Geschrieben am 26.10.2020 2020-10-26| Aktualisiert am
27.10.2020
Besucht am 03.10.2020Besuchszeit: Abendessen 7 Personen
Neun Genießer geschmackstechnisch unter einen Hut zu bringen, ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Zu unterschiedlich die kulinarischen Vorlieben, zu vielfältig die Vorstellungen von der individuell am besten passenden Gastronomie.
Dass Carsten sich diese Aufgabe auferlegt hat und das „Coeur d’Artichaut“ in Münster zur Wahl ins Feinschmecker-Forum geworfen hat, sei ihm hoch anzurechnen, ebenso wie die Organisation des Gourmet-Gipfeltreffens. Dass die Kulinarik-Konferenz (und jetzt ist es auch genug mit den allgegenwärtigen Alliterationen) letztlich auf zwei geschätzte Teilnehmer von der Nahe verzichten musste, stimmte die Delegation zwar traurig, aber auch zuversichtlich, dass es sicher eine weitere Möglichkeit zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort geben wird.
Am deutschen Feiertag begrüßt uns Münster eher mit schäbigem Wetter und die Schönheit der Stadt versteckt sich unter grauem Nieselregen und hinter menschenleeren Straßen. Umso herzlicher und sonniger die Begrüßung der Gesellschaft erst im Hotel und dann im Restaurant, das ziemlich versteckt in einem Innenhof in der Innenstadt liegt. Innen ein großzügiger Raum mit Blick in die Küche, unser großer Tisch etwas separiert neben dem Tresen, was den Abend sowohl für uns als auch die übrigen Gäste durchaus angenehmer gestaltet.
Frédéric Morel, gebürtiger Bretone mit Stationen bei Thomas Martin im Hamburger „Louis C. Jacob“ (2 Michelin-Sterne) und bei Joachim Wissler im „Vendôme“ in Bergisch-Gladbach (3 Michelin-Sterne) in den besten Häusern der Republik gestählt und als Küchenchef im „Se7en oceans“ in Hamburg mit dem ersten eigenen Stern ausgezeichnet, hat in Münster im Oktober 2019 den Sprung in die Selbständigkeit gewagt und dort nach nur wenigen Monaten bereits einen Stern verliehen bekommen.
Im „Coeur d’Artichaut“ gibt es ein Menü in 4, 6 oder 8 Gängen (85,--€ / 115,--€ / 140,--€).
Unsere Gesellschaft hatte sich im Vorfeld auf das volle Programm verständigt mit einer Fischversion.
Mit drei kleinen, hintereinander servierten Apéros geht es los. Den Auftakt macht ein Tartelette mit Zandertatar, dem Sellerie, eingelegter Apfel und eine Dillmayonnaise einen schönen frischen Charakter verleiht, bei dem Dill sich deutlich in den Vordergrund schiebt.
Ein fluffiger Sellerie-Financier mit Haselnuss und Blauschimmel-Käse wird schon etwas kräftiger, obwohl der Käse sich nicht zu vordergründig präsentiert.
In der aromatischen Steigerung folgt eine warme Rindfleischpraline, die einen leicht säuerlichen Grundton hat, aber auch reichlich Umami mitbringt. Dafür bleibt die angekündigte Artischocke geschmacklich mehr als zurückhaltend.
Sehr überzeugend die Brotauswahl mit einem Tomatenbrötchen, einem Sauerteigbrot und einer Brioche mit Bergkäse, die sehr einem Gougère ähnelt. Neben der guten Salzbutter setzt vor allem die sehr markante Algenbutter kräftige Akzente.
Das Menü selbst startet mit Hummer aus der bretonischen Heimat von Fréderic Morel, aber anders als man erwarten würde, in sehr verfremdeter Form als dünn geschnittenes Tatar und als Rillette zubereitet. Von der Konsistenz ähnelt es damit eher fein gezupftem Taschenkrebsfleisch. Dem Geschmack tut dies keinen Abbruch. Morel arbeitet Seeigel in das Tatar und gibt dem Ganzen ein Kräutergranité und ein farbloses Tomatenwasser, das mit Kräutern aromatisiert wird, an die Seite. Das führt zu einem Gesamtbild, das sowohl frisch, als auch füllig mit schönen Temperaturkontrasten daher kommt.
Très français wird es mit dem folgenden Kalbskopf als Terrine, begleitet von einer Vinaigrette auf Basis des Kochsuds, Radieschen und Schnittlauch, dazu ein kleiner Salat mit getrocknetem Eigelb. Das ist jetzt nicht gerade besonders leicht, aber mit absolutem Wohlfühlcharakter, elegant deftig und alles andere als plump.
Aus der gleichen Feelgood-Abteilung stammt auch der nächste Gang. Miesmuscheln sind mit glasierten Petersilienwurzeln und Salatspitzen getoppt und baden in einer Beurre Blanc, die mit etwas Petersilienöl aromatisiert ist. Am Tisch herrscht Einigkeit darüber, dass es durchaus ein paar Exemplare mehr von den Muscheln hätten sein dürfen, aber vor allem, dass die Sauce der eigentliche Star auf dem Teller ist. Wenn das Attribut mollig auf etwas zutrifft, dann sicherlich auf dieses Gericht.
Miesmuscheln / Zitrone / Petersilie
Üppig wird es mit dem Steinbutt, der selbstverständlich aus der Bretagne kommt. Das ist zum einen der Zubereitungsart, aber auch der Sauce zu verdanken. Der Fisch wurde in Nussbutter confiert, die Nussbutter anschließend selbst mit Buttermilch zwar etwas leichter gestaltet, nur um sie dann anschließend doch wieder mit Butter zu binden. Das ist sicher nichts für Kalorienzähler, aber dem unvergleichlichen Geschmack und Genuss kam man sich nur schwer entziehen. Als Beilage serviert Morel Celtuce, im deutschen auch als Spargelsalat bekannt, wenngleich nicht sehr geläufig. Sowohl die Stiele als auch der Salat können verarbeitet werden und erinnern, zumindest entfernt, tatsächlich etwas an Spargel. In Kombination mit den dazu gereichten Nordseekrabben, kommt so etwas Frische, Biss und zusätzliche Geschmackstiefe ins Spiel.
Ordentlich, wenn auch nicht so begeisternd wie die vorherigen Gänge, präsentiert sich der Hauptgang. Der Ibérico Schweinerücken ist auf meinem Teller stellenweise etwas trocken geraten. Das mag ein Ausrutscher sein, denn bei meinen Tischnachbarn sieht das Fleisch deutlich mehr rosé aus. Alles übrige ist makellos, sei es die geschmorte Backe und die recht herzhafte Einfassung mit Blutwurst, Senfkörnern, Zwiebelpüree und Perlgraupen. Auch die kräftige Jus passt gut dazu. Dennoch fällt das, vor allem aufgrund des Gargrades des Rückens, für mich doch etwas ab.
Auch mit dem Käsegang werde ich nicht so recht glücklich. Zwar ist die Variation um Feige als Granité und pur gut gedacht, auch in Kombination mit Senfkörnern und gelber Bete, aber der Tomme de Savoie ist definitiv zu jung und kann sich kaum gegen seine Mitspieler behaupten. Ein kräftigerer, gereifterer Käse hätte hier meines Erachtens deutlich besser gepasst.
Den süßen Teil des Menüs läutet eine Quarkmousse mit Holunderbeersorbet und Gurkengranité ein. Das ist unkompliziert und frisch und stellt nach den teilweise recht deftigen Gängen zuvor eine gelungene Überleitung dar.
Gurke / Dill / Holunder
Nicht nur optisch sehr stimmig endet das Menü mit Brombeeren, einer zum Glück nur hintergründig durchschmeckenden Lavendel-Ganache, einem Whiskey-Eis, in dem der rauchige Ton allerdings nur sehr dezent durchscheint sowie Crumble. Das ist sehr harmonisch und gefällt mir sehr gut, ebenso wie der blau gefleckte Teller, der für dieses Dessert mehr als passend ausgesucht ist.
Bleibt dieses Dessert durchaus noch im konventionellen Rahmen, erlaubt sich Frédéric Morel zum finalen Abschluss doch noch eine Extravaganz. Neben den Buchweizen-Madeleines und einem Macaron mit Banane-Curry-Ganache serviert er uns noch einen seiner Signature Dishes, der offenbar traditionell immer ein Menü hier beschließt.
Mit einem Himbeer-Paprika-Sorbet, Eukalyptus-Schaum und Algen-Baiser kommt schon in der puren Aufzählung eine ziemlich wilde Mischung in die Schale. Die krasse Kombination überlagert eine massive ätherische Note. Das ist mutig und spaltet die Gemüter am Tisch. Auch ich bin hin- und hergerissen, kann mich im Endeffekt aber nicht wirklich dafür begeistern.
Trotz dieses polarisierenden Schlussakkords ist die Meinung am Tisch über die Gesamtleistung eindeutig. Das Menü wusste mit harmonischen Gerichten und einwandfreiem Handwerk zu überzeugen. Die Kombinationen sind kreativ, aber – vom Post-Dessert vielleicht mal abgesehen – nicht verstörend. Süffige Saucen bestimmen viele Gänge und führen am Tisch zu einiger Begeisterung. War das typisch Bretagne? Nach meiner Erinnerung vor Ort bestenfalls marginal. Hatte das kreolische Einflüsse, wie auf der Homepage angekündigt? Heute sicher nicht. Aber das spielt auch keine Rolle, wenn alles Übrige auf dem Teller so stimmig war und eine klare, kreative Linie zeigt.
Herrscht beim Essen noch weitest gehende Übereinstimmung, ist die Kompatibilität bei der Weinauswahl naturgemäß schwieriger. Madame Borgfelder, die sich für die alkoholfreie Begleitung entschieden hat (und mehrfach am Abend um die kreativen Kreationen beneidet wird) und Monsier Shaneymac, der sich der offiziellen Weinbegleitung widmet, nehmen wir hier mal aus. Ansonsten ist die Feinabstimmung um die jeweils mutmaßlich am besten passenden Weine nicht immer einfach. Riesling-Jüngern stehen Liebhaber kräftiger holzbetonter Burgundersorten gegenüber, leichte Rotweine konkurrieren mit tanninbetonten Kreszenzen. Daraus ergeben sich zwar wortreiche, kabbelige Diskussionen, aber letztlich gehört das zum großen Spiel dazu und auch diese Wortgefechte reihen sich ein in die wunderbaren, vielfältigen und humorgeschwängerten Unterhaltungen dieses Abends.
Die finale Auswahl unserer Flaschen kann sich jedenfalls sehen lassen.
Zum Kaffee gönnt sich die Tischgesellschaft noch einen Digestif und dazu präsentiert Frédéric Morel höchst selbst seine stattliche Auswahl. Er macht das mit viel Sachverstand und Begeisterung, allerdings ohne Angabe von Preisen, was im Nachhinein für einen Misston führen wird, denn erst auf der Rechnung erkennen wir, dass ein Whiskey aus der Bretagne, für den sich zwei aus der Gruppe entscheiden, mit stolzen 40 Euro pro 2cl erscheint. Ein dezenter Hinweis dazu wäre nach allgemeiner Meinung am Tisch im Vorhinein angebracht gewesen und bestätigt mich darin, dass Erfahrungen mit nicht bepreisten oder nur wörtlich angebotenen Apéritif- und Digestif-Wagen in der Regel zu unangenehmen Überraschungen führen können, die letztlich einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen und einen ansonsten makellosen Abend unnötig überlagern.
Ich plädiere also weiterhin für entsprechende Karten, die dem Gast bitte vorab gereicht werden. Man kann auch die jeweiligen Flaschen auf dem Wagen beschriften. All das würde unangenehme Rückfragen zu Preisen ersparen. Geht doch anderswo auch.
Der Service bekommt unsere Verstimmung beim Prüfen der nicht gerade bescheidenen Rechnung mit und entschuldigt sich dafür. Gleiches hätten wir uns eigentlich auch vom Chef gewünscht. Nun denn.
Da wir aber trotzdem sehr aufgeräumter Stimmung sind und am sehr aufmerksamen Service ansonsten nichts zu bemängeln haben, lassen wir uns die Laune und den Gesamteindruck dieses gelungenen Abends nicht beeinträchtigen. Denn tatsächlich ist das der einzige Faux Pas, den wir konstatieren müssen. Mit der noch ausbaufähigen Weinkompetenz geht der Service selbstbewusst und charmant um. Abgesehen davon hätte er es mit unseren individuellen Präferenzen eh schwer gehabt, so dass es sicher klüger war, uns das selbst ausfechten zu lassen. Alles übrige erledigt der Service souverän und kompetent.
So bleibt unterm Strich ein unterhaltsamer Abend, bei dem die Begegnung und die Gespräche mit den Gastro-Freunden mindestens so wichtig war wie das Essen. Und das hat seinen Michelin-Stern allemal verdient. Gäbe es einen für die Tischgesellschaft, dann wäre der mal sowieso sicher.
