Geschrieben am 24.10.2021 2021-10-24| Aktualisiert am
02.12.2021
Besucht am 26.06.2021Besuchszeit: Abendessen 2 Personen
Rechnungsbetrag: 371 EUR
Jetzt auch mal von mir eine historisch-geografische Einleitung. (Kann natürlich übersprungen werden; dient nur der Erläuterung der Überschrift.)
Also:
Das kleinste Bundesland der Bundesrepublik Deutschland heißt offiziell Freie Hansestadt Bremen und besteht aus zwei Städten, Bremen und Bremerhaven. Soweit vermutlich bekannt. Als die Bremer 1827 vom Königreich Hannover Land an der Wesermündung kauften und dort in den Folgejahren ihren „Haven“ bauten, war das allerdings keine Premiere. Denn das Problem der Versandung der Unterweser, durch die keine Seeschiffe mehr bis nach Bremen kamen, gab es schon seit Jahrhunderten (und wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts durch die Begradigung und Vertiefung des Flusses mit inzwischen kritisch gesehenen Folgen für Ökologie und Deichschutz gelöst). Daher war schon ab 1618 etwa 25 Kilometer flussabwärts der Innenstadt der erste künstliche Hafen Deutschlands beim Dorf Vegesack angelegt worden. Die Namensherkunft ist nicht völlig geklärt; am hübschesten die Legende, dass sich schnell ansiedelnde Gastwirte mit ihren Angeboten sowie sonstige Dienste, die die Seeleute monatelang vermisst hatten, diesen den (Geld-)Sack wahrlich leer gefegt haben...
Über die Jahrhunderte wuchs die Einwohnerzahl in Vegesack und den benachbarten, teilweise industriell geprägten Stadtteilen auf über 100.000, so dass inzwischen die Schwelle zu einer Großstadt erreicht wäre. Das drückt sich in der Infrastruktur aus, mit eigenen Gymnasien, eigenem Amtsgericht, einer Kfz-Zulassungsstelle (mit für Eingeweihte erkennbarer eigener Kennzeichen-Kombination) und Stadtautobahn. Alles auch Ausdruck und Folge des durchaus vorhandenen Bewusstseins der Eigenständigkeit. Vermutlich gibt es ähnliche Verhältnisse in vielen Städten; von Saarbrücken werden wir sicher lesen;-)
Andererseits ist für die meisten Menschen in Bremen-„Stadt“ das Gebiet nördlich der Lesum (von der Quelle aus gemessen der drittlängste Nebenfluss der Weser) ziemliche terra incognita. Ich gestehe, dass dies bei uns nicht anders ist - Besuche waren in der Vergangenheit selten. Das gilt auch für die Gastronomie; erst recht, seit mit der Strandlust ein beliebtes Ausflugsziel am Fähranleger geschlossen ist. Ist das Angebot in der Stadt schon recht überschaubar, so schienen mir - trotz der wiederholten Berichte von Kritikerkollegen Hanseat1957 - kaum kulinarische Gründe für einen Abstecher in den Norden zu bestehen. Vielleicht mit Ausnahme des Kränholm, nachdem dort scheinbar wieder Kontinuität eingekehrt ist.
Allein das Jan Tabac war mir schon mehrfach bei Instagram durch ambitionierte Küche aufgefallen, die so gar nicht zu dem eher altbackenen Namen passen wollte. Und da wir nach dem Ende der zweiten Restaurantschließung schon die Stammlokale „durch“ hatten, machten wir uns an einem frühen Mittwochabend alkoholverzehrfreundlich per Regionalexpress ins Unbekannte auf!
Hier geht’s los:
Unser Plan war, zunächst einen ausgedehnten Bummel durch die Vegesacker Fußgängerzone und die Weserstraße zu machen. Dort hoch über dem Fluss und dem Stadtgarten und mit einer schönen Aussicht über das gegenüber liegende Oldenburger Land ist nämlich nicht nur das Jan Tabac zuhause, sondern stehen auch etliche denkmalgeschützte Häuser, die sich Reeder, Werftbesitzer und ihre erfolgreichen Kapitäne gebaut haben.
