Wir verwenden Cookies
Wenn Sie unsere Webseiten besuchen, kann Ihre Systemsoftware Informationen in Form von Cookies oder anderen Technologien von uns und unseren Partnern abrufen oder speichern, um z.B. die gewünschte Funktion der Website zu gewährleisten.
5 Städte - 4 Abendessen - 3 Teams
Zu Beginn hieß es am Sonntagabend erst einmal:
Never change a winning team!
Nach nur zwei Wochen durfte ich erneut mit meiner gastro-affinen Kollegin Nr. 1 in Berlin tafeln.
Diesmal ging es nach Kreuzberg und es wurde deutlich klassischer, denn die Wahl fiel auf das Orania im gleichnamigen, erst vor wenigen Monaten eröffneten Hotel. Schon vor über 100 Jahren ein Ort der gehobenen Kultur und Gastlichkeit, später lange Jahre ein Bekleidungshaus der Firma Charme&Anmut. Die Homepage vermittelt den Stil des Hauses bemerkenswert gut, doch wie so oft halten sich visuelle Gestaltung und Nutzbarkeit nicht die Waage. Unter der angegebenen Telefonnummer erhielt meine Begleiterin den nützlichen Rat, es bei der Auskunft zu versuchen. Und die Öffnungszeiten sind gleich gar nicht angegeben. Der spätere Hinweis der Restaurantleitung, man gehöre ja zum Hotel und habe daher sowieso an allen Tagen geöffnet, erregt in seiner Unbedarftheit ein wenig Mitleid.
Um 20.00 Uhr waren zwei kleine Gruppen und mehrere Paare anwesend. Die Plätze wohl zu einem knappen Drittel gefüllt. Es gingen und kamen Gäste, die letzten noch um 22.00 Uhr.
Als wir durch die schweren Türen den hohen Raum betraten, nahm uns sogleich eine gastliche Atmosphäre gefangen. Gedämpftes, aber nicht schummriges Licht illuminierte zur Rechten eine lange Bar, davor Loungesessel. Am Ende des Raumes auf einem Podest ein veritabler Konzertflügel.
Links im Hintergrund eine offene, große Küche, in der vier Köche ruhig werkelten.
Davor ein ungemein einladender Raum mit Ausblick auf den Oranienplatz. Hölzer in der Farbe alten Cognacs, Wildleder zum Teil auch an den Wänden, freundlich bezogene Bänke und Cocktailsessel, in denen man auch längere Zeit bequem und gestützt sitzen kann. An der Stirnseite ein Kamin,
in dem nicht Gasflammen, erst recht nichts Elektronisches loderten, sondern echte Holzscheite, vom Personal regelmäßig umgeschichtet und nachgelegt. Die goldene Elefantenprägung auf den Sesseln verstärkte meinen Eindruck einer luxuriösen Lodge.
Der Feuerstelle gegenüber fallen von den hohen Decken Volants in verschiedenen warmen Farben und schützten vor den Blicken aus dem Eingangsbereich und der Bar
Ein wunderbarer Raum zum Verweilen und Entspannen.
Nach dem Eintreffen von den jungen, ausschließlich weiblichen Kräften kurzzeitig ignoriert (Die Servietten wollten sorgsam aufgefüllt sein, da mag selbst ein kurzes „Bin gleich bei Ihnen!“ der Konzentration schaden.), wurden uns mehrere Tischen angeboten und wir zu dem Gewählten am Fenster begleitet. Die Mäntel hingen dabei schon über dem Arm der Servicefee, mustergültig. Auch später wurde fehlerlos, freundlich und insbesondere mit dem erkennbaren Willen agiert, die Wünsche der Gäste zu erfüllen - auch ohne einschlägige Ausbildung. Ein rundum nettes Team, am Ende des Abends diskutierten wir die jeweiligen Fastengebote/-versuche. Über die dandyhaften Schürzen, deren breite Lederriemen sich wie Hosenträger über dem Rücken kreuzten, schauten wir da gerne hinweg.
Die Tische am Fenster stehen sehr eng, wir konnten ohne Weiteres ein freundliches Gespräch mit dem älteren Paar über einen unbesetzten hinweg führen. Doch die Atmosphäre hat eben etwas Kommunikatives, Wohnzimmerhaftes und entspannt plaudert es sich auch mit Fremden leicht.
