, die noch etwas Biss hatten. Dazu grob geriebener Parmiggiano. Bis dahin ein schlaues, italienisch inspiriertes Wintergericht. Quasi als Beilage gab es dazu zwei Nocken Ziegenkäseeis, sanft schmelzend auf: Süßem Senf! Was für eine verrückte Kombi, die etliche Geschmacksrichtungen zusammenbrachte, aber nicht zuviel wollte. Wie sich in der Karte ankündigte, eher rustikale Zutaten - grobe Bratwurst, Fenchel, Ziegenkäse, Senf, Parmesan - aber sehr kreativ verarbeitet. Ich war (fast) rundum zufrieden. Nur ein paar Knorpel im Brät sind kritisch anzumerken und etwas zuviel Fett auf dem Teller, nachdem die Wurstmasse doch erwartungsgemäß stark ausgebraten hatte. Trotzdem Applaus für diese Kreation!
Nachdem die vom Ober vorbildlich abgefragte Wartezeit vergangen war, kam schließlich der Hauptgang. Als Gegenstück zur ruralen Vorspeise aber "aus Neptuns Reich" (tausendmal gesehn, tausendmal gegähnt).
Ebenfalls meisterhaft! Der pochierte(?) und überflämmte Heilbutt nicht zu fett, voller Schmackigkeit, die durch die Röstaromen wunderbar rau eingebunden wurde. Auch durchaus etwas nippon-style. Dazu zwei mittelgroße Okto-pusten-takel, butterzart mit süßlichem Geschmack. Dazu ein Potpourri aus Mehdi Kazemis Kreativküche, diesmal mit zurückgenommenen Molekularerinnerungen: Geleestreifen von der roten Beete, aufgerollt, aufgestellt und mit einem Apfel-Sellerie-Kompott gefüllt. Knusprige Apfelchips. Friséesalat und frische Sticks von Staudensellerie. Wie eine kräftige Gischt trieben die fruchtig-frischen und bitteren Aromen den fetten, geschmack-vollen Fisch vor sich her! Vor einiger Zeit im Hamburger Se7en Seas war mir die Kombi von fettem Fisch und Frucht zu schwer und unharmonisch, hier gelang sie perfekt. Eine Sauce war nicht vonnöten, die Geschmäcker passten sehr gut zueinander, wurden aber nicht vermischt. Dem entsprach auch die zwar nicht puristische, aber doch sehr geordnete Präsentation, vielleicht ein letzter Wink in Richtung Japan.
Angesichts des (kreativen wie handwerklichen) Aufwandes und der heute tadellosen Ausführung waren die Preise nicht überteuert. Was für die Getränke leider nicht gilt. Zumal die Auswahl (keine gespriteten Süßweine?) zu wünschen übrig ließ. Insgesamt 63,8€.
Sauberkeit, soweit erkennbar tadellos, für das feuchte napkin ein Extra-Lob.
In dieser Form von Küche UND Service ist das No. 5, nur wenige Meter vom Hauptbahnhof entfernt, für mich eine echte Empfehlung, wenn die den verschiedenen Gästegruppen geschuldete Mischung aus Bar und Restaurant nicht allzu stört.
Jedenfalls gilt: Eigener, klarer Kurs liegt wieder an!
Manchmal hat man einfach zu viele Optionen. So ging es mir letztens, als ich abends am Berliner Hauptbahnhof ankam. Soll ich in Richtung Westen, um einen der vielen guten Tipps hier umzusetzen? Hm, wird aber schon recht spät, bis ich dann im Hotel bin. Also doch schon in Richtung Ostbahnhof? Aber da ist in fußläufiger Nähe nichts, was sich für ein ausgedehntes Nachtmahl aufdrängt. Grübel, grübel... Und wenn man sich nicht entscheiden kann, bleibt man schließlich an Ort und Stelle.... mehr lesen
Bar No. 5 im Steigenberger Hotel Am Kanzleramt
Bar No. 5 im Steigenberger Hotel Am Kanzleramt€-€€€Restaurant, Bar030740743990Ella-Trebe-Straße 5, 10557 Berlin
4.5 stars -
"In Mitte wieder auf klarem Kurs." DerBorgfelderManchmal hat man einfach zu viele Optionen. So ging es mir letztens, als ich abends am Berliner Hauptbahnhof ankam. Soll ich in Richtung Westen, um einen der vielen guten Tipps hier umzusetzen? Hm, wird aber schon recht spät, bis ich dann im Hotel bin. Also doch schon in Richtung Ostbahnhof? Aber da ist in fußläufiger Nähe nichts, was sich für ein ausgedehntes Nachtmahl aufdrängt. Grübel, grübel... Und wenn man sich nicht entscheiden kann, bleibt man schließlich an Ort und Stelle.