Bericht folgt wie immer auch auf meinem Blog tischnotizen.de – allerdings erst im Dezember (und so lange wollte ich die Gemeinde nach Shaneymacs beeindruckendem Epos dann doch nicht warten lassen)
Neun Genießer geschmackstechnisch unter einen Hut zu bringen, ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Zu unterschiedlich die kulinarischen Vorlieben, zu vielfältig die Vorstellungen von der individuell am besten passenden Gastronomie.
Dass Carsten sich diese Aufgabe auferlegt hat und das „Coeur d’Artichaut“ in Münster zur Wahl ins Feinschmecker-Forum geworfen hat, sei ihm hoch anzurechnen, ebenso wie die Organisation des Gourmet-Gipfeltreffens. Dass die Kulinarik-Konferenz (und jetzt ist es auch genug mit den allgegenwärtigen Alliterationen) letztlich auf zwei geschätzte Teilnehmer von der Nahe verzichten... mehr lesen
Geschrieben am 14.10.2020 2020-10-14| Aktualisiert am
17.10.2020
Besucht am 03.10.2020Besuchszeit: Abendessen 1 Personen
Rechnungsbetrag: 250 EUR
Heute dem Anlass angemessenes, episches GastroGuide Vorgeplänkel (zur eigentlichen Kritik bitte diesmal etwas weiter nach unten scrollen als üblich…)
Nach der kleinen Spätsommerfrische in Garmisch sollte dieser Tage ein weiteres, sehnsüchtig erwartetes Highlight anstehen: ein von Carsten1972 mit viel Hingabe organisiertes Treffen einiger altgedienter Community-Veteranen in einem der vielversprechendsten Restaurants, das Münster momentan zu bieten hat.
Auf die erstmaligen persönlichen Begegnungen mit dem CEO von tischnotizen.de, Carsten und El Borgonator freute ich mich besonders, auch wenn ich mit letzterem im Rahmen unserer kleinen, stets amüsanten WhatsApp-Läster-Gruppe schon einmal ein kurzes, unfreiwilliges Gruppen-Video-Telefonat führen konnte, weil eine gewisse Pfälzer Free Climbing Legende sich dachte einfach mal spontan alle ihr nicht bekannten Buttons der App auszuprobieren.
Die Tatsache, dass wir alle im gleichen Hotel untergekommen waren, versprach zudem einen unkomplizierten Ablauf hinsichtlich eines gemeinsamen An- und Abmarsches sowie genügend Gelegenheit zur entspannten Kennenlern-Plauderei vor dem Essen.
Und so machte ich mich am 30. Jahrestag der deutschen Einheit mit vorfreudiger Spannung auf den Weg nach Münster, verabschiedete Madame und unsere beiden Stubentiger mit einem fälligen Bussi und erlebte auf der A43 eine Anfahrt, wie sie dank des Feiertages nicht entspannter hätte sein können.
Zunächst große Erleichterung bei der Ankunft in der Stadt, im Mekka der Fahrradfahrer hatte ich grimmig hüpfende Phalanxen erboster Fridays for future-Aktivisten befürchtet, die mich wegen meines „anachronistischen“ Diesel-Panzers bis zur Ankunft am Hotel mit Steinen bewerfen, würde ich überhaupt bis dorthin kommen? Aber eines der ersten Fahrzeuge das mir nach dem Passieren der Stadtgrenze auffiel, war ein latent Tempolimits ächtender Bentley Bentayga mit Münsteraner Kennzeichen, ich schöpfte Hoffnung und sollte unbeschadet mein Ziel erreichen.
Das zentral gelegene Hotel Mauritzhof macht bei gutem Wetter sicher noch mal einen freundlicheren Eindruck, dennoch vermittelten die Vorder- und Rückansicht - und dabei erhaschte Einblicke in den Foyer- und Barbereich - sehr deutlich die Atmosphäre gehobener Hotellerie.
Das sich als Boutique- bzw. Design-Hotel verstehende Haus sollte nach dem Eintreten in der Tat nicht enttäuschen, klar und edel ist die Handschrift der Innenarchitektur, die dunklen Vertäfelungen der Bar, das Leder vieler Sitzmöbel und ein ansprechendes Lichtkonzept sorgen bei aller Moderne für eine überaus behagliche Grundstimmung.
Jene sollte sich auch in den Zimmern fortsetzen, ich hatte mich aufgrund einer etwas verwirrenden Vielfalt an Kategorien leicht „verbucht“ und kurzfristig noch um ein Upgrade gebeten, was eine charmante junge Dame an der Rezeption nur allzu gerne arrangierte.
Die relativ geräumigen Zimmer der „Prestige“-Kategorie liegen auf der ruhigen, rückwärtigen Seite, bieten getrenntes Bad und WC mit hochklassiger Ausstattung sowie einen Balkon, der dank meiner Unterbringung im obersten Stockwerk einen Hauch von „über den Dächern von Münster“ in den Ausblick zauberte; in einiger Entfernung grüßten der Dom und die St. Lamberti Kirche nebst hässlichem Baukran.
Ein sehr vielversprechender Start, da man zum Be- und Entladen direkt vor dem Hotel parken kann, brachte ich nach Check-In und kurzer Zimmerbegutachtung meinen Wagen noch kurz auf den streng bewachten Parkplatz der benachbarten Landesbank, mit welcher der Mauritzhof eine entsprechende Kooperation unterhält, die es Gästen ermöglicht, dort kostenlos zu parken.
Zurück am Hotel erblickte ich durch die Glasfront an der Rezeption zwei Gesichter, die ich aus einem gewissen „Tisch-affinen“ Blog kannte, und eins davon natürlich auch anhand seines hiesigen Avatars: Thomas und Willi, das fidele Sternejäger-Duo aus Hannover labte sich an einem kleinen Pils, nur zu gerne setzte ich mich dazu. Erst-Begegnungen dieser Art sind immer spannend, man liest sich gegenseitig, ist im Austausch, nimmt Teil an den Erlebnissen des / der anderen und im Fall von Thomas hegte ich von Anfang an eine mitunter leicht neidische Bewunderung für die Passion, mit der er seine hochklassigen kulinarischen Sterne-Reisen angeht und durchzieht.
Schön, wenn sich immer wieder herausstellt, das – gut, die einen sagen so, die anderen so - "feingeistige" Kulinarik-Liebhaber doch meist sehr kompatibel untereinander sind, die Zeit verging wie im Fluge, bald sollte auch Herr Borgfeld auftauchen und selbst das tat der launigen Plauderei keinen Abbruch.
Herr und Frau Carsten1972 hatten einen Zug früher erwischt als geplant und überraschten uns kurz darauf mit ihrem Auftauchen im Hotel-Foyer, eigentlich hatten wir geplant, uns im Restaurant zu treffen. Aber umso besser, so bestand auch hier die Möglichkeit sich auf dem Weg zum Ziel noch ein wenig zu beschnuppern, Carsten pflegte an diesem Abend die gleiche Hutmode wie der Schreiber dieser Zeilen, ein sehr stilsicherer Mensch mit Geschmack, der Carsten, das muss hier einfach mal gesagt werden! :-))
Wir gingen durch die pittoreske Altstadt, die Kneipen bereiteten sich auf den Abend vor, kurz vor der Ankunft im anvisierten kleinen Innenhof in der Nähe des Doms lief uns noch die Kinderwagen-schiebende Elisabeth Morel, die sympathische Gattin des Inhabers und Küchenchefs Frédéric Morel in die Arme, die an jenem Samstag einen freien Abend hatte.
Es folgte ein kurzer Plausch mit Carsten und Gattin, die das Haus aus vergangenen Besuchen gut kennen und die liebenswürdige, ungekünstelte Art, mit der Frau Morel uns allen einen wunderschönen Abend wünschte, setzte einen ersten kleinen Akzent, was den Stil des Restaurants im Umgang mit dem Gast angeht.
Endlich war er da, der schöne Moment, zusammen ging es hinein in das etwas versteckt liegende Lokal und es sollte ein Abend werden, an den ich mich noch sehr lange mit Freude erinnern werde…
Kritik
Zufällig dürfte wohl kaum ein Gast im Cœur D'Artichaut landen, die Lage in einem unscheinbaren Innenhof in der Nähe des Doms ist an Diskretion wohl kaum zu überbieten, zielsicher geführt von unserem engagierten Gastgeber fand sich unsere kleine Gesellschaft dennoch pünktlich vor Ort ein.
Schon von außen betrachtet fiel das stilvolle Interieur äußerst positiv auf, zusammen mit der offenen Küche steht es im Gesamtbild für das Konzept des „Casual Fine Dining“ das Morel als Rahmen setzt: Genuss auf höchstem Niveau in ungezwungener Wohnzimmer-Wohlfühl-Atmosphäre mit direktem Herdanschluss.
Ich war gespannt auf die Küche, der Bretone Frédéric Morel hat schon in seiner Heimat u.a. im Restaurant L'auberge des Glazicks(**) eine prägende Zeit in der Sternegastronomie verbracht.
Es folgten u.a. Stationen im Hotel Louis C. Jacob (**), Vendome im Schloss Bensberg und als Küchenchef im Hamburger Se7en oceans (*), dessen Stern er seit 2014 halten konnte, bevor er sich entschied, gemeinsam in die Heimat seiner Frau zu gehen, wo er im Oktober 2019 das Cœur D'Artichaut eröffnete, das innerhalb kürzester Zeit mit einem Stern ausgezeichnet wurde.
Er steht mit seiner Küche laut eigener Worte für einen modernen bretonischen Stil der ihm quasi in die Wiege gelegt wurde, für saisonale, beste Zutaten aus der Region und nicht zuletzt für spürbare Einflüsse aus der Heimat seines Vaters, der Insel La Réunion, einem französischen Übersee-Département im Indischen Ozean, das kreolische Einflüsse in die Töpfe des Meisters zaubere.
Ein spannender Philosophie-Dreiklang wie ich fand, vor allen die Fusion der Bretagne mit La Réunion ließ mich aufhorchen, denn was in der kreolischen Küche, die ich in New Orleans in ihrer dortigen Ausprägung kennenlernen durfte, insbesondere mit Fisch und Meeresfrüchten passiert, empfinde ich als überaus köstliche Angelegenheit.
Das kleine Foyer des Restaurants empfängt die Gäste mit stilvollem Mobiliar, ein Hauch von Art déco liegt in der Luft, ein junger Mann – der später Service und Sommelier an unserem Tisch leistete - empfängt uns, höflich wird man von seiner Garderobe befreit, die Coronaformalitäten werden dank vorheriger Erfragung der Daten mit nur einer Unterschrift erledigt; vorbildlich.
Wir sollten die ersten Gäste an diesem Abend sein, die Einblicke durch die Fenster versprachen nicht zu viel, von unserem etwas separierten, großen Tisch in der Nähe der imposanten französischen Zinnbar hatten wir einen guten Überblick über das stilsicher und behaglich gebettete Geschehen und waren dennoch als Tischgesellschaft immer „unter uns“.
Das Restaurant bietet ein monatlich wechselndes Menü, das man sich in vier, sechs oder acht Gängen gönnen kann; eine Qual der Wahl Situation sollte sich daher bei niemand wirklich einstellen.
Alle am Tisch entschieden sich für die Acht-Gang-Variante, wenn auch einmal in pescetarischer Ausführung, was bereits im Vorfeld erfragt und von Carsten abgeklärt wurde.
Ich hatte mich schon vorab für die sehr ansprechend klingende Weinbegleitung entschieden, das Pescetarier-Menü sollte alkoholfrei begleitet werden und aus der Weinkarte sollten wir uns auch umfänglich bedienen.
Somit bestellt wurden von mir das Menü in acht Gängen zu 130 Euro, sowie die recht verheißungsvolle Weinbegleitung zu 90 Euro.
Nach der Bestell-Pflicht sollte die Apero-Kür folgen, wir entschieden uns alle für ein Glas Champagner in Persona eines Philipponnat Royale Réserve Brut, das aus der am Tisch geöffneten, wohl gekühlten Flasche befüllte Glas zu je 16 Euro.
Ein schöner flüssiger Auftakt, auch wenn ich mir eine etwas kräftigere Hefe gewünscht hätte, dennoch brachte er mit seiner feinen Mineralität und eleganten Frucht viel von dem mit, was ich von einem Champagner dieser moderaten Preisklasse (die Flasche im Handel ab ca. 32 Euro) erwarte, wenn ich auch grundsätzlich Genuss niemals proportional zum Preis eines Produktes sehe, siehe meine Anmerkungen zum Margaux weiter unten.
Maître Morel kam kurz zum Tisch und begrüßte uns in seinem unnachahmlich sympathischen Akzent, wir stießen an und ich blickte in freundliche, lachende Gesichter, alle freuten sich sichtlich auf einen genussreichen Abend in angenehmer Atmosphäre.