Direkt auf der schön furnierten Holzplatte ein schnörkelloses Robbe&Berking Besteck und ein sehr schöner Teller, dessen Motiv eines stilisierten Baumes mir japanisch inspiriert vorkam.
Ein Trauben-Secco war nicht im Angebot, also bat ich neben dem Wasser um einen frischen Grapefruitsaft. Obwohl nicht auf der Karte, legte Frau Skoda ein gutes Wort in der Küche für mich ein, übrigens genauso wie beim abschließenden Käse außer der Reihe, der ebenfalls aus den Vorräten des Frühstück organisiert schien. Später gab es noch einen Cocktail auf der Basis von Rhabarbersaft, der mit Ingwer eine fruchtig-scharfe Note hatte.
Brot kam schnell, zwar in der Papiertüte, aber „von der Markthalle 9!“, wie verschwörerisch geflüstert wurde. In diesem Kreuzberger (inzwischen wieder) Schmuckstück werden in der Tat an vielen, überwiegend festen Ständen regionale und exotische Produkte von guter Qualität und handwerklicher Herstellung angeboten, teilweise von Köchen, die genug von Sterneküche hatten. Ein Geheimtipp ist die einstige Avantgardestätte aber nun nicht gerade mehr.
Das gute, helle Hefeteigbrot hatte über den Tag etwas Knusprigkeit verloren
Dazu Salz und Butter, die direkt auf einen sauberen Papierstreifen gestrichen war
Ist nicht jedermanns Sache, spart aber immerhin Abwasch. Wir verbuchten unter Nachhaltigkeit.
Könnte aber auch Ausdruck des Sharing-Prinzips gewesen sein, das hier ein besonderes Angebot darstellt. Wie in vielen Küchen der Welt üblich, werden mehrere (vorgegebene) Gerichte zum Teilen gleichzeitig serviert.
Wir entschieden uns aber, getrennt von der angenehm übersichtlichen Karte zu bestellen, die der im Internet 1:1: entsprach. Auch hier regiert das Konzept. In diesem Fall die Konzentration auf maximal drei (Haupt-)Komponenten pro Teller, die dann dekliniert werden.
Ich fand sehr reizvoll, dass am Ende des Winters noch mehrere bittere Gemüse auf der Karte standen und entschied mich für
Büffeltartar, Chicorée und Brioche
Parmesan, Tortelloni, Blattsalat
Maispoularde, Schwarzwurzel, Trevisano.
Das Tatar zu Beginn wurde im Ring angerichtet, gekrönt von einem Wachtelei mit noch flüssigem Gelb
Das Fleisch war sehr fein gewiegt und vor allem sehr kräftig mit einem tomatisierten, pikanten Dressing gewürzt worden. Schon stimmig, aber ich hatte mich auf den besonderen Geschmack von Büffel gefreut. So konnte ich keinen Unterschied zum gemeinen Rindvieh feststellen. Die Brioche war nur leicht gegrillt, aber mit einer fein berstenden Kruste versehen. Der in den Teig eingearbeitete Senf sehr zurückhaltend. Als geschmacklicher Gegenpart setzte geschmorter weißer und eingelegter roter Chicorée
nicht nur bittrige, sondern auch säuerliche Akzente. Überraschend fanden sich im Gemüse sehr schöne kleine Grieben und ein wenig Gedörrtes vom Büffelfleisch. Passender die Crême von schwarzem Knoblauch und eine Version von Cocktailsauce.
Insgesamt noch nicht perfekt, aber sehr angenehm.
Mir gegenüber machte sich dagegen ein wenig Unzufriedenheit breit. Ein paar Birnenspalten als „Winterfrüchte“ rissen den Feldsalat nicht wirklich raus
Immerhin wurden die frittierten Käsewürfel Sciatt gelobt.
Mein Pasta-Zwischengang hatte zwei extreme Seiten.
Der Teig der Pasta war perfekt und die flüssige Parmesanfüllung ein Traum. Dazu gab es einen aufgeschlagenen Sud von grünem Salat, der durch Intensität überzeugte. Dazu Parmesanflocken und knusprige (Semmel?)Brösel. Himmlisch.