Aber wir reden vom Sommer 2021 und so stiegen wir just aus dem Zug, als es zu regnen anfing. Und auch nicht aufhörte. So mutierte unser Bummel zu einem Sprint von Markise zu Markise, bis wir endlich in einem Bekleidungsfilialist einen Regenschirm ausleihen konnten.
Kein Wunder also, dass wir pünktlich zur Öffnung die Gaststube stürmten, der man noch die ursprüngliche Bestimmung als Kneipe ansieht. Der Tresen an der einen Seite des schmalen Raumes wurde um eine offene Küche verlängert. Auf der anderen Seite des Mittelgangs schmiegen sich leicht erhöht mehrere Tische an der Wand entlang. Es dominieren dunkles Holz, rotes, schon reichlich mitgenommenes Leder und kräftig karmesinrote Wände. Rustikal, urig, aber ohne Trutschigkeit, wofür auch neue Lampen sorgen. Besonders schön das Ständerwerk des alten Hauses und die Worpsweder Stühle, deren geflochtene Sitzfläche bequemer war als erwartet.
Im hinteren Teil öffnet sich der Raum, am größten Tisch saß noch ein Küchenmitarbeiter und putzte stöhnend "die kleinsten Pfifferlinge der Welt". Später half ihm der junge Chefkoch, der uns schon beim Ankommen freundlich begrüßt hatte. Es stellte sich heraus, dass er im Canova gelernt hat.
Durch das großes Fenster geht der Blick in das "Prunkstück", den schmalen, langen Garten, der in Richtung Fluss sanft abfällt. Wir hätten auch draußen sitzen können, aber wir trauten dem Wetter nicht so recht, obwohl es aufgehört hatte zu regnen. Gute Entscheidung. Von unserem Tisch neben der Terrassentür konnten wir das Sammeln unter den großen Schirmen gut beobachten, immer wenn der nächste Schauer kam. Nach drinnen konnte niemand ausweichen, denn das Jan Tabac war ausreserviert, was die Leistung der beiden Küchenmatadore noch beeindruckender machte.
Inhaberin Ekaterina „Katja“ Vahlenkamp nahm in einem raffinierten Kleid diese Beschwerlichkeiten stoisch und mit gleichbleibender Freundlichkeit hin. Einen so engagierten, tadellosen, immer an den Wünschen der Gäste orientierten Service hat man auch nicht alle Tage. Vielen Dank! Zumal wir der kundigen Weinberatung eine wunderbare alkoholische Neuentdeckung verdanken. Tokaji Eszencia hat wenig mit dem üblichen weltbekannten ungarischen Süßwein zu tun. Deutlich sind salzig-karamellige Töne, die eher an Manzanilla erinnern. Sehr lecker, sehr teuer. Die 15€ für das großzügig eingeschenkte Gläschen des 2000er Jahrgangs waren angesichts der Flaschenpreise im Netz sogar noch ein Schnäppchen. Gern noch eine zweite Runde! Natürlich stehen solche Exoten nicht auf der kleinen, ganz klar auf Qualität ausgerichteten Weinkarte, von der wir natürlich Wasser und zunächst eine 1/2 Flasche Champagner von Drappier wählten, dann ein Großes Gewächs von Dr. Loosen und zum „Vegesack Dessert Massacre“ das eine oder andere Gläschen flüssigen Süßkram (Mosel Auslese, Sauternes, Tawny Port). Hach, das war ein lustiger Abend, perfekt orchestriert durch die leise „dramatische“ Hintergrundmusik, die zwischen Spanien und Russland, Willliams und Tschaikowsky changierte.
Bei knusprigem Olivenbaguette, Olivenöl und Fleur de Sel freuten wir uns über die Karte des Jan Tabac, die aus der personellen und räumlichen Not eine Tugend macht: 2 Vorspeisen, 2 Zwischengänge, 2 Desserts und - schön, schön - eine Käseauswahl. Als Hauptgang war ganz konsequent Sommergemüse mit Thymiankartoffeln und Pfifferlingsrahm gesetzt, das je nach Gusto solo verzehrt oder mit geräuchertem Tofu bzw. Steinbutt bzw. Rinderfilet kombiniert werden konnte.