Geschrieben am 29.03.2015 2015-03-29| Aktualisiert am
02.04.2015
Es existiert eine neue Bewertung von diesem User zu
Bar No. 5 im Steigenberger Hotel Am Kanzleramt
Besucht am 12.03.2015
Inmitten, aber ohne Kurs.
Es ist wohl ein Outing fällig. Nachdem selbst Champagner-affine Porschefahrer hier ihre gelegentliche Sympathie für Schmelzkäsescheiben bezeugten, schreib ich's geradeheraus: Ja, ich fand und finde Molekularküche gut. Bis sie sich selbst in andere Sphären begab und in Rauch auflöste, war die Aufspaltung von Aromen und die Darreichung in neuen Texturen eine Bereicherung für die Gourmetküche. Neue Erfahrungen konnten gemacht werden und es gab das Beste, was eine Küche anbieten kann: Überraschungen.
Mehdi Hossein Kazemi ist ein Jünger Adriás (via Rienzner im Maremoto), weiß aber, dass während der Hexenjagd der Ketzer den Kopf tunlichst unten halten sollte, um ihn nicht ganz zu verlieren. Ob es deshalb seine persönliche Extrakarte nur auf Nachfrage gab oder, weil der Tagesspiegel moniert hatte, des Abends nicht als erstes die preiswertere Karte mit den deutschen Spezialitäten erhalten zu haben, wer weiß? Vielleicht sah ich des Abends im immer noch recht neuen Steigenberger am Kanzleramt nicht solvent genug aus, mir 7 Gänge (der Gast wählt aus 10) für 119€ oder die kleine Variante mit 4 (nach Gusto des Chefs) für 69€ leisten zu wollen. Die Internet-Karte ist veraltet. Für die Weinbegleitung (5 mal 0,1l) schlugen nochmals 31€ zu Buche. Durch die durchschnittlich 17€ pro Gang kam trotz eines Literpreises von 11,6€ für das "günstigste" Mineralwasser ein guter MWI von 1,46 heraus. Ich bat trotzdem um Tafel- oder Leitungswasser, das (ungefragt, aber gern genommen) mit Eiswürfeln im Krug serviert und nicht berechnet wird.
Der reservierte Tisch ist eingedeckt, u.a. mit Hepp-Besteck, frischer Blume und hübsch in Form gebrachter Stoffserviette. Keine Tischdecke auf dem dunklen Holz, dafür wieder mal ein schlabberiges Plastikset in Flechtoptik. Als ich etwas gedankenverloren damit spiele, plötzlich ein déjà-vu. Mittags im Steigenberger Bremen auch schon darüber gelästert, was sowas in einer gehobenen Gastronomie zu suchen hat. Das Ambiente des Raumes hat mir gut gefallen, dunkle Hölzer und ein zeitgemäßes farbiges Lichtkonzept sind zwar schon häufiger gesehen, schaffen aber eine loungige Atmosphäre. Was auf dem Teller kommt, ist gleichwohl gut zu erkennen. Mehrere Bildschirme sind ein Zugeständnis an die überwiegend männliche Geschäfts-Kundschaft, sie sind für die Bar passend, aber dem Restaurant-Erlebnis nicht zuträglich. Sehr schön der transparente Raumteiler aus sich kreuzenden Drähten sowie Silberkugeln. Das Motiv findet sich in den Speisekarten wieder. Die Tische sind klein und niedrig, man sitzt auf gut gepolsterten Bänken in warmen Farben (z.B. rostrot) oder auf niedrigen Clubsesseln mit Chromdrehgestell. Sehr chic und unglaublich unbequem. Mir ist nach wenigen Minuten klar, so, ohne nennenswerte Lehne, das hält mein Rücken nicht zwei bis drei Stunden aus. Das Alter halt... Alle anderen Tische sind besetzt oder reserviert, so dass ich kurzentschlossen einen Umzug in eine loungige Ecke der Bar erbitte. Kein Problem für den Service, das ist erfreulich. Zwar mit einem sehr kleinen runden Tisch erkauft, aber mit den großen glänzenden Kissen im Rücken fühle ich auf meiner Bank wie der Schah persönlich.