Das kann man auch zu meinem Gegenüber aus Bremen sagen, der sich zunächst sehr bei meinem Humorzentrum beliebt machte – später unfreiwillig noch einmal deutlich nachhaltiger – indem er den Service mit dem lautstark vorgetragenen Satz „Sie müssen wissen: wir sind sehr unangenehme Gäste, bis auf mich natürlich!“ zunächst kurz irritierte, bevor man den Un-Ernst der Lage erkannte.
Mit Blick auf den Tisch könnten die Wassergefäße mit den großen Korken auffallen, die wunschweise mit stillem oder sprudelndem Mineralwasser gefüllt wurden und ständig wieder diskret aufgefüllt wurden wenn nötig – was man im Übrigen auch zu unseren Wassergläsern sagen konnte, der Service sollte sich als unfassbar aufmerksam in dieser Hinsicht zeigen.
Kurz nach dem Servieren des Champagners startete das Menü mit dem unvermeidlichen
| Prolog |
Auf hauchfeinen kleinen Tartelettes präsentierte sich zunächst ein Tatar vom Zander, begleitet von Apfel, Sellerie und einer leichten Dill-Mayonnaise. Auch wenn ich Zander als Süßwasserfisch eher in das Elsass als die Bretagne verorte: Präsentes Salz, der Dill im Nachhall, wie eine kühle Brise an der bretonischen Atlantikküste mutete der erste kleine Gruß trotzdem an und der Gaumen wurde thematisch im Wortsinne eingenordet.
Warm sollte man weiter grüßen, die Rindfleisch-Pralinen die mit Artischocken-Creme und fermentierter Artischocke den Namen des Restaurants aufgriffen hatten neben einer schönen Säure und stimmiger Estragon Note großes Umami Potential zu bieten, köstlich, ich hätte ein Dutzend davon problemlos verschlingen können.
Dagegen fielen die Sellerie-Financiers, die nicht in der typischen länglichen Form, sondern als kleine runde Häppchen interpretiert wurden, etwas ab, ich hätte diese definitiv vor der vergleichsweise kräftigen Praline essen sollen. Trotzdem war diese mit Haselnuss und einem milden Blauschimmelkäse komplettierte Amuse Variante für sich genommen eine genussreiche Angelegenheit: der Champagner verstand sich mit allen drei Grüßen übrigens hervorragend.
Zu einer beglückend mutig gesalzenen Butter, sowie einer aufgeschlagenen Variante mit Algen kamen neben einem frischen Roggenbrot und mit halbgetrockneten Tomaten in der Krume versehenen kleinen Brötchen auch noch bemerkenswerte kleine Brioche-Preziosen.
Diese wurden dezent mit Rauchöl parfümiert und im Teig wurde mit geriebenem Bergkäse gearbeitet, besonders mit der herausragenden Salzbutter ein kleines Geschmackserlebnis.
Auch die Algenbutter, die wohl mit Nori hergestellt wurde, stand ihrer salzigen Kollegin in Sachen geschmacklicher Intensität in Nichts nach, ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl in punkto Morel‘sches Selbstbewusstsein.
Das ließ auf viel Vergnügen in der Folge hoffen, nur kurze Zeit später stand schon der sympathische, bodenständig-schlagfertige junge Mann vom Empfang neben mir, der auch den Sommelier gab und annoncierte mir Flaschen-bewehrt meinen Wein zum sich ankündigenden
Ein erster Akt in Sachen “Überraschung”! Reduzierte Menükarten bieten ja immer viel Raum für Vorstellungen und so hatte sicher jeder am Tisch eine solche, wie denn der Hummer auf das Porzellan gebracht werden würde. Morel entschied sich für ein in einem Seeigel-Fonds gegartes Rillette unter dezent marinierten Tomatenfilets und einem Dill- Granité, zunächst solitär serviert wurde prompt ein aromatischer - ebenfalls Zimmertemperatur - Kräuter-Sud auf Basis einer Tomatenessenz angegossen.
Ein kleiner, feiner Tusch zum Auftakt, eine gewisse Gefälligkeit, die ich beim ersten Probieren von Hummer und Sud verspürte wich mehr und mehr einer spannenden geschmacklichen Tiefe, die gefrorene Granita steuerte ein wenig Spiel mit Temperatur und Textur bei. Aber diese Tiefe war eher eine feine Kaskade von klassischen französischen, europäischen Aromen, zum ersten Mal fragte ich mich, wo die kreolischen Einflüsse waren, die man sich so auf die Fahnen geschrieben hat. Das gilt im Übrigen auch für ausnahmslos alle folgenden Gerichte, ich möchte das aber vorab nur einmal erwähnen um mich nicht wiederholen zu müssen.
Der in vieler Hinsicht hochspannende begleitende Wein, der dank der Art seiner Herstellung (weiße und rote Trauben aus rein biologischem Anbau werden hier zusammen vergoren und ausgebaut, bis zu 1,5 Jahre im Barrique) druckvoll und filigran zugleich wirkt. Alles andere als ein klassischer Rosado und am ehesten vergleichbar mit dem Rosé von Tondonia, der ähnlich produziert wird.
Eine mutige Entscheidung, doch trotz seiner 14% und des mitunter imposanten Auftritts auf dem Gaumen erschlug er das Gericht nicht, vor allem seine Noten von Grapefruit und Blutorange harmonierten gut.
| 2. Gang |
Kalbskopfterrine | Frisée | Vinaigrette
2018 Aligoté le grand, David Moret, Cote d'Or, Frankreich
Die Terrine kann man sich in Sachen Textur und Mundgefühl am ehesten vorstellen wie ein grob geschnittenes Tatar.
Die großzügig bemessene Radieschen-Vinaigrette wurde unter Verwendung des beim Garen des Fleisches entstandenen Suds hergestellt, was ihr einen vollen, samtigen Geschmack verlieh der durch das fein geriebene dehydrierte Eigelb, das man obenauf gab, noch weiter unterstrichen wurde.
Die kleine Frisée-Garnitur steuerte ein wenig willkommene Frische bei und die süßlich marinierten roten Zwiebeln komplettierten den Gesamteindruck eines überaus gelungenen „Gourmet-Vesper-Schmankerls“.
Der Aligoté, im Burgund immer noch eine verbreitete Rebe, mäanderte zwischen Chardonnay und Riesling, zeigte sich fein mineralisch mit ebensolcher Säure und präsenten Noten von grünem Apfel, keine Sensation aber dennoch ein stimmiges Pairing.
| 3. Gang |
Miesmuscheln | Zitrone | Petersilie
2013 Chenin Blanc Authentique, Domaine Delesvaux, Loire, Frankreich
Schon rein optisch machte dieser Gang auf seinem extravaganten Teller mit XXL Muschel-Fahne eine gute Figur. Ebenso wie Meister Morel beim Annoncieren: dies sei seine Interpretation von Moules et Frites ließ er verlauten, na, das klang durchaus vielversprechend.
Die in einem Schalotten-Weißwein-Sud gegarten Muscheln wurden auf einer verführerisch duftenden Beurre Blanc serviert, obenauf gab man feine Scheiben glasierter Petersilienwurzel, nur das annoncierte Petersilienöl habe ich weder erspäht noch erschmeckt. Aber das sollte der Sache keinen Abbruch tun, zunächst einmal kann ich mit Sicherheit sagen, dass dies die qualitativ – rein die Ware betreffend - besten Miesmuscheln waren, die ich bislang kosten durfte – vielleicht auch weil ich sie so selten esse.
Die cremige Beurre Blanc sollte nicht nur in der Nase eine gute Figur machen, eine unfassbar sündige, reichhaltige Angelegenheit, jeder Löffel schrie einen förmlich an „Ha, nimm dies, hier kommen die nächsten 200 Kalorien!“
Alles harmonierte in sündig-buttriger Eintracht, die aber den Muscheln und der Petersilie dennoch genügend Raum zur geschmacklichen Entfaltung ließ. Den Moules Frites Vergleich habe ich zwar nur bedingt verstanden, den großen Beglückungsfaktor, den das belgische Nationalgericht bei seinen Liebhabern ausspielt, kann ich auch diesem Gericht hier ohne Weiteres zuschreiben; nur zu gerne hätte ich noch einen Teller davon verspeist.
In Zeiten von Orange-und Naturweinen kommt man an dem Thema momentan ja kaum noch vorbei und auch der begleitende Chenin Blanc versteht sich als „biodynamischer“ Naturwein. Eine deutliche Steigerung zum Aligoté, mit seiner robusten Mineralik und leichten Anklängen von tropischen Früchten passte er ausgezeichnet und schnitt mit Leichtigkeit willkommene Erfrischungs-Schneisen in den buttrigen Sündenpfuhl auf dem Gaumen.
| 4. Gang |
Bretonischer Steinbutt | Celtuce | Krabben
2015 Riesling Clos Liebenberg Monopole, Valentin Zusslin, Elsass, Frankreich
Mit einem überzeugt geschmettertem „Bretagne at its best!!!“ schloss Morel sein passioniertes Annoncieren dieses Ganges ab und auch dieser sollte nicht enttäuschen.
Der in Nussbutter sautierte Fisch machte schon visuell einen überaus mundwässernden Eindruck auf seinem kleinen Spiegel einer Krabben-Buttersauce, daneben zwei kleine Stücke Celtuce, Brunnenkresse, eine homöopathische Menge Salicornes sowie ein paar Krabben als kleine optische Reminiszenz an die Sauce.
Celtuce ist übrigens eine Mischung aus Spargel und Salat, kommt ursprünglich aus China und ist dort unter „wosun“ bekannt, mal wieder eine neue Modezutat, die ich vorher noch nie probiert hatte.
Wie erwartet war der Steinbutt in Perfektion gegart worden und es handelte es sich um absolute Spitzenware, ich bin kein großer Freund von Fischhauptgängen aber im Rahmen eines Tasting Menüs empfand ich das Gericht als willkommene Bereicherung.
Dazu trug auch abermals die Sauce bei, die man unter normalen Umständen sicher auch als Figur schädigend einordnen würde, gegen die Beurre Blanc allerdings wirkte sie rein kalorisch betrachtet fast schon wie Diätküche. Das tat aber dem Geschmack keinen Abbruch, ganz entfernt an eine Bisque erinnernd mit einem Hauch von Anis und Safran war sie eine einzige Wonne zum Fisch und ich freute mich abermals über die so selbstverständlich mit jedem Gang vorgelegten Gourmetlöffel.
Auch das chinesische Trendgemüse wusste zu gefallen, leicht herbe Bitterkeit die hervorragend zur buttrigen Krabbensauce passte, von den Salicornes und eher dekorativ anmutenden Krabben hätte ich gerne noch etwas mehr gehabt.
Dazu wieder hochklassige „Biodynamik“ im Glas, ein diffiziler wie jugendlicher trockener Riesling aus dem Elsass, körperreich mit intensiven Lakritz- und Kräuternoten und einem langen, mineralischen Abgang.
Die Weinbegleitung machte bisher viel Freude und auch die anderen Herrschaften waren trotz einiger amüsanter Kontroversen bei der jeweiligen Auswahl (zwischenzeitlich musste ein Security Mitarbeiter körperliche Auseinandersetzungen der Herren Borgfeld und Tischnotizen unterbinden) durchweg zufrieden mit ihren Flaschen-Weinen. Wir probierten auch gerne wechselseitig, da Borgi sich eigentlich auch lieber die Weinbegleitung bestellt hätte, war er sehr interessiert am Vergleich und siehe da, die Vorschläge des Sommeliers gefielen ihm in so manchen Fällen sogar besser. Mein Favorit bei den Flaschenweinen war ein Von Winning Sauvignon Blanc aus dem 500er Fass, ein wirklich beeindruckender Wein den ich mit Freude probiert habe, die Weinkarte konnte überzeugen, soviel stand nach dem Essen fest:
An dieser Stelle sei auch die alkoholfreie Menübegleitung von Ms. Borgfeld lobend erwähnt, das war weitaus mehr als eine hochklassige Saftparade sondern eine bunte Reihe mitunter durchaus aufwändiger, durchdachter Cocktails und damit aus meiner Sicht jeden Cent wert, die Dame aus dem Norden zeigte sich sehr zufrieden.
| 5. Gang |
Iberico Schwein | Zwiebel | Apfel
2014 Margaux, Chateau Margaux, Bordeaux, Frankreich
Eine verheißungsvolle, rauchige Steinpilzwolke hing über dem Teller, das Fleisch glänzte saftig und roséfarben und dank der Rockstar-Weinbegleitung wohnte diesem Gang ohnehin ein gewisser opulenter Zauber inne.
Die Stücke aus der Rückenpartie wurden in einer Senfbeize mariniert, Sous Vide gegart und danach auf Holzkohle finalisiert. Ich habe die intensive Rauchnote des Fleisches geliebt, andere waren da etwas skeptischer wenn ich mich recht erinnere.
Dazu gesellten sich noch etwas geschmorte Backe, ein kleines Stückchen gebratener Blutwurst, ein Perlgraupen-Zwiebelsalat, eine süßliche Zwiebelcreme und eine kleine Garnitur aus Äpfeln und frischem Majoran – das Ganze auf bzw. neben einem Spiegel einer intensiven Steinpilz-Jus.