Die Preise zwischen 13 und 46 Euro, dafür gab es Portionen für, ich sag mal, „normale“ Esser. Angesichts der sehr guten Qualitäten ist das für mich ein gutes PLV.
Die Gesamtkasse verteilten wir je zur Hälfte auf festen und flüssigen Luxus.
Zu Beginn ließen wir unisono das Rind Tatar sein und starteten ganz sommerlich mit einer mittelcremigen Burrata, die nicht mit der üblichen Tomate, sondern reifer Avocado süffig kombiniert wurde. Ein Brotchip knusperte. Rohe Gurkenstifte und Kräuter, Limette und Pepperoni verstärkten die frische „grüne“ Idee. Mir hätte das prägnanter sein können, um die relative Fettigkeit des Ganges abzupuffern, aber gegenüber wurde heftig widersprochen.
Beim Zwischengericht führte der kulinarische Weg meiner Frau vom Ganges (!) an den Guadalquivir. Ihre Gazpacho war allerdings Nebensache angesichts der wunderbaren Wildfanggarnele mit Tomaten-Basilikum-Crostini.
Für mich ging es mit dem Satee-Spieß vom Kikok-Hahn an den Kapuas - Wer kennt ihn nicht (der Google hat), den längsten Fluss Indonesiens? Die reichliche Erdnusscrème und Cashewbruch passten ebenso gut dazu wie Koriandergrün und -Honig sowie pikant eingelegte, knackige Bambussprösslinge. Hier wetteiferten süße und scharfe Noten ebenso schön miteinander wie die Texturen. Allein das wieder mal sehr durchgebratene und tatsächlich zur Trockenheit tendierende Geflügelfleisch trübte den Genuss ein wenig.
Man ahnt es - vor dem Hautgang konnte ich mir nicht verkneifen, nach einer „Erfrischung“ zu fragen. Allerdings nur, weil die Dessertkarte Sorbets versprach.
Auch diesen Wunsch erfüllte Chef Nico vorbildlich: Holundersorbet und -Schaum von selbst in der Stadt gesammelten Blüten.
Ich hatte mich beim Hauptgang für ein Rinderfilet entschieden, da ich Steinbutt - der meiner Liebsten ausgezeichnet schmeckte - erst wenige Tage vorher hatte.
Ich stimme durchaus zu, dass es hierzulande und nicht nur in Keeken und St. Arnual hervorragende Rindfleisch-Qualitäten gibt. Aber es wird halt das gegessen, was auf den Tisch kommt (oder eben etwas anderes gewählt). In diesem Fall geschmacklich überraschend starke grasgefütterte Weideland-Ware aus Neuseeland, mit kräftiger Kruste, zart im Biss und perfekt medium-rare.
Mit gleichem Niveau überraschten die Sommergemüse Erbsen, Karotten, Blumenkohl, Brokkoli, grüner Spargel und der Mais, der in Körnern und Minikölbchen serviert wurden. Das war mit Kerbel versehen, frisch - wer wollte, konnte einen Spritzer Zitrone zufügen - voll authentischem Geschmack und hatte wenig mit den TK-Mischungen zu tun, die mal besser, mal unterirdisch zubereitet viel zu oft auch im Sommer auf deutsche Teller kommen. Die eben noch am Beginn der Zubereitung gesehenen, in der Tat sehr kleinen Pfifferlinge hatten die Mühe gelohnt. Die Pilze wurden in einer nicht zu schweren Rahmsoße gebadet und hatten ebenfalls viel Geschmack, so dass es der (wie ich finde etwas unschön aufgeklecksten) Nage nicht bedurft hätte. Allerdings konnten so die eher unauffälligen Thymian-Kartoffeln sehr gewinnbringend für Aufwischarbeiten eingesetzt werden.
Ein klassisches Gericht, handwerklich tadellos umgesetzt, mit erstklassigen Produkten. Es ist, auch für mich, nicht immer „kreative Küche“, die dem Gast ein glückseliges Lächeln ins Gesicht zaubert.
Beim Süßen Fan ist man da mit gut gemachten Desserts auf der sicheren Seite. Problem ist meist, dass sich fast alles verlockend liest, im Jan Tabac einerseits Holunder-Variationen mit frischem Yuzu-Sorbet und Zitrone und andererseits fruchtiges Erdbeeren-Rhabarber Sorbet mit angewärmten Cheesecake.
