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Alle futtern edel, ich hab einfach Hunger!
Keiner hat mehr Bock auf Pommes, Ajvar, Zwiebeln
So ist das hier im Blog, Tag ein Tag aus
Halt mir zwei Buletten an den Mund und mach
Ham! Ham! Ham! Ham!
*beat fade out*
Das Marteria-Hommage-Intro kam mir spontan in den Sinn, als ich heute Morgen den Entschluss fasste, ein neues Pamphlet in die Tasten zu hämmern und ich dann auf meiner Startseite – neben durchaus Rustikalem – auch einige wunderbar luxuriöse Gastronomie-Erlebnisse fand.
Da möchte ich natürlich im Sinne einer ausgewogenen redaktionellen Gestaltung thematisch auflockern und entscheide mich daher gegen die Berichterstattung aus meinem halben Dutzend Besuchen in schnöden Drei-Sterne-Tempeln der letzten fünf Monate und gebe den bodenständigen, archaischen Gelüsten den Vortritt. *hüstel*
Der Sonntagmittag als Zeitpunkt für einen Restaurantbesuch ist in den letzten beiden Jahren nicht mehr so hoch im Kurs wie früher, weil wir von meiner geliebten Samstagabend-Tapas-Orgie meist noch hervorragende Leckerchen übrig haben, die sich ideal für die Verwertung in einer schnellen Tortilla oder einem Rührei eignen.
Aber es gibt diese speziellen Sonntage, an denen ich schon kurz nach dem Aufwachen ein halbes Spanferkel verspeisen könnte, kommen dann noch gewisse Schlüsselreize dazu ist es um mich geschehen und ich fange an zu grübeln, wo ich mir auf infantilste Art und Weise den Hunger stillen kann – und das innere Kind schreit eher selten nach gedünsteten Edamame an Wasabi-Schaum, zumindest meins nicht.
Der Schlüsselreiz bei unserem letzten Besuch in diesem Restaurant war eine zur Unzeit gelesene Kritik unseres verehrten Prof. Dr. Djuvec, Bernie Bo, der meinen leeren Magen mit Beauty-Shots seiner geliebten Cevapcici traktierte, so dass ich mich sogleich dem Verhungern nah sah und mit letzten Kräften nach Madame rief um auf Bernies Pfaden zu wandeln.
Nach wenigen Minuten Anfahrt – bei gutem Wetter ist das Lokal von Casa Shaney aus auch zu Fuß über das Weinsbergtal gut zu erreichen – konnten wir das Vehikel bei beiden bisherigen Besuchen nur ein paar Schritte vom Ziel meiner Grill-Träume abstellen, Parken ist im Weegerhof dennoch nicht immer leicht.
Der Weegerhood , pardon, -hof, ist ein Platz mit Historie, die sogenannte „Großwohnsiedlung“ des genossenschaftlichen Solinger Spar- und Bauvereins entstand in den späten 1920er Jahren und war eine von mehreren dieser Arbeitersiedlungen, die der zunehmenden Industrialisierung und Urbanisierung begegnen sollten – insgesamt entstanden 185 Häuser mit 591 Wohnungen, vornehmlich für die Arbeiter der Solinger Schneidwarenindustrie.
Der Wohnstandard setzte für damalige Verhältnisse Maßstäbe, jede Wohnung hatte bereits ein eigenes Bad und nebenbei entstanden zwei Gemeinschaftseinrichtungen: ein Genossenschaftsheim und ein Waschhaus, letzteres war bis 2005 noch in Betrieb und beherbergt heute ein kleines Museum.
Das ehemalige Genossenschaftsheim hingegen ist seit Urzeiten Heimstatt eines Restaurants und seit vielen Jahren als Gasthaus Weegerhof eine feste Landmarke in der rustikalen Solinger Gastronomie.
Das in einer genossenschaftlichen Arbeitersiedlung familienfreundliches Comfort-Food eher funktioniert als Molekularküche dürfte auf der Hand liegen und so verwundert es nicht, das die Familie Musan hier seit geraumer Zeit mit gutbürgerlichen und einigen kroatischen Gaumenfreuden erfolgreich ihr täglich Brot verdient.
Die Karte findet sich online unter https://gasthaus-weegerhof.com/speisekarte/ und macht der Klientel entsprechend wenig Experimente, viel Fleisch, Salate für die Damen, dazwischen etwas Bergisches, alles klingt sehr sättigend: schon das Lesen der Karte schlägt mit 40 Kalorien zu Buche.
Durch die Architektur und Gliederung der Siedlung ergibt sich ein sehr aufgeräumtes Straßenbild, dem das Restaurant im Außenbild absolut entspricht, wären die modernen PKWs und Fensterrahmen nicht, man könnte sich auch in den 50er Jahren wähnen – ob man dies als kleinbürgerlich muffig oder herzerwärmend nostalgisch empfindet liegt im Auge des Betrachters.
Bei unserm ersten Besuch im Mai konnten wir dank der milden Temperaturen auf der Terrasse Platz nehmen, den Innenraum betrat ich damals nur wenige Sekunden, bedingt durch die Lage mitten in der Siedlung ohne Durchgangsverkehr kann man hier durchaus ruhig sitzen.
