Geschrieben am 29.01.2017 2017-01-29| Aktualisiert am
29.01.2017
Besucht am 28.12.2016Besuchszeit: Abendessen 4 Personen
Etwas verspätet setze ich mich nun doch noch mit jenem denkwürdigen Abend in der Bremer Kunsthalle auseinander, den ich längst als kulinarisches Highlight auf meinem gustatorischen Cortex-Konto verbucht und mit mehreren Sicherheitskopien an Gaumen, Zunge, Kehldeckel und Speiseröhre abgespeichert habe. Der Faktor Zeit und der reichlich geflossene PX haben meine Entscheidung zur Verschriftlichung der Erlebnisse im Canova nicht gerade erleichtert. Ich war mir unsicher, ob den Worten des Bremer Lokalmatadors noch welche hinzugefügt werden sollten, hat er doch alles – wie gewohnt – äußerst eloquent und detailgetreu zum Besten gegeben. Ich habe es trotzdem versucht. Hier also meine „Version“ eines äußerst unterhaltsamen Abends, der neben einer tadellosen Küchenleistung und einem uns herzlich umsorgenden Service auch ein paar edle Tropfen für uns bereit hielt.
Über die Örtlichkeit, die Gastgeberfamilie Keller und das ganze Drumherum hat der Genussspecht von der Weser in seinen beiden Bewertungen schon alles Wissenswerte niedergeschrieben. Um diesen Bericht nicht komplett ausufern zu lassen, setze ich ganz deskriptiv mit dem Eintritt in das Restaurant ein. Nicht verschweigen möchte ich allerdings den kleinen Spaziergang dorthin. Er führte uns durch die grünen Wallanlagen und wurde in reichlich vorgeglühtem Zustand vorgenommen.
Schon beim Betreten des Anwesens war ich mittelschwer betrun….äh beeindruckt. Das klassizistische Gebäude, in dem das Restaurant untergebracht war, wirkte nicht nur von außen sehr feudal. Da wollte Borgi dem Pfälzer Landei mal so richtig zeigen, wo die vornehme Bremer Gesellschaft zu tafeln pflegt. Im Inneren des „hohen Hauses“ fühlten wir uns zwischen den weißen Säulen, der kunstvoll illuminierten Wandverkleidung, dem dunklen Parkettboden und den wie umgedrehte Regenschirme anmutenden Lampen eher wie in einer Museumshalle (für so modernes, zeitgenössisches Zeugs), als an einem Ort des Genießens. Doch dieser ganz besondere, individuell-artifizielle Touch verlieh den Räumlichkeiten ihren besonderen Charakter und machte neugierig auf den ambitionierten Küchenmix, den Chefkoch Marius Keller hier seit 2011 seiner aufgeschlossenen Klientel bietet.
Es war an diesem Abend nicht viel los im Canova und nach freundlicher Begrüßung seitens der jungen Servicedame befanden wir uns flugs an einem kultiviert eingedeckten Tisch direkt an der Fensterfront, durch deren Scheiben man die nächtlichen „Wall“ungen gut beobachten konnte. Wir hatten reichlich Gesprächsstoff im Gepäck (und nicht nur diesen, wie sich später noch herausstellen sollte…), immerhin war unsere letzte kulinarische Zusammenkunft in der Hansestadt (damals an Ostern beim leckeren Italiener „Due Fratelli“) schon ein gutes halbes Jahr her, und so vergaßen wir vor lauter Geplapper fast die Durchsicht der Speisen- und Getränkekarten.
Gran Borgo beauftragte mich nonchalant mit der Auswahl des passenden Weines. „Du suchst aus, ich lade ein!“ – Worte, denen ich beflissentlich Folge leistete. Ich blätterte in der gut bestückten Weinkarte im Ringbuchformat. Keine echte „Bibel“ wie in besternten Häusern, aber doch aller Ehren wert. Flaschenweise weiße Kreszenzen aus Deutschlands wichtigsten Anbaugebieten, ergänzt von einer Reihe ausgesuchter Spezialitäten aus Österreich, der Grande Nation und Italien. Bei den Rotweinen dominierten erwartungsgemäß die französischen, italienischen und spanischen Gewächse. Ich überschlug das Angebot und kam auf gute 120 Positionen. Die Qual der Wahl ergriff mich.
Soso, der Meister wollte also seinen Pfälzer Riesling-Padawan auf die Probe stellen. Würde er bei einem Fehlgriff seinen jungen Weinnovizen in die Tiefen seines Gewölbekellers in die Pfalz zurückschicken? Panik machte sich breit. Doch da, die Rettung. Unter den vier angebotenen Rieslingen aus den VDP-Lagen der Mittelhaardt (meine zweite Weinheimat!) stach mir sofort das Große Gewächs von A. Christmann aus Neustadt-Gimmeldingen („Mandelgarten“) ins Auge. Für 56 Euro gar nicht mal unfair kalkuliert. Die erste Flaschenweinhürde war genommen. Gut so.
Durch das intensive Studieren der breitgefächerten Palette an Rebensäften geriet ich in Sachen Speiseauswahl gegenüber meiner Tischnachbarn etwas ins Hintertreffen. Der Herr Borgfelder unn sin Fruu hatten anscheinend mächtig Hunger. Auch meine Herzensdame drängte auf eine baldige Entscheidung meinerseits.
Für einen Pfälzer Weinstubenhocker wie mich war das Entschlüsseln der hier gebotenen Speiseartikel gar nicht so trivial. Gut, dass es in der Karte ein kleines Glossar zur Begriffsklärung gab. „Knuf“, „Kikok“, „Kerbelknolle“ und „Knollenziest“ klang schon verdammt nach kulinarischer Alliteration. War aber keine. Dahinter verborg sich veganes Spitzen-Brot (Knuf), ein nur mit Getreide gefüttertes Hähnchen von Borgmeier (kein Scherz!!!) aus Delbrück (Kikok), eine wurmähnliche Wurzel, die angeblich nach Kohlrabi schmeckt (Knollenziest) und die süße, mehlige Wurzel des Kerbelgrüns (Kerbelknolle).