Wird der Service mich entsprechend behandeln?
Nach meiner Erkundigung, ob Herr Kazemi denn im Hause sei, fragte der junge Mann, der mich durch den Abend begleitet, ob er mich beim Chef anmelden solle. Das schmeichelt zwar, aber so wichtig ist DerProvinzler doch nicht. Mir ging es nur darum herauszufinden, ob denn auch in der Küche ein wachendes Auge wäre, denn Bar und kleiner Restaurantteil waren wegen mehrerer Veranstaltungen im Hotel sehr gut gefüllt. Ich hatte erst eine Stunde vorher den wohl letzten Tisch reserviert. Leider stellte sich meine Befürchtung, die Küche werde am Rande der Kapazität agieren, als nicht ganz unbegründet heraus.
Und auch der Service war über die Maßen gefordert, als immer mehr Gäste aus der Lobby in die Bar strömten. Die Entscheidung, zur zweiten Halbzeit doch das Dortmund-Spiel zu zeigen, bringt Umsatz, aber die erst drei, später nur noch zwei verbleibenden Kräften zum rotieren. Trotzdem ist das junge Team freundlich und sehr engagiert. Der junge Mann vom Fach überreicht mir die Karten geöffnet und erzählt, dass er sich gerade in der Sommelier-Ausbildung befinde. Er lässt mich ausführlich an seinen Überlegungen zur Weinauswahl teilhaben und auch das Annoncieren ist so vollständig, wie seit langem nicht mehr. Die Wartezeiten halten sich bis auf eine Ausnahme im Rahmen, mit einer Begleitung wären sie ohnehin völlig in Ordnung gewesen. Bei jedem Gang wird die Zufriedenheit kurz nach den ersten Bissen und beim Ausheben erfragt, korrekt, aber etwas stereotyp wie der vielfach wiederholte Wunsch eines "sehr guten Appetits". Wasser schenke ich mir selber nach. Natürlich fehlt Souveränität, was sich regelmäßig durch ein befremdliches Kichern (er, nicht ich...) bemerkbar macht. Aber das ist natürlich und kann sich mit der Erfahrung legen. Hauptsache, mit Herzblut bei der Arbeit.
Als Aperitif wähle ich einen typischen Rheingau-Riesling Sekt der Sektkellerei Baum aus Rüdesheim 7€/0,1l (alternativ Champagner Laurent Perrier 0,1l ab €12/14 weiß/rosé oder 13/15€, je nach Karte... Flaschen bis 280€ für Dom Perignon Vintage 2008).
Für den ersten Hunger vier Scheiben einfaches weißes Baguette mit nur noch mäßig krosser Kruste. Dazu (ital.) Olivenöl und Balsamico sowie in einer Menage hausgemachter Kräuterquark, frische Kresse (!), Fleur de sel und frisch gemahlener, sehr schmackhafter Assam-Langkornpfeffer.
Ansonsten kein Amuse, auch kein Sorbet oder Pre-Dessert, das ist absolut zuwenig in dieser Preisklasse. Vielleicht auch nur ein einmaliger Fauxpas, der auf personellen Ausfällen in der Küche beruht. Trotzdem ärgerlich.
Meine Menüauswahl bestand aus
Wachtel Wildkräutersalat Pinie
Die saftige Wachtelbrust sous vide gegart, mit Olivenöl natur und Meersalz. Feines Aroma. Angerichtet auf einer Piniencreme, die einen herben Geschmack beisteuerte. Daneben Wildkräuter und Blüten auf einer scheinbaren Scheibe Pumpernickel, die aber aus Crumble geformt war. Schließlich Eis und Sand von schwarzen Oliven. Letzterer erstmals ein wenig Molekularküche, gefriergetrocknet und gemahlen. Ich hätte aber intensiveren Geschmack erwartet. Gleichwohl ein gelungener Auftakt.
Dazu Grauburgunder aus Baden vom Weingut Franz Keller (Schwarzer Adler), der die auch an den Geschmacksknospen zarte Wachtel nicht zudeckte.