Ein stimmiges Gericht, die Äpfel habe ich etwas vermisst, glaube aber sie wurden auch mit in der angesprochenen Zwiebelcreme verarbeitet, sehr geliebt habe ich die aromatische Blutwurst.
Unter dem Strich sicher der tradierteste, konservativste Teller, wenn auch mit viel Liebe zum Detail, die tänzerisch-verspielte kulinarische Intelligenz jedoch, die sich in anderen Gängen so mutig ihren Weg bahnte, war hier im direkten Vergleich etwas verhalten zu spüren.
Vielleicht wollte er sich ja auch stilistisch seiner hochadligen Weinbegleitung annähern um diese nicht zu verschrecken, denn es sollte mit dem 2014er Margaux Bordeaux-Kult pur im Glas geben.
Mit 90% Cabernet Sauvignon, 5% Merlot, 3% Cabernet Franc und 2% Petit Verdot fast schon reinsortig zu nennen zeigte sich auf dem Gaumen und in der Nase alles, was das Bordeaux-Klischee hergibt bzw. verlangt: ja, er ist samtig-seidig, ja, er hat viele schöne rote Früchte, ja, die Tannine sind fein und elegant bei mittlerem Körper, alles prima, ein wirklich guter Wein, keine Frage und zum Gericht passte er auch sehr gut.
Nur finde ich es aus der „Genuss pro Euro“-Perspektive schwierig, dass ein 2014er Margaux 1er Cru Classé im Handel gerne über 600 Euro pro Flasche kostet, ich finde hier abseits des Bordeaux für einen Bruchteil dieser Summe Weine, die mich ungleich glücklicher machen; zudem findet Margaux daher in der Gastronomie abseits von „Was kostet die Welt?“ Sphären nicht statt.
Das sieht das Weingut mittlerweile wohl ähnlich, weshalb man eine rein der Gastronomie vorbehaltene Linie produziert, die nicht durch u.a. reiche Chinesen und Amerikaner überhitzte Marktpreise ausgesetzt ist. Trotzdem ließ man uns wissen, dass mein 0,1l Glas bei normaler Kalkulation trotzdem an die 40 Euro kosten müsse, schaut man sich die Liga der anderen Weine aus der Weinbegleitung an – und das was noch kommen sollte - empfinde die 90 Euro für selbige daher als sehr fair und gastfreundlich.
Der halbfeste Rohmilchklassiker, ursprünglich aus den Savoyer Bergen stammend, wurde begleitet von geschmorter, süß-säuerlich vorschmeckender gelber Bete, Feigen bester Qualität sowie eines recht leisen Feigen-Granité. Die Walnuss sollte ich im Glas finden, auf dem Teller fand ich sie nicht, wenn auch der milde Tomme als solcher einen nussigen Nachgeschmack besaß.
Leider empfand ich den Käse als Fehlgriff, denn er war mehr als deutlich zu mild, die Feigen und das Granité fanden nichts, dem sie kontrastierend entgegenwirken oder das sie im Zusammenspiel gar geschmacklich heben konnten. Wobei man fairerweise sagen muss, dass diese Käsebegleiter natürlich eleganter waren als bspw. ein intensiver Fruchtsenf, ein vollreifer Époisses der in der Nase schon fast an Ammoniak erinnert hätte hier natürlich auch nicht wirklich harmoniert.
Wir argwöhnten am Tisch noch, ob er vielleicht einfach noch hätte reifen müssen, die annoncierten zehn Wochen Reifezeit sind jedoch für einen Tomme ideal, es war schlicht der falsche Käse am falschen Ort.
Interessant hierzu der Vin de Noix, der traditionelle, weinbasierte Aperitif aus der Provence wird aus einem voluminösen Rotwein, frischen Walnüssen sowie getrockneten grünen Walnussschalen hergestellt. Aber auch er schrie förmlich nach einem etwas ausdruckstärkeren, reiferen Käse, in diesem Fall gerne auch mit Blauschimmel.
Ein Pre-Dessert der besonderen Art, Gurke und ich, das ist eine lange Geschichte voller Missverständnisse, umso gespannter war ich, ob man es schaffen würde, mir etwas für meine Begriffe schmackhaftes vorzusetzten - gottlob wurde die Gurke mit feiner Handschrift zwar präsent, aber nicht dominant eingearbeitet.
Eine relativ neutral-süß in Erinnerung gebliebene Quarkmousse wurde begleitet von Dill-Holunder-Sirup, abermals von einem Granité, diesmal von der Gurke, süßlich-herb marinierter Gurke in homöopathischer Dosis, einem schon optisch beglückenden Holunder-Eis sowie getrockneten Holunderbeeren.
Nach den holzigen Nussnoten des Käsegangs eine willkommene Erfrischung und passende Überleitung zu den noch folgenden süß-herzhaften Überraschungen.
Wieder einmal zeigte sich ein fein ziseliertes Spiel der Aromen, Temperaturen und Texturen, über mangelnde Tiefe in den Gerichten selber konnte man sich wahrlich nicht beklagen, besonders die Holunderbeeren setzten Akzente, die in Erinnerung blieben aber auch das leicht herbe Gurken-Granité harmonierte überraschend gut mit Eis und Mousse.
Der begleitende Cocktail auf Eis sollte bei mir zunächst für große Erheiterung sorgen, denn er wurde in zwei Etappen serviert in dem zunächst die Gläser mit Inhalt auf den Tisch fanden und unser mittlerweile auf humorig-lockere Betriebstemperatur gekommener kellnernde Sommelier (über „Sie sehen ja auch aus wie ein alter Barkeeper!“ musste ich noch am nächsten Tag auf der Rückfahrt lachen, entschuldige bitte Thomas…) hernach noch etwas Siegfried Wonderleaf obenauf goss, was zum Konzept des Drinks gehörte.
Das wiederum hatte mein Gegenüber von der Weser, das sich mittlerweile in bester weinseliger Plauderlaune befand, gründlich missverstanden und schaltete ohne den jungen Mann eines Blickes zu würdigen oder gar sein Gespräch zu unterbrechen nach dem Angießen des alkoholfreien Gins in den „Human-Pacojet-Mode“ und rührte das Getränk unter infernalischem Getöse mit irgendeinem herumliegenden Besteckteil inbrünstig um.
Der darauffolgende resignierte Blick des Sommeliers auf den menschgewordenen Thermomix, als er hinter ihm zum nächsten Platz ging und der einhergehende Satz „Das war schon Absicht von mir…“ konnte man mit Geld nicht bezahlen, ich lache selten Tränen aber diesmal war ich dankbar für meine noch unbefleckte Serviette vor mir…
Den Drink selbst empfand ich als etwas sperrig, ein wenig wie Gurkenwasser-Deluxe mit Dillnoten (obwohl kein Dill enthalten war, sondern nur Gurke und Holunder, daher aber der Name…) aber in Summe mit auf mich schon beinahe adstringierender Wirkung, am Tisch gab es jedoch Lob für das Ganze, mein persönlicher Gurken-Zwist mal wieder…
Etwas weniger mutig sollte es weitergehen aber manchmal ist weniger eben mehr, dieses Dessert hat mich jedenfalls sehr abgeholt.
Die Brombeere war der Star in dieser hübsch drapierten Konstruktion und das gleich in dreierlei Variation: als bemerkenswert aromatische wie frische Frucht, als Gel und als Sirup. Begleitet wurde sie im unteren Stockwerk von einer überragend guten Lavendel-Ganache und Textur-spendendem gerösteten Malz, obenauf thronte ein nicht minder gelungenes Whiskey-Eis.
Schaffte ich es Teile aller Komponenten auf einen Löffel zu bugsieren und gemeinsam zu genießen ergab sich selbst für mich als nicht unbedingt größten Dessert-Fan des Planeten ein hoch beglückendes Geschmackserlebnis - gut, Brombeeren liebe ich, das muss ich dazu sagen. Aber schon der „crunchige“ Malz mit dem Whiskey-Eis alleine war bereits eine sehr schöne Angelegenheit und Whiskey sollte auch im begleitenden Cocktail eine gewisse Rolle spielen.
Danke des Gin-Hypes der letzten Jahre fand der eigentlich bereits 1984 erdachte Bramble von England ausgehend seit einiger Zeit seinen Weg in die Bars der Welt und der namensgebende Brombeerlikör in ihm war hier die Brücke zum Dessert.
Diese Brücke schien dem Restaurant aber nicht breit genug, kurzerhand ersetzte man den Gin durch einen dankenswerter Weise nicht zu torfigen Single Malt, der wiederum Eis und Malz aus der Süßspeise ideal begleitete.
Cocktail und Dessert für sich genommen schon eine große Freude, zusammen geriet es zum endgültig zum kleinen Hochgenuss.
| Epilog |
Der Epilog sollte noch ein deutliches, selbstbewusstes Ausrufezeichen hinter ein bisweilen aromatisch leicht zwischen mutig und brav changierendes Menü setzen.
Die zunächst servierten noch ofenwarmen Madeleines würde ich jedoch unter köstlicher Bravheit verbuchen, davon bitte ein halbes Blech an einer winterlichen Kaffeetafel und ich wäre sehr glücklich.
Parallel dazu gab es leicht pikante, mit einer hocharomatischen Curry-Ganache gefüllte Macarons, die für meine Begriffe erstmalig einen Hauch von Exotik auf den Gaumen zaubern sollten.
Zunächst etwas argwöhnisch von mir beäugt schlugen sie dann doch die Brücke zum letzten Akt, der in einzelnen Komponenten auch dezent herzhafte Töne anschlagen sollte.
Denn es folgte eine mutige Kombination eines Eukaylyptus Schaumes mit einem Himbeer-Paprika Sorbet, Himbeer Crunch und einem Algen-Baiser.
Auch wenn die spürbare Eukalyptus Note etwas an meinem persönlichen Genuss-Epizentrum vorbeiging war dieser Schlusspunkt eine bereichernde kulinarische Erfahrung dessen Umsetzung abermals ein überzeugendes Zeugnis für das präzise Kreativ-Handwerk der Küche darstellte.
Geschafft, kollektives Durchatmen, Herr Tischnotizen referierte in elegischen Vorträgen über die Herstellung der weltbesten Curry-Croutons, Zeit für ein fälliges
| Digestif |
Whisky Eddu Diamant, Distillerie des Menhirs, Plomelin, Bretagne, Frankreich – 2cl zu 40€
Frédéric Morel persönlich stellte uns passioniert die Offerten des hübschen Digestif-Servierwagens vor, neben einigen selbst angesetzten Likören und diversen Bränden pries er unter anderem auch einen bretonischen Buchweizen Whisky an, der dank seiner Beschreibung mit warmen Noten von Rosine und Toast für Frau Carsten und mich wie eine gelungene Wahl klang.
Das sollte sich auch im Glas zeigen, Whisky mit aus Buchweizen gewonnenem Malz war eine spannende neue Erfahrung und durch 20 Jahre im Fass ähnelte er mit seiner fülligen Aromatik in Teilen beinahe schon einem guten Rum.
Später sollte sich herausstellen, dass dieser im Gegensatz zu den anderen Optionen (z.B. Zibärtelbrand oder Poire Sauvage) dieses Wagens, die auf der Rechnung mit erwartbaren Preisen zwischen 8 und 14 Euro zu finden waren, stramme 40 Euro pro Glas kosten sollte. Ich hatte mich mit diesem Schicksal schon abgefunden, aber die einhellige Meinung anderer Anwesender war klar: ein no-go, auf derartige preisliche Abweichler müsse man hinweisen.Und ja, sicher, wenn ein einzelnes Getränk fast die Hälfte der Weinbegleitung des vorherigen 8-Gang-Menüs kosten soll ist sicher ein Hinweis angebracht, zumal wenn es in einem Atemzug mit wesentlich günstigeren Optionen angepriesen wird.
Das sah im Übrigen auch der Service so, unser Sommelier bekam unser Gespräch mit und entschuldigte sich in aller Form, normalerweise weise der Chef immer auf solche Ausreißer hin.
Ganz verstehen kann ich den Preis bis heute nicht, ich habe diesen Whiskey zu einem Preis von 230 Euro pro 700ml Flasche gesehen, warum dann 2cl gleich 40 Euro kosten müssen ist daher sicher etwas fraglich und führt zusammen mit dem ebenfalls nicht unbedingt altruistisch kalkulierten Champagner zu einer leichten Abwertung im PLV.
Aber es zeigte sich wahrer Teamgeist am Tisch, man bestand darauf, unsere beiden Whisky auf alle umzulegen und duldete keine Widerrede, eine Geste die sinnbildlich für die freundschaftliche Atmosphäre an diesem Abend stand.