Im Service agierte der Herr des Hauses in jener „Uniform“, die jeder griechische oder vom Balkan stammende Wirt mit Stolz trägt: die pechschwarze Buntfaltenhose mit blütenweißem Hemd, bei etwas jüngeren Semestern gerne kombiniert mit exzessiv zurückgegelter Haarpracht.
Auffallend an diesen selbstbewussten Herren ist die skurrile Grandezza mit der man sich Fleischberge-tragend durch Raum und Zeit bewegt, kombiniert mit einem liebenswürdigen, merkwürdig aus der Zeit gefallenen Charme den Damen gegenüber, der Handkuss scheint in jeder Interaktion förmlich in der Luft zu liegen.
Neben ihm noch eine Dame Anfang 30 „in zivil“, die Begrüßung erfolgte freundlich und verbindlich, die nicht mehr ganz taufrischen Karten wurden gereicht, Getränkewünsche erfragt.
Ich labte mich kurz darauf an einem gut temperierten Benediktiner Weißbier Alkoholfrei, der halbe Liter zu erfreulichen 3,40€, Madame wählte ihre liebste Getränkebegleitung, die Rhabarberschorle sollte später mit 3,50€ auf dem Bon zu finden sein.
Unsere gewählten Speisen erreichten nach angenehmer Wartezeit den Tisch und zumindest in meinem Falle war ich zufrieden mit den optischen Eindrücken.
Pljeskavica – 11,50€
Das Bifteki des Balkans hätte zwar etwas dunkler sein können, die ungleichmäßige Form signalisierte allerdings sogleich, dass hier kein Convenience Produkt auf dem Teller landete.
Da das recht milde, aber schmackhafte Ajvar recht knapp bemessen war, fragte ich direkt nach etwas Nachschlag, dem kam man freundlich wie kostenneutral mit einem kleinen Schüsselchen entgegen, sehr anständig.
Der Protagonist schmeckte zwar grundsätzlich gut, allerdings war mir der Käse zu mild und die Konsistenz der Hackmasse war mir zu fein und beinahe einen Hauch glitschig, so wie man es teilweise von Industrieprodukten kennt, es ist schwierig diese Textur präzise in Worte zu gießen.
Aber der Eigengeschmack gut, beherzt abgeschmeckt mit feiner aber nicht übertriebener Knoblauchnote, es reichte um meine Steinzeit-Gelüste zur Genüge zu befriedigen.
Die Pommes Frites kamen aus frischem Fett und taten ihr sättigendes Werk, der Djuvec Reis geschmacklich etwas flach und schon beim ersten Besuch mit SEHR rustikal gearbeitetem Gemüse versehen - wahrscheinlich die russische Variante der Brunoise, die mit der Handkante geschlagenen „Brunowski“.
Hirtensalat (warmer Ziegenkäse im Salatbett mit gerösteten Pinienkernen) – 9,50€
Das man Gemüse gerne mit der Handkante bearbeitet belegte eindrucksvoll die Wahl von Madame, man möchte sich nicht vorstellen, wie das Tellerbild bei einer Kürbisbeilage aussehen würde.
Das wie ich fand optisch katastrophale Gericht, das ein 12-jähriger mit Spaß am Kochen sicher hätte ansprechender arrangieren können, wurde dennoch grundsätzlich zufrieden verspeist.
Das Grünzeug sei frisch und aromatisch gewesen, der Balsamico habe gemundet – wobei der Salat rein optisch kaum angemacht schien – der Käse cremig und lecker, das Brot belanglos aber frisch.
Lediglich die sehr überschaubare Menge Käse wurde bemängelt, da hätte sich frau noch eine zweite Scheibe gewünscht, durchaus verständlich.
Die Bezahlung diesmal in bar, es gab noch den notorischen Pflaumenschnaps der Sorte Schädelspalter, die Verabschiedung freundlich und verbindlich.
Gut gesättigt wenn auch nicht unbedingt ekstatisch beglückt traten wir den Heimweg an und waren uns einig, kein kulinarischer Sehnsuchtsort sondern eher – im positiven Sinne – nachbarschaftliche Futterkrippe mit Herz.
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Diese Erinnerung hatte Ihre Halbwertszeit dann im Oktober erreicht, als Bernie Bo seine heimtückische Cevapcici Attacke ausführte und mich im Zombie-Modus den nächsten Balkan-Grill ansteuern ließ.
Auch der zweite Besuch war von strahlendem Sonnenschein begleitet, da sich al fresco zu tafeln im Oktober in unseren Breiten eher wenig anbietet, fanden wir uns diesmal im Innenraum ein.
Es ist gepflegt und sauber, durch die räumliche Aufteilung und die Inneneinrichtung aber ein Gasthaus mit spürbarem Kneipenflair, zeitlose Eleganz würde ich dann doch anders definieren.