All das kommt bei Chefkoch Marius Keller auf den Tisch bzw. in den Kochtopf. Doch der war an jenem Abend gar nicht zugegen, wie uns seine Mutter Sylvia mitteilte. Er würde krank daheim im Bett liegen und sich für die kommenden Events zum Jahreswechsel noch etwas schonen. Aber seine rechte Hand, der talentierte Sous-Chef, würde unsere Erwartungen sicherlich genauso erfüllen, versprach uns die Chefin des Hauses und verschwand dann auch sehr zeitig.
Während sich der Wesergourmet aus der Karte ein 5-gängiges Mahl zusammenbastelte, musste ich bei der Bestellung dem mittäglichen Besuch in der Hamburger „Fischbeisl“ etwas Tribut zollen und konnte kulinarisch nicht ganz so in die „Vollen gehen“ wie mein scheinbar ausgehungerter Tischnachbar. Die mit Bedacht zusammengestellte Speisenkarte kündete von einer zeitgemäßen Interpretation der klassischen Küche, bei der auch gern die Produkte aus der näheren Umgebung mit einbezogen werden.
Da fiel mir die Entscheidung für den Norddeutschen Fischeintopf (in der kleineren Vorspeisenversion für 16 Euro) nicht allzu schwer. Dass hier die komplette Fischeinlage vom Bremer Spezialist für Meeresdelikatessen - F.L. Bodes - stammte, wusste ich beim Bestellen noch nicht. Die Dame an meiner Seite wählte vorweg den Winterlichen Blattsalat mit knackigem Wintergemüse und delikater Kräuter-Vinaigrette (8,90 Euro). Beim Hauptgang trotzte ich der raffinierten Regionalküche ein bodenständiges Schmorgericht ab. Den zarten Kalbsbäckchen (22,90 Euro), die von bunter Möhre und einem Gratin von der „mittelfrühen“ Lilly Kartoffel begleitet wurden, konnte ich nicht widerstehen. Sehr positiv fiel auf, dass man etliche Gerichte auch als kleinere Vorspeise bzw. als Zwischengang ordern konnte. Bei der Pasta mit Hirschragout, Preiselbeeren, Quitte, Waldpilzen und Parmesan (16,90 Euro) durfte es für meine Begleitung aber schon eine „ausgewachsene“ Hauptspeisenportion sein.
Das Große Gewächs aus der Pfalz wurde entkorkt. Schon beim Anblick dieses Pfälzer Highend-Gesöffs wurde mir ganz warm um die Leber. Ich stammelte etwas von Mineralität, intensiver Frucht und Finesse und wollte damit eigentlich nur sagen: was für ein genialer Tropfen funkelt uns denn da grüngelb aus dem auf Hochglanz polierten Glas entgegen. Die kaum spürbare, der Fachmann würde sagen: gut integrierte Säure, ist ja nicht gerade typisch für den Riesling aus meiner Heimat. Da hilft ja in vielen Fällen nur der Griff zum Mineralwasser, um die Säure im Schorle zu ertränken. Aber in so einem GG steckt eben die ganz hohe Kunst des Weißweinmachens und das schmeckt man dann eben auch. Geiler Stoff, der meine Freude auf den Fischeintopf noch zu steigern vermochte.
Bei dem Ess-Enthusiasten neben mir herrschte eine Stimmung wie in der Altsteinzeit kurz nachdem das Mammut zerlegt wurde. Seine Freude auf das Tatar und Knochenmark vom Auerochsen war genauso herrlich authentisch wie das Soulfood für Jäger und Leckereiensammler auf dem Teller vor ihm. Zeitgleich wurde die wohl portionierte Vorwegvariante des Fischeintopfes serviert. Die Protagonisten aus Neptuns Reich schwammen in einem herrlich aromatischen Sud. Fenchel, Queller und Estragon verliehen den perfekt gegarten Fischfiletstücken (Rotbarbe, Kabeljau) und Meeresfrüchten (Mies- und Jakobsmuscheln, Garnelen und Kalmar) einen mildwürzigen Frischerahmen, der den eigenaromatischen Meeresbewohnern noch genügend Geschmacksspielraum ließ. Insgesamt war der Teller von seinem Aromenbild viel geradliniger, als ich zunächst in Anbetracht des ungewohntem „Grünzeugs“ in meinem Teller vermutet hätte. Grundiert von einer wunderbar abgeschmeckten Suppe, die ich bis auf den letzten Tropfen lustvoll auslöffelte. Ein leichter Vorspeisengang, der mir geschmacklich sehr gut balanciert erschien und von frischen Grundzutaten geprägt war. Der korrespondierende Pfälzer Riesling passte dazu perfekt. So konnte es weitergehen.
Während Borgi sein verloren geglaubtes Eigelb unter 5 Gramm italienischem Wintertrüffel wiederfand, leerte sich so allmählich unser Großes Gewächs. Ich erhoffte mir insgeheim einen schweren Roten zu meiner mürben Kalbsbacke. Doch die Tischgemeinschaft sprach sich mehrheitlich für eine Flasche Rosé aus. Die Auswahl an lachsfarbenen Kreszenzen beschränkte sich auf gerade mal vier Flaschen. Der 2012er, aus der Pinot Noir-Traube gekelterte Sancerre Rosé von der Domaine Michel Thomas (34,50 Euro) war schnell beschlossene Sache. Doch der war vergriffen. Lediglich sein jüngerer „Bruder“ aus dem Jahre 2015 lag im für die Servicekraft unzugänglichen, da abgeschlossenen Weinkeller. Den Schlüssel dafür besaß sie nicht, den hatte nur der krank im Bett liegende Chef (vielleicht unterm Kissen?). Deshalb bot sie uns zwei Alternativen zum Probieren an, die uns jedoch nicht so recht überzeugten. Was tun also, wenn der gewünschte Wein nicht vom Personal geliefert werden konnte? Na klar, der kranke Chefkoch musste sich aus den Federn quälen und den Hochsicherheitsweinkeller aufsperren – nicht wegen einer Flasche Sancerre – ehe um der Zufriedenheit seiner Gäste willen. Nicht dass wir darauf beharrt hätten, all das lief ohne unser Wissen – quasi hinter den Kulissen ab und gab Aufschluss darüber, wie selbstverständlich man hier mit den Wünschen seiner Gäste umgeht. Für mich ist so eine Vorgehensweise definitiv nicht selbstverständlich – eher vorbildlich und höchst professionell.