Stör Landschinken Bärlauch
Störfilet ebenfalls sous vide, dann geflämmt mit Hibiskussalz, sehr saftig mit schönen Röstaromen. Dazu eine Emulsion vom Landschinken, das war eben eine typische Molekular-Überraschung, völlig unerwartet, der kräftige Schinkengeschmack in der hellen Majonäse. Dazu Kaviar vom Zuchtstör sowie solcher vom fliegenden Fisch mit Wasabi. Das war der einzige Störfaktor, die Schärfe stand recht alleine. Vermutlich der Farbe wegen gewählt. Aus dem Maremoto bekannt Gummibärchen, also Geliertes, hier vom Bärlauch deutlich im Geschmack und in der Farbe.
Der ausgesuchte Rheingau-Riesling wäre nicht meine erste Wahl gewesen und blieb etwas flach.
Eisbein Linsen Fenchel
Da Fenchel zu meinen 5 kulinarischen no-gos gehört, bat ich um Ersatz.
Der Gang wurde als einziger nicht auf Porzellan, sondern der gefühlt auf dem Rückzug befindlichen Schieferplatte serviert und dampfte gehörig. "Nicht vor Hitze, vor Kälte!", wie der junge Mann verschwörerisch flüsterte. Auch ihn werden wir kriegen... Denn natürlich war es flüssiger Stickstoff, mit dem die Scheiben vom Eis(!)Bein gefrostet waren, ebenso der Risotto. Dazu ein Salat von verschiedenen Linsen und eine dunkelgrüne Eisbein-Praline. Das Fleisch sehr intensiv im Geschmack, nachdem sich der Trockeneis-Effekt verflüchtigt hatte. Gekocht, ausgelöst und dann, wenn ich richtig verstanden habe, durchgedreht, gepresst, gefrostet und frisch in ultradünnen Scheiben aufgeschnitten. Wie gesagt: I love it! Der Risotto hat dagegen nicht viel gewonnen. Nicht crunchig, sondern eher wie eine trockene Waffel. Keine aromatisierende Zutat erkennbar. Interessant, aber nicht mehr. Der Linsensalat hatte eine schönes Süße-Säure-Spiel und konnte farblich grün-gelb zur Praline überleiten, die enttäuschte. Sehr trocken und der Farbträger (Spinat? Grünkohl? Mangold?) nicht identifizierbar. Positiv dagegen das erfrischende Zitronensorbet, das anstelle des Fenchel kam. Nicht zu säuerlich schloss es die Palette ab. Leider war die wohl hohle Kugel eingestürzt.
Zum Schwein ein roter Bio-Wein aus dem Penedes. Nichts weiter an Infos. Wenig Tannine, etwas rote Früchte. Passt. Nicht weiter zu sagen.
(Versteckte) Flusskrebse Aprikose Pfefferminz
In vier Vertiefungen wohl 30 oder mehr Krebsschwänze, darüber eine Aprikosencreme, gedeckelt von einem schönen dunkelgrünen Geleekreis. Sah nach Alge aus, aber die Minze war fein zu schmecken. Eine interessante Kombi mit den Schalentieren, die durch die süß-fruchtige Creme verbunden wurde. Aber nur, wenn man die Frucht sehr sparsam portionierte. Ansonsten erschlug die Süße den Rest, wobei ich gestehen muss, dass die Krebse auch nicht intensiver schmeckten, als Zuhause gewohnt. Dafür aber etwas zu salzig. Immerhin die Textur angenehm fest. In der Mitte des Porzellans nochmals der schon aus dem ersten Gang bekannte Wildkräutersalat.
Durchaus als ernsthafte Kritikpunkt gemeint: Der Gang war innerhalb eines 7er-Menues viel zu reichlich bemessen. Für schmale Esser wäre es eine veritable Vorspeise gewesen. Ein oder zwei Kaisergranat (gerne! sous vide) wären soviel "mehr" gewesen.
Ein sehr guter Griff gelang dem Sommelier-Anwärter mit dem Portugieser Weißherbst aus der Pfalz, dessen Restsüße sich gut zu behaupten wusste. Sehr stimmig.
Ich hatte gebeten, keine Pause zu machen. Den Wunsch konnte die Küche offenbar nicht erfüllen.