Nach dem Essen plauderte ich noch kurz mit Frédéric Morel, dankte und lobte aber klagte ihm auch mein leises Leid hinsichtlich der vermissten kreolischen Einflüsse. Fast schon ein wenig traurig sagte er mir zunächst, dass dies mit den hiesigen Gästen schwierig sei, es klang ganz so, als ob diese nicht gut in der Westfälischen Genießerwelt ankamen. Dann jedoch ließ er mich noch wissen, dass bei ihm das ganze Menü immer eine gewisse Linie habe, und in der heutigen kam die Küche aus der Heimat seines Vaters eben nicht zum Zuge, seufz, nun denn.
Mit diesem harmonischen Eindruck verließen wir das Restaurant kurz nach Mitternacht, schlenderten durch die stimmungsvolle Altstadt zurück zum Hotel, und wäre Georg Wilsberg noch aufgetaucht, es hätte mich nicht gewundert…
Fazit
Mein Fazit zur Küche wurde mit dem Titel der Kritik eigentlich bereits vollumfänglich vorweggenommen. Wenn ich das Versprechen der kreolischen Einflüsse ausblende, bleibt für sich genommen eine solide, in vielen Teilen äußert beglückende und überraschende Küchenstilistik, die ihren Stern verdient hat und auch handwerklich mehr als überzeugen konnte. Man könnte sich jetzt auf einzelne Dinge stürzen, auf der La Réunion Vorfreude herumreiten etc. etc. aber das würde meiner subjektiven Zufriedenheit nicht gerecht werden und ich habe mich in der Vergangenheit bei diesen Treffen auch gerne im Nachgang als überkritisch gegeben, vereinzelte Kritiken waren mir im Nachgang nach einigen Jahren sogar regelrecht peinlich: alles Gute habe ich hingenommen und Kritikpunkte gnadenlos breitgewälzt. Daher unter Berücksichtigung meiner moderaten Kritik überzeugte 4,5 Sterne für die Küche.
Den Service empfand ich persönlich als perfekt, das dezente Vorlegen des Bestecks geschah in gekonnter Synchronisation mit den Servierzeitpunkten, um leere Wassergläser musste sich niemand jemals Gedanken machen, der Umgang höflich aber keineswegs steif, Fragen wurden allzu gerne beantwortet, auch von den teilweise mitservierenden Jungköchen. Vielleicht mögen die Wein-Nerds am Tisch bei unserem Serviceleiter noch leichte vinophile Wissenslücken ausfindig gemacht haben, mit diesen ging er aber unglaublich sympathisch um und erzählte von seiner momentan noch laufenden Ausbildung. Die Gespräche, die sich beim Annoncieren der Weine zu meinem Menü mit ihm ergaben habe ich in bester Erinnerung, ein sympathischer, aufgeschlossener, witziger Zeitgenosse, ohne jede schnöselige Sommelier-Attitüde: volle 5 Sterne für diesen Auftritt.
Das Ambiente mit seiner Bistro-Wohnzimmer-Atmosphäre und der offenen Küche empfand ich für den Anspruch von „casual fine dining“ als sehr gelungen, wir fühlten uns wohl in unserer separierten Ecke, zudem sehr behagliches Lichtkonzept. 4,5 Sterne hierfür.
Die makellose Sauberkeit und serviceorientiert umgesetzten Corona Maßnahmen verdienen nichts anderes als 5 Sterne.
Das Preisleistungs-Verhältnis sehe ich bei sicher fairen 4,5 Sternen, Menü und Weinbegleitung angemessen bepreist, die Weinbegleitung eher schon günstig zu nennen. Nur die à la carte Getränkepreise sollte man vielleicht mit leichter Vorsicht genießen und spätestens bei dem Stichwort „20 jähriger Buchweizen-Whisky“ etwas aufhorchen. ;-)
Ich werde gerne wiederkommen wenn es sich ergibt, würde aber vorher schauen, welche Leitlinie das Menü derzeit hat, denn ich will sie unbedingt noch erleben, die Fusion der Bretagne mit La Réunion!
Als kleines GG-Nachwort:
@Petra & Sigi: Ihr wurdet vermisst, das holen wir hoffentlich bald nach!
@die Herrschaften am Tisch: Es war ein in vieler Hinsicht wunderschöner Abend der mir sehr viel Spaß gemacht hat, es war eine Freude Euch endlich persönlich kennenlernen zu dürfen. Ich habe die Zeit mit Euch sehr genossen, den Humor, die Gespräche – und konnte kaum glauben, wie schnell 5,5 Stunden vergehen können. Ich hoffe sehr, dass wir uns in dieser oder anderen Konstellation in nicht allzu ferner Zukunft wiedersehen.
@Tischnotizen: Nochmals herzlichen Dank für die beiden Mitbringsel, ich habe mich sehr, sehr gefreut über die Geste.
Heute dem Anlass angemessenes, episches GastroGuide Vorgeplänkel (zur eigentlichen Kritik bitte diesmal etwas weiter nach unten scrollen als üblich…)
Nach der kleinen Spätsommerfrische in Garmisch sollte dieser Tage ein weiteres, sehnsüchtig erwartetes Highlight anstehen: ein von Carsten1972 mit viel Hingabe organisiertes Treffen einiger altgedienter Community-Veteranen in einem der vielversprechendsten Restaurants, das Münster momentan zu bieten hat.
Auf die erstmaligen persönlichen Begegnungen mit dem CEO von tischnotizen.de, Carsten und El Borgonator freute ich mich besonders, auch wenn ich mit letzterem im Rahmen... mehr lesen
Geschrieben am 24.05.2020 2020-05-24| Aktualisiert am
28.05.2020
Besucht am 23.05.2020Besuchszeit: Abendessen 2 Personen
Rechnungsbetrag: 442 EUR
Kann ich also zum Fazit eines fast 5 stündigen Abendessens im Coeur d'artichaud kommen. Ob das Konzept zu höheren Weihen in Sachen Sterne führen wird, weiß ich nicht, denn die beiden Morels haben dieses Restaurant, nach dem die Beiden mehr als ein Jahr Ausschau gehalten hatten, sehr nach ihren individuellen Wünschen gestaltet. Die Ausrichtung des gesamten Konzepts an die offene Küche erinnert ein wenig an The Table in Hamburg, aber das Ganze ist hier mehr Handwerk, dass man riecht, schmeckt und hört aus der Küche. Um diese Grundidee herum macht man keinen großen Aufwand. Ob das der GM oder Michelin zu schätzen wissen, wird sich herausstellen. Mir gefällt das außerordentlich und ich muss verkünden, dass ich nach dem Ferment nun noch ein sehr gutes Restaurant in Münster kennen gelernt habe. Absolute Empfehlung für alle, die sich auf eine kreative Küche einlassen mögen!
Das war das abschließende Fazit meines Besuchs am Abend des 30. November 2019, als meine Frau und ich zum ersten Mal die Küchenphilosophie von Frédéric Morel und Pascal Hinkelammert mit ihrem Team kennen und sehr zu schätzen lernten. Jetzt ist er da, der Stern, am 18. Mai wurde das Schild an die Wand geschraubt. Und weil sowohl meine Frau als auch ich schon vor den Testern des Guide Michelin so begeistert waren, wollten wir im zeitigen Frühjahr wieder einkehren. Ende März hatten wir reserviert und eine Woche davor durchkreuzte das Corona Virus alle unsere Ausgeh-Pläne für die nächsten Wochen, auch ein neuer Termin im April fiel dem Lockdown zum Opfer. Sofort wurde aber ein neuer Termin für den 23. Mai angesetzt, und mit der beginnenden Wiedereröffnung der gastronomischen Betriebe ab dem 11. Mai war sichergestellt, nun würde es klappen.
Um kurz vor 19 Uhr standen wir also wieder im vertrauten Innenhof am alten Fischmarkt 11 in Münster. So langsam werden die Corona Regeln in der Gastronomie verinnerlicht, es wird zum Automatismus, Maske auf, man wird am Eingang in Empfang genommen, Daten in die Liste eintragen, Hände desinfizieren, alles das stört jeden Tag weniger. Wir bekamen unseren Tisch vom letzten Mal, wieder links vom Pass direkt in der Ecke, mit Blick über den ganzen Gastraum und durch die bodentiefen Fenster in den Innenhof rüber zum Sylt am Bült, der benachbarten Fischküche des Landhotel Eggert. Ein Blick durch den Raum verriet, nur ein Tisch war den Abstandsregeln zum Opfergefallen, weil man auch vorher eh schon sehr weit gestellt hatte. Somit war die Kapazität nicht sehr eingeschränkt im Vergleich zu vorher, und der Kundenzuspruch stimmte auch. Alle Tische wurden im Laufe des Abends besetzt.
Kurze Exkursion in Sachen Gastronomie Regelwerk in Corona Zeiten. Ich glaube tatsächlich, dass es in den gehobenen Fine Dining Restaurants die wenigsten Probleme geben wird. Die Tische werden über den Abend nur einmal besetzt, die Gästeanzahl ist überschaubar. Nirgendwo wird es eng, im Restaurant waren an allen Stellen Desinfektionsmittel-Spender aufgestellt. Um die Haut an den Händen der Köche in der Küche mache ich mir ernsthaft Sorgen, so häufig wie diese mit Desinfektionsmittel eingerieben wurden. Zusätzlich wurde jeder Teller bevor er an den Pass kam, noch einmal mit einem Desinfektionsmittel-Tuch gereinigt. Da die Küche einsehbar ist, wird jeder laxe Umgang mit den Regeln sofort offensichtlich. Aber das Küchenteam ließ sich nichts zuschulden kommen, obwohl ich häufig darauf achtete. In Sachen Corona machte ich mir an diesem Abend keinerlei Sorgen.
Ich sagte ja schon, meine Frau und ich freuten uns sehr auf den zweiten Besuch im Coeur d’artichaud. Also nach einem langatmigen Beginn zu unseren Eindrücken über das servierte 8 Gang Menü. Auf der HP lassen sich alle Informationen zum Angebot einsehen. Da wir Beide absolut keinen der Gänge hätten streichen wollen, ließen wir konsequenterweise nichts aus, volle 8 Gänge wurden geordert.
Dazu ein Champagner für meine Frau und einen Belsazar Rosé (Wermut für mich). Mit dem Aperitif ein erster Gruß der Küche.
Lachs, gebeizt, mit eingelegten Preiselbeeren und einer Creme aus Avocado, ein Löffel zum scharf stellen der Geschmacksnerven auf das Kommende. Währenddessen hatten wir die Weinkarte konsultiert, und einen Chardonnay aus dem Jura bestellt, Appellation Cotes de Jura.
Der sollte uns durch die ersten Gänge begleiten. Ein weiterer Küchengruß erreichte unseren Tisch, während wir den Wein verkosteten.
Crunch in Form von Crackern, die belegt waren mit gepickelter roter Beete und Ziegenfrischkäse sowie einem Rindertatar mit einem Auberginen-Mus. Beide Kombinationen funktionierten als Küchengruß sehr gut und richteten uns schon mal auf die Küchenphilosophie des Coeur d’Artichaud aus. Man wird es im Verlauf des Menüs noch deutlicher erkennen, die einzelnen Gerichte sind aus einer reduzierten Zahl von Zutaten aufgebaut, diese maximal 3 bis 5 Komponenten werden aber immer wieder in sehr unerwarteten Zubereitungen und Konsistenzen kombiniert. Das erinnert, auf Nachfrage auch als gewollt bestätigt, an die nordische Küche.
Selbstverständlich wird vor Beginn des eigentlichen Menüs Brot serviert, alle hausgebacken, waren das ein Buchweizen-Sauerteig-Brot, ein Bärlauch-Hefe(Weizen?)-Brot sowie ein hinreißendes Brioche mit Speck und Brie verfeinert. Nur diese Brioche hätte mir ein genüssliches Abendessen beschert. Dazu eine Café de Paris Butter sowie eine mit Algen. Nun durfte es gerne beginnen mit dem eigentlichen Menü. Die Küche startete mit Maräne, Karotte und Kapuzinerkresse.
Die Maräne war ganz sanft in einem Gewürz-Essig-Sud gar gezogen worden, dazu die Karotte in verschiedenen Zubereitungen. Es ist unmöglich ohne Diktiergerät alle Details, die Herr Morel und Herr Hinkelammert, die grundsätzlich ihre Gänge immer selber servieren, verkünden, im Gedächtnis zu behalten, somit kann und will ich hier auch nicht bis ins kleinste Detail gehen. Prägend an diesem Gang war die saure Frische des Maränenfilets ergänzt durch die Süße der Karotte mit einer gewissen Schärfe durch die Kresse. Weiter ging es mit Norwegischer Kaisergranat, Spargel und Bergamotte.
Auf den ersten Blick ein sehr schlichter Teller. Als erstes begeisterte die überragende Produktqualität des Kaisergranats, der fast roh nur auf der Rückenseite kurz angegrillt worden war. Eine Schere war aufgebrochen und gegrillt worden, Finger Food zum rauslutschen……….Darunter ein Saucenspiegel aus einer Beurre Blanc, verfeinert mit Spargel, Saucengott-Verdächtig! Der Spargel in verschiedenen Aromatisierungen bis hin zu einer mit Bergamotte, und Earl Grey Aroma passt zu Spargel musste ich an dem Abend erleben. Zwei Gänge von 8 und ich war schon im kulinarischen Himmel. Maischolle, Spinat und Bratkartoffeln passte in den aktuellen Monat.