Mit seinem dritten Gang, dem Nordsee-Kabeljau mit Bronzefenchel, Lauch und Bunter Beete zog mir mein Tischgenosse so richtig die Feinschmeckernase lang. Besonders das abwechslungsreiche Farbenspiel beim Gemüse wusste zu gefallen. Vom perfekt gebratenen Kabeljau ließ er mich zusammen mit einer leicht angerösteten, noch knackigen Scheibe Porree probieren. Da wirkte der Fisch beinahe wie ein Nebendarsteller bei dem wunderbar dichten Lauch-Aroma.
Zum durchaus trinkbaren, mit viel Aufwand herbeigeschafften Loire-Wein gesellten sich allmählich unsere Hauptgänge. Die stundenlang geschmorten und deshalb sagenhaft mürben Kalbsbäckchen thronten stolz übergossen auf einer kräftigen, handwerklich gut gelungenen Jus, die Borgi als „samtige Rotweinreduktion“ bezeichnete. Das Kartoffelgratin war noch leicht süffig, aber eher verhalten gewürzt. Seine dezente und deshalb gut korrespondierende Süße bot zusammen mit dem deftigen Fleischgericht einen äußerst ausgewogenen Gesamteindruck auf dem Teller. Kurzum: ein schnörkellos gut gekochtes Hauptgericht!
Das gleiche Urteil traf auch auf die mit Hirschragout getoppte Pasta meiner Begleitung zu. Die noch leicht bissfesten Fettuccine lagen kaum sichtbar unter einer erdig-würzigen Ragout-Haube, die mit angebratenen Waldpilzen, etwas Preiselbeersauce und frisch gehobeltem Parmesan geschmacklich unterfüttert war. Die Produktkombination passte sehr gut zusammen und stellte ein sauber ausgearbeitetes, winterliches „Waldgericht“ mit ordentlich „Schmackes“ dar. Ähnliches könnte ich an dieser Stelle über den Canova-Burger des Herrn Borgfelder berichten. Auch der sah handwerklich fundiert zubereitet und verdammt gut“burger“lich aus.
Kurz vor dem Dessert erklommen wir dann gemeinsam den siebten Sherry-Himmel. Peter Siemens, ein treuer Soldat Karls des V., soll die nach ihm benannte Rebsorte im 16. Jahrhundert vom Rhein nach Südspanien – genauer gesagt nach Jerez – gebracht haben. Die Trauben unseres 1947er (!!!) PX aus Borgis Privatbeständen (keine Ahnung wie viel Korkgeld er dafür hat hinblättern müssen…) stammten aus der Nachbarregion Montilla-Moriles, wurden in der Bodegas Toro Albalá vinifiziert und kamen laut Etikett im Jahre 2009 als großartiger Süßwein in die Flasche. Am Anfang etwas verhalten, dann aber mit üppiger Frucht nur so um sich werfend, waren wir alle sprachlos über dessen phänomenales Bouquet. Ein Erlebnis, das meine bis dahin eher kritische Einstellung gegenüber Sherrys komplett in Wohlgefallen auflöste. Und das bei jedem Schluck mit einem unendlich langen Finish. Der Sherry stahl unserem Dessert, einer soliden Crème brulée mit Tonkabohneneis (8,90 Euro), zwangsläufig die Schau, aber das nahmen wir gerne in Kauf.
„Ich stand von süßem Rausche trunken, wie in ein Meer von Seligkeit versunken…“ (Anfang von „Canovas Hebe“). Der gute Johann Gottfried Seume, der ja eigentlich ein Hardcore-Asket war, liefert mir die Worte, um den weiteren Verlauf dieses sensationellen Abends anzudeuten. Vielen Dank an unsere beiden kulinarischen Komplizen von der Bremer Genussfraktion, die uns diesen tollen Abend beschert haben. Das Rückspiel findet aber in der Pfalz statt.