Diesmal bediente ein jovialer junger Mann, der gleichzeitig auch die Theke bemannte, das Mittagsgeschäft war um kurz vor zwei schon verebbt, ich denke er hatte vorher sicher Unterstützung.
Die Getränkeauswahl entsprach exakt dem ersten Besuch, und auch die Wahl der Speisen zeigte letztlich „gewisse“ Parallelen…
Ustipak – 11,50€
Laut der Karte sind Ustipak mit Knoblauch gespickte Hackfleischbällchen, für diese Erklärung war ich dankbar, ich hatte den Begriff vorher noch nie gehört - Cevapcici gibt es erstaunlicherweise keine!
Wieder hätte ich mir einen Hauch mehr Röstung gewünscht, im Gegensatz zum ersten Besuch wurde das Grillgut nach dem Garen mit einer Mischung gerebelter mediterraner Trockenkräuter bedacht.
Die Konsistenz deutlich angenehmer als beim Pljeskavica, einfache gute Hausmannskost, wieder erbat ich Ajvar-Nachschub, was abermals freundlich und großzügig erfüllt wurde.
Nochmals gesteigerte Rustikalität dann beim Reis, die Gemüsestücke waren brachial, ein Stück Paprika von der Größe einer Pflaume führte dazu, das mich eine halbe Tomate auch nicht mehr überrascht hätte, geschmacklich auch wieder einen Hauch fad.
Die Portion war Holzfäller-kompatibel und führte trotz abermals angebotenem Absackerle dazu, das ich den Nachmittag apathisch vor dem PC verbrachte um mir nerdige Retro Gaming Videos auf YouTube anzuschauen, nochmal danke für nichts lieber Bernie! :-)
Landhaussalat – 9,50€
Madame landete wieder in der Salat Abteilung, das mondän betitelte Gericht wird in der Karte maximal unverbindlich als „Bunte Mischung mit Putenstreifen und Vinaigrette“ umschrieben.
Kaum war der Kellner entschwunden bekam ich einen kleinen Lachanfall ob der wiederum unfassbar ansprechenden und filigranen Anrichtung, das hatte durchaus Kaiseki Format.
Ich würdigte wortreich die kunstvoll tournierten, zarten Zwiebelringe, die sicher auch zur Pannenhilfe gute Dienste leisten würden, den kongenial arrangierten, ätherisch leicht anmutenden Kartoffelsalat, den detailverliebten, avantgardistischen Einsatz von Crema di Balsamico und den im Vergleich zum ersten Besuch tatsächlich hingebungsvoll gearbeiteten Tomatenachteln.
Madame warf mir genervte, strafende Blicke zu, Humor ist eben Glückssache, ich widmete mich also lieber schnell wieder meinem Holzfäller-Teller.
Eine Vinaigrette erspähte ich nicht, mir wurde aber versichert der Salat sei angemacht gewesen.
Auch wenn frau großzügig einräumte, die Optik sei doch grenzwertig rustikal gewesen, wurde der wilde Haufen in den höchsten Tönen gelobt, was die geschmacklichen Dinge angeht.
Hausgemacht und wie bei Muttern, bis auf die fingerdicken Zwiebelringe wurde der Teller komplett leergegessen, meine Begleitung war beglückt und das ist ja die Hauptsache.
Die Bezahlung diesmal per EC Karte, wieder gab es einen ordentlichen Beleg, wobei ich mich beim heutigen Fotografieren darüber wunderte, dass auf diesem statt dem 13.10. der 1.10. als Datum angegeben war, und statt 14:30 abendliche 18:05 als Uhrzeit – brauchte man für den 1. Oktober noch nachträglichen Umsatz?
Die Verabschiedung auch diesmal herzlich und familiär, bodenständige Gastronomie eben in sympathischer Reinform im Verhältnis zum Gast.
Fazit
Wie immer im Verhältnis zum Genre und Preisgefüge drei Sterne für die Küche für eine Leistung mit viel Luft nach oben, im Kern aber akzeptabel und es geht auch deutlich schlechter in diesen Häusern!
Der Service gut, Zufriedenheit wird erfragt, leer Gläser und Teller werden nie alt vor den Gästen, angenehme Wartezeiten, höflicher Umgang – vier Sterne.
Das Ambiente muss man mögen, ich denke die Bilder sagen eine Menge aus, mehr als drei Sterne wären hier wohl doch etwas zu wohlwollend.
Sauberkeit vier Sterne, einiges macht in Details doch einen etwas „verlebten“ Eindruck.
Das PLV sehe ich ebenfalls bei vier Sternen, arm wird man hier nicht, dafür aber auch nicht unbedingt reicher an wirklichem Genuss.
P.S.
Ich habe gelernt, ich lese Bernies Cevapcici-Chronicles Sonntags neuerdings erst Nachmittags , damit mir zukünftig fragwürdige, Tourette-artige Balkan-Orgien mit Wachkoma-Spätfolgen tunlichst erspart bleiben – soll noch mal jemand behaupten, Männer ab einem gewissen Alter seien nicht lernfähig… :-)
Und wieder ein weißer Fleck weniger auf der GG-Worldmap, und alle so jayyyy….