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Aber das dem Slowfood-Gedanken nicht nur auf dem Papier folgende Canova hat eben keine Produzenten, die aus der Tiefkühtruhe liefern, sondern nur nach jahreszeitlicher Verfügbarkeit. Doch schließlich sah ich doch den Lieferwagen von MarkO Seibold, dem Papst der alten Feldfruchtsorten, an der Kunsthalle stehen und um die Ecke saß die Service-Crew auf einer der schönsten Terrassen der Stadt und begrüßte mich mit lautem Hallo und der Frage, was denn kalt gestellt werden dürfe. Letztlich wurde es Champagner (Charles Heidsieck), Riesling (Grünhaus, Abtsberg GG) Chardonnay (Lageder, Löwengang) und Süßes aus Barsac (Château Climens).
Aber ich greife vor.
Erfreulich: Auch im Canova war die Stamm-Crew über die lange Liegezeit an Bord geblieben, man freute sich beiderseitig sehr und das Einchecken per App ging unkomplizierter als gedacht. Zwar hatten wir vorsichtshalber den damals noch erforderlichen Test für die Innen-Gastro gemacht, aber die Sonne bescherte uns auch (oder gerade) ohne Rekordtemperaturen einen wunderbaren Abend mit Blick in den Park und dem hybrid stattfindende Straßenkunst-Festival.
Eine Aufmerksamkeit wird nach wie vor nicht gereicht; darüber sind Chef Marius Ries und ich seit Eröffnung unterschiedlicher Meinung. Macht ja nichts. Volker, eine Konstante im Service, weiß im Übrigen, dass wir eh immer die vielseitige und wie stets wunderbare Brotauswahl von Knuf bestellen.
Zusammen mit einem 100ml-Fläschchen Olivenöl von Artefakt nach Wahl kann für 9 Euro so oft nachbestellt werden, wie man möchte. Die Preisgestaltung verstehe ich weiterhin nicht, da der Preis unabhängig von der Anzahl der Personen am Tisch ist. Aber immerhin vermeidet das immer wieder frische Aufschneiden Verschwendung und das passt gut ins Konzept, das weiterhin nicht anstrengend „verkopft“ ist, sondern mit gut überlegten Details überzeugt.
Die Karte zur Eröffnung war erwartungsgemäß klein und auf „typische“ Canova-Gerichte fokussiert. Manches kannten wir noch aus der „Zwischenöffnungszeit“ im letzten Sommer.
Aber zur feierlichen Eröffnung gönnte ich mir zunächst drei wilde Exoten aus dem Irischen Donegal.
Mild-salzig, leicht herb und vor allem gerade richtig gekühlt waren sie mit dem eiskaltem Champagner ein Genuss. (Wenngleich mir persönlich immer noch die süßen Schätzchen von M. Gillardeau die liebsten sind. Vorsorglich hatte ich am Mittag bei Bodes noch meinen persönlichen Austern-Kompass justiert.)
„Richtig“ los ging es dann mit Wildkräutern und Kürbis, der als typisch „sandiges“, vielleicht etwas zu weiches Marzipan ein angenehm süßes Bett für die Kräuter bildete.
Umspült wurde das ob einiger Blüten auch hübsch anzusehende Ensemble von einer Reduktion von Kürbissaft und Einlegesud mit Schalottenwürfelchen. Aber der Star des Tellers war eindeutig das Grünzeug, das Geschmackswelten entfernt von fast allem war, was sonst so unter Wildkräutern firmiert. Ein Feuerwerk von scharfen, würzigen, süßen, sauren und ätherischen Noten.
Für die Kräuterhexen und -Zauberer hier hab ich mal gefragt, was da so grün grünt:
Also: Dalli! Dalli! Vogelmiere, Giersch, Taubnessel, Wildspargel, Gundermann, Ysop, Zaunerbse, Magentaspreen, Cassis-Spitzen, Brennnessel, Kamille, Kohlblüte. Das war’s schon. Zwei müssen wir abziehen, Hänschen: Einer war ein DDR-Liedermacher und Schleichwerbung für die Telekom machen wir im Öffentlich-Rechtlichen nicht!