Etwas verspätet setze ich mich nun doch noch mit jenem denkwürdigen Abend in der Bremer Kunsthalle auseinander, den ich längst als kulinarisches Highlight auf meinem gustatorischen Cortex-Konto verbucht und mit mehreren Sicherheitskopien an Gaumen, Zunge, Kehldeckel und Speiseröhre abgespeichert habe. Der Faktor Zeit und der reichlich geflossene PX haben meine Entscheidung zur Verschriftlichung der Erlebnisse im Canova nicht gerade erleichtert. Ich war mir unsicher, ob den Worten des Bremer Lokalmatadors noch welche hinzugefügt werden sollten, hat er doch alles –... mehr lesen
Canova in der Kunsthalle Bremen
Canova in der Kunsthalle Bremen€-€€€Biorestaurant, Cafe, Cafebar, Ausflugsziel, Gourmet04212440708Am Wall 207, 28195 Bremen
4.5 stars -
"Den kulinarischen Künsten geweiht – was für ein genussvoller Jahresausklang!" Ehemalige UserEtwas verspätet setze ich mich nun doch noch mit jenem denkwürdigen Abend in der Bremer Kunsthalle auseinander, den ich längst als kulinarisches Highlight auf meinem gustatorischen Cortex-Konto verbucht und mit mehreren Sicherheitskopien an Gaumen, Zunge, Kehldeckel und Speiseröhre abgespeichert habe. Der Faktor Zeit und der reichlich geflossene PX haben meine Entscheidung zur Verschriftlichung der Erlebnisse im Canova nicht gerade erleichtert. Ich war mir unsicher, ob den Worten des Bremer Lokalmatadors noch welche hinzugefügt werden sollten, hat er doch alles –
Geschrieben am 21.01.2017 2017-01-21| Aktualisiert am
21.01.2017
Besucht am 10.01.2017Besuchszeit: Abendessen 1 Personen
Rechnungsbetrag: 43 EUR
Schwachhausen war gefühlte Ewigkeiten der Bremer Stadtteil mit den höchsten Immobilienpreisen. Altes Geld, halt. Umso erstaunlicher, dass ein hochklassiger Italiener hier fehlte. Das in denselben Räumen vor einigen Jahren verblichene Amarcord von Urgestein Gianni Buccini war eher der cucina povera (bevorzugt des Lazio) verpflichtet und mehrere Lokalitäten an der Heerstraße wie in der Wachmannstraße scheinen mir eher (gehobene) Pizza/Pastaläden zu sein, bei denen etwas zu viel Schein regiert. Italiener stehen zudem nur selten an den Töpfen und Pfannen.
Nun ist - solange zwischen Alster und Elbe keine Zitronen blühen - auch Stefan Schröder keiner. Aber der äußerst meinungsstarke Koch und Gastronom ist nicht an einen Stil gebunden. Mit dem Allegria hat er vor Ort schon ein sehr gehobenes Steakhaus etablieren können und seitdem er für den Kleinen Ratskeller im Zentrum verantwortlich zeichnet, wird dort wieder bremisch-norddeutsche Regionalküche von bemerkenswertem Niveau angeboten (Empfehlung!). Und das soll wohl nicht das Ende seiner Ambitionen sein, wenn man den örtlichen Gerüchten glaubt, die ihn als möglichen Betreiber einer weiteren, sehr exponierten Innenstadtgastronomie nennen.
Durchaus gespannt machte ich mich daher für einen kleinen Check mit der Straßenbahn die ca. 15 Minuten vom Zentrum auf den Weg. Die Haltestelle liegt genau vor der Tür. Parkplätze an der Haupt- wie in den Nebenstraßen sind auch möglich, aber Glückssache. Wer nicht in den großen Convenience-Mexikaner (Schüttel!) auf der anderen Straßenseite verschwindet, geht an der noch im Winterschlaf befindlichen hübschen, oberhalb des Straßenniveaus liegenden Terrasse vorbei zum seitlich gelegenen Eingang hinauf. Heizpilze und Strandkörbe sollen laut Mr. Selbstbewusstsein hier demnächst fast ganzjähriges open-air-Genießen ermöglichen. Die derzeitigen Temperaturen verlangen, dass nach der Eingangstür zunächst noch ein schwerer runder Vorhang zu durchschreiten ist, denn danach steht man auch schon mitten im Gastraum.
Die Renovierung hat dem Lokal gut getan. Cremetöne, Wandleuchter im klassischen Kerzenhalter-Design und eine große abgehängte Lichtinsel mit LEDs und indirekter Beleuchtung schaffen eine elegante Atmosphäre. Dazu passen einige, auf zweimal weißer Wäsche mit Wein- und Wasserglas, Butterteller und aufwändig gefalteter gestärkter Stoffserviette eingedeckte Tische (Reservierungen?). Bei anderen sieht man dagegen die derzeit sehr beliebten dicken Holz(?)Platten im Design alter Weinkisten ohne Tischdecken, im Übrigen aber identisch bestückt. Der vorgetäuschte Branddruck wirbt - in einem "Italiener" etwas überraschend - für katalanische Weingüter und französische Châteaus. Das ist eben vom Gasto-Inneneinrichter. Immerhin zeigt das sogleich entzündete nette Grablicht durchscheinend die Skyline von Venedig. Die bequemen Stühle und Bänke sind mit wertigem, braunem shabby Wildleder bezogen, was mir sehr gut gefallen hat. Nur noch die roten Bodenfliesen mit einigen mittelbraunen Holzbalken erinnern an rustikalere Zeiten im von außen recht schmucken Altbau. Insgesamt eine stimmig gehobene, aber nicht steife Atmosphäre.
Beim Eintreten wurde ich von einem jungen Mann mit wohl österreichischem Akzent bemerkt und begrüßt, der mich aufmerksam und freundlich auch im folgenden bediente.
Ich hatte allerdings gleich den Chef gesehen, wurde begrüßt und wir wechselten ein paar Freundlichkeiten. Dabei erfuhr ich, dass seit Dezember erst soft-opening gefahren wird, um dem Team die Einarbeitung ohne den Rummel nach einer kräftig beworbenen Eröffnung zu ermöglichen. Die soll dann im nächsten Monat erfolgen. Mag vielleicht im Dezember auch noch Personal gefehlt haben, so oder so eine schlaue Entscheidung.
Mir wurde ein Zweier-Tisch am Fenster angeboten, leider hinter dem offenbar nicht zu entfernenden, tragenden Pfeiler, der den Gastraum etwas ungünstig teilt. Die Tische sind recht eng gestellt, die Gänge aber ausreichend. Vertrauliche Gespräche sind allerdings unmöglich, was aber ja scheinbar niemanden mehr stört... Am Abend war von der Lebenserfahrung und der Zusammensetzung her ein gemischtes Publikum anwesend, das aber ganz sicherlich aus dem Stadtteil stammte. Der letzte Urlaub in Kambodscha und die Affäre der Nachbarin mit ihrem personal trainer sind nicht in allen Gegenden übliches Thema am Restauranttisch. Ich flüchtete, als der Twist eines mir noch unbekannten Kinothrillers zu besprechen werden drohte, in den Keller. Dort, am Fuß der neuen, wenngleich weiterhin steilen Treppe erhielten auch die Toiletten eine Renovierung. Modern, freundlich, Stoffhandtücher und Papierspender, flüssige Seife vom Drogeriemarkt. Keine Mängel, wie erwartungsgemäß überhaupt bei der Sauberkeit.