Flankensteak Blumenkohl Sauerkirsche
Zwei Tranchen Plus9-marmoriertes US Prime Beef erneut sous vide gegart und dann übergrillt. Ein Streifen perfekt medium rare, einer leider schon weiter. Ich kann Flanksteak wenig abgewinnen, mir ist das Fleisch zu fest. Onglet, das wärs gewesen... Dazu zweimal Blumenkohl, als Espuma und als Couscous, letzterer sehr saftig und ganz intensiv im Geschmack, das war wieder überzeugend. Warum Couscous, ist mir nicht klar geworden, vielleicht, weil der Blumenkohl so geformt wurde, dass er ähnlich aussah. Auch der Schaum hatte einen kräftigen Geschmack und war mit Estragon gepudert. Vermutlich schockgefrostet und dann gerieben. Schließlich eine Sauerkirschsauce, die die Bittersüße des Kohl mit ihrer fruchtigen Säure gut kontrastierte. Auch hier war es des Guten zuviel. Eine Tranche hätte genügt. Interessant das mächtige Geschirr in der Form eines Nackenkissens.
Dazu folgerichtig ein passabler Bordeaux Château Loyasson.
Hecht Rhabarber Estragon
Ein Stück Hecht - Na? Klar: - sous vide und überflämmt mit Öl. Trotzdem aufgrund des mageren Fleisches etwas trocken. Dazu eine unverständlich große Menge Estragonpulver, noch geeist. Mit höherer Temperatur schmolz es und wurde matschig. L'art pour l'art. Dagegen schön zum Fisch der Rhabarber als Kompott und als aufgedrehte Geleestreifen.
Hier der einzige Fehlgriff beim Wein, aber evtl. schuldlos. An sich der Pfälzer, säurebetonte Riesling auch zum Rhabarber eine gute Wahl. Kein Stück Verstärkung. Jedoch hatte die Küche (ohne Absprache?) ein Paprikaöl zum Fisch gewählt, das ich a) nicht als gut gewählt empfand und b) dessen Schärfe vom Wein ganz unglücklich gehoben wurde.
Litschi Drachenfrucht Sesam
Auf einem Bett kleiner Drachenfruchtwürfel eine Nocke sehr cremiges Eis, die Litschi geschmacklich gut erkennbar. Darauf eine große Tafel Litschikrokant mit schwarzem Sesam. Das Gebäck hatte eine gewisse Schärfe, die gut zum recht süßen Eis passte. Ein runder, wenngleich nicht begeisternder Abschluss, dafür fehlten noch weitere Geschmackskontraste. Zudem farblich recht eintönig.
Dazu ein Sauternes, der vorzüglich mit dem süß-pikanten Krokant harmonierte.
Das PLV ist etwas knifflig. Es war zwar mengenmäßig viel, sogar zuviel. Angesichts der guten, aber nicht luxuriösen Zutaten letztlich etwas überteuert. Ich könnte mir bei einigen Gängen andere Komponenten vorstellen. Oder eben bei zurück genommenen Mengen einen reduzierten Preis. Günstig dagegen die Weinbegleitung, zumal mindestens drei Flaschen
frisch geöffnet wurden. Ob aus Versehen, aus Freude an den eigenen Kenntnissen oder zum Ausgleich für die schwankenden Küchenleistungen: Jedenfalls wurden ohne Berechnung alle Gänge begleitet, nicht nur deren fünf, wie es vorgesehen war.
Herr Kazemi verabschiedete mich persönlich und entschuldigte sich für die unterbesetzte Küche, die manches nicht so auf den Teller bringen konnte, wie "ich es mir gern vorgestellt hätte". Bleibt die Frage, ob man an solchen Tagen das große Menü überhaupt anbieten sollte, wenn man es nur eingeschränkt hinbekommt...
Fazit:
Die Küche überfordert sich. Die Ressourcen, die ein siebengängiges (Molekular-)Menue verlangt, stehen offenbar nicht zur Verfügung. Weniger (nicht nur bei der Menge) wäre mehr, denn viele Einzelteile waren gelungen. Auch das Bar-Ambiente mit
n-tv etc. auf allen Bildschirmen passt nicht recht zu dieser eher intellektuellen Küche, die nicht "nebenbei" genossen werden kann.
Ich werde dem Inmitten noch einmal an einem ruhigeren Abend eine Chance geben. Für Gäste, die erste Bekanntschaft mit experimentierfreudiger Küche in einem ungezwungenen Ambiente machen wollen, sicher eine Empfehlung.
