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Gute drei Jahre nach der Eröffnung schwingt inzwischen der vierte Chefkoch das kulinarische Zepter.
Das in der vorigen Kritik ausführlich beschriebene Ambiente nimmt mich wieder gefangen, man taucht immer noch in eine verborgene Welt ein, die zwischen der Reinheit der weißen Vorhänge im Hauptraum und dem „verruchtem“ Großstadtflair in den hinteren Gemächern changiert.
Und natürlich bleibt die große Bondage-Installation der Blickfang. Überhaupt wird hier kein Geheimnis aus der Passion für Leder und Fesselung gemacht, sei es bei manchen Crewmitgliedern oder auf der Homepage. Das Motto lautet schließlich „No limits. No boundaries. No name“. Aber immer dezent und stilvoll, wie einige der Änderungen, die ich nach und nach entdecke. Die Theke ist weitgehend einem Chef‘s Table in Form einer langen, hohen Tafel gewichen. Die weiteren Tische haben eigene Stehlampen erhalten, deren Lichtkegel ihren Satelliten-Charakter im Raum optisch unterstreichen.
Ground Control to Major Borg...
Womöglich ein Entgegenkommen an die recht internationale, food(pics)-affine Kundschaft, die im Netz überwiegend englisch informiert wird. Aber auch der ohne Reservierung ein-wandernde germanische Einzelgast wird freundlich empfangen und von verschiedenen jungen Servicemenschen umsorgt. Trotz vieler Gäste nimmt man sich Zeit für ein nettes Wort und besonders freut es mich, dass die sympathische Sarah Buchbinder weiterhin im Service dabei ist und inzwischen für die alkoholfreie Menü-Begleitung verantwortlich zeichnet, die allerdings noch „im Werden begriffen“ war. Neugierig wie stets und leberfreundlich wie selten wagte ich das Experiment!
Beim Menü sollten es nach zwei Jahren die vollen sieben Gänge für 110€ sein; der Preis ist nicht mehr aktuell — für das gleiche Geld werden aktuell sogar acht Gänge plus Amuses und Petits Fours offeriert! Respekt! Vegetarisch ist man mit 99€ dabei.
Für 5 Gläser der gesunden Begleitung wurden mir milde 39€ berechnet.
Etwas Fingerfood zu Beginn machte definitiv Lust auf mehr: Ein knuspriger Algen-Tapioka-Chip überlebte zwar nicht lange genug für ein Foto, gefiel aber mit salzigen und überraschend süßen Noten, die vermutlich von einer nicht erwähnten Zutat im Miso-Topping stammten.
Der zweite Happen ergänzte eine säuerliche Komponente und kam etwas komplexer rüber: Eine ausgehöhlte Schalotte war in ihrer Asche gewälzt und mit Zwiebeltatar, Spitzkohlcrème und etwas Apfel gefüllt worden. Auch hier ein schönes Texturenspiel.
Vermutlich sah ich hungrig aus, denn schon kam das warm servierte Hausbrot mit gemahlenen Traubenkernen, die mir allerdings im fertigen Produkt nicht weiter auffielen. Dafür schlicht ein gelungenes Sauerteigbrot mit einer knisternd brechenden Kruste, das von Salzbutter (im Hause selbst gebuttert!), einem Molkesud und Schnittlauch-Öl begleitet wurde.
Ins eigentliche Menü ging es mit einem zumindest optisch nicht so ansprechenden vegetarischen Teller rund um Gurke und bissfeste Algen. Dabei führte das unterschiedliche Meeresgemüse, ohne zu salzig oder jodig zu sein. Auch die Gurke blieb jederzeit präsent und zuletzt setzten sich Kräuternoten und pikant-fruchtiger Ingwer durch. Gerade Schärfe am Ende einer Geschmacksentwicklung nimmt mich immer mit, weil dann am Gaumen noch etwas „passiert“. Manchmal muss man ja länger kauen, um über kalte oder feste Komponenten „hinweg“ zu kommen, die lange dominieren können. Ausgewogener, fast schon eleganter Auftakt.
(Im Glas: Matcha, Zuckerschotensaft, Verjus. Überraschend süß, aber guter Hintergrund.)
Auch der zweiten Teller blieb weitgehend fleischlos: Genau genommen war der Lardo verschenkt, denn zwischen den scharfen Rettichsorten, leicht bitteren Bockshornklee-Samen, einer süffigen Crème von schwarzem Knoblauch und sehr kräftig schmeckenden Steinpilz-Chips versteckte sich der fette Speck nicht nur optisch. Aber auch so gefiel mir die kräftige Handschrift.
(Im Glas: Kombucha aus Hanfsamen. Deutliche Säure, Apfelnoten, Hefe.)