Aus der geöffnet gereichten, zu meiner Überraschung mit laminierten Seiten versehenen Speisekarte hätte ich gern vieles bestellt. Allerdings machte sich mein bisheriger kulinarischer Tagesablauf bemerkbar. Nach zwei Gängen am Mittag im Alto hatte ein aus beruflichen Gründen überraschend einzulegendes Pre-Diner in der Weinbar Spitz selbst meine Kapazität eingeschränkt.
Ich orderte also nur
Bruschette miste und
Antipasti terra
für je 11,5€ und
eine Minestrone di Verdura für 7,9€.
Von der auch noch ins Visier genommenen Pasta riet der Chef ab, da die Suppe "dick" und daher sättigend sei. Er plädierte für die Nudeln, ich blieb trotzdem bei der Minestrone.
Dazu eine Flasche Vilsa still für erträgliche 5,5€, in der Weinbar hatten wir nicht nur gegessen... Aber ein Aperitif sollte es dann doch schon sein. Auf der Karte wird tatsächlich glasweise Moet weiß (13,9€) und rosé (+2) angeboten. Mein Wunsch nach letzterem ließ den Kellner doch beim Chef nachfragen. Welcher Gastwirt öffnet schon gerne eine Flasche Champagner um 21.00 Uhr unter der Woche für einen einzelnen Trinker? Herr Schröder löste das auf typische Art: Vom Schampus ist keine Rede mehr, als er mit einem Glas Prickelnden "aus meinen Privatbeständen!" an den Tisch kam. Ein Franciacorte Rosé, fruchtiges Bukett, sehr vollmundig, genau mein Schaumwein-Geschmack. Er soll vermutlich mit 8,5€ auf die Karte, bei meiner Rechnung findet er sich nicht, danke. Leider vergaß ich, für die Aficinados hier nach der Kellerei zu fragen.
Die Küche schickte zunächst leicht knusprige Pizzateigbrötchen, etwas lasch. Salz und Pfeffermühlen auf Wunsch. Dazu große, weiche, milde grüne Oliven. Und ein sehr intensives selbst gemachtes Pesto-Öl auf der Basis der eigenen Ernte aus Apulien. Basilikum, Petersilie, nur leicht Knoblauch, damit wurde das Brot schon ein Genuss Pizzabrötchen mit Kräuteröl
Was erst recht für die folgende Bruschette galt, je eines mit Tomaten, mit Auberginen und mit Steinpilzen Bruschetta
Meilenweit von der Standardware entfernt, jedes für sich eine Aromabombe. Mich hat schon das wohl pfannengeröstete Weißbrot sehr beeindruckt. Knusprig, ohne hart zu sein, schöne Röstnote und innen weich. Wie ein perfekter Toast. Darauf wunderbar aromatische, von Parmigianosplittern gekrönte Datterinos, die ich zu dieser Jahreszeit für unmöglich hielt. Als ich hinterher davon schwärmte, durfte ich gleich noch einige der verwildert wachsenden sizilianischen Exemplare mit dem Olivenöl und etwas feuchtem Meersalz probieren Datterinos
Der Kerl weiß, wie er mich kriegt! Dazu immer eine Story, die ganz sicher wahr ist. Und wenn nicht, verteufelt gut ausgedacht! Die in Öl eingelegten Steinpilze brachten das volle Herbstaroma zurück, die schlotzigen Auberginen waren mit Peperoni aufgemotzt. Dazu Oliven und reichlich Kräuter und Gewürze, ein barocker Teller südlicher Lebensfreude!
Elegant kamen dagegen die ländlichen Antipasti Antipasti terra
daher (im Angebot neben terra auch mare und vegetale). Gar nicht hoch genug zu loben ist das Carpaccio, das direkt aus Harry's Bar zu stammen schien. Handgeschnittene und daher etwas dickere Scheiben vom Rinderfilet, die nach Fleisch schmeckten, nach Rindfleisch, nach rohem Rindfleisch! Und wo wird in den italienischen Lokalitäten landauf, landab dazu die Sauce von Signor Cipriani gereicht? Auch der Kalbsbraten schmeckte, wie es sich gehörte und wurde nicht von Thunfischsauce ersäuft. Dazu frittierte Kapern, für mich immer noch up-to-date, da ich den Crunch so mag. Übrigens war die Missbilligung der diversen Kräuterschnipsel am Tellerrand etwas verfehlt, da auch hier Knusprigkeit ins Spiel kam. Einige Tropfen Olivenöl, wieder Parmesan und diesmal geschmorte Datteltomate. Ein nicht überragender, aber anständiger luftgetrockneter Schinken und getrüffelte Salami rundeten das sehr harmonische Bild ab. Bravo!
Das (bewusst gewählte) Kontrastprogramm dann die rustikale Gemüsesuppe mit dicken Bohnen Minestrone
Auf angerösteten Gemüsen gekocht, kräftig in Farbe und Konsistenz. Zwiebeln, Tomaten, Knoblauch, Pinienkerne waren noch zu entdecken, ein Zweig Rosmarin zum Durchziehen. Pikant gewürzt, sicher waren auch hier Peperoncini im Spiel. Für die Freunde der gehaltvollen Minestrone wahrlich ein Genuss.
Das PLV angesichts der Kreativität und der Qualität deutlich überdurchschnittlich.