Inmitten, aber ohne Kurs.
Es ist wohl ein Outing fällig. Nachdem selbst Champagner-affine Porschefahrer hier ihre gelegentliche Sympathie für Schmelzkäsescheiben bezeugten, schreib ich's geradeheraus: Ja, ich fand und finde Molekularküche gut. Bis sie sich selbst in andere Sphären begab und in Rauch auflöste, war die Aufspaltung von Aromen und die Darreichung in neuen Texturen eine Bereicherung für die Gourmetküche. Neue Erfahrungen konnten gemacht werden und es gab das Beste, was eine Küche anbieten kann: Überraschungen.
Mehdi Hossein Kazemi ist ein Jünger... mehr lesen
Bar No. 5 im Steigenberger Hotel Am Kanzleramt
Bar No. 5 im Steigenberger Hotel Am Kanzleramt€-€€€Restaurant, Bar030740743990Ella-Trebe-Straße 5, 10557 Berlin
3.5 stars -
"Lebt denn die alte M-Küche noch?" DerBorgfelderInmitten, aber ohne Kurs.
Es ist wohl ein Outing fällig. Nachdem selbst Champagner-affine Porschefahrer hier ihre gelegentliche Sympathie für Schmelzkäsescheiben bezeugten, schreib ich's geradeheraus: Ja, ich fand und finde Molekularküche gut. Bis sie sich selbst in andere Sphären begab und in Rauch auflöste, war die Aufspaltung von Aromen und die Darreichung in neuen Texturen eine Bereicherung für die Gourmetküche. Neue Erfahrungen konnten gemacht werden und es gab das Beste, was eine Küche anbieten kann: Überraschungen.
Mehdi Hossein Kazemi ist ein Jünger
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Beim Eintreten nehme ich erfreut zur Kenntnis, dass der Relaunch jedenfalls nicht das elegant gestylte Interieur erfasst hat. Nur die Kuckucksuhr über der Garderobe hatte ich im März noch nicht wahrgenommen. Solch gewollt selbstironischen Prenzlauer-Berg-Sch... haben im No.5 weder Küche noch Service nötig. Eine junge Dame hinter der Theke bemerkte mich und warf mir ein freundliches "Ich komme gleich zu Ihnen!" herüber. Gut, konnte ich in Ruhe selbst ablegen, beim Gehen wurde mir ein Garderobenservice angeboten, den ich dankend ablehne. Als die ausgebildete Kraft zu mir kam, schnupperte ich erwartungsvoll, ob sie denn tatsächlich den klassischen Duft von Chanel trägt. Um recht ernüchtert zu erfahren, dass für den neuen Namen die Hausnummer des Hotels Pate stand. Einfallsloser geht's nimmer...
Was man vom überzeugenden Service nun gar nicht sagen kann, der immer kompetent und aufmerksam agierte.
Ich konnte unter den freien Tischen wählen und entschied mich für eine Bank mit Kissen für den Rücken und Blick in die Hotel-Lobby. Das Kommen und Gehen dort wurde von vielen uniformierten Herren dominiert. Stattliche Erscheinungen, jedoch zumeist um die Körpermitte. Muss die allseits beklagte Materialermüdung bei der Truppe sein, kombinierte ich. Allerdings waren mir die Uniformen eher unbekannt. Doch eher der Weihnachtsempfang des THW? Die junge Dame riss mich aus meinen Überlegungen. Sie und ihr männlicher Kollege hatten die recht gefüllten, unterschiedlichen Bereiche von Bar und Restaurant immer im Blick. Man weiß hier um die Produkte, konnte vollständig ansagen und war für meine Wünsche offen. Eingedeckt wurde mit Handschuhen, was eher überraschte. Die Nachfragen kamen regelmäßig und rechtzeitig, sie schienen von Interesse getragen zu sein.
Beim Aperitif war noch die selbstbewusste, aber doch zugewandte Dame für mich zuständig. Mein Ansinnen (eine Laune?) war ungewöhnlich, wollte ich doch alkoholfrei bleiben. Die Wahl fiel auf die Szene-Brause Wostok in Geschmacksrichtung Tannenwald (eindeutig eine Laune!). Warum nicht mal was Neues ausprobieren? Vielleicht, weil man Glück haben kann, aber nicht muss? Die bronzefarbene Flüssigkeit besteht der Eigenwerbung nach u.a. aus
"Taigawurzel, Fichtennadelöl, Eukalyptus und ein Hauch Kardamom ... ganz ohne Farb- und Konservierungsstoffe."