In diesem Menü wurden alle tierischen Produkte fast ausschließlich auf einem Tepanyaki Grill zubereitet, auch diese Scholle. Sautierter Spinat dazu, ergänzt durch Senfkörner, geröstet und in einer Sauce verfeinerten das. Die Bratkartoffeln fanden sich als Creme wieder…sehr spannend. Etwas schlichterer Gang, aber genauso schmackhaft. Schlicht blieb es, aber in Sachen Zutaten wurde mal die ganz dicke Kanone herausgeholt, Morcheln, Sot l’y Laisse und Fèves wurden serviert.
Ganz viel Umani war auf dem Teller, durch die Morcheln und ihren Sud, bewusst wurde nur ein Löffel gereicht, man sollte das einfach „weg schlotzen“. Ergänzt wurde diese Aromen-Bombe von Geflügel, dem Pfaffenstückchen daraus sowie einwandfrei gepahlten dicken Bohnen. Perfekt ergänzt durch nicht angekündigten wilden Spargel, Lecker! Bis zu diesem Gang großes kulinarisches Kino, das uns perfekt auf den Hauptgang vorbereitete. Maibock, Sellerie und Fichtensprossen.
Man beachte im Saucen-Glanz die Deckenleuchter. Eine Jus, die so eine Oberflächenstruktur hat, die lässt den Genießer auf die Knie fallen. Hätte mir die Küche zu dieser Jus einfach noch was von dem Brioche serviert, ich hätte erst am nächsten Tag verinnerlicht, dass der Bock gefehlt hätte. Dieser war wunderbar scharf und kurz gegrillt, zart und ein Genuss. Der Sellerie kam in nicht mehr erinnerbaren Varianten auf den Teller, sorry, aber ich hatte zu tun, Sauce mit Brioche aufsaugen……..
Was soll man jetzt sagen nach 5 von 8 Gängen. Wenn man sich fragt, was hat man in der Shutdown-Zeit vermisst als Genießer, dann genau das erlebte. Wunderbar kreative Küche, die einen überrascht, Köche, die einem ihre Ideen am Tisch erklären und die Erkenntnis, dass bekomme ich zu Hause nicht einmal näherungsweise so gut hin! Und noch lag ein Viertel des Menüs vor uns. Irgendwann war der Chardonnay leer und wir ließen eine weitere Flasche Weißwein öffnen.
Von der Rhone, aus der Appellation Saint-Péray, eine mir unbekannte Rebsorte, die sich Marsanne nennt. Auch hier nichts verkehrt gemacht, ein außerordentlicher Tropfen. Klassisch ging es mit dem Käse weiter. Trappe d’echourgnac, Walnuss, Staudensellerie.
Der Käse stammt aus dem Zisterzienserkloster Notre-Dame de Bonne-Espérance in der Gemeinde Échourgnac im Département Dordogne im Périgord. Der Trappe d’Echourgnac wird noch heute von den Nonnen im Kloster von Hand mit Walnusslikör eingerieben und verfeinert, wurden wir am Tisch unterrichtet. Da passen die fermentierten unreifen Walnüsse ja perfekt und der fast rohe, etwas marinierte Staudensellerie brachte etwas Frische auf den Teller. Jetzt wollten wir aber auch was Süßes, mit Münsterländer Erdbeeren, Flieder und Schokolade ging es los.
Flieder ist essbar, dass wusste ich nicht! Lecker und wie immer bin ich bei Süßspeisen etwas sprachlos……..Rhabarber, Ziegenmilch, Holunder
Gefiel mir noch einen Ticken besser. Der Holunder beginnt zu blühen bei uns im Münsterland. Auch ich selber verarbeite ihn nun zu Sirup und lege die Blüten ein. Die Küche schloss ein grandioses Menü ab mit dem EPILOG,
ich erinnere mich noch, dass war was mit Joghurt, Crumble und Himbeeren……perfekter Abschluss, aber der Epilog leidet immer etwas darunter, dass es im Gehirn rattert und die Geschmackseindrücke der letzten 4 Stunden verarbeitet werden müssen……
Was das Küchenteam um die beiden Köche uns an diesem Abend präsentierte wird sehr lange im Gedächtnis bleiben. Es ist wunderbar, dass ich voller Inbrunst sagen kann, ich habe die Schließung des Keilings in Bad Bentheim nun endgültig verwunden, dass Coeur d’Artichaud ist mein neues kulinarisches Wohnzimmer. Gefühlsmäßig gibt es zur Zeit nur ein zweites Restaurant, mit dem ich ähnlich wunderbare Eindrücke verbinde. Das ist die alte Schule von Familie Schmidthaler in Fürstenhagen in der Feldberger Seenlandschaft. Auch dort scheint wie jetzt hier in Münster ein Stern! In drei Wochen bin ich dort und werde Berichten, wie es sich verhält zu dem am 23. Mai in Münster erlebten.
Bleibt nur zu sagen, großartige Küche mitten in Münster! Ich wünsche dem Team des Coeur d'artichaud weiterhin so viel Kreativität und Spaß an ihrer Berufung wie bisher. Corona hat sie nicht stoppen können! Und so lange ihr alle in Münster weiterhin so kreativ kocht, werden meine Frau und ich treue Gäste sein!
PS zum endgültigen Schluss noch ein ganz herzliches Dankeschön an einen guten Freund aus Bremen, der hier sehr aktiv ist! Er weiß schon warum!
PPS die GG Genießertruppe bekommt hiermit von mir den offiziellen Vorschlag, eines der nächsten Treffen hier auszurichten!
Kann ich also zum Fazit eines fast 5 stündigen Abendessens im Coeur d'artichaud kommen. Ob das Konzept zu höheren Weihen in Sachen Sterne führen wird, weiß ich nicht, denn die beiden Morels haben dieses Restaurant, nach dem die Beiden mehr als ein Jahr Ausschau gehalten hatten, sehr nach ihren individuellen Wünschen gestaltet. Die Ausrichtung des gesamten Konzepts an die offene Küche erinnert ein wenig an The Table in Hamburg, aber das Ganze ist hier mehr Handwerk, dass man riecht, schmeckt... mehr lesen
Geschrieben am 01.12.2019 2019-12-01| Aktualisiert am
06.12.2019
Es existiert eine neue Bewertung von diesem User zu Coeur D‘Artichaut - Restaurant
Besucht am 30.11.2019Besuchszeit: Abendessen 2 Personen
Rechnungsbetrag: 370 EUR
ist ein französisches Sprichwort für jemanden, der sich schnell verliebt, der sich schnell und immer wieder aufs Neue für etwas begeistern kann.
Neues Leben in den ehemaligen Räumlichkeiten des im vergangenen Jahr geschlossenen Restaurants Lilies, dessen Konzept und Küche ich sehr geschätzt habe. Dann folgte ein relativ langer Leerstand, nun war wieder Leben in dem Räumen am Fischmarkt 11 in Münster, im Innenhof neben dem "Sylt am Bült".
An der Straße kündigt ein Schild den neuen Mieter an. Es war klar, dass ich einen näheren Blick auf das Restaurant werfen würde, als ich von seiner Eröffnung erfuhr. Und als klar war, dass der männliche Teil des Betreiberpaares ein Bretone war, der einen Teil seiner Lehr und Wanderjahre in der "Auberge de Glazicks" in Plomodiern verbracht hatte, war klar, ich gehe da mal hin. Frederic Morel hat in der 2 Sterne Küche von Olivier Bellin gearbeitet und weil wir dieses hervorragende bretonische Restaurant sehr schätzen, wenn wir im Finisterre Zeit verbringen, war ich sehr gespannt auf seinen Küchenstil. Zusammen mit seiner Partnerin Elisabeth Morel und dem Zweitkoch Pascal Hinkelammert wurde Anfang November das "Herz der Artischocke" eröffnet.
Zum traditionellen Vorgeburtstagsessen mit meiner Frau eröffnete sich eine Möglichkeit, einen Tisch für uns Beide zu reservieren. Das war per Internet über die HP sehr einfach erledigt und meine Vorfreude auf den Restaurantbesuch stieg bis zum 30. November, an dessen Abend wir dann vor der Tür des Coeur d'artichaud standen.
Der Innenraum wird immer noch von der Armada der von der Decke angehängten großen Leuchten bestimmt, ansonsten hatte sich aber einiges getan. Die Küche ist zum Gastraum geöffnet worden, 8 Tische sind in einem Halbkreis um den Anrichtebereich platziert worden und von jedem Tisch ergibt sich ein freier Blick in die Küche.
Wir wurden von Frau Morel und ihrer Mutter in Empfang genommen und die Garderobe wurde uns abgenommen und wir an den für uns vorgesehenen Tisch platziert. Ein Blick durch den Raum verriet eine sehr zurückhaltende Raumdekoration, die Tische und Stühle sind recht einfach gehalten. Auf Tischdecken wird verzichtet. Auch die Tischdekoration ist recht sparsam, man bekommt den Eindruck, dass alle Aufmerksamkeit auf das Geschehen in der Küche gelenkt werden soll. Es war ja der Vorabend meines Geburtstages, deswegen als Antwort auf die Frage nach einem Aperitif ein Champagner für meine Frau und einen Wermut für mich.
Dazu wurde Wasser serviert, dass über das komplette Menü nachgefüllt wird, ohne Mehrkosten. Das Menü umfasst maximal 8 Gänge und kann von 4 über 6 bis 8 Gänge geordert werden. Karte und Preise verrät die Homepage. Dazu wird eine Getränkebegleitung angeboten. An dieses Menü hält sich die Küche sehr strikt, man kann im Vorfeld eventuelle Unverträglichkeiten oder vegetarisch-vegane Variationen abklären, ein ändern im Menü akzeptiert die Küche nicht. Klare Ansage, aber das kleine Team in der Küche bewältigt das uns an unserem Besuchsabend gebotene Niveau sonst auch nicht. Für uns Beide war recht schnell klar, wir möchten alle Gänge probieren. Und da die angebotene Getränke-Begleitung zu den Speisen uns nicht so zusagte, widmeten wir uns der Weinkarte, um eine eigene Wahl zu treffen. Der erste Wein des Abends war eine Flasche Brauneberger Juffer Riesling 2016 von Fritz Haag, der sollte uns recht gut über die erste Hälfte des Menüs begleiten können.
Mit dem Wein dann auch die ersten Grüße der Küche. Noch vor dem Wein getrocknete Tomaten auf einem Cracker.
Trotz des auch auf dem Cracker servierten Ziegenkäse war das ein doch recht schlichter Start der Küche in das Menü. Schmackhaft, aber kein Ausrufezeichen in Sachen Aromatik, dass ich gerade bei Küchengrüßen sehr schätze und auch erwarte. Nach dem Verkosten des Weins startete die Küche dann voll in unser Menü mit dem Prolog genannten weiteren Küchengrüßen. Eins
Zwei
Hier wurden die Aromen knackiger und nachhaltiger! Makrelenrillettes auf einem Cracker und Landschwein mit Salzalgen in einer Krokette waren die Geschmacksnervenfreischalter, die man vor einem langen Menü haben möchte. Ich blickte wieder mit weit mehr Vorfreude auf das Menü. Inzwischen hatte der Service auch Brot und Butter an den Tisch gebracht.
Ein dunkles Roggenbrot mit Steinpilz, ein Oliven-Focaccia und ein Zwiebel-Parmesan Brot, alle hausgebacken mit einer Algenbutter und Salzbutter. Das Brot und die Butter überbrückten die Wartezeit bis zum Beginn des eigentlichen Menüs. Langweilig wurde es sowieso nicht, denn gespannt verfolgte ich das Geschehen in Küche und am Pass. Faszinierend die Akkuratesse und Freude, mit der die Gerichte in der Küche und am Pass fertig gestellt wurden. Dann ging es zu Gang 1 Norwegische Fjord-Forelle, Senf und Dill verkündete die Karte. Wie alle folgenden Gänge wurden die Speisen durch die Köche serviert und erklärt. Thema des Teller sollte hier ein Art dekonstruierter Graved Lachs sein. So fanden die klassichen Beigaben des gebeizten Lachs hier auf dem Teller zu der Forelle. Das paßte, süße Säure durch Preiselbeeren, Senfaromen, etwas Gebranntes war dabei, ein Aquavit oder Gin? Zusammen mit der tadellosen Qualtiät des Fisches war der Teller sowohl optisch wie geschmacklich ein exzellenter Einsteig in das Menü. So durfte es weiter gehen und es ging weiter mit pochierten Flusskrebsen, Karotte und Passionsfrucht.