Aber es war halt einer „dieser“ Tage und so wurde einfach beides bestellt!
Während sich gegenüber die „Ahs“ und „Ohs“ abwechselten, um in ein „Hmmmm“ überzugehen, konnte ich der Käseplatte nicht widerstehen. Und, weil an diesem Abend Schlemmen angesagt war, in der großen Ausführung. ... Natürlich;-)
Dabei waren von der Kuh Munster, Fourme d‘Ambert, Chaource, Brillat Savarin, Reblochon, Laguiole, aus Schafsmilch Mathais und Selles sur Cher. Man ahnt schon: Ich fühlte mich wie Borgfelder in Frankreich, was nicht verwunderlich war, denn die Käse werden über Rungis Express bezogen. Perfekte Reife bei allen!
Der krönende Abschluss unseres wirklich phantastischen Ausflugs in die unendlichen Weiten des (Bremer) Nordens!
Jetzt auch mal von mir eine historisch-geografische Einleitung. (Kann natürlich übersprungen werden; dient nur der Erläuterung der Überschrift.)
Also:
Das kleinste Bundesland der Bundesrepublik Deutschland heißt offiziell Freie Hansestadt Bremen und besteht aus zwei Städten, Bremen und Bremerhaven. Soweit vermutlich bekannt. Als die Bremer 1827 vom Königreich Hannover Land an der Wesermündung kauften und dort in den Folgejahren ihren „Haven“ bauten, war das allerdings keine Premiere. Denn das Problem der Versandung der Unterweser, durch die keine Seeschiffe mehr bis nach Bremen... mehr lesen
Jan Tabac
Jan Tabac€-€€€Restaurant042169891130Weserstraße 93, 28757 Bremen
4.5 stars -
"Tolle Neuentdeckung - jedenfalls für uns" DerBorgfelderJetzt auch mal von mir eine historisch-geografische Einleitung. (Kann natürlich übersprungen werden; dient nur der Erläuterung der Überschrift.)
Also:
Das kleinste Bundesland der Bundesrepublik Deutschland heißt offiziell Freie Hansestadt Bremen und besteht aus zwei Städten, Bremen und Bremerhaven. Soweit vermutlich bekannt. Als die Bremer 1827 vom Königreich Hannover Land an der Wesermündung kauften und dort in den Folgejahren ihren „Haven“ bauten, war das allerdings keine Premiere. Denn das Problem der Versandung der Unterweser, durch die keine Seeschiffe mehr bis nach Bremen
Geschrieben am 02.12.2021 2021-12-02| Aktualisiert am
05.12.2021
Kaum war der Gedanke geboren, im nächsten Sommer endlich im schönen Garten tafeln zu können, ist das Jan Tabac auch schon Geschichte. Inhaberin Ekaterina Vahlenkamp hatte sich nach eigenen Angaben von den in der ganzen Branche (und nicht nur der) bekannten Personalproblemen zermürbt, zurückgezogen, aber noch einige Wochen im Netz eine Nachfolgeregelung angekündigt. Davon ist nun keine Rede mehr; die Homepage wird „überarbeitet“ und auch der Chefkoch soll den Gerüchten nach die Stadt fluchtartig verlassen haben. Aber lassen wir die Räuberpistolen und hoffen, dass das Kleinod über dem Fluss wiederersteht. Bis dahin gilt: Leider geschlossen.
Kaum war der Gedanke geboren, im nächsten Sommer endlich im schönen Garten tafeln zu können, ist das Jan Tabac auch schon Geschichte. Inhaberin Ekaterina Vahlenkamp hatte sich nach eigenen Angaben von den in der ganzen Branche (und nicht nur der) bekannten Personalproblemen zermürbt, zurückgezogen, aber noch einige Wochen im Netz eine Nachfolgeregelung angekündigt. Davon ist nun keine Rede mehr; die Homepage wird „überarbeitet“ und auch der Chefkoch soll den Gerüchten nach die Stadt fluchtartig verlassen haben. Aber lassen wir die Räuberpistolen und hoffen, dass das Kleinod über dem Fluss wiederersteht. Bis dahin gilt: Leider geschlossen.