Nun, der Duft muss in der Tat keinen Vergleich mit einem Fichtennadelschaumbad scheuen. Beim Geschmack fehlen mir zwar die Erfahrungen mit dem Vergleichsprodukt, meiner war es jedenfalls nicht. Ich hatte etwas Würziges, Kräuteriges erwartet, vielleicht in Richtung Pimm's No.1. Es war aber vor allem süß. Allerdings hatte ich auch den Rat, das Getränk auf Eis zu genießen, zunächst ignoriert. Aber, wenn man schon die Geschmacksnerven betäuben muss, ist das Experiment wohl daneben gegangen - für den Preis von absurden 5€ für die 0,33l-Flasche, übrigens.
Ab der Bestellung des Essens übernahm der Kollege, der - nolens, volens - einen beeindruckenden, top-gepflegten Vollbart trug. Hauptstadt verpflichtet! Ein Mann vom Fach, der erkennbar eine Meinung zur Karte hatte, so dass sich zu den Gerichten jeweils eine kleine nette Unterhaltung entspann. Gut, vielleicht mochte mancher Provinzler meinen, eine gewisse Manieriertheit zu bemerken. Aber: Hey! Wir sind in Mitte...
Beeindruckt hat mich auch die Fingerfertigkeit, ein (Clausthaler) Alkoholfrei in Nullkommanichts mit zwei perfekten Schwüngen komplett in ein 0,3l-Glas zu einzuschütten. Einschließlich hoher Blume, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten oder gar überlaufen zu lassen. Chapeau! Offensichtlich reichlich Barerfahrung der Mann, wofür auch ein Ausgehtipp am Ostbahnhof spricht. Allerdings - Zweifelnder Blick hinunter zum dicken Mann (ich), gefolgt von einem winziges Einknicken der Hüfte? - der Laden sei schon recht hip. Nein? Doch! Oooooooh! Die Flasche Bier gab es, gemessen an der Limo, übrigens zum Schnäppchenpreis von 3,8€.
Zum Digestif habe ich dann doch geschwächelt und nach etwas Süßem in der Kehle verlangt. Leider waren weder Madeira noch Port im Angebot. Es ist dann ein medium Sherry von Sandeman für 7€ geworden. Nicht weiter erwähnenswert.
Ein Blick in die geöffnet gereichte Karte überraschte, denn hier hat der Relaunch am deutlichsten Spuren hinterlassen. Anstelle der zwei Karten, eine "pseudo-berlinerisch", die andere mit den die Küche bei meinem letzten Besuch etwas überfordernden Menue-Empfehlungen des Chefs, gibt es jetzt eine gut zu lesende Mittellösung, die weniger Aufwand verspricht, aber kreative Kompositionen ebenso bodenständiger wie ansprechender Produkte. Vielleicht ist diese Mischung auch ein Erfolgsrezept, denn die Gästeschar war doch sehr gemischt, von fröhlicher Männerrunde über mürrische Einheimische mit auswärtigem Familienbesuch, aufgebrezeltem russischen Paar bis hin zum einsamen Hobbyrestaurantkritiker aus der Provinz.
Nur die auf Teufel komm raus witzigen Titel der Gerichte müssen für mich nicht sein:
Tintenfisch mit Heilbutt wird so zum "Heiligen Pulpo". Ach, ach, ach... Trotzdem bestellt für 29€ und als Vorspeise Salsiccia mit Fenchel, in der Karte natürlich als "Finocchio" für 19€. Stolze Preise.
Die Küche grüßte mit drei selbst gebackenen, anständigen Brötchen mit getrockneten Tomaten, dazu italienisches Olivenöl und Balsamico. Sowie scheinbar mit einem weißen Drops, etwa drei Pfefferminz aus der Rolle hoch. Ich hatte eine Ahnung und tatsächlich wurde etwas warmes Wasser gebracht, das ich über die Pastille schütten durfte. Sie wuchs sogleich zu einem Röhrchen und entpuppte sich ausgerollt als Miniwaschlappen nach Art japanischer oshibori. Wer noch das Yps-Gimmick kennt, freut sich. Wer Gesicht und Hände erfrischen will, auch.