Als zweiter Gang kam ein „Klassiker“ des Hauses, an dem ich nie vorbei komme.
Die Kombination von festem, nicht zu fettem Räucheraal mit Brioche und verschiedenen, klug gewählten Begleitern: Frischer Sauerrahm, süßer Apfel, süß-säuerliche Tropea-Zwiebel und kräuteriger Bronce-Fenchel (übrigens eine „Erhaltersorte“) ist zu lecker. Bei diesem Gang ist besonders das Brot zu loben: Die Aal-Karkassen werden in Milch ausgekocht, darin wird das Brot getunkt und dann in Butterschmalz ausgebacken. Himmlisch!
Experimentell die nachfolgende Klettensprossen-Crêmesuppe mit Aal-Vinaigrette.
Der Geschmack zurückhaltend mit subtiler Bitternote, die durch überlegt eingesetzte Sahne abgefedert, aber nicht unterdrückt wurde. Gut passend dazu die leichte Essigsäure der Vinaigrette. Vor diesen vorsichtigen Grundtönen war der Aalgeschmack überraschend deutlich, doch überhaupt nicht deplatziert. Fermentierte Sprossenstücke brachten etwas zu kauen und stärker einen an Artischocke erinnernden Geschmack.
Eigenwillig, aber wieder etwas Neues kennen gelernt.
Kleiner Punktabzug in der B-Note (für den Service?), denn die Suppe hatte durch zu lange Standzeit eine dünne „Haut“ bekommen. Ansonsten wie immer alles perfekt und herzlich.
Wieder in bekannten kulinarischen Bahnen, aber eben doch Canova-style bewegte sich die Backhähnchenbrust mit Sellerie. Saftige Kikok-Qualität mit ehrlichem Geschmack, leider durchgebraten, das ist ja ein ewiges Thema und ich muss mir angewöhnen, in vertrauenswürdigen Lokalitäten wieder ein zartes Rosa einzufordern (In anderen sollte man eh kein Fleisch und erst recht kein Geflügel essen...).
Die dünne Haut mit nur hauchzarter Fettschicht darunter war ein pergamentener Traum, dem eine aufwändige Gewürzmischung Tiefe verlieh. Sellerie in verschiedenen Texturen ist inzwischen in der gehobenen Gastronomie eine vielseitig einsetzbare Allzweck-Waffe und erfüllte auch auf diesem Teller, mal erdig-süß, mal säuerlich, mal salzig alle Erwartungen.
Das Ganze mit einem erfreulich leichten, intensiven Schaum aus Brathähnchenfett überzogen...
Zum Hauptgang standen neben dem vegetarischen Teller, der meine Frau in helles Entzücken versetzte (Ach, wäre ich doch Eigelb, Gemüse-Béchamel, fermentiertes und geröstetes Gemüse!), entweder Bentheimer Schwein oder Zweierlei vom Auerochsen zur Auswahl. Ich folgte natürlich dem ZDF-Motto „Mit dem Zweierlei isst man mehr“! Dafür gab’s Filet und Nacken (Und eine Reduktion vom Knochenmark, also eigentlich ein Dreierlei!) des rückgezüchteten Ur-Rinds aus dem Eidertal, eine Brotschnitte und Zwiebeln.
Und mit diesem Foto ist eigentlich schon alles „gesagt“:
Ich finde: Da entstehen im Kopf Geschmackserinnerungen an Rindfleisch, mal butterzart, mal ungeheuer mürbe, an Zwiebel so süß mit leichter Schärfe und und an in Fett gebackenem Brot, dessen Knusperhülle krachend zerplatzt und den fluffigen Kern freigibt! Man sieht geradezu, wie es geschmeckt haben MUSS, wie gut die Produkte waren und vermutlich auch, wie ich vor dem Gesamtergebnis auf die Knie gefallen bin! (Jürgen Dollase - dessen musikalische Vergangenheit hier nicht zur Debatte steht! - besuchte das Canova übrigens kurz darauf und war überwiegend angetan; nur ausgerechnet der Auerochse schmeckte ihm zu sehr nach Rind, zu wenig urwüchsig. Schade, kann man natürlich so sehen.)