Eigentlich war ich pappsatt und glücklich, als ich aus der Küche das unverkennbare Geräusch des Schneebesens hörte: Zabaglione! Der erste Versuch kam Minuten später in einem großen bauchigen Glas, war sehr heiß und sehr spritig und vielleicht aufgrund von zu viel Alkohol leider missglückt. Kaum Schaum, mehr Eierpunsch. Der musste leider zurück. Ich rechnete gar nicht mit Ersatz, der aber in Windeseile vor mir stand. Jetzt auch ein festerer Schaum, da gab es nichts zu meckern, aber der Alkohol stand hier weiterhin im Vordergrund, vermutlich nicht nur Marsala, sondern auch Stärkeres. Nicht so meins.
Ändert an der Klasse-Küchenleistung aber kaum etwas. Der Umgang mit dem Malheur war sowieso sehr professionell. Der Preis von 7€ o.k.
Eine sehr guter erster Aufschlag - das wird auch nach der offiziellen Eröffnung was!
Schwachhausen war gefühlte Ewigkeiten der Bremer Stadtteil mit den höchsten Immobilienpreisen. Altes Geld, halt. Umso erstaunlicher, dass ein hochklassiger Italiener hier fehlte. Das in denselben Räumen vor einigen Jahren verblichene Amarcord von Urgestein Gianni Buccini war eher der cucina povera (bevorzugt des Lazio) verpflichtet und mehrere Lokalitäten an der Heerstraße wie in der Wachmannstraße scheinen mir eher (gehobene) Pizza/Pastaläden zu sein, bei denen etwas zu viel Schein regiert. Italiener stehen zudem nur selten an den Töpfen und Pfannen.
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4.5 stars -
"Starke Worte - Starke Leistung!" DerBorgfelderSchwachhausen war gefühlte Ewigkeiten der Bremer Stadtteil mit den höchsten Immobilienpreisen. Altes Geld, halt. Umso erstaunlicher, dass ein hochklassiger Italiener hier fehlte. Das in denselben Räumen vor einigen Jahren verblichene Amarcord von Urgestein Gianni Buccini war eher der cucina povera (bevorzugt des Lazio) verpflichtet und mehrere Lokalitäten an der Heerstraße wie in der Wachmannstraße scheinen mir eher (gehobene) Pizza/Pastaläden zu sein, bei denen etwas zu viel Schein regiert. Italiener stehen zudem nur selten an den Töpfen und Pfannen.
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Über die Örtlichkeit, die Gastgeberfamilie Keller und das ganze Drumherum hat der Genussspecht von der Weser in seinen beiden Bewertungen schon alles Wissenswerte niedergeschrieben. Um diesen Bericht nicht komplett ausufern zu lassen, setze ich ganz deskriptiv mit dem Eintritt in das Restaurant ein. Nicht verschweigen möchte ich allerdings den kleinen Spaziergang dorthin. Er führte uns durch die grünen Wallanlagen und wurde in reichlich vorgeglühtem Zustand vorgenommen.
Schon beim Betreten des Anwesens war ich mittelschwer betrun….äh beeindruckt. Das klassizistische Gebäude, in dem das Restaurant untergebracht war, wirkte nicht nur von außen sehr feudal. Da wollte Borgi dem Pfälzer Landei mal so richtig zeigen, wo die vornehme Bremer Gesellschaft zu tafeln pflegt. Im Inneren des „hohen Hauses“ fühlten wir uns zwischen den weißen Säulen, der kunstvoll illuminierten Wandverkleidung, dem dunklen Parkettboden und den wie umgedrehte Regenschirme anmutenden Lampen eher wie in einer Museumshalle (für so modernes, zeitgenössisches Zeugs), als an einem Ort des Genießens. Doch dieser ganz besondere, individuell-artifizielle Touch verlieh den Räumlichkeiten ihren besonderen Charakter und machte neugierig auf den ambitionierten Küchenmix, den Chefkoch Marius Keller hier seit 2011 seiner aufgeschlossenen Klientel bietet.
Es war an diesem Abend nicht viel los im Canova und nach freundlicher Begrüßung seitens der jungen Servicedame befanden wir uns flugs an einem kultiviert eingedeckten Tisch direkt an der Fensterfront, durch deren Scheiben man die nächtlichen „Wall“ungen gut beobachten konnte. Wir hatten reichlich Gesprächsstoff im Gepäck (und nicht nur diesen, wie sich später noch herausstellen sollte…), immerhin war unsere letzte kulinarische Zusammenkunft in der Hansestadt (damals an Ostern beim leckeren Italiener „Due Fratelli“) schon ein gutes halbes Jahr her, und so vergaßen wir vor lauter Geplapper fast die Durchsicht der Speisen- und Getränkekarten.
Gran Borgo beauftragte mich nonchalant mit der Auswahl des passenden Weines. „Du suchst aus, ich lade ein!“ – Worte, denen ich beflissentlich Folge leistete. Ich blätterte in der gut bestückten Weinkarte im Ringbuchformat. Keine echte „Bibel“ wie in besternten Häusern, aber doch aller Ehren wert. Flaschenweise weiße Kreszenzen aus Deutschlands wichtigsten Anbaugebieten, ergänzt von einer Reihe ausgesuchter Spezialitäten aus Österreich, der Grande Nation und Italien. Bei den Rotweinen dominierten erwartungsgemäß die französischen, italienischen und spanischen Gewächse. Ich überschlug das Angebot und kam auf gute 120 Positionen. Die Qual der Wahl ergriff mich.
Soso, der Meister wollte also seinen Pfälzer Riesling-Padawan auf die Probe stellen. Würde er bei einem Fehlgriff seinen jungen Weinnovizen in die Tiefen seines Gewölbekellers in die Pfalz zurückschicken? Panik machte sich breit. Doch da, die Rettung. Unter den vier angebotenen Rieslingen aus den VDP-Lagen der Mittelhaardt (meine zweite Weinheimat!) stach mir sofort das Große Gewächs von A. Christmann aus Neustadt-Gimmeldingen („Mandelgarten“) ins Auge. Für 56 Euro gar nicht mal unfair kalkuliert. Die erste Flaschenweinhürde war genommen. Gut so.