Jan Tabac
Jan Tabac€-€€€Restaurant042169891130Weserstraße 93, 28757 Bremen
stars -
"Wie gewonnen..." DerBorgfelderKaum war der Gedanke geboren, im nächsten Sommer endlich im schönen Garten tafeln zu können, ist das Jan Tabac auch schon Geschichte. Inhaberin Ekaterina Vahlenkamp hatte sich nach eigenen Angaben von den in der ganzen Branche (und nicht nur der) bekannten Personalproblemen zermürbt, zurückgezogen, aber noch einige Wochen im Netz eine Nachfolgeregelung angekündigt. Davon ist nun keine Rede mehr; die Homepage wird „überarbeitet“ und auch der Chefkoch soll den Gerüchten nach die Stadt fluchtartig verlassen haben. Aber lassen wir die
Wenn Sie unsere Webseiten besuchen, kann Ihre Systemsoftware Informationen in Form von Cookies oder anderen Technologien von uns und unseren Partnern abrufen oder speichern, um z.B. die gewünschte Funktion der Website zu gewährleisten.
Datenschutz-Einstellungen
Hier können Sie festlegen, wie wir Ihre Daten verwenden dürfen. Bitte beachten Sie, dass auf Basis Ihrer Einstellungen womöglich nicht mehr alle Funktionen zur Verfügung stehen.
Unbedingt erforderliche Technologien
Um Sicherheit gewährleisten, Missbrauch verhindern und Inhalte und Anzeigen technisch sowie unsere Services wie von Ihnen gewünscht bereitstellen zu können, sind folgende Technologien erforderlich.
Produkte oder Inhalte technisch bereitstellen
z.B. Session für Warenkorb, Favoriten, letzte Bestellungen ...
Google Maps
z.B. Integration von Google Maps Standorten über iFrame- / Javascript Technologie im internen Bereich an erforderlichen Stellen.
Google Anzeigen
z.B. die kostenlose Nutzung unserer Website ist nur mit Google Adsense Werbeanzeigen möglich.
Performance Cookies
Mithilfe dieser Cookies können wir Besuche und Traffic-Quellen zählen, damit wir die Leistung unserer Website messen und verbessern können. Sie geben uns Aufschluss darüber, welche Seiten beliebt und weniger beliebt sind und wie sich Besucher auf der Website bewegen.
Google Analytics
z.B. Erfassung der Seitenaufrufe, Verweildauer usw.
Google Tag Manager
z.B. Erfassen von Events (Warenkorb, Bestellprozess, Aktionen usw.)
Facebook Pixel
z.B. Erfassen von Events (Warenkorb, Bestellprozess, Aktionen usw.)
Multimediale Cookies
Diese Cookies ermöglichen es uns, die Funktionalität und individuelle Gestaltung zu verbessern, beispielsweise von integrierten Videos und virtuellen 360° Rundgängen. Ohne diese Cookies können einige oder alle dieser Funktionen nicht ordnungsgemäß funktionieren.
Youtube Videos
z.B. Integration von Youtube Videos über iFrame Technologie.
Google Maps
z.B. Integration von Google Maps Standorten über iFrame- / Javascript Technologie.
Google Maps 360° Rundgänge
z.B. Integration von Google Maps 360° Rundgängen per Javascript
Marketing Cookies
Diese Cookies ermöglichen es uns, auf die Benutzerinteressen abgestimmte Werbung einzublenden.
Also:
Das kleinste Bundesland der Bundesrepublik Deutschland heißt offiziell Freie Hansestadt Bremen und besteht aus zwei Städten, Bremen und Bremerhaven. Soweit vermutlich bekannt. Als die Bremer 1827 vom Königreich Hannover Land an der Wesermündung kauften und dort in den Folgejahren ihren „Haven“ bauten, war das allerdings keine Premiere. Denn das Problem der Versandung der Unterweser, durch die keine Seeschiffe mehr bis nach Bremen kamen, gab es schon seit Jahrhunderten (und wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts durch die Begradigung und Vertiefung des Flusses mit inzwischen kritisch gesehenen Folgen für Ökologie und Deichschutz gelöst). Daher war schon ab 1618 etwa 25 Kilometer flussabwärts der Innenstadt der erste künstliche Hafen Deutschlands beim Dorf Vegesack angelegt worden. Die Namensherkunft ist nicht völlig geklärt; am hübschesten die Legende, dass sich schnell ansiedelnde Gastwirte mit ihren Angeboten sowie sonstige Dienste, die die Seeleute monatelang vermisst hatten, diesen den (Geld-)Sack wahrlich leer gefegt haben...