Ein Jaipur Curry war unüberriechbarer Bestandteil des Suds, in dem die Flusskrebse ganz leicht gegart worden waren. Dazu verströmte der Teller einen intensiven Duft nach Sojasauce! Woher kam das? Das war nicht Bestandteil des Gerichtes, jedenfalls nach Karte. Aufklärung kam durch die Küche. Man hatte eine Karottenessenz von 10 Liter auf ca. einen Viertelliter eingedampt und dass Resultat war die dunkle Sauce auf dem Teller, die duftete wie eine klassische Soajsauce. Die Karotte fand sich auch noch in verschiedenen Zubereitungen auf dem Teller, dazu wieder ein süß-saurer Gegenpol in Form von Passionsfrucht. Genial gedachter Gang! Das erste Viertel des Menüs war serviert und ich war mir immer sicherer, diese Küche gefällt mir. Sellerie, salzgebacken und fermentiert, war der nächste Gang betitelt.
Die Wurzel der Sellerieknolle war geputzt und dann frittiert worden, sie sorgte für salzigen Crunch auf dem Teller, darunter der fermentierte Sellerie in dünnen Tranchen, dass Ganze platziert auf einer Beurre blanc zum niederknieen, die aus irgendwas, ich weiß es nicht mehr, unglaubliches Umami bezog! Ergänzend kam ein dritter Teller an den Tisch
Zwei Kroketten mit gefüllt mit Sélleriepüree. Das war dann noch sahnige Schlotzigkeit gepaart mit ausgebackenem Crunch. Alle drei Gänge auf dem gleichen sehr hohen Niveau, mein Glückseligkeit stieg an! Dann ein sehr bretonisches Gericht, dass wir auch immer im fernen Westen Frankreichs genießen. Rochenflügel mit Petersilie und Kapern. Rochenflügel kriegt man außerhalb der Küstenregionen sehr selten, der Haiartige Fisch stellt extreme Anforderungen an Frische! Nach zwei Tagen schon bilden sich erste Ammoinaktöne im Fleisch, die nur einen Tag später einen Verzehr unmöglich machen, deswegen bekommt man ihn meistens nur dort, wo er gefangen wird. Auch die Konsistenz von Rochenflügel ist gewöhnungsbedürftig, das Flesich ist recht faserig und kann Noten von Tranigkeit haben. Dass muss man bei der Zubereitung beachten. Frederic Morel als Bretone weiß das alles natürlich und hatte aus Zitrone, Kapern von Holunderbeeren und Petersilie einen salzig-sauren Gegenpol auf den Teller gebracht, der diesen Fischgang zum nachhaltigsten Aromeneindruck des Abends machte. Häfte rum und ich hatte nicht mal einen Hauch von Kritik an den Menügängen! Fleisch sollte es im nächsten Gang geben. Rumpsteak, Zwiebelgewächse und Pilze verriet die Karte uns Beiden. In der Küche war mir ein Grill aufgefallen, ein kleiner Kasten in Holzoptik, die sich bei näherer Inaugenscheinnahme als Schamott herausstellte. Meine Nachfragen zu dem Grill hatten dazu geführt, dass ich den Grill näher ansehen durfte. Darin Kokoskohle und Holzkohle und eine Hitze von über 700 Grad, auf der das 30 Tage beim Schlachter und dann noch 14 Tage trocken nachgereifte Rumpsteak gegrillt wurde. Auf den Grill gesellte sich dann noch Frühlingslauch. Das verheiratete sich dann auf dem Teller mit den Pilzen (Name weiß ich leider nicht mehr) und noch einem Kartoffelpüree sowei eine sehr guten Jus. Perfekt gegrilltes Fleisch mit deutlichen Röstaromen, ein dicker Kontrapunkt zu den ersten filigranen Gängen, aber genauso schmackhaft. In der klassischen französischen Speisenfolge kommt vor den Süßspeisen der Käse, so auch bei Frederic Morel. Heukäse, Butter, Walnuss verriet uns die Karte. Herr Hinkelammert klärte auf, auf dem sehr clever ausgewählten Teller lag ein 16 Monate gereifter Comte. Dazu eine fast herzhafte gehaltene Walnusscreme und ein Holunderblütensirup, der geliert worden war. Oben drauf das Kräutergrün. Lecker, Käse! Geht immer bei mir! Gang sechs war vorüber und wir wurden von der Küche in den süßen Teil des Abends geführt mit dem Pre-Dessert. Schlehen Umeboshi / Kirschblüten / Bittermandel verkündete uns die Menükarte. Auf dem Teller ein Bittermandelmousse, darüber die Schlehen. Herr Morel erzählte uns, dass er bei seinem Umzug von Hamburg nach Münster etliche Fahrten mit seinem Auto unternehmen musste, um alle die Gläschen und Behältnisse mit Produkten zu überführen, die er eigenhändig in der Natur einsammelt und dann verarbeitet. Und an Schlehen hatte er sich lange die Zähne ausgebissen (wie übrigens auch wir immer noch), bis er eines Tages ein Rezept sah, die Umeboshi Pflaume durch Schlehe zu ersetzen. Das Resultat dieses Austauschs machte unseren Teller zu was ganz besonderem! Salzigkeit gepaart mit süßer Säure auf der Creme, Geil! Darüber noch Crunch auch aus Mandel sowie eingelegte Kirschblüten! Ich liebe es, wenn man so ungewöhnliche Desserts herstellt! Spätestens jetzt stand fest, wir haben einen neuen Favoriten in Münster (auch wenn es mit dem heutigen Tag eigentlich drei sind mit dem Giverny und dem Ferment)! Der formelle Abschluss des Menüs stand noch an. Eingelegte rote Beete / Pistazie / Heckenrose war der Titel für dieses Gericht auf der Karte. Rote Beete im Dessert wird ja immer populärer. Und auch hier war die Beete in verschiedenen Konsistenzen auf dem Teller, gebacken, und als Granite, vorher eingekocht mit einem Heckenrosensaft. Ein Pistazieneis war mit auf dem Teller und ein paar Rosenblätter, sehr guter Abschluss dieses durchgehend (bis auf den ersten Küchengruß) beeindruckenden Menüs. In der zweiten Hälfte des Menüs hatten wir dem Rat Frederic Morels folgend einen Wein aus dem Jura erwählt.
2011 Savagnin Vieilles Vignes aus dem Weingut Les Clos de Givres, ein Wein, der äußerst ungewöhnlich daherkam, 50 Monate im Barrique ausgebaut aus einer autochthonen Traube, deren Name ich noch nie gehört hatte. Wir beide schätzten diesen Wein sehr! Er hatte fast rauchige Aromen, wie ein Islay Whisky, lecker! Mit dem letzten Glas dieser Flasche noch zwei als Epilog bezeichnete Schmankerl aus der Küche, die bereits gereinigt wurde.
und
Trüffeln gehen immer, und in der kleinen Schüssel waren mit Himbeeren und auch weitere Dinge, mea culpa, ich weiß nicht mehr, was es war! Lecker war es, dass weiß ich noch! Ist ja auch das wichtigste!
Ein Teil des Service macht ja die Köche Crew, aber auch Frau Morel, ein weiterer junger Herr und die Mutter von Frau Morel kümmerten sich ohne Grund zur Beanstandung mit viel Engagement und Freude um uns. Wir haben uns sehr wohl gefühlt.
Kann ich also zum Fazit eines fast 5 stündigen Abendessens im Coeur d'artichaud kommen. Ob das Konzept zu höheren Weihen in Sachen Sterne führen wird, weiß ich nicht, denn die beiden Morels haben dieses Restaurant, nach dem die Beiden mehr als ein Jahr Ausschau gehalten hatten, sehr nach ihren individuellen Wünschen gestaltet. Die Ausrichtung des gesamten Konzepts an die offene Küche erinnert ein wenig an The Table in Hamburg, aber das Ganze ist hier mehr Handwerk, dass man riecht, schmeckt und hört aus der Küche. Um diese Grundidee herum macht man keinen großen Aufwand. Ob das der GM oder Michelin zu schätzen wissen, wird sich heraus stellen. Mir gefällt das außerordentlich und ich muss verkünden, dass ich nach dem Ferment nun noch ein sehr gutes Restaurant in Münster kennen gelernt habe. Absolute Empfehlung für alle, die sich auf eine kreative Küche einlassen mögen!
ist ein französisches Sprichwort für jemanden, der sich schnell verliebt, der sich schnell und immer wieder aufs Neue für etwas begeistern kann.
Neues Leben in den ehemaligen Räumlichkeiten des im vergangenen Jahr geschlossenen Restaurants Lilies, dessen Konzept und Küche ich sehr geschätzt habe. Dann folgte ein relativ langer Leerstand, nun war wieder Leben in dem Räumen am Fischmarkt 11 in Münster, im Innenhof neben dem "Sylt am Bült".
An der Straße kündigt ein Schild den neuen Mieter an. Es war klar, dass... mehr lesen
Geschrieben am 15.02.2021 2021-02-15| Aktualisiert am
16.02.2021
Der Frust steigt im Münsterland, Münster ist seit 2 Wochen bei einer Inzidenz von unter 20, die umliegenden Kreise inklusive meinem Heimatkreis Steinfurt pendeln um die 35, mit sinkender langfristiger Tendenz. Und trotzdem wird uns von unseren Landesherren verkündet, dass wir uns ein Osterfest verbieten müssen. Kein Tourismus, keine Gastronomie, auch bei sinkenden Zahlen. Fragt der Bürger zu erstaunt nach, das in früheren Zeiten doch eine Inzidenz von 50 entscheidend war, diese nun 35 sein soll und will er diese Logik nicht einsehen, dann wird die MUTANTE aus dem Hut gezaubert, um zu begründen, warum wir auch über Ostern unser Leben abzuschalten haben.......
Ich bin gefrustet inzwischen und ich spüre, dass ich immer weniger Willen aufbringe, die momentanen Entwicklungen im politischen Bereich verstehen zu wollen!
Diese Frust nimmt im kompletten Familien- und Bekanntenkreis zu, und besonders war der einem Menschen am Samstag, den 13. Februar anzusehen, nämlich Frederic Morel, bei dem wir am Samstag wieder ein Menü geordert hatten und das abholen wollten. Es wird ihm nicht der Hauch einer Perspektive geboten, sein Restaurant wieder zu öffnen, obwohl die Inzidenz in Münster, jetzt wo ich diese Zeilen schreibe, bei 15 liegt. Ich kann Ihn gut verstehen, ich will, dass er weiter macht mit seinem mir so viel Freude bereitenden Konzept! Und deswegen gönnen wir uns uns regelmäßig seine take away Angebote.
So auch am Samstag, den 13. Februar. Wir hatten 4 Menüs zur Abholung bestellt und wie immer erwartete uns das Team vom Restaurant, um wenigstens mal ein paar persönliche Worte mit den Kunden wechseln zu können. Das tut beiden Seiten gut, wenn man sieht, wie wenig Kontakt wir im Moment im persönlichen Bereich haben. Das Menü fand den Weg nach Rheine, ebenso wie ein befreundetes Pärchen, dem wir auf Grund eines Schicksalsschlags im familiären Bereich was Gutes tun mussten und die wir an dem Abend mit einem gemeinsamen Essen ablenken wollten. In NRW hat das (Landes)Verfassungsgericht in Münster schon im ersten Lockdown der Landespolitik klar ins Hausaufgabenbuch geschrieben, dass alle Kontaktregeln sich in NRW nur auf den öffentlichen Raum beziehen dürfen, somit ist es uns rechtlich erlaubt, ein Pärchen zu uns einzuladen. Vom praktischen Nutzen einer Einpersonenregelung will ich gar nicht reden.....
Es wurde ein genussvoller Abend, auf der Karte sind die Gerichte aufgeführt.
Nach einem Cocktail aphrodiasique (nein, es blieb bei einem kulinarischen Abend im Vierkreis, lieber Andi) dann die Vorspeise:
Hauptspeise:
Dessert:
Wir nehmen uns die Referenz-take-away Kritiken von TiNo zu Herzen und versuchen ihm nachzueifern, auch um der Güte der Gerichte aus Münster gerecht zu werden. Wein gab es auch.
Ein schöner Abend, weil man endlich mal wieder Gesellschaft von guten Freunden am Tisch hatte und nicht zuletzt, weil das Coeur d'artichaut Team uns wieder mit einem guten take away Menü versorgte!
Man kann sich nicht vorstellen, wie sehr ich mich danach sehne, wieder in meinen Lieblingsrestaurants zu sitzen! Wollen wir hoffen, dass sie noch da sind, wenn es wieder erlaubt ist zu genießen in Münster, in Osnabrück, in Hannover, in Hörnum, in Rantum, in Fürstenhagen!