Durch das intensive Studieren der breitgefächerten Palette an Rebensäften geriet ich in Sachen Speiseauswahl gegenüber meiner Tischnachbarn etwas ins Hintertreffen. Der Herr Borgfelder unn sin Fruu hatten anscheinend mächtig Hunger. Auch meine Herzensdame drängte auf eine baldige Entscheidung meinerseits.
Für einen Pfälzer Weinstubenhocker wie mich war das Entschlüsseln der hier gebotenen Speiseartikel gar nicht so trivial. Gut, dass es in der Karte ein kleines Glossar zur Begriffsklärung gab. „Knuf“, „Kikok“, „Kerbelknolle“ und „Knollenziest“ klang schon verdammt nach kulinarischer Alliteration. War aber keine. Dahinter verborg sich veganes Spitzen-Brot (Knuf), ein nur mit Getreide gefüttertes Hähnchen von Borgmeier (kein Scherz!!!) aus Delbrück (Kikok), eine wurmähnliche Wurzel, die angeblich nach Kohlrabi schmeckt (Knollenziest) und die süße, mehlige Wurzel des Kerbelgrüns (Kerbelknolle).
All das kommt bei Chefkoch Marius Keller auf den Tisch bzw. in den Kochtopf. Doch der war an jenem Abend gar nicht zugegen, wie uns seine Mutter Sylvia mitteilte. Er würde krank daheim im Bett liegen und sich für die kommenden Events zum Jahreswechsel noch etwas schonen. Aber seine rechte Hand, der talentierte Sous-Chef, würde unsere Erwartungen sicherlich genauso erfüllen, versprach uns die Chefin des Hauses und verschwand dann auch sehr zeitig.
Während sich der Wesergourmet aus der Karte ein 5-gängiges Mahl zusammenbastelte, musste ich bei der Bestellung dem mittäglichen Besuch in der Hamburger „Fischbeisl“ etwas Tribut zollen und konnte kulinarisch nicht ganz so in die „Vollen gehen“ wie mein scheinbar ausgehungerter Tischnachbar. Die mit Bedacht zusammengestellte Speisenkarte kündete von einer zeitgemäßen Interpretation der klassischen Küche, bei der auch gern die Produkte aus der näheren Umgebung mit einbezogen werden.
Da fiel mir die Entscheidung für den Norddeutschen Fischeintopf (in der kleineren Vorspeisenversion für 16 Euro) nicht allzu schwer. Dass hier die komplette Fischeinlage vom Bremer Spezialist für Meeresdelikatessen - F.L. Bodes - stammte, wusste ich beim Bestellen noch nicht. Die Dame an meiner Seite wählte vorweg den Winterlichen Blattsalat mit knackigem Wintergemüse und delikater Kräuter-Vinaigrette (8,90 Euro). Beim Hauptgang trotzte ich der raffinierten Regionalküche ein bodenständiges Schmorgericht ab. Den zarten Kalbsbäckchen (22,90 Euro), die von bunter Möhre und einem Gratin von der „mittelfrühen“ Lilly Kartoffel begleitet wurden, konnte ich nicht widerstehen. Sehr positiv fiel auf, dass man etliche Gerichte auch als kleinere Vorspeise bzw. als Zwischengang ordern konnte. Bei der Pasta mit Hirschragout, Preiselbeeren, Quitte, Waldpilzen und Parmesan (16,90 Euro) durfte es für meine Begleitung aber schon eine „ausgewachsene“ Hauptspeisenportion sein.
Das Große Gewächs aus der Pfalz wurde entkorkt. Schon beim Anblick dieses Pfälzer Highend-Gesöffs wurde mir ganz warm um die Leber. Ich stammelte etwas von Mineralität, intensiver Frucht und Finesse und wollte damit eigentlich nur sagen: was für ein genialer Tropfen funkelt uns denn da grüngelb aus dem auf Hochglanz polierten Glas entgegen. Die kaum spürbare, der Fachmann würde sagen: gut integrierte Säure, ist ja nicht gerade typisch für den Riesling aus meiner Heimat. Da hilft ja in vielen Fällen nur der Griff zum Mineralwasser, um die Säure im Schorle zu ertränken. Aber in so einem GG steckt eben die ganz hohe Kunst des Weißweinmachens und das schmeckt man dann eben auch. Geiler Stoff, der meine Freude auf den Fischeintopf noch zu steigern vermochte.
Bei dem Ess-Enthusiasten neben mir herrschte eine Stimmung wie in der Altsteinzeit kurz nachdem das Mammut zerlegt wurde. Seine Freude auf das Tatar und Knochenmark vom Auerochsen war genauso herrlich authentisch wie das Soulfood für Jäger und Leckereiensammler auf dem Teller vor ihm. Zeitgleich wurde die wohl portionierte Vorwegvariante des Fischeintopfes serviert. Die Protagonisten aus Neptuns Reich schwammen in einem herrlich aromatischen Sud. Fenchel, Queller und Estragon verliehen den perfekt gegarten Fischfiletstücken (Rotbarbe, Kabeljau) und Meeresfrüchten (Mies- und Jakobsmuscheln, Garnelen und Kalmar) einen mildwürzigen Frischerahmen, der den eigenaromatischen Meeresbewohnern noch genügend Geschmacksspielraum ließ. Insgesamt war der Teller von seinem Aromenbild viel geradliniger, als ich zunächst in Anbetracht des ungewohntem „Grünzeugs“ in meinem Teller vermutet hätte. Grundiert von einer wunderbar abgeschmeckten Suppe, die ich bis auf den letzten Tropfen lustvoll auslöffelte. Ein leichter Vorspeisengang, der mir geschmacklich sehr gut balanciert erschien und von frischen Grundzutaten geprägt war. Der korrespondierende Pfälzer Riesling passte dazu perfekt. So konnte es weitergehen.