Über die Jahrhunderte wuchs die Einwohnerzahl in Vegesack und den benachbarten, teilweise industriell geprägten Stadtteilen auf über 100.000, so dass inzwischen die Schwelle zu einer Großstadt erreicht wäre. Das drückt sich in der Infrastruktur aus, mit eigenen Gymnasien, eigenem Amtsgericht, einer Kfz-Zulassungsstelle (mit für Eingeweihte erkennbarer eigener Kennzeichen-Kombination) und Stadtautobahn. Alles auch Ausdruck und Folge des durchaus vorhandenen Bewusstseins der Eigenständigkeit. Vermutlich gibt es ähnliche Verhältnisse in vielen Städten; von Saarbrücken werden wir sicher lesen;-)
Andererseits ist für die meisten Menschen in Bremen-„Stadt“ das Gebiet nördlich der Lesum (von der Quelle aus gemessen der drittlängste Nebenfluss der Weser) ziemliche terra incognita. Ich gestehe, dass dies bei uns nicht anders ist - Besuche waren in der Vergangenheit selten. Das gilt auch für die Gastronomie; erst recht, seit mit der Strandlust ein beliebtes Ausflugsziel am Fähranleger geschlossen ist. Ist das Angebot in der Stadt schon recht überschaubar, so schienen mir - trotz der wiederholten Berichte von Kritikerkollegen Hanseat1957 - kaum kulinarische Gründe für einen Abstecher in den Norden zu bestehen. Vielleicht mit Ausnahme des Kränholm, nachdem dort scheinbar wieder Kontinuität eingekehrt ist.
Allein das Jan Tabac war mir schon mehrfach bei Instagram durch ambitionierte Küche aufgefallen, die so gar nicht zu dem eher altbackenen Namen passen wollte. Und da wir nach dem Ende der zweiten Restaurantschließung schon die Stammlokale „durch“ hatten, machten wir uns an einem frühen Mittwochabend alkoholverzehrfreundlich per Regionalexpress ins Unbekannte auf!
Hier geht’s los:
Unser Plan war, zunächst einen ausgedehnten Bummel durch die Vegesacker Fußgängerzone und die Weserstraße zu machen. Dort hoch über dem Fluss und dem Stadtgarten und mit einer schönen Aussicht über das gegenüber liegende Oldenburger Land ist nämlich nicht nur das Jan Tabac zuhause, sondern stehen auch etliche denkmalgeschützte Häuser, die sich Reeder, Werftbesitzer und ihre erfolgreichen Kapitäne gebaut haben.
Aber wir reden vom Sommer 2021 und so stiegen wir just aus dem Zug, als es zu regnen anfing. Und auch nicht aufhörte. So mutierte unser Bummel zu einem Sprint von Markise zu Markise, bis wir endlich in einem Bekleidungsfilialist einen Regenschirm ausleihen konnten.
Kein Wunder also, dass wir pünktlich zur Öffnung die Gaststube stürmten, der man noch die ursprüngliche Bestimmung als Kneipe ansieht. Der Tresen an der einen Seite des schmalen Raumes wurde um eine offene Küche verlängert. Auf der anderen Seite des Mittelgangs schmiegen sich leicht erhöht mehrere Tische an der Wand entlang. Es dominieren dunkles Holz, rotes, schon reichlich mitgenommenes Leder und kräftig karmesinrote Wände. Rustikal, urig, aber ohne Trutschigkeit, wofür auch neue Lampen sorgen. Besonders schön das Ständerwerk des alten Hauses und die Worpsweder Stühle, deren geflochtene Sitzfläche bequemer war als erwartet.
Im hinteren Teil öffnet sich der Raum, am größten Tisch saß noch ein Küchenmitarbeiter und putzte stöhnend "die kleinsten Pfifferlinge der Welt". Später half ihm der junge Chefkoch, der uns schon beim Ankommen freundlich begrüßt hatte. Es stellte sich heraus, dass er im Canova gelernt hat.
Durch das großes Fenster geht der Blick in das "Prunkstück", den schmalen, langen Garten, der in Richtung Fluss sanft abfällt. Wir hätten auch draußen sitzen können, aber wir trauten dem Wetter nicht so recht, obwohl es aufgehört hatte zu regnen. Gute Entscheidung. Von unserem Tisch neben der Terrassentür konnten wir das Sammeln unter den großen Schirmen gut beobachten, immer wenn der nächste Schauer kam. Nach drinnen konnte niemand ausweichen, denn das Jan Tabac war ausreserviert, was die Leistung der beiden Küchenmatadore noch beeindruckender machte.
Inhaberin Ekaterina „Katja“ Vahlenkamp nahm in einem raffinierten Kleid diese Beschwerlichkeiten stoisch und mit gleichbleibender Freundlichkeit hin. Einen so engagierten, tadellosen, immer an den Wünschen der Gäste orientierten Service hat man auch nicht alle Tage. Vielen Dank! Zumal wir der kundigen Weinberatung eine wunderbare alkoholische Neuentdeckung verdanken. Tokaji Eszencia hat wenig mit dem üblichen weltbekannten ungarischen Süßwein zu tun. Deutlich sind salzig-karamellige Töne, die eher an Manzanilla erinnern. Sehr lecker, sehr teuer. Die 15€ für das großzügig eingeschenkte Gläschen des 2000er Jahrgangs waren angesichts der Flaschenpreise im Netz sogar noch ein Schnäppchen. Gern noch eine zweite Runde! Natürlich stehen solche Exoten nicht auf der kleinen, ganz klar auf Qualität ausgerichteten Weinkarte, von der wir natürlich Wasser und zunächst eine 1/2 Flasche Champagner von Drappier wählten, dann ein Großes Gewächs von Dr. Loosen und zum „Vegesack Dessert Massacre“ das eine oder andere Gläschen flüssigen Süßkram (Mosel Auslese, Sauternes, Tawny Port). Hach, das war ein lustiger Abend, perfekt orchestriert durch die leise „dramatische“ Hintergrundmusik, die zwischen Spanien und Russland, Willliams und Tschaikowsky changierte.
Bei knusprigem Olivenbaguette, Olivenöl und Fleur de Sel freuten wir uns über die Karte des Jan Tabac, die aus der personellen und räumlichen Not eine Tugend macht: 2 Vorspeisen, 2 Zwischengänge, 2 Desserts und - schön, schön - eine Käseauswahl. Als Hauptgang war ganz konsequent Sommergemüse mit Thymiankartoffeln und Pfifferlingsrahm gesetzt, das je nach Gusto solo verzehrt oder mit geräuchertem Tofu bzw. Steinbutt bzw. Rinderfilet kombiniert werden konnte.
Die Preise zwischen 13 und 46 Euro, dafür gab es Portionen für, ich sag mal, „normale“ Esser. Angesichts der sehr guten Qualitäten ist das für mich ein gutes PLV.
Die Gesamtkasse verteilten wir je zur Hälfte auf festen und flüssigen Luxus.
Zu Beginn ließen wir unisono das Rind Tatar sein und starteten ganz sommerlich mit einer mittelcremigen Burrata, die nicht mit der üblichen Tomate, sondern reifer Avocado süffig kombiniert wurde. Ein Brotchip knusperte. Rohe Gurkenstifte und Kräuter, Limette und Pepperoni verstärkten die frische „grüne“ Idee. Mir hätte das prägnanter sein können, um die relative Fettigkeit des Ganges abzupuffern, aber gegenüber wurde heftig widersprochen.
Beim Zwischengericht führte der kulinarische Weg meiner Frau vom Ganges (!) an den Guadalquivir. Ihre Gazpacho war allerdings Nebensache angesichts der wunderbaren Wildfanggarnele mit Tomaten-Basilikum-Crostini.
Für mich ging es mit dem Satee-Spieß vom Kikok-Hahn an den Kapuas - Wer kennt ihn nicht (der Google hat), den längsten Fluss Indonesiens? Die reichliche Erdnusscrème und Cashewbruch passten ebenso gut dazu wie Koriandergrün und -Honig sowie pikant eingelegte, knackige Bambussprösslinge. Hier wetteiferten süße und scharfe Noten ebenso schön miteinander wie die Texturen. Allein das wieder mal sehr durchgebratene und tatsächlich zur Trockenheit tendierende Geflügelfleisch trübte den Genuss ein wenig.
Man ahnt es - vor dem Hautgang konnte ich mir nicht verkneifen, nach einer „Erfrischung“ zu fragen. Allerdings nur, weil die Dessertkarte Sorbets versprach.
Auch diesen Wunsch erfüllte Chef Nico vorbildlich: Holundersorbet und -Schaum von selbst in der Stadt gesammelten Blüten.
Ich hatte mich beim Hauptgang für ein Rinderfilet entschieden, da ich Steinbutt - der meiner Liebsten ausgezeichnet schmeckte - erst wenige Tage vorher hatte.
Ich stimme durchaus zu, dass es hierzulande und nicht nur in Keeken und St. Arnual hervorragende Rindfleisch-Qualitäten gibt. Aber es wird halt das gegessen, was auf den Tisch kommt (oder eben etwas anderes gewählt). In diesem Fall geschmacklich überraschend starke grasgefütterte Weideland-Ware aus Neuseeland, mit kräftiger Kruste, zart im Biss und perfekt medium-rare.
Mit gleichem Niveau überraschten die Sommergemüse Erbsen, Karotten, Blumenkohl, Brokkoli, grüner Spargel und der Mais, der in Körnern und Minikölbchen serviert wurden. Das war mit Kerbel versehen, frisch - wer wollte, konnte einen Spritzer Zitrone zufügen - voll authentischem Geschmack und hatte wenig mit den TK-Mischungen zu tun, die mal besser, mal unterirdisch zubereitet viel zu oft auch im Sommer auf deutsche Teller kommen. Die eben noch am Beginn der Zubereitung gesehenen, in der Tat sehr kleinen Pfifferlinge hatten die Mühe gelohnt. Die Pilze wurden in einer nicht zu schweren Rahmsoße gebadet und hatten ebenfalls viel Geschmack, so dass es der (wie ich finde etwas unschön aufgeklecksten) Nage nicht bedurft hätte. Allerdings konnten so die eher unauffälligen Thymian-Kartoffeln sehr gewinnbringend für Aufwischarbeiten eingesetzt werden.
Ein klassisches Gericht, handwerklich tadellos umgesetzt, mit erstklassigen Produkten. Es ist, auch für mich, nicht immer „kreative Küche“, die dem Gast ein glückseliges Lächeln ins Gesicht zaubert.
Beim Süßen Fan ist man da mit gut gemachten Desserts auf der sicheren Seite. Problem ist meist, dass sich fast alles verlockend liest, im Jan Tabac einerseits Holunder-Variationen mit frischem Yuzu-Sorbet und Zitrone und andererseits fruchtiges Erdbeeren-Rhabarber Sorbet mit angewärmten Cheesecake.
Aber es war halt einer „dieser“ Tage und so wurde einfach beides bestellt!
Während sich gegenüber die „Ahs“ und „Ohs“ abwechselten, um in ein „Hmmmm“ überzugehen, konnte ich der Käseplatte nicht widerstehen. Und, weil an diesem Abend Schlemmen angesagt war, in der großen Ausführung. ... Natürlich;-)
Dabei waren von der Kuh Munster, Fourme d‘Ambert, Chaource, Brillat Savarin, Reblochon, Laguiole, aus Schafsmilch Mathais und Selles sur Cher. Man ahnt schon: Ich fühlte mich wie Borgfelder in Frankreich, was nicht verwunderlich war, denn die Käse werden über Rungis Express bezogen. Perfekte Reife bei allen!
Der krönende Abschluss unseres wirklich phantastischen Ausflugs in die unendlichen Weiten des (Bremer) Nordens!