Für mich war klar: Besser wird’s nicht; ich bestellte darum keinen Käse (obwohl von Kober) und überließ die Dessert-Freude mit Fichtensprossen-Eis, Waldmeister-Gelee, Rhabarber und Oxalis der Gattin.
(Das Foto zeigt den am Folgetag pflichtgemäß erneut bestellten Teller; am Abend war weniger brachial angerichtet, aber das Ablichten aus gleich nach zu vollziehenden Gründen unterblieben.)
Fazit:
Das war ein kulinarisch wirklich spannender, rundum überzeugender und fröhlicher Besuch auf der Parkterrasse!
Und wer nur über Essen, Service und Ambiente lesen mag, erspare sich getrost den folgenden Bericht über das Restaurant-Erlebnis im weiteren Sinne.
Der Abend entwickelte sich noch sehr viel fröhlicher, als mein Kollege Butzi mit unserem „Büro-Hund“ Leicester vorbei kam und sich spontan („Aber nur ganz kurz!“) zu uns setzte. Nun muss man wissen, dass Butzi (Groß gewachsen, fast 60 Lenze und von zotteligem Haupt- und Gesichtshaar. Ebenso der Hund. Also schon jünger, aber zumindest auch recht groß und überaus zottelig.), dass also Butzi mit Heiner Lobenberg, dem Weinhändler befreundet ist und daher über großes Weinwissen und noch größere Trinkfestigkeit verfügt. Im Übrigen pflegt der Kollege seit einem jugendlichen Studienjahr im schottischen Vorzeige-Internat („1:1 wie Hogwarts!“) eine gewisse Schrulligkeit, die sich nicht nur im Festhalten am frühkindlichen Rufnamen und der Benennung seiner Haustiere nach englischen Städten manifestiert, sondern vornehmlich in der berühmten „stiff upper lip“, jenem stoischen Fatalismus auch in unangenehmsten Situationen.
Nun denn, das Tageslicht nimmt ab, die Stimmung steigt und unser Volker, der im Lockdown gut trainierte Hüne, kommt fröhlich mit einem weiteren, gut gefüllten Getränketablett daher, als das Unglück geschieht (Vorweg: Ich kann das heiteren Sinnes berichten, denn inzwischen ist klar, dass keiner der Beteiligten mit bleibenden Schäden zurück geblieben ist.). Der Hund hat es sich unter dem Tisch bequem gemacht, aber ein Teil ragt doch, einem Eisberg gleich, hervor, was nun leider von Volker übersehen wird. Der Hund heult halt wie ein getretener auf. Volker versucht, Contenance wie Gleichgewicht zu halten; das eine so erfolglos wie das andere. Das Sch...-Wort fliegt gleich dem Tablett durch die Nacht, der Inhalt von Gläsern und Flaschen benässt die Gäste, glücklicherweise nicht uns, sondern die am Nachbartisch - immerhin meistenteils mit Wasser. 100kg Ober segeln, den Gesetzen der Physik folgend, den Knöchel verdrehend und den Arm auf die Tischkante schmetternd, erdwärts. Alles verstummt, alles schreit. Volker humpelt, den Arm schmerzverzerrten Gesichts bergend, ins Innere, die Kolleginnen besorgt folgend. Meine Frau fährt Butzi an: „Nun geh ihm doch hinterher und schau, ob du ihm helfen kannst!“ B.: „Wieso? Ich bin doch kein Arzt.“ Darauf die beste aller meiner Ehefrauen in ebenso adrenalin- wie alkoholbefeuerter Empörung: „Aber dein Hund hat ihn gebissen!“ „Der Hund?“ Butzi schaut nachdenklich das große Wollknäuel an:
„Der Hund ist hier das Opfer.“
Da hätte selbst der große Loriot geschmunzelt...