Der Frust steigt im Münsterland, Münster ist seit 2 Wochen bei einer Inzidenz von unter 20, die umliegenden Kreise inklusive meinem Heimatkreis Steinfurt pendeln um die 35, mit sinkender langfristiger Tendenz. Und trotzdem wird uns von unseren Landesherren verkündet, dass wir uns ein Osterfest verbieten müssen. Kein Tourismus, keine Gastronomie, auch bei sinkenden Zahlen. Fragt der Bürger zu erstaunt nach, das in früheren Zeiten doch eine Inzidenz von 50 entscheidend war, diese nun 35 sein soll und will er diese... mehr lesen
Dass Carsten sich diese Aufgabe auferlegt hat und das „Coeur d’Artichaut“ in Münster zur Wahl ins Feinschmecker-Forum geworfen hat, sei ihm hoch anzurechnen, ebenso wie die Organisation des Gourmet-Gipfeltreffens. Dass die Kulinarik-Konferenz (und jetzt ist es auch genug mit den allgegenwärtigen Alliterationen) letztlich auf zwei geschätzte Teilnehmer von der Nahe verzichten musste, stimmte die Delegation zwar traurig, aber auch zuversichtlich, dass es sicher eine weitere Möglichkeit zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort geben wird.
Am deutschen Feiertag begrüßt uns Münster eher mit schäbigem Wetter und die Schönheit der Stadt versteckt sich unter grauem Nieselregen und hinter menschenleeren Straßen. Umso herzlicher und sonniger die Begrüßung der Gesellschaft erst im Hotel und dann im Restaurant, das ziemlich versteckt in einem Innenhof in der Innenstadt liegt. Innen ein großzügiger Raum mit Blick in die Küche, unser großer Tisch etwas separiert neben dem Tresen, was den Abend sowohl für uns als auch die übrigen Gäste durchaus angenehmer gestaltet.
Frédéric Morel, gebürtiger Bretone mit Stationen bei Thomas Martin im Hamburger „Louis C. Jacob“ (2 Michelin-Sterne) und bei Joachim Wissler im „Vendôme“ in Bergisch-Gladbach (3 Michelin-Sterne) in den besten Häusern der Republik gestählt und als Küchenchef im „Se7en oceans“ in Hamburg mit dem ersten eigenen Stern ausgezeichnet, hat in Münster im Oktober 2019 den Sprung in die Selbständigkeit gewagt und dort nach nur wenigen Monaten bereits einen Stern verliehen bekommen.
Im „Coeur d’Artichaut“ gibt es ein Menü in 4, 6 oder 8 Gängen (85,--€ / 115,--€ / 140,--€).
Unsere Gesellschaft hatte sich im Vorfeld auf das volle Programm verständigt mit einer Fischversion.
Mit drei kleinen, hintereinander servierten Apéros geht es los. Den Auftakt macht ein Tartelette mit Zandertatar, dem Sellerie, eingelegter Apfel und eine Dillmayonnaise einen schönen frischen Charakter verleiht, bei dem Dill sich deutlich in den Vordergrund schiebt.
Ein fluffiger Sellerie-Financier mit Haselnuss und Blauschimmel-Käse wird schon etwas kräftiger, obwohl der Käse sich nicht zu vordergründig präsentiert.
In der aromatischen Steigerung folgt eine warme Rindfleischpraline, die einen leicht säuerlichen Grundton hat, aber auch reichlich Umami mitbringt. Dafür bleibt die angekündigte Artischocke geschmacklich mehr als zurückhaltend.
Sehr überzeugend die Brotauswahl mit einem Tomatenbrötchen, einem Sauerteigbrot und einer Brioche mit Bergkäse, die sehr einem Gougère ähnelt. Neben der guten Salzbutter setzt vor allem die sehr markante Algenbutter kräftige Akzente.
Das Menü selbst startet mit Hummer aus der bretonischen Heimat von Fréderic Morel, aber anders als man erwarten würde, in sehr verfremdeter Form als dünn geschnittenes Tatar und als Rillette zubereitet. Von der Konsistenz ähnelt es damit eher fein gezupftem Taschenkrebsfleisch. Dem Geschmack tut dies keinen Abbruch. Morel arbeitet Seeigel in das Tatar und gibt dem Ganzen ein Kräutergranité und ein farbloses Tomatenwasser, das mit Kräutern aromatisiert wird, an die Seite. Das führt zu einem Gesamtbild, das sowohl frisch, als auch füllig mit schönen Temperaturkontrasten daher kommt.
Très français wird es mit dem folgenden Kalbskopf als Terrine, begleitet von einer Vinaigrette auf Basis des Kochsuds, Radieschen und Schnittlauch, dazu ein kleiner Salat mit getrocknetem Eigelb. Das ist jetzt nicht gerade besonders leicht, aber mit absolutem Wohlfühlcharakter, elegant deftig und alles andere als plump.
Aus der gleichen Feelgood-Abteilung stammt auch der nächste Gang. Miesmuscheln sind mit glasierten Petersilienwurzeln und Salatspitzen getoppt und baden in einer Beurre Blanc, die mit etwas Petersilienöl aromatisiert ist. Am Tisch herrscht Einigkeit darüber, dass es durchaus ein paar Exemplare mehr von den Muscheln hätten sein dürfen, aber vor allem, dass die Sauce der eigentliche Star auf dem Teller ist. Wenn das Attribut mollig auf etwas zutrifft, dann sicherlich auf dieses Gericht.
Üppig wird es mit dem Steinbutt, der selbstverständlich aus der Bretagne kommt. Das ist zum einen der Zubereitungsart, aber auch der Sauce zu verdanken. Der Fisch wurde in Nussbutter confiert, die Nussbutter anschließend selbst mit Buttermilch zwar etwas leichter gestaltet, nur um sie dann anschließend doch wieder mit Butter zu binden. Das ist sicher nichts für Kalorienzähler, aber dem unvergleichlichen Geschmack und Genuss kam man sich nur schwer entziehen. Als Beilage serviert Morel Celtuce, im deutschen auch als Spargelsalat bekannt, wenngleich nicht sehr geläufig. Sowohl die Stiele als auch der Salat können verarbeitet werden und erinnern, zumindest entfernt, tatsächlich etwas an Spargel. In Kombination mit den dazu gereichten Nordseekrabben, kommt so etwas Frische, Biss und zusätzliche Geschmackstiefe ins Spiel.
Ordentlich, wenn auch nicht so begeisternd wie die vorherigen Gänge, präsentiert sich der Hauptgang. Der Ibérico Schweinerücken ist auf meinem Teller stellenweise etwas trocken geraten. Das mag ein Ausrutscher sein, denn bei meinen Tischnachbarn sieht das Fleisch deutlich mehr rosé aus. Alles übrige ist makellos, sei es die geschmorte Backe und die recht herzhafte Einfassung mit Blutwurst, Senfkörnern, Zwiebelpüree und Perlgraupen. Auch die kräftige Jus passt gut dazu. Dennoch fällt das, vor allem aufgrund des Gargrades des Rückens, für mich doch etwas ab.
Auch mit dem Käsegang werde ich nicht so recht glücklich. Zwar ist die Variation um Feige als Granité und pur gut gedacht, auch in Kombination mit Senfkörnern und gelber Bete, aber der Tomme de Savoie ist definitiv zu jung und kann sich kaum gegen seine Mitspieler behaupten. Ein kräftigerer, gereifterer Käse hätte hier meines Erachtens deutlich besser gepasst.
Den süßen Teil des Menüs läutet eine Quarkmousse mit Holunderbeersorbet und Gurkengranité ein. Das ist unkompliziert und frisch und stellt nach den teilweise recht deftigen Gängen zuvor eine gelungene Überleitung dar.
Nicht nur optisch sehr stimmig endet das Menü mit Brombeeren, einer zum Glück nur hintergründig durchschmeckenden Lavendel-Ganache, einem Whiskey-Eis, in dem der rauchige Ton allerdings nur sehr dezent durchscheint sowie Crumble. Das ist sehr harmonisch und gefällt mir sehr gut, ebenso wie der blau gefleckte Teller, der für dieses Dessert mehr als passend ausgesucht ist.
Bleibt dieses Dessert durchaus noch im konventionellen Rahmen, erlaubt sich Frédéric Morel zum finalen Abschluss doch noch eine Extravaganz. Neben den Buchweizen-Madeleines und einem Macaron mit Banane-Curry-Ganache serviert er uns noch einen seiner Signature Dishes, der offenbar traditionell immer ein Menü hier beschließt.
Mit einem Himbeer-Paprika-Sorbet, Eukalyptus-Schaum und Algen-Baiser kommt schon in der puren Aufzählung eine ziemlich wilde Mischung in die Schale. Die krasse Kombination überlagert eine massive ätherische Note. Das ist mutig und spaltet die Gemüter am Tisch. Auch ich bin hin- und hergerissen, kann mich im Endeffekt aber nicht wirklich dafür begeistern.
Trotz dieses polarisierenden Schlussakkords ist die Meinung am Tisch über die Gesamtleistung eindeutig. Das Menü wusste mit harmonischen Gerichten und einwandfreiem Handwerk zu überzeugen. Die Kombinationen sind kreativ, aber – vom Post-Dessert vielleicht mal abgesehen – nicht verstörend. Süffige Saucen bestimmen viele Gänge und führen am Tisch zu einiger Begeisterung. War das typisch Bretagne? Nach meiner Erinnerung vor Ort bestenfalls marginal. Hatte das kreolische Einflüsse, wie auf der Homepage angekündigt? Heute sicher nicht. Aber das spielt auch keine Rolle, wenn alles Übrige auf dem Teller so stimmig war und eine klare, kreative Linie zeigt.
Herrscht beim Essen noch weitest gehende Übereinstimmung, ist die Kompatibilität bei der Weinauswahl naturgemäß schwieriger. Madame Borgfelder, die sich für die alkoholfreie Begleitung entschieden hat (und mehrfach am Abend um die kreativen Kreationen beneidet wird) und Monsier Shaneymac, der sich der offiziellen Weinbegleitung widmet, nehmen wir hier mal aus. Ansonsten ist die Feinabstimmung um die jeweils mutmaßlich am besten passenden Weine nicht immer einfach. Riesling-Jüngern stehen Liebhaber kräftiger holzbetonter Burgundersorten gegenüber, leichte Rotweine konkurrieren mit tanninbetonten Kreszenzen. Daraus ergeben sich zwar wortreiche, kabbelige Diskussionen, aber letztlich gehört das zum großen Spiel dazu und auch diese Wortgefechte reihen sich ein in die wunderbaren, vielfältigen und humorgeschwängerten Unterhaltungen dieses Abends.
Die finale Auswahl unserer Flaschen kann sich jedenfalls sehen lassen.
Zum Kaffee gönnt sich die Tischgesellschaft noch einen Digestif und dazu präsentiert Frédéric Morel höchst selbst seine stattliche Auswahl. Er macht das mit viel Sachverstand und Begeisterung, allerdings ohne Angabe von Preisen, was im Nachhinein für einen Misston führen wird, denn erst auf der Rechnung erkennen wir, dass ein Whiskey aus der Bretagne, für den sich zwei aus der Gruppe entscheiden, mit stolzen 40 Euro pro 2cl erscheint. Ein dezenter Hinweis dazu wäre nach allgemeiner Meinung am Tisch im Vorhinein angebracht gewesen und bestätigt mich darin, dass Erfahrungen mit nicht bepreisten oder nur wörtlich angebotenen Apéritif- und Digestif-Wagen in der Regel zu unangenehmen Überraschungen führen können, die letztlich einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen und einen ansonsten makellosen Abend unnötig überlagern.
Ich plädiere also weiterhin für entsprechende Karten, die dem Gast bitte vorab gereicht werden. Man kann auch die jeweiligen Flaschen auf dem Wagen beschriften. All das würde unangenehme Rückfragen zu Preisen ersparen. Geht doch anderswo auch.
Der Service bekommt unsere Verstimmung beim Prüfen der nicht gerade bescheidenen Rechnung mit und entschuldigt sich dafür. Gleiches hätten wir uns eigentlich auch vom Chef gewünscht. Nun denn.
Da wir aber trotzdem sehr aufgeräumter Stimmung sind und am sehr aufmerksamen Service ansonsten nichts zu bemängeln haben, lassen wir uns die Laune und den Gesamteindruck dieses gelungenen Abends nicht beeinträchtigen. Denn tatsächlich ist das der einzige Faux Pas, den wir konstatieren müssen. Mit der noch ausbaufähigen Weinkompetenz geht der Service selbstbewusst und charmant um. Abgesehen davon hätte er es mit unseren individuellen Präferenzen eh schwer gehabt, so dass es sicher klüger war, uns das selbst ausfechten zu lassen. Alles übrige erledigt der Service souverän und kompetent.
So bleibt unterm Strich ein unterhaltsamer Abend, bei dem die Begegnung und die Gespräche mit den Gastro-Freunden mindestens so wichtig war wie das Essen. Und das hat seinen Michelin-Stern allemal verdient. Gäbe es einen für die Tischgesellschaft, dann wäre der mal sowieso sicher.
Bericht folgt wie immer auch auf meinem Blog tischnotizen.de – allerdings erst im Dezember (und so lange wollte ich die Gemeinde nach Shaneymacs beeindruckendem Epos dann doch nicht warten lassen)