Aber aus diesen Sphären holte mich der nicht angekündigte marinierte Fenchel ganz schnell wieder herunter, bei dessen Säure sich nicht nur sprichwörtlich „alles zusammen zog“. Zumal man sich durch die groben Stücke auch nicht vorsichtig herantasten konnte. Weniger wäre hier mehr gewesen, zu schlechter Letzt auch optisch. Aber, ganz ehrlich: Ich weiß gar nicht, was die Säure in diesem Gericht überhaupt verloren hatte.
Beim Hauptgang war meine berufliche Begleitung wieder dabei. Ihr „halbes“ Entrecôte war hoch geschnitten und sah verführerisch aus
und auf dem Teller war auch ansonsten ordentlich was los.
Mit meinem Teller drängte sich allerdings eine weitere Assoziation zu Japan auf: In der U-Bahn von Tokio während der rushhour kann es auch nicht viel voller sein.
Drei dicke Tranchen Geflügelbrust auf reichlich Schwarzwurzelstangen und geschmortem Trevisiano wurden von einer ganzen Armada großer Crêmetupfer bedrängt
Zu allem Überfluss (!) schwamm das Arrangement in einem Saucentümpel. Der Service nahm mein Gebrumme ungerührt zur Kenntnis. Au weia, wer richtet solche Teller an? Auch bei genauerem Inaugenschein wenig Erfreuliches. Die schön gebräunte Poulardenhaut sah arg verschrumpelt , also erkaltet und daher weich aus. War sie im Anschnitt dann auch. In einem Schälchen wurde separat eine gebackene Praline mit Keulenfleisch
gereicht. Der etwas dick geratene Teig war feucht und weich geworden, kein Genuss. Oje, oje. Derweil schien meine Kollegin leise Topfschlagen zu spielen: „Kalt, kalt, lauwarm, kalt.“
Irgend etwas muss mit den Tellern in der Küche schief gelaufen sein. Vielleicht war mein Zwischengang vergessen worden, auf den wir lange warten mussten. Und stattdessen schon die Hauptgänge fertig gemacht? Es wurde nicht aufgeklärt, muss ja auch nicht.
Wir reklamierten umgehend und es zeigte sich, dass wir in einem Haus mit Stil waren. Kein Gemurre, uns wurde (von der Küche) angeboten, die Teller neu zu machen, was 15 Minuten dauern sollte. Nach genau dieser Viertelstunde kam der zweite Versuch und das Warten hatte sich gelohnt. Auch optisch, denn bei mir wurde etwas entschlackt, was Beilagen anging. Die Poularde durchgebraten, aber sehr saftig; die Haut knusprig.
Der Radicchio angeröstet und dann geschmort, schönes Wintergemüse. Und auch die Schwarzwurzeln tadellos, die Stangen nicht mit zu viel Biss, die Crême samtig. Auch das gebackene Bällchen war nun knusprig, der Inhalt würzig
Jetzt war das Gericht rundum gelungen, ohne herausragend zu sein.
Auf der anderen Tischseite war mit dem Fleisch nun Zufriedenheit angesagt. Die Beilage Mac‘n‘Cheese, also mit Käse überbackene Makkeroni
waren vielleicht etwas zu schlicht.
Blieb noch der Käse.
Schweizer Schnitt- und französische Weichkäse von einem sehr guten Buffet, aber ob die Ware durch die Hand eines Affineurs gegangen ist? Dazu ein schön lockeres Früchtebrot, sehr gut. Trotz der abweichenden Meinung meiner Kollegin lasse ich diesen Gang außer Bewertung. Denn an das, was auf Wunsch netterweise möglich gemacht wurde, kann nicht derselbe Maßstab wie an die Angebote der Karte angelegt werden.
Wir hatten einen schönen Abend im Orania, was besonders Service und Ambiente zu verdanken war. Die Küche hat Potenzial, war aber in ihrer Leistung unaufmerksam. Diese summierten sich, sodass die Sterneuhr diesmal bei 3,74 stehen blieb. Kein Grund, hier nicht wieder einzukehren und dem Knistern der Scheite zu lauschen!