So innerlich und äußerlich gestärkt, harrte ich bei angenehmen, loungigen Klängen der Vorspeise.
Und war abermals erstaunt. Als weiteren Appetithappen schickte die Küche ein Stück Räucherfisch, den ich für Heilbutt hielt. Der freundliche Bartträger annoncierte schon diesen kleinen Teller indes vollständig als geräucherten Rotbarsch mit Mandarinen-Chicorée-Salat in mildem Zitrusdressing. Der Fisch für Räucherware sehr saftig. Seine salzig-rauchige Note wurde durch die fruchtig-bitteren Aromen des Salats sehr schön ergänzt. Ein guter Gruß, der mich gut gelaunt auf die Bratwurst mit Fenchel neugierig machte.
Und siehe da, ein weiteres Mal wurde ich verblüfft.
Das Fleischbrät mit dem kräftig zu erschmeckenden, namensgebenden Fenchel war aus der Pelle gedrückt und sanft angebraten, zusammen mit jungen, leicht karamellisierten Blättern von Römersalat, die noch etwas Biss hatten. Dazu grob geriebener Parmiggiano. Bis dahin ein schlaues, italienisch inspiriertes Wintergericht. Quasi als Beilage gab es dazu zwei Nocken Ziegenkäseeis, sanft schmelzend auf: Süßem Senf! Was für eine verrückte Kombi, die etliche Geschmacksrichtungen zusammenbrachte, aber nicht zuviel wollte. Wie sich in der Karte ankündigte, eher rustikale Zutaten - grobe Bratwurst, Fenchel, Ziegenkäse, Senf, Parmesan - aber sehr kreativ verarbeitet. Ich war (fast) rundum zufrieden. Nur ein paar Knorpel im Brät sind kritisch anzumerken und etwas zuviel Fett auf dem Teller, nachdem die Wurstmasse doch erwartungsgemäß stark ausgebraten hatte. Trotzdem Applaus für diese Kreation!
Nachdem die vom Ober vorbildlich abgefragte Wartezeit vergangen war, kam schließlich der Hauptgang. Als Gegenstück zur ruralen Vorspeise aber "aus Neptuns Reich" (tausendmal gesehn, tausendmal gegähnt).
Ebenfalls meisterhaft! Der pochierte(?) und überflämmte Heilbutt nicht zu fett, voller Schmackigkeit, die durch die Röstaromen wunderbar rau eingebunden wurde. Auch durchaus etwas nippon-style. Dazu zwei mittelgroße Okto-pusten-takel, butterzart mit süßlichem Geschmack. Dazu ein Potpourri aus Mehdi Kazemis Kreativküche, diesmal mit zurückgenommenen Molekularerinnerungen: Geleestreifen von der roten Beete, aufgerollt, aufgestellt und mit einem Apfel-Sellerie-Kompott gefüllt. Knusprige Apfelchips. Friséesalat und frische Sticks von Staudensellerie. Wie eine kräftige Gischt trieben die fruchtig-frischen und bitteren Aromen den fetten, geschmack-vollen Fisch vor sich her! Vor einiger Zeit im Hamburger Se7en Seas war mir die Kombi von fettem Fisch und Frucht zu schwer und unharmonisch, hier gelang sie perfekt. Eine Sauce war nicht vonnöten, die Geschmäcker passten sehr gut zueinander, wurden aber nicht vermischt. Dem entsprach auch die zwar nicht puristische, aber doch sehr geordnete Präsentation, vielleicht ein letzter Wink in Richtung Japan.
Angesichts des (kreativen wie handwerklichen) Aufwandes und der heute tadellosen Ausführung waren die Preise nicht überteuert. Was für die Getränke leider nicht gilt. Zumal die Auswahl (keine gespriteten Süßweine?) zu wünschen übrig ließ. Insgesamt 63,8€.
Sauberkeit, soweit erkennbar tadellos, für das feuchte napkin ein Extra-Lob.
In dieser Form von Küche UND Service ist das No. 5, nur wenige Meter vom Hauptbahnhof entfernt, für mich eine echte Empfehlung, wenn die den verschiedenen Gästegruppen geschuldete Mischung aus Bar und Restaurant nicht allzu stört.
Jedenfalls gilt: Eigener, klarer Kurs liegt wieder an!