Während Borgi sein verloren geglaubtes Eigelb unter 5 Gramm italienischem Wintertrüffel wiederfand, leerte sich so allmählich unser Großes Gewächs. Ich erhoffte mir insgeheim einen schweren Roten zu meiner mürben Kalbsbacke. Doch die Tischgemeinschaft sprach sich mehrheitlich für eine Flasche Rosé aus. Die Auswahl an lachsfarbenen Kreszenzen beschränkte sich auf gerade mal vier Flaschen. Der 2012er, aus der Pinot Noir-Traube gekelterte Sancerre Rosé von der Domaine Michel Thomas (34,50 Euro) war schnell beschlossene Sache. Doch der war vergriffen. Lediglich sein jüngerer „Bruder“ aus dem Jahre 2015 lag im für die Servicekraft unzugänglichen, da abgeschlossenen Weinkeller. Den Schlüssel dafür besaß sie nicht, den hatte nur der krank im Bett liegende Chef (vielleicht unterm Kissen?). Deshalb bot sie uns zwei Alternativen zum Probieren an, die uns jedoch nicht so recht überzeugten. Was tun also, wenn der gewünschte Wein nicht vom Personal geliefert werden konnte? Na klar, der kranke Chefkoch musste sich aus den Federn quälen und den Hochsicherheitsweinkeller aufsperren – nicht wegen einer Flasche Sancerre – ehe um der Zufriedenheit seiner Gäste willen. Nicht dass wir darauf beharrt hätten, all das lief ohne unser Wissen – quasi hinter den Kulissen ab und gab Aufschluss darüber, wie selbstverständlich man hier mit den Wünschen seiner Gäste umgeht. Für mich ist so eine Vorgehensweise definitiv nicht selbstverständlich – eher vorbildlich und höchst professionell.
Mit seinem dritten Gang, dem Nordsee-Kabeljau mit Bronzefenchel, Lauch und Bunter Beete zog mir mein Tischgenosse so richtig die Feinschmeckernase lang. Besonders das abwechslungsreiche Farbenspiel beim Gemüse wusste zu gefallen. Vom perfekt gebratenen Kabeljau ließ er mich zusammen mit einer leicht angerösteten, noch knackigen Scheibe Porree probieren. Da wirkte der Fisch beinahe wie ein Nebendarsteller bei dem wunderbar dichten Lauch-Aroma.
Zum durchaus trinkbaren, mit viel Aufwand herbeigeschafften Loire-Wein gesellten sich allmählich unsere Hauptgänge. Die stundenlang geschmorten und deshalb sagenhaft mürben Kalbsbäckchen thronten stolz übergossen auf einer kräftigen, handwerklich gut gelungenen Jus, die Borgi als „samtige Rotweinreduktion“ bezeichnete. Das Kartoffelgratin war noch leicht süffig, aber eher verhalten gewürzt. Seine dezente und deshalb gut korrespondierende Süße bot zusammen mit dem deftigen Fleischgericht einen äußerst ausgewogenen Gesamteindruck auf dem Teller. Kurzum: ein schnörkellos gut gekochtes Hauptgericht!
Das gleiche Urteil traf auch auf die mit Hirschragout getoppte Pasta meiner Begleitung zu. Die noch leicht bissfesten Fettuccine lagen kaum sichtbar unter einer erdig-würzigen Ragout-Haube, die mit angebratenen Waldpilzen, etwas Preiselbeersauce und frisch gehobeltem Parmesan geschmacklich unterfüttert war. Die Produktkombination passte sehr gut zusammen und stellte ein sauber ausgearbeitetes, winterliches „Waldgericht“ mit ordentlich „Schmackes“ dar. Ähnliches könnte ich an dieser Stelle über den Canova-Burger des Herrn Borgfelder berichten. Auch der sah handwerklich fundiert zubereitet und verdammt gut“burger“lich aus.
Kurz vor dem Dessert erklommen wir dann gemeinsam den siebten Sherry-Himmel. Peter Siemens, ein treuer Soldat Karls des V., soll die nach ihm benannte Rebsorte im 16. Jahrhundert vom Rhein nach Südspanien – genauer gesagt nach Jerez – gebracht haben. Die Trauben unseres 1947er (!!!) PX aus Borgis Privatbeständen (keine Ahnung wie viel Korkgeld er dafür hat hinblättern müssen…) stammten aus der Nachbarregion Montilla-Moriles, wurden in der Bodegas Toro Albalá vinifiziert und kamen laut Etikett im Jahre 2009 als großartiger Süßwein in die Flasche. Am Anfang etwas verhalten, dann aber mit üppiger Frucht nur so um sich werfend, waren wir alle sprachlos über dessen phänomenales Bouquet. Ein Erlebnis, das meine bis dahin eher kritische Einstellung gegenüber Sherrys komplett in Wohlgefallen auflöste. Und das bei jedem Schluck mit einem unendlich langen Finish. Der Sherry stahl unserem Dessert, einer soliden Crème brulée mit Tonkabohneneis (8,90 Euro), zwangsläufig die Schau, aber das nahmen wir gerne in Kauf.
„Ich stand von süßem Rausche trunken, wie in ein Meer von Seligkeit versunken…“ (Anfang von „Canovas Hebe“). Der gute Johann Gottfried Seume, der ja eigentlich ein Hardcore-Asket war, liefert mir die Worte, um den weiteren Verlauf dieses sensationellen Abends anzudeuten. Vielen Dank an unsere beiden kulinarischen Komplizen von der Bremer Genussfraktion, die uns diesen tollen Abend beschert haben. Das Rückspiel findet aber in der Pfalz statt.