Der folgende Langostino-Schwanz war zwar nur angegart, hatte aber eine sehr weiche Struktur. Geschmacklich tadellos. Auffälligster Part war sicherlich ein Tomatensud mit Korianderöl, dessen würzige, salzige und pikante Noten durch eine Sesamcrème abgepuffert wurden. Ein für mich etwas unbefriedigender Teller, dem es (gewollt?) an Textur mangelte. Der Küche einen Hang zu weichen Komponenten zu bescheinigen, wäre sicher nicht falsch gewesen.
(Im Glas: Aufgekochtes, filtriertes Tomatenwasser mit Sirup von rotem Basilikum. Pikant.)
Es überraschte wenig (oder eben doch), dass auch im nächsten Gang nur Chips vom Shitake-Pilz für kurzfristigen Knusper sorgten. Wobei weder der geschmorte und intensiv geräucherte Kastanienseitling noch die sau-leckere Wacholder-Hollandaise mit Shitake-Staub geschmacklich etwas schuldig blieben. Eine echte umami-Bombe!
(Im Glas: Quittensaft und Pilzauszug. Joah, kann man machen.)
Meine Vorstellung an diesem Punkt des Menüs wäre allerdings eher ein schöner Fischgang gewesen, als erneut ein vegetarischen Teller.
Indes: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!, wusste schon Bocuse-Schnauze.
Ich blieb lieber im Restaurant und konnte mich so den Variationen des kräftigen Klosterkäses widmen, die in einem ungewöhnlichen, interessanten Kamillensud badeten und von fermentierten Zwiebel begleitet wurden, die mal Biss mitbrachten. Zudem „spendierte“ die Küche wunderbare Croûtons, die vielleicht in ausgelassenem Speck ausgebacken waren. Das gab ein ebenso süffig, wie kräftig salzig und auch säuerliches Geschmacksbild, das aber durch den inzwischen fast schon erwartbaren, nachträglich angegossenen schmackigen Eierschaum abgeschwächt wurde.
(Im Glas: Luft. Sarah hatte dazu noch nichts in petto.)
Scheinbar puristisch kam der einzige Fleischgang daher: Aber schon die beiden Stücke vom Hirschkalbrücken waren nichts weniger als fantastisch. Im Gargrad medium rare präsentierte sich das Fleisch saftigst, mit fester Struktur und gleichzeitig zart, hatte eine schöne Bräunung und eben das kräftigere, aber nicht strenge Aroma des Jungwildes. Etwas mit zerriebenen Tannennadeln versetztes Salz steigerte den Genuss noch.
Die ominöse Nocke daneben sollte sicherlich an eine übliche Rotkohl-Begleitung erinnern, war dafür aber schon optisch zu dunkel. Der erste Bissen überraschte zudem mit einer Textur, die mich spontan an gewässerte Kombu-Alge erinnerte. Tatsächlich waren hier Herbsttrompeten dehydriert worden, um sie dann in einem Wildfonds wieder Flüssigkeit ziehen zu lassen. Vermischt mit Roter Bete und Holunderbeeren war das eine überaus spannende Beilage - erdig, süßlich, frucht-sauer und salzig, dazu das ganz eigene Mundgefühl. Zusammen mit dem Fleisch mit Abstand der überzeugendste Teller des Menüs!
Hirschkalbrücken
(Im Glas: Rote Bete-Johannisbeersaft, der die Aromen der Beilage aufnahm.)
Weil ich bereits einen Käsegang genießen durfte, hatte ich den „Nachtisch“ diesmal nicht abgewählt. Und natürlich, weil The NoName in Sachen herausfordernde Desserts ja einen... Warte, gleich kommt’s: Namen zu verlieren hat! Da außerdem klar in Vorteil ist, wer lesen kann, war ich nicht ganz so überrascht, dass Petersilienwurzel(!) im Mittelpunkt stand - als Ragout und als Pacojet-cremiges Eis, mit toll frittiertem Grün gekrönt. Einen frisch-kräuterigen Konterpart setzte der kräftige Elstar-Kamille-Sud mit ein paar Spritzern Kräuteröl und auch ein Haselnusscrumle machte hier kulinarisch Sinn.
Ein „typisches“ NoName-Dessert, dass mich, aber sicher nicht jeden begeistert hätte.
(Im Glas: Orange, Lavendel, Verjus, Soda. Frische und Blumigkeit als willkommene Ergänzung.)
Und auch mit den üblicherweise süßen Rausschmeißern konnte mich die NoName-Küche einnehmen: Das Popcorn hatte durch tasmanischen Pfeffer seinen ungewöhnlichen Twist bekommen.
Und mit dem Karamell, dem Weizengras-Puder eine leichte Bitterkeit verlieh, schloss sich der Kreis zum Beginn des Abends: Es war verschwunden, bevor ich an das Foto gedacht hatte.
Fazit: Das NoName bleibt sich treu. Herausforderungen, viele toll, manche eher schwierig. Nicht zu oft, aber von Zeit zu Zeit kann man seine Grenzen schon